Am Abgrund

                              

Nur langsam kehrte das Leben wieder. Kovacs Tod hinterließ wie nicht anders zu erwarten eine klaffende Wunde, die kaum zu heilen mochte. Draußen tobte das Finale im Kampf um die Macht. Noch immer stand kein Sieger fest. Neidhardt hatte zu früh frohlockt, denn der Blaue Orden konnte eine Offensive starten und einige Bastionen zurückerobern, wenn auch nur für kurze Zeit.

Das Gelände der alten Abtei lag inmitten der Frontlinie.

Elena hatte alle Bewohner angehalten sich möglichst nicht außerhalb des Geländes aufzuhalten. Die Tore waren allesamt geschlossen und abgesichert. Eine rein psychologische Stütze, denn im Ernstfall würden sich die Freikorpsleute kaum daran scheren. 

Ausharren war angesagt.

Elenas Bauch begann sich leicht zu runden. In absehbarer Zeit würde ihre Schwangerschaft deutlich sichtbar. Dezember zählte man, im Mai würde sie ihr Kind zur Welt bringen.

Das Motorrad fahren hatte sie  vorsorglich aufgegeben und ging dazu über darauf achten sich nicht zu sehr anzustrengen.

Bei der derzeitigen trüben und nasskalten Wetterlage und der gefährlichen Situation im Land konnte man ohne hin nicht viel unternehmen.

Leander befand sich auf dem Weg der Besserung, trotzdem verwöhnte ihn Elena noch immer tagtäglich.

Alexandra hatte ihre Koffer gepackt und war bereit Ronald zu folgen. Unendlich schwer fiel ihr der nahende Abschied, deshalb lies sie sich immer wieder Ausreden einfallen um einen erneuten Aufschub zu rechtfertigen.

Kyra versuchte den Gedanken zu verdrängen, aber natürlich gelang es ihr nicht. Loslassen musste sie, aber wie. Sie beschloss Folko aufzusuchen der nun schon seit einiger Zeit allein die alte Schäferei bewohnte.

Als sie dort ankam traf sie ihn beim herrichten seines Jeeps an.

„Na, was hast du denn vor? Du willst auf Reisen gehen? Bei dieser gefährlichen Lage und dem miesen Wetter?“

„Ja und? Wird eine Reise ohne Wiederkehr?“

„Was? Du auch? Seit ihr alle völlig durchgeknallt?“ Kyra glaubte zunächst das es Folko Kovacs gleichtun wollte.

„Nein, nicht in diesem Sinne, da kann ich dich beruhigen!“

Kyra atmete erleichtert auf.

„Ich haue ab, mache mich davon! Gehe ins Ausland! Habe noch immer gute Verbindungen die mir weiterhelfen können.“

„Du willst abhauen? Aber warum denn? Was ist denn in dich gefahren?“

„Kyra, ganz gleich wer am Ende als Sieger aus diesem Kampf hervorgeht, für mich bedeuten beide Varianten das Aus. Ich bin der ehemalige Vizegroßmeister des Blauen Orden, da gibt es in der neuen Regierung etliche die offene Rechungen mit mir begleichen wollen.“

„Aber wieso denn? Gut, du hast eine dunkle Vergangenheit. Schwamm drüber, ich habe dir längst vergeben. Die anderen werden es auch. Du hast die Seiten gewechselt,konntest uns wichtige Dienste erwiesen. Das sollte doch wohl ins Gewicht fallen.“

„Vielleicht wenn die Räteregierung noch in Amt und Würden wäre, aber ich glaube nicht dass das für Neidhardt von Belang ist. Für den bin ich in erster Linie ein Kriegsverbrecher den es zu liquidieren gilt!“

„Verflucht! Daran habe ich gar nicht gedacht!“ Kyra schlug mit der Faust auf das Heck des Jeeps.

„Und sollten meine alten Kameraden vom Orden wieder besseren Wissens doch noch die Oberhand gewinnen, ist mein Schicksal ebenfalls besiegelt, die werden mich als Verräter an die Wand stellen. Du siehst, so oder so, ich kann unmöglich in Melancholanien bleiben.“

„Und wo willst du hin? Ich meine hast du schon konkrete Ziele?“

„Wie ich schon sagte, ich habe gute Verbindungen im Ausland. Dort kann ich bei Sicherheitsorganen, Geheimdiensten oder ähnlichen andocken, ausgediente Elitekämpfer finden immer was, so sie denn in ihr altes Leben zurückkehren. Noch habe ich das kämpfen nicht verlernt, auch wenn es mir nicht leicht fallen wird alte Gewohnheiten wieder aufzunehmen.“

Fassungslos blickte Kyra zum Boden. Nicht allein das sie Alexandra verlieren würde, müsste sie nun auch noch von Folko Abschied nehmen. Dass war zuviel, die Tränen schossen aus den Augen.

„Mist! Scheiße! Ich wollte nie mehr vor andern heulen, aber ihr habt mich alle dazu gebracht.

Kovacs tot, am Grab hab ich geheult, gut das kann man noch verzeihen. Alexandra geht mit Ronald, ich werde sie aufgeben müssen, obgleich ich total in sie verknallt bin, wieder flossen Tränen und nun auch noch du. Verdammter Mistkerl, ich hab dich doch lieb!“

Folko schloss Kyra in seine Arme und drückte sie ganz fest an sich.

„Ich hab dich auch lieb. Das ich dich hier zurücklassen muss ist für mich eine unerträgliche Vorstellung, aber es geht nicht anders. Ich habe keine Wahl. Du bist und bleibst die Liebe meines Lebens.“

„Ich werde mit dir gehen! Ja, ich werde dich begleiten!“ Bekundete Kyra plötzlich wie aus der Pistole geschossen.

„Mit mir gehen? Aber wie kommst du denn darauf? Wie stellst du dir das vor?“ Wollte Folko wissen und hielt dabei Kyras Gesicht in seinen Handflächen.

„Was soll ich denn noch hier? Alle die ich liebe gehen weg, verschwinden einfach und ich soll hier zurückbleiben? Nein, dann hält mich hier keiner mehr.“

„Kyra das darfst du nicht! Was dich hier hält? Die alte Abtei ist deine Heimat, dein zuhause! Du hast es mir mehrmals gesagt, wie sehr es dir hier gefällt. Das du nie ein zuhause hattest und dich erstmals im Leben richtig heimisch an einem Orte fühlst. Das kannst du nicht aufgeben um meinetwillen. Ich würde das nie von dir verlangen. Denke auch an Elena, du gehörst zur Schwesternschaft, du bist ein Teil davon, du hast dir die Stellung erkämpft und sie dir verdient. Elena wird dich brauchen. Die nächste Zeit mehr denn je.“

„Ich tue es aber, weil ich dich liebe, verdammt noch mal. Ich komme mit dir, das ist mein letztes Wort.“

„Kyra du weist nicht was du sagst! Kannst du dir vorstellen wie ich lebe? Ich werde wieder als Söldner dienen. Keine feste Bleibe, ständig unterwegs, mal hier mal da. Ständig irgendwelchen Gefahren ausgesetzt. Im Freien kampieren und so weiter und so fort. Muss ich noch deutlicher werden?“

„Folko, ich lebe auf der Straße seit ich denken kann. Sage du mir nicht was Gefahren sind.

Ich werde das Leben mit dir teilen, auf der Straße, im Dschungel, in der Wüste oder weis der Teufel wo. Ich werde an deiner Seite kämpfen Du hast es mich gelehrt. Du wist mich weiter trainieren, bis ich dir ebenbürtig bin, schonen brauchst du mich nicht dabei.

Und nachts werden wir uns wärmen, uns lieben, wie wir es immer getan haben.“

Folko schloss Kyra wieder in seine Arme.

„Was bin ich doch für ein Glückspilz  so eine Gefährtin an der Seite zu wissen. Ich verdiene dich nicht. Du bist schon fast zu gut für mich. Also gut, ich kenne dich zu genau um zu wissen, das du dich nicht mehr umstimmen lässt. Ich werde nicht gleich  heute fahren, die Tage, womöglich übermorgen. Dir steht also noch Bedenkzeit zur Verfügung.“

„Danke, aber die werde ich bestimmt nicht brauchen.“

„Allein trage ich nur die Sorge um mein eigens Leben. Bist du aber bei mir, müsste ich mich auch um deinetwegen Gedanken machen. Das wird mich angreifbar machen. Hier hingegen wüsste ich dich in Sicherheit.“

„Du versuchst ja doch mich umzustimmen. Nein Folko. Die Sorge um mich wird dich vorsichtiger machen. Allein würdest du wenig Rücksicht auf dein Leben nehmen, wie ich dich kenne. Bin ich bei dir, wird die Sorge um mich auch dein Leben sicherer machen.“

„Hm, schlaues Köpfchen. Meine Wildkaste hat schnell gelernt. Wir werden viel unterwegs sein. Es wird abenteuerlich. Du wirst viel kennen lernen. Ich denke schon das es dir gefallen wird, trotz der Gefahren die da auf uns lauern.“

„Wenn wir nur zusammen sind, dann wird alles gut!“

 

Leander wollte nach einigen Tagen endlich wieder mal an die frische Luft, auch wenn es im Dezember nicht gerade erbaulich schein sich im Freien zu bewegen. Elena begleitet ihn beim Gang über das Gelände der Abtei. Die zahlreichen Bäume hatten sich nun fast vollständig ihres Blätterkleides entledigt und wirkten in dieser Jahreszeit manchmal wie Galgen, die auf ihre Opfer warteten. Doch ein solches Trist und Grau muss nicht unbedingt nur negative Emotionen auslösen. Über allem breitet sich Ruhe und Stille aus. Tatsächlich, man konnte heute zum ersten Mal seit Langem kein Artilleriefeuer aus der Ferne vernehmen.

Rückte jetzt der Frieden in greifbare Nähe?  Elena hoffte wie alle anderen darauf.

Einige waren mit letzten Aufräumungsarbeiten in den  Gärten beschäftigt. Hier und da knisterte noch ein kleines Feuer und die Rauchschwaden breiteten sich über dem Gelände aus.

Für die nächsten Tage wurden die ersten Schneefälle prognostiziert. Bald würde Winter sein. Zeit zur Ruhe zu kommen. Zeit in sich zu gehen, sich den Dingen zu widmen die über das Jahr vernachlässigt worden. Zeit der Besinnlichkeit und des Zusammenrückens.

Elena blickte sorgenvoll in die Zukunft. Kovacs lebte nicht mehr, keiner konnte seinen Platz einnehmen. Würde einer imstande sein dessen wunderbare Geschichten am Kaminfeuer zu erzählen?

Immer wieder traten Elena die Tränen in die Augen, wenn sie seiner gedachte. Einen besonderen Freund zu verlieren ist schmerzhaft und es würde wohl viel Zeit verstreichen bis sie seinen Tod endgültig verwunden hatte.

Einige waren schon gegangen, wer würde wohl als nächste die Abtei verlassen?

Alexandra mit Sicherheit. Folko auch, er hatte sich Elena vor einigen Tagen an vertraut und sie hatte Verständnis für seinen Entschluss erkennen lassen.

Von Kyras Vorhaben, diesen auf seinen Weg zu begleiten wusste Elena im Moment noch nichts. Es würde sie sehr treffen, denn an Kyra hing sie ganz besonders.

Die Reihen begannen sich zu lichten und sie konnte nichts dagegen tun. Die Schwesternschaft begann auseinander zu fallen und das tat ihr unendlich weh.

Aber das Leander wieder wohl auf war schien im Moment die Hauptsache. Da ihre politische Arbeit quasi zum erliegen gekommen war und Neidhardt auf ihre Mitarbeit keinen Wert legte, hatte sie endlich ausreichend Zeit für ihre Liebe, vieles, was ihr aufgrund ihrer Tätigkeiten bisher nicht gestattet war, konnte sie endlich nachholen.

Sie hakte sich bei Leander ein und schmiegte sich eng an diesen als sie ihren Weg fortsetzten.

Pater Liborius kam ihnen auf halber Strecke entgegen.

„Guten Morgen Elena! Sei mir gegrüßt Leander, schön dich wieder gesund zu sehen!“

„Guten Morgen! Danke mir geht es auch wieder besser!“ erwiderte der den Gruss.

„Guten Morgen Pater! Schon fleißig gewesen heute?“

„Ich war unterwegs, habe die Ruhe ausgenutzt um ein paar Besuche zu machen.“

„Es ist verhältnismäßig ruhig heute. Wird denn überhaupt noch gekämpft?“ Erkundigte sich Elena.

„Die sind weit weg in den Süden. Die Blauen sind wieder mal auf der Flucht. Aber das Blatt kann sich  jederzeit wenden. Wir hatten schon des Öfteren Hoffnung auf Frieden und dann konnten die das Ruder wieder herumreißen.“

Gab der Pater zur Antwort.

„Es wird wohl noch ne ganze Weile dauern. Ich fürchte bis nächstes Frühjahr.“ Meinte nun auch Leander.

„Ja, ich fürchte auch. Ach, da wir vom fürchten sprechen. Entfernt euch nicht zu weit vom Gelände. Der Schein trügt. Es sollen Freikorpsverbände gesichtet wurden sein. Vermutlich jene die auf der Flucht in den Süden sind. Die Milizen sind ihnen auf den Fersen. Aber wenn die hier auftauchen sind wir erst mal auf uns alleine gestellt.“

„Danke für die Warnung, wir werden vorsichtig sein!“ Gab Elena zu verstehen bevor sie ihren Weg fortsetzten.

 Nach einer Weile stellte sie fest das auch noch andere Kommunebewohner ihrem Bespiel folgten und das für Dezember relativ ruhige und vor allem trockene Wetter nutzen und sich im Freien bewegten.  Folko folgte ihr in Begleitung einiger der Jugendlichen Rebellen die vor nicht all zu langer Zeit mit ihm und Kyra in die Abtei gekommen waren und hier einen vorübergehenden Unterschlupf gefunden hatte.

In einiger Entfernung konnte sie Gabriela und Klaus entdecken, die ebenfalls ein Stück gingen.

Alles so friedvoll, alles so im Einklang mit sich selbst. Hatte Melancholanien sein Gleichgewicht wieder gefunden? Für einen kurzen Moment schien es tatsächlich zum greifen nahe.

Ein Bussard drehte am Himmel majestätisch seine Runden. Es gab hier in dieser Gegend viele seiner Art. Elena sah diesen zu gerne bei ihren Gleitflügen zu. Die Sonne, die sich am Horizont erhoben hatte, spendete für einen Moment einen hellen Lichtstrahl, bevor sie sich wieder hinter einer Wolke versteckte.

Die richtige Zeit um Leander eine entscheidende Frage zu stellen.

„Leander?“

„Ja?“

„Willst du mein Mann werden?“

„Ob ich was?“

„Ob du dir vorstellen kannst das Risiko einzugehen mich zu heiraten, meine ich. Ich denke, verlobt sind wir nun schon lange Zeit, oder?“

„Das kommt so überraschend! Wie kommst du denn ausgerechnet jetzt auf diese Idee, jetzt, da Melancholanien noch in Flammen steht?“ wollte Leander wissen.

„Gerade deshalb!“ Hob Elena an. „Weil alles um uns zu bersten droht. Ich selbst messe der Ehe nicht all zu viel Bedeutung bei. Es geht auch ohne. Aber ich möchte damit ein Zeichen setzen. Es kann noch eine Weile dauern, bis die Kämpfe vorüber sind. Unser Kind wird im Frühjahr kommen. Vorher hätte ich gerne dein Jawort und ich werde dir meines geben. Eine kleine Feier denke ich, nichts großes, das wäre gar nicht durchführbar. Die Menschen sollen dadurch auch ein Wenig Ablenkung bekommen, Hoffnung spüren. Wenn wir in einer solch katastrophalen Zeit an so etwas denken, kann es nur noch besser werden.“

„Ein schöner Einfall, muss ich zugeben, auch wenn du mich dadurch total überrumpelst. Elena heiraten? Wer hätte das gedacht. Ich fühle mich geehrt meine Dame.“ Scherzte Leander.

„Du wirst an meiner Seite thronen, wenn ich dereinst Melancholaniens Königin bin!“

„Oh, da hast du dir was vorgenommen. Da wollen wir alles dransetzen, das es  auch tatsächlich dazu kommt.“

„Ist alles nicht so wichtig! Die Hauptsache, wir beide werden glücklich. Nie habe ich ernsthaft über eine Ehe nachgedacht. Unzählige Anträge bekam ich schon in meinem Leben.“

„Das kann ich mir sehr gut vorstellen!“

„In der Vergangenheit, solche aalglatten Typen a la Frederic und so weiter. Die hatten bei mir keine Chance, habe ich stets abblitzen lassen. jedesmal gab ich denen zu verstehen, das ich mir den Mann aussuche, der mir gefällt. Es gab aber keinen der meinen Anforderungen genüge getan hätte, bis zu jenem Moment als du in mein Leben tratst.

Mit dir ist es ganz anders. Mit dir kann ich diesen Weg gehen.“

„Ja und ich freue mich darauf! Hm, wer wird wohl wen zum Standesamt führen, oder zum Traualtar. Du mich oder ich dich? Ich meine, Elena führen? Ich denke ich habe mich längst an den Gedanken gewöhnt, dass das ein Unding wäre . Was würde dir besser gefallen?“

„Hm, in diesem Fall ganz klassisch. Konservativ wenn du so willst. Passt nicht zu mir? Gut, lass es die Leute denken. Aber der Hochzeitstag gehört dir alleine. Ich lasse mich ausnahmsweise fallen. Du kannst mich führen, in einem prächtigen weißen Kleid, ich stelle es mir zauberhaft vor, den Schleier lassen wir weg. Die Jungfrauen kauft mir eh keiner ab. Wie es danach weitergeht, hm, wir werden sehen!“ Sprach Elena keck, danach zog sie Leander zu sich und preßte ihre Lippen fest auf dies seinen.

So vertieft in ihre Gespräche bemerkten sie nicht dass sie sich immer deutlicher vom Gelände der Abtei entfernten. Folko und sein Trupp waren noch in Sichtweise, gerieten aber immer deutlicher ins Hintertreffen.

„Elena, Leander, Vorsicht! Passt auf!“ Schrie Folko aus voller Brust. Doch es war zu spät. Etwa ein Dutzend bewaffneter Freikorpsleute tauchten wie aus dem Nichts vor ihnen auf. Die hatten sich offensichtlich vorher in den Gebüschen verschanzt.

Elena und Leander blickten einander in die Augen. Es war aus, plötzlich saßen in der Falle. Noch einmal eine kurze Berührung, vor der ewigen Trennung. Einer der Freikorpsleute brachte seine Waffe in Stellung und schoss. Er traf Leander zweimal in den Kopf, der sackte augenblicklich  blutüberströmt in Elenas Armen zu Boden. Ein tiefer Schock erfasste Elena, sie hielt Leanders Kopf in den Armen, dessen Blut floss durch ihre Finger. Sie lies sich zu ihm auf den Boden nieder, so entging sie den Gewehrsalven, die sich über ihr entluden.

Milizionäre nahmen von der anderen Seite aus die Freikorpsleute unter Feuer. Die flüchteten schnell wieder ins Gebüsch, einige waren tödlich getroffen, auch Leanders Mörder.

Die Milizionäre verfolgten die Diener des Blauen Ordens tief in den Wald. Einer rannte in eine andere Richtung, Folko folgte ihm. Er war unbewaffnet, wie unvorsichtig. Doch in diesem Moment sah er nur noch rot.

Eine Schrecksekunde für die meisten, schon war alles wieder vorbei. Doch für Leander kam jede Hilfe zu spät. Sein Geist hatte den Körper bereits verlassen.

Elena ließ seinen Kopf zu Boden gleiten und betrachtete das Blut an ihren Händen. Sie richtete den Blick zum Himmel und stieß einen entsetzlichen Schrei aus. Alles Elend, aller Schmerz des Augenblickes bündelte sie in diesen Schrei, in das entsetzliche Warum.

Und noch einmal und noch ein drittes Mal.

In der Zwischenzeit waren die Jugendlichen zu ihr vorgedrungen und versuchten, ihr beizustehen. Zwei versuchten, Elena von Leanders toten Körper aufzuheben, doch die begann plötzlich wie besessen um sich zu schlagen. Da tauchten aus dem Gebüsch einige der Milizionäre wieder auf. Einer erteilte Befehle. Auch Gabriela und Klaus eilten herbei, sowie Pater Liborius der aus der Ferne zugesehen hatte.

Wie eine Furie tobte Elena und schlug jeden zu Boden der sich ihr nähern wollte. Dabei bediente  sie sich dabei ihrer Hände und Füße. Sie drohte dem Wahnsinn zu verfallen.

„Schafft sie weg!“ Befahl der Kommandant der Milizen.

Doch auch die Milizionäre erhielten ein Tracht Prügel. Die geübte Karatekämpferin holte alle Energie die sie in ihrem Inneren verborgen hielt und gab diese nach draußen weiter.

Erst als sich Gabriela vor ihr zeigte schien sie sich ein wenig zu beruhigen und lies ich von dieser in die Arme schließen.

„Wir müssen sie in die Abtei bringen. Dort können wir sie richtig versorgen. Seht ihr denn nicht das sie völlig die Fassung verloren hat.“ Fauchte Gabriela die Milizionäre an.

 

Unterdessen hatte Folko den flüchtenden Freikorpsmann erreicht und versetzte diesem einen kräftigen Schlag, so dass der augenblicklich in die Knie sank.

„Gnade! Bitte Kommandant, lass mich leben. Ich hab doch gar nicht geschossen.“ Wimmerte dieser vor Angst.

„Das ist dein Glück, sonst hätte jetzt dein letztes Stündchen geschlagen. Du kennst mich, du weist wer ich bin?“

„Ich weiß, wer du warst, Folko.“

„Aha, der grüne Blitz, daher weht der Wind, du bist von Cassians Leuten, stimmt`s? Sprich oder ich prügele es aus dir heraus, bis sämtliche Knochen im Eimer sind.“

„Ja, Kommandant, so ist es, ich diene bei Cassians Einheit, der erteilte den Befehl, während des Rückzuges die Abtei heimzusuchen und hier für Angst und Schrecken zu sorgen.“

„Das ist euch gelungen. Das ist euch wahrlich gelungen.“

„Ich diente früher unter dir, Folko. Du warst der Beste.“

„Mit Schmeicheleien kommst du bei mir nicht weit. Du hast ein Verbrechen unterstützt, dafür verdienst du Strafe.“

„Bitte lass mich leben!“

„Also gut, ich will dir das Leben schenken. Aber nur um eine Botschaft zu überbringen. Sage deinem Herrn und Meister, dass ich ihm von nun an dicht auf den Fersen bin. Sage ihm, dass ich ihn zur Strecke bringen werde. Das wird meine Lebensaufgabe für die nächste Zeit. Und wenn es das letzte ist was ich in diesem Leben erreiche. Jedes einzelne Rattenloch weltweit werde ich durchstöbern, wenn es sein muss, nur im seiner habhaft zu werden. Hinter jedem Baum, hinter jeder Mauer soll er mich vermuten. Ich hoffe, dass ich ihn zum Wahnsinn treibe bevor ich mit ihm abrechne.“

„Ich… ich werde es ihm sagen, Wort für Wort!“ versprach der Angesprochene in hastigem Tonfall.

Folko hob ihn ruckartig vom Boden.

„Verschwinde! Hau ab! Aus meinen Augen, du Stück Scheiße, bevor ich es mir noch anders überlege.“

Dieser tat wie ihm geheißen und suchte augenblicklich das Weite.

 

Unterdessen versuchte Gabriela und Klaus Elena zu stützen und zu führen, was sich als ausgesprochen schwierig erwies. Immer wieder versuchte sich Elena loszureißen um zu Leanders Leiche zurück zu laufen.

Auf halber Strecke kam ihnen Colette entgegen gerannt, sie erfuhr erst jetzt von der schrecklichen Tat und sie hatte eine weitere schreckliche Nachricht im Gepäck, die Freikorpsleute hatten in der Zwischenzeit auf dem Gelände der Abtei weitergewütet, Mirjam und Lisa waren ihnen zum Opfer gefallen und lebten ebenfalls nicht mehr. Tiefes entsetzen, Elena brach erneut zusammen. Ein Trauma breitete seine dunklen Schwingen über der alten Klosteranlage aus.

Nun traf auch noch Pater Liborius auf die anderen, seine rechte Hand blutete, er war getroffen, aber es war nicht lebensgefährlich, nur ganz knapp war auch er dem Tode entronnen.

„Verflucht noch mal, wo stecken denn die Milizen? Wenn man die braucht sind die nie da, das ist ein Schande.“ Schimpfte Klaus laut vor sich hin.

„Wenn wir uns auf die verlassen sind wir verlassen, hab ich euch immer gesagt.“ Erwiderte Colette, dann drängte sie Klaus beiseite. „Tritt zur Seite, lass mich Elena stützen!“ Klaus gehorchte widerspruchslos.

Colette nahm Elena in die Arme und streichelte sanft ihre Wangen. Worte bedurfte es nicht, die wären in diesem Moment ohnehin wirkungslos, denn für das was geschehen war gab es keine Worte, so tief hatte sich der Schmerz ins Bewusstsein gegraben.

Elena die starke, selbstbewusste Frau, cool und über den Dingen stehend, die nichts aus der Bahn werfen konnte, existierte nicht mehr. Von einem auf den anderen Augenblick war diese Persönlichkeit ausgelöscht. Übrig blieb nichts weiter als ein bedauernswertes, Mitleiderregendes Häufchen Elend.

Das Gesicht kreidebleich, tiefe schwarze Ränder rahmten ihre Augen, am ganzen Körper zitternd, stets in Gefahr zusammen zu brechen, sprechen konnte sie nicht mehr, stammelte nur hin und wieder einige undefinierbare Laute und aus dem halb offen stehenden Mund tropfte der Speichel.

Tod und Zerstörung rings um, Elena war nicht mehr imstande sich all dem zu stellen. Ihr Persönlichkeit begann sich in Luft aufzulösen.

Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie ähnliches erleben müssen, sie war darauf  nicht vorbereitet.

Unter großer Anstrengung gelang es Gabriela und Colette das Konventsgebäude zu erreichen.

Aufregung und Durcheinander wohin man auch blickte.

Leanders Leiche, sowie jene von Miriam, Lisa und noch einigen anderen verbrachte man in die Basilika um sie dort aufzubahren.

Elena wurde auf ihr Zimmer gebracht. Colette hatte lange Zeit in Elenas Krankenstation mitgearbeitet und kannte sich inzwischen gut mit solchen Situationen aus, so konnte sie ihr ein Beruhigungsmittel per Injektion verabreichen.

Nach einer Weile schlief Elena ein, zumindest für eine Weile Ruhe, für eine Weile das Bewusstsein ausgeschaltet. Doch wie sollte es danach weitergehen? Niemand vermochte die Frage zu beantworten. Ratlosigkeit, Resignation.

Die Hinterbliebenen versammelten sich im Refektorium um den Versuch zu unternehmen eine Lösung zu finden. Doch ohne Erfolg.

Miriam und Lisa waren tot.

Alexandra saß auf gepackten Koffern, Ronald beabsichtigte sie am Nachmittag endgültig zu sich zu holen.

Auch Folko und Kyra waren entschlossen zu gehen, nicht am gleichen Tag aber innerhalb der laufenden Woche. Chantal war unentschlossen was ihr Verbleiben betraf. Sie hatte ein lukratives Angebot eines Fernsehsenders im benachbarten Monetanien. Sie fühlte sich der Schwesternschaft tief verbunden, aber sie hielt es einfach nicht mehr aus, ihre Nerven lagen blank und warum sollte sie nicht in das Nachbarland gehen, wo es friedlich zuging und sie ein bequemes Leben führen konnte?

Kim war noch da, verstört durch Miriams Tod, konnte sie kaum ein Wort sagen. Sie würde bleiben, benötigte aber selber Hilfe.

Also blieben von der Schwesternschaft nur noch Gabriela und Colette übrig, um Elena beizustehen. An ihnen lag es, das schwer leckgeschlagen Schlachtschiff durch den Hurrikan zu geleiten der sich vor ihnen auftat. Eine fast aussichtslose Situation.

Sie würden bleiben. Colette oblag es nun hier eine Führungsposition einzunehmen. Schon jetzt zeichnete sich das ab. Dies entsprach zwar ganz und gar nicht ihrem anarchistischen Weltbild, aber in Anbetracht der Ausnahmesituation in der sie sich befanden, schien dies unausweichlich.

Lange saßen sie alle einfach so beisammen. Zwischendurch war auch Ronald eingetroffen.

Er war ungeduldig und wollte sich so bald als möglich mit Alexandra aus dem Staube machen, erkannte jedoch die Brisanz des Augenblickes.

Schon am Folgetag wurden Leander, Miriam, Lisa und alle weiteren Getöteten auf dem Klosterfriedhof beigesetzt. Alles geschah in tiefer Abgeschiedenheit. Pater Liborius hielt eine bewegende Trauerzeremonie ab. Die Tatsache, dass die meisten gar nicht der christlichen Religion an gehörten spielte dabei keine Rolle. Ob Christengott, oder Mama Anarchaphilia, im Grunde gab es nur ein endgültiges Prinzip, wie auch immer man es anzureden gedachte. In diesem Sinne verfuhr auch Liborius. Alle der getöteten seien jetzt in einer neuen Heimat, nicht wirklich tot. In aller Herzen lebten sie weiter, würden unsterblich durch unser aller Liebe, gab er zu verstehen. Es herrschte Uneinigkeit darüber, ob es richtig war, Elena auszuschließen. Viele waren der Meinung dass man ihr eine Trauerfeier auf keinen Fall zumuten wollte, weil die Gefahr bestand dass sie erneut zusammenbrechen könnte.

Einen ganzen Tag und eine Nacht hatte Elena geschlafen. Nach kurzer Zeit der Sammlung dämmerte ihr was geschehen war. Sie richtete sich auf und begann sich anzukleiden. Beim auf stehen taumelte sie stark, fand jedoch die Balance wieder.

Sie trat aus dem Zimmer und bewegte sich die große Treppe hinunter, entfernte sich von allen unbemerkt aus der Abtei. Apathisch schlich sie über das Gelände, in ihrem Bewusstsein manifestierten sich die schrecklichen Bilder. Blut, überall nur Blut, der tote Leander. Sie begriff. Immer schneller schritt sie voran bis sie am Klosterfriedhof angelangt war und die neuen Gräber entdeckte. Der Schmerz legte sich wie ein kalter Mantel um ihr Herz. Nacht, dunkle Nacht sank herab. Das Leben hatte seinen Sinn verloren. Trauma, Abgrund , der Rachen eines Ungeheuers tat sich vor ihr auf. Schluss machen wollte sie, ein Weiterleben nach all dem Leid kam für sie nicht mehr in Frage. Tränenbäche ergossen sich aus ihren Augen während sie sich immer schneller vorwärts bewegte.

Pater Liborius der sich kurzzeitig von den anderen entfernt hatte und Elena auf der Straße gesehen hatte, stürzte ins Refektorium wo sich auch an diesem Tag alle versammelt hatten um zu beraten wie es weitergehen sollte.

„Elena ist weg, sie läuft in Richtung Wald, wußtet ihr das?“

„Waaas?“ Colette sprang wie von der Tarantel gestochen aus ihrem Sessel und rannte vor die Tür nach draußen.

Die andere taten es ihr gleich.

Ronald der sich ebenfalls draußen aufhielt kam ins Zimmer um Alexandra zu drängen.

„Also, wir müssen aufbrechen, es wird Zeit, ich kann und will nicht länger warten.“

„Bist du verrückt? Es geht um Elena, sie ist weg, einfach verschwunden, ich muss denn andern suchen helfen. Wir sind Schwestern.“

„Aber ich habe Termine, sicher das ist alles sehr schlimm und ich fühle  mit euch, aber du musst jetzt mit mir kommen, ich bestehe darauf!“

„Besteh auf was du willst, Elena geht vor. Stell dich gefälligst hinten an, bis du an der Reihe bist.“ Sprachs und schlug ihm die Tür vor der Nase zu.

Alle stürmten in Richtung Wald. Gabriela, Alexandra, Kyra, Chantal, Kim und Colette.

Sie nahmen verschiedene Richtungen um Elena den Weg abzuschneiden.

Elena wurde immer schneller, die Zweige der Nadelhölzer schlugen ihr entgegen, trafen auch einige Male ihr Gesicht, doch sie war wie in Trance und bemerkte es kaum.

Sie erklomm die Höhe des großen Sandsteinfelsen an jener Stelle die über der Drachenschlucht thronte.

Wie oft war sie hierher zur Meditation gekommen, um sich mit der eigenartigen Kraft die in ihr zu wirken begonnen hatte, vertraut zu machen. Nun spürte sie gar nichts mehr, gar nichts außer endlosem Kummer und abgrundtiefem Leid.

Am Abgrund. Nur noch ein Hauch trennte sie von Leander. Einfach nur springen und binnen kurzer Augenblicke würde sie wieder in seinen Armen liegen.

„Leander ich will zu dir. Ich komme nach. Warte auf mich, wo du auch bist. Bald sind wir wieder vereint.“ rief Elena und blieb starr vor Schreck am Abhang stehen.

Zitternd am ganzen Leibe blickte sie in den bedrohlich wirkenden Abgrund, ein kleiner Schritt und sie hatte es überstanden, konnte all dem unsagbarem Leid entfliehen und sich auf Flügeln in die Ewigkeit tragen lassen.

Doch die Angst vor dem Endgültigen lähmte. Erst vor Kurzem hatte Kovacs es getan und sie gedachte seiner in diesem Moment. Sie zögerte.

Da hörte sie in der Ferne eine Stimme.

„Elena, meine liebste Freundin tue es nicht. Ich bin für dich da, für alle Zeit. Ich lasse dich nicht sterben.“ Es war Gabrielas Stimme die an ihre Ohren drang.

Gleich darauf ertöne Chantals. „Elena ich liebe dich. Du hast mich befreit aus meinem Korsett und mich das wirkliche Leben gelehrt. Ich kann nicht leben in einer Welt in der du nicht mehr bist.“

„Elena du hast mich aus dem Dreck geholt, du hast mir eine Chance fürs Leben gegeben, durch dich bin ich was sich bin. Auf ewig stehe ich in deiner Schuld.“ Hörte sie Kyra rufen.

 „Du bist das Beste, was sich jemals kennen lernen durfte, du warst immer das größte Vorbild in meinem Leben. Ich werde immer zu dir halten wo immer ich auch sein mag.“ Folgte Alexandras Stimme.

„Elena ich…ich habe dich einfach nur lieb. Du bist doch meine große Schwester, zu der ich aufblicke. Was..was soll ich denn ohne dich machen. Ich brauch dich.“ Stammelte Kim, mit Tränen in den Augen.

„Elena, ich konnte Kovacs nicht retten, aber bei dir werde ich nicht versagen. Du kannst uns nicht verlassen. Ohne dich stirbt das letzte bisschen Hoffnung in diesem kranken Land. Ich kann dir, wenn du es tust, nur noch in den Tod folgen.“ Schloss Colette schließlich den Reigen ab.

Da waren sie die Schwestern, unverbrüchlich zusammenstehen, die leidgeprüfte Schwester nicht im Stich lassen, ihr bestehen in der Not. An ihrer Seite stehen mit Leib und Seele.

Liebe, grenzenlose Liebe besiegt am Ende gar den Tod.

Elena lies ich auf die Knie fallen. Alexandra war als erste bei ihr und schloss sie in die Arme, ihr folgten Kim, Gabriela, Chantal, Kyra und schließlich Colette, die sich durch das laufen völlig verausgabt hatte.

Sie nahmen Elena in ihre Mitte und begannen diese zu liebkosen. In den Arme nehmen, streicheln, küssen, unaufhörlich. Tränen flossen, nicht nur jene aus Elenas Augen.

Sie hatten die große Schwester gerettet. Sie gaben ihr die Kraft zum weitermachen, wenn es auch ein langer Leidensweg zu bewältigen gab bevor Elena wieder die Alte sein durfte. Die größte Prüfung ihres Lebens.

Auch nachdem sie Elena auf ihr Zimmer gebracht hatten, blieben die Schwestern die ganze Nacht bei ihr. Die Liebkosungen wurden fortgesetzt. Sie entledigten sich nun ihrer Kleidung, wie sie es schon so oft in ihren Ritualen getan hatten.  Sechs wunderschöne Frauenkörper, erweitert durch Colettes weichen geschmeidigen Männerkörper. Sie nahmen Elena in ihre Mitte.12 streichelnde, liebende Hände. Kyra betätigte den CD-Player, sie legte Elenas Lieblingsmelodie Nella Fantasia von Ennio Morricone auf. Keine wäre in diesem Augenblick auf die Idee gekommen, die eigene private Situation in den Vordergrund zu stellen. Die Tatsache, dass sich Ronald frustriert auf sein altes Zimmer zurückgezogen hatte um dort allein die Nacht zu verbringen, störte Alexandra nicht im Geringsten, denn in diesem Moment sah sie nur Elena die auch ihrer Hilfe bedurfte. Leidet eine Schwester, leiden alle anderen mit, so hatte es ihnen Elena aufgetragen, so wurde es nun praktiziert.

Elena bekam jetzt jene Liebe zurück, die sie einst den Schwester hatte angedeihen lassen.

Noch einmal waren sie vereint, noch einmal eng miteinander verbunden, wenn auch zwei nicht mehr unter ihnen weilten und sie nur noch zu siebt waren. Bald schon würden weitere ausfliegen um ein neues eigenständiges Leben zu beginnen. Ob sie wohl jemals wieder zueinander fanden?

Keine von ihnen vermochte in diesem Moment eine Antwort zu geben.

Warum nur konnte diese Nacht nicht ewig wären? Alle 7 so vereint wie sie im Augenblick waren auf immer verbunden sein?

Sie konnten Elenas Schmerz nicht vertreiben, der saß tief und würde sie in den folgenden Monaten bis weit über die Grenze des Erträglichen tragen. Doch sie waren imstande ihre Lebensgeister wieder zu erwecken.

Der Tod muss warten, ich will leben, schien ihnen Elena beständig  zu zurufen, auch wenn  kein einziges Wort über ihre schönen Lippen kam. Ich möchte im Leben bleiben, auch wenn es im Moment nur unendlich weh tut.

Wer möchte nicht im Leben bleiben, die Sonne und den Mond besehen, mit Winden sich umher zu treiben und an Wassern still zu stehen? Wer möchte nicht im Leben bleiben, den Menschen und den Tieren zugesellt, wer ließe sich schon gern vertreiben, von dieser reichen bunten Welt? Deshalb laßt uns doch im Leben bleiben, weil jeden Tag einer neuer Tag beginnt, laßt uns nicht zu früh vertreiben, alle die lebendig sind.*

Warum dürfen wir einen Sonneaufgang sehen? Sind die Sterne nur Nadelstiche im Mantel der Nacht?

Trinke aus dem Kelch des Lebens Elena, er  schmeckt süß der Wein der Freude.   

Das Leben hatte noch so viel zu bieten, auch wenn im Moment die Verzweiflung triumphierend ihre Fahne schwang, wenn sich finstere Nacht über Elenas Herz legte.

Der Tag der Erlösung harrte ihrer in der Ferne, doch vorher musste Elena durch ein tiefes Tal der Tränen. Ein Initiationsweg von der besonders schmerzhaften Art wartet auf sie.

 

Als Alexandra in den frühen Morgenstunden Elenas Zimmer verließ wurde sie schon von Ronald in Empfang genommen. Tief verschwitzt und aufgewühlt versuchte sie sich anzukleiden, was ihr außerordentlich schwer zu fallen schien. Es hatte den Anschein als stehe sie unter Strom. Ihr Gesicht glühte vor Energie. Die Augen vom vielen weinen verquollen.

„Na, endlich! Ich dachte ihr werdet da drinnen überhaupt nicht mehr fertig. Wieder mal ne ganze Nacht um die Ohren geschlagen wegen dir, muss ich mich wohl dran gewöhnen. Komm lass dir helfen.“

„Rühr mich nicht an! Geh zur Seite oder ich explodiere!“ Wies ihn Alexandra schroff zurück.

„Schon gut! Schon gut! Man hast du eine Laune heute. Ich wollte dir nur behilflich sein. Dann mach es eben alleine. Da steht mir  einiges ins Haus in der nächsten Zeit". Beschwerte sich Ronald.

Alexandra begann wieder zu weinen.

„Was ist denn los? Du bist ja völlig verstört. Was habt ihr denn  die ganze Zeit dort drinnen getrieben?“ Fuhr Ronald fort.

„Was wir getrieben haben?  Das möchtest du wissen? Kann ich mir vorstellen. Wir sind Schwestern, verbunden auf ewig, das haben wir getrieben. Elena ist tief verzweifelt und wir haben versucht sie aufzubauen. Das haben wir getrieben. Jetzt muss ich sie verlassen und das bricht mir das Herz.“

„Also kommst du jetzt wieder nicht mir, oder wie darf ich das verstehen?“

„Jaja, denk immer nur an dich. Etwas anderes bringst du doch nicht fertig.  Nur ja nicht zu kurz kommen, das ist dir das Wichtigste. Natürlich komme ich mit, was denn sonst. Aber nie ist mir ein Abschied  schwerer gefallen.“

„Ich kann dich ja verstehen, das heißt ich kann euch gut verstehen. Ihr seid ein Bund, eine eingeschworene Gemeinschaft, das schweißt zusammen.“ Versuchte Ronald nun mit sanften Worten bei ihr anzudocken.

„Verstehen? Du und verstehen?  Nichts von all dem kannst du verstehen! Wie solltest du auch, schließlich bist du nur ein Mann.

Komm jetzt ich muss hier raus, sonst werde ich noch halb wahnsinnig.“

Schnellen Schrittest bewegte sich Alexandra aus dem Zimmer, Ronald folgte ihr und hatte seine liebe Not sie einzuholen.

 

Im Gegensatz zu Ronald hatte Folko ein Einsehen. Er glaubte nun doch kein Recht darauf Kyra einfach mitzunehmen, nicht nach den Ereignissen der zurückliegenden Stunden.

Heimlich stahl er sich aus dem Haus in dem er noch immer alleine lebte, belud seinen Jeep mit dem Gepäck, startete den Motor in der Hoffnung das dessen Lärm nicht zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde.  Kyra gehörte in die Abtei! Er würde sie zurücklassen, was ihm außerordentlich schwer viel, aber er konnte nicht anders.

Es herrschte dichter Nebel, nachdem er eine kurze Wegstrecke zurückgelegt hatte bemerkte er die Person auf der Fahrbahn und leitet eine Vollbremsung ein.

Kyra stand dort und hinderte ihn an der Weiterfahrt.

Aufgebracht öffnete Folko die Fahrertür.

„Kyra was soll das? Ich hätte dich bei dem Nebel beinahe übersehen. Was machst du denn?“

„Du willst dich verdrücken? Ohne mich? Hast du vergessen was wir uns versprochen haben, es ist mal gerade zwei Tage her.“

„Ich habe es nicht vergessen! Aber seit diesem Gespräch hat sich die Situation grundlegend geändert. Ich habe nachgedacht und bin zu Entschluss gelangt, dass ich kein Recht habe eure Gemeinschaft zu zerstören. Du gehörst hierher, zu Elena. Sie wird dich jetzt brauchen, mehr denn je. Gib die Straße frei und lass mich ziehen!“

„Ich denke nicht dran. Ich komme mit wie vereinbart, auch wenn es mir unendlich schwer fällt.  Die letzte Nacht war ergreifend, ich weis nicht wie ich ohne die Schwestern leben soll aber ich werde es müssen.“

Tränen flossen aus Kyras Augen.

„Ja, das sieht man. Kommt nicht in Frage. Du bleibst hier, das ist mein letztes Wort.“

Kyra öffnete die Beifahrertür, warf einen Rucksack auf die Rückbank und lies sich neben Folko nieder.

„Starte! Aber schnell! Mach mir den Abschied leicht!“

Folko tat wie ihm geheißen und setzte sein Gefährt in Bewegung.

Kyra wandte sich um und blickte weinend durch die Heckscheibe und wimmerte herzzerreißend.

„Lebt wohl Schwestern! Ich werde euch nie vergessen. Ihr wart mein Leben. Ihr wart meine Liebe und mein zuhause. Halte mir das Tor weit auf Colette, denn ich komme wieder,irgendwann! Um meinen Platz wieder einzunehmen . Ich bin eine von euch und ich bleibe es bis zum Tod.“

Wieder stoppte Folko seinen Wagen.

„Das kann sich ja keiner mit anhören. Ich fahre zurück. Ich bringe dich wieder zu den Schwestern.“

„Nein, das tust du nicht! Fahr zu! Gib Gas! Gib Gas! Mach so schnell wie du kannst!“

Kopfschüttelt setze Folko seine Fahr fort. Kyra brach nun vollkommen in sich zusammen und heulte noch nach dem sie kilometerweit gefahren waren.

Sie bewegten sich einer ungewissen Zukunft entgegen. Niemand vermochte zu sagen wie sie unterkamen in  nächsterZeit. Folko hatte gelobt Cassian zur Strecke zu bringen. Er gedachte, dieses Gelöbnis in die Tat umzusetzen. Diesem Ziel würde er wohl seine ganze Kraft widmen. Mit Kyra an der Seite. Sie hatten sich und das war eine ganze Menge im Gegensatz zudem was Elena erwartete.

 

 

Zwei Tage später bereitete sich auch Chantal darauf vor die Gemeinschaft zu verlassen. Im Gegensatz zu Folko und Kyra hatte sie ein sicheres Ziel vor Augen.

„Ich…ich weiß nicht was ich sagen soll, Colette, der Abschied fällt mir unendlich schwer.

Ich bin vollkommen durcheinander.“ schluchzte Chantal, als sie ihr Auto belud.

„Na dann bleib doch einfach, dann ersparst du dir eine solchen.“ Gab die angesprochene unmissverständlich zu verstehen.

„Ich würde  so gerne. Aber das Jobangebot ist zu verlockend. Ich weiß, wenn ich jetzt ablehne, würde ich es später auch nur bereuen.“ Versuchte sich Chantal zu verteidigen.

„Es gibt nichts wofür du dich rechtfertigen müsstest. Wer weiß, möglicher weise würde ich es ebenfalls tun, wäre ich an deiner Stelle. Wir sind keine Sekte. Du kannst gehen wann immer es dir beliebt.“

„Ich werde euch nie vergessen. Die Zeit hier bei euch war die beste meines Lebens. Hier habe ich leben gelernt. Elena hat mich Selbstachtung gelehrt, auf ewig stehe ich in ihrer Schuld.“

bekannte Chantal reumütig.

„Im Grunde ist es sogar gut, dass Elena im Moment umnachtet ist und nicht mitbekommt was um sie herum geschieht. Das die Schwesternschaft auseinander fällt. Ich glaube das würde ihr vollends das Herz brechen. Ein Lebenswerk wird gerade in seine Einzelteile zerlegt.“

„Glaubst du, dass Elena je wieder die Alte wird?“

„Das vermag in diesem Moment keiner sagen. Der Schock sitzt tief. Es wird lange dauern, fürchte ich. Aber Elena ist stark, sie wird sich erholen, sie wird ihre Kräfte wieder erlangen. Wer weiß womöglich wird sie sogar stärker denn je.“ Versuchte sich Colette selber Hoffnung zu machen.

„Das wünsche ich ihr von Herzen. Gib mir regelmäßig Bescheid über alles was sich hier tut. Ich bleibe mit euch verbunden. Ich gehöre nach wie vor zu euch. Ich werde wiederkommen, das gelobe ich. Das heißt natürlich wenn ihr mich dann noch haben wollt.“ Chantal senkte bei diesen Worten den Kopf.

„Ob wir dich noch haben wollen? Was für eine Frage. Die Tür steht dir offen, dir und allen anderen die gegangen sind. Ich werde dich über alles unterrichten, deine Adresse habe ich ja.

Ich will nur hoffen das es dir in Monetanien nicht langweilig wird, nach all dem was du hier mit uns erleben durftest.“

„Das könnte sein, ja das könnte sein. Davor fürchte ich mich. Ich werde dort im Ausland für unsere Sache kämpfen, das heiß natürlich, soweit es in meiner Macht steht. Wenn ich eine sichere Stellung habe, kann ich euch auch unterstützen.“ Bot Chantal an.

„Ja, vielleicht kannst du das. Und wie gesagt komm wieder, wir freuen uns alle.“

„Ich freu mich auch!“ Tränen schossen in Chantals Augen.

„Ich bedaure es dass du gehst. Du bist eine wunderschöne Frau und ein bemerkenswerter Mensch. Schade dass wir nicht näher zueinander gefunden haben.“ Entgegnete Colette.

„Das bedaure ich auch, aber was nicht ist kann  noch werden.“

„Nun  bist du erst mal weg.“

„Ja, das bin ich! Ich werde immer an euch, an dich denken!“ Chantal fiel Colette um den Hals, die beiden hielten sich eine ganze Weile in den Armen.

Laut schluchzend bestieg Chantal ihr Auto und machte sich auf den Weg, gen Norden in Richtung monetanische Grenze, dort wo schon Frieden herrschte.

Zumindest konnte Colette gewiss sein, das diese Schwester ihr Ziel sicher erreichte.

 

Somit schrumpfte die Anzahl der Abteibewohner binnen kurzer Zeit ganz erheblich.

Von den Schwestern blieben neben Colette nur Gabriela und Kim. Des Weiteren Klaus, der Gabriela wegen blieb. Schließlich Leanders Eltern, sowie Pater Liborius. Auch die Flüchtlinge die auf dem Gelände der Abtei vorübergehend Zuflucht gefunden hatten, begannen, nach und nach abzuziehen, wohin auch immer.

Wie es mit Elena weiterging,stand weiter in den Sternen, meist war sie geistig abwesend. Dabei konnte es sich um einen inneren Schutzmechanismus handeln, der sie auf diese Weise von allem Unglücksempfinden fernhielt. Großes Kopfzerbrechen bereitet allerdings die Tatsache ihrer Schwangerschaft. Ihr Bauch wuchs beständig. Welche Konsequenzen hatte das? Würde sie die Krise bis zu ihrer Niederkunft überwunden haben?

In den nun folgenden Tagen und Wochen gab es ein beständiges Auf und Ab, was ihr Befinden betraf. Es gab Tage an denen sie bei klarem Verstand war und man sich mit ihr unterhalten konnte wie in alten Zeiten. Sie hatte Leanders Tod inzwischen voll erfasst und verstand was sich zugetragen hatte. Dann begann sie aber zumeist in tiefe Depression zu versinken. An manchen Tagen war sie hingegen kaum in der Lage selbstständig zu essen, musste gefüttert werden, kroch nackt auf dem Boden herum, spielte mit Puppen oder lutsche an ihrem Daumen wie ein kleines Kind. Colette und Gabriela ließen sie kaum noch aus den Augen, auch Anna, ihre beinahe Schwiegermutter begann sich ihrer an zunehmen. Einen Sohn hatte sie verloren, an seiner statt eine Tochter bekommen, wenn auch unter so furchtbaren Umständen.

Abwechselnd schliefen die drei Frauen an Elenas Seite in ihrem großen Doppelbett. Meist aber übernahm Colette diesen Part. Sie schloss Elena in ihre Arme und wog sie zärtlich wie einen Säugling.

Die einst verachtete Kundra wurde nun zur bedeutendsten Bezugsperson für Elena.

Die Wochen vergingen. Es gab einen strengen Winter. Zum Glück hatten sie genügend Vorräte gesammelt, aber die Angst dass diese einmal versiegen konnten schwebte beständig über ihnen.

Sie verließen die Abtei in dieser Zeit  so gut wie gar nicht, verbrachten viel Zeit miteinander.

 

Der Bürgerkrieg neigte sich langsam dem Finale zu. Am Ende befand sich nur noch die Festung Trugstein im Süden das Landes in den Händen des Blauen Ordens, der gesamte Führungsstab hatte sich dort verschanzt, und hielt dort bis zum Frühjahr aus. Neidhardt hatte eine Winterpause angeordnet. Die Infrastruktur des Landes war nahezu zerstört. Fast die gesamte Industrie lag am Boden. Die Einwohnerzahl schrumpfte drastisch, auf etwa ein Drittel der vorrevolutionären Zeit. Flüchtlingskolonnen durchzogen das Land. Ganze Landstriche  waren entvölkert und drohten zu veröden.

Manrovia, die einst so quirlige Metropole, glich einer Geisterstadt.

Wer sollte dieses Land jemals wieder aufbauen?

Politisch war  schon zu diesem Zeitpunkt absehbar, dass sich eine Diktatur etablieren würde. Wie hatte Leander so vorausschauend prognostiziert:

Der Blaue Orden hatte die Macht an sich gerissen um Melancholanien vor einer Machtergreifung durch Neidhardts Revolutionäre zu bewahren. Nun rettete Neidhardt das Land vor der Tyrannei des Blauen Orden, in dem er seine eigene Diktatur installierte.

Die einst so stolze Privooberschicht hatte sich quasi in Luft auf gelöst. Das was von ihrem Vermögen noch übrig geblieben war, wurde von der neuen revolutionären Regierung beschlagnahmt.

Es sollte dem Wiederaufbau des Landes dienen, ein löbliches Vorhaben. Doch bald schon würde es vor allem in die Taschen der neuen Parteiaristokratie fließen.

Die Preka sollten weiter so schuften wie bisher, das hießt wenn es überhaupt etwas zu schuften gab. Die Arbeitslosigkeit griff um sich und erfasste weite Teile der verbliebenen Bevölkerung. All jene die vor der Revolution arm waren, sollten es auch danach bleiben. Im

Grunde gehörten 90% des Volkes den Paria an. Neidhardts Ziel der allgemeinen Gleichstellung schien gelungen, wenn auch auf äußerst makabere Art und Weise. Alle waren in Armut und Unterdrückung gleichgestellt.

 

Als sich der ungewöhnlich harte Winter seinem Ende neigte kam für Elena die Zeit ihrer Niederkunft. Alle fieberten dem Ereignis mit großer Spannung entgegen. Würde Elena die Geburt überstehen? Noch immer war ihr Geist verwirrt. Der Schock saß doch zu tief. Zeitweilig hatte sie immer wieder klare Momente, dann war sie durchaus imstande zu begreifen was in ihr vorging. Sie freute sich sogar auf ihr Kind, auch wenn die Trauer um Leander nach wie vor alles überschattete.

Doch auf die kurzen lichten Momente folgte immer wieder der Absturz in die tiefe Nacht der Depression.

Kurz vor dem Geburtstermin war sie bei klarem Verstand, alle atmeten auf.

Die Geburt erwies sich als ausgesprochen problematisch, ein harte Kampf der Elena beinahe das Leben gekostet hätte. Sie schenkte einer kleinen Tochter das Leben, die den Namen Tessa erhielt. Es erfüllte sie mit großer Dankbarkeit als sie ihre kleine Tochter zum ersten Mal in den Armen hielt. Der Beginn einer einzigartigen Mutter-Tocher-Beziehung, erfüllt von Liebe, Vertrauen und Hingabe, die ein ganzes Leben halten sollte. Tessa, Elenas Erbin und einstige Nachfolgerin, die ihr in allem nacheifern und sie in vielen Belangen noch überflügeln sollte.

 

Just am gleichen Tag, als Tessa das Licht  der Welt erblickte, wurde in Melancholanien die letzte Schlacht geschlagen. Neidhardts Milizen setzten zum Sturmangriff auf die Festung Turgstein an. Die letzte verbliebene Bastion des Blauen Orden. Die gesamte Besatzung wurde dabei niedergemacht. Auch Thoralf und Frederic kamen dabei ums Leben. Lediglich der listige Cassian konnte sich mit einer kleinen Einheit rechtzeitig in das benachbarte Technokratien retten.

Der Vizegroßmeister hatte also überlebt, Neidhardt konnte sein Versprechen, den gesamten blauen Orden mit Stumpf und Stiel auszurotten nicht erfüllen, was er natürlich vor der Öffentlichkeit verschwieg. Statt dessen kehrte er als siegreicher Feldherr zurück, gleich einem Julius Caesar, einem Napoleon oder einem Stalin, in eben jener Traditionslinie er sich in der Folgezeit betrachtete.

Elena bekam all das noch mit, bevor sie völlig überraschend, etwa zwei Wochen nach Tessas Geburt, wieder in eine Phase der geistigen Umnachtung fiel.

So viele Menschenleben hatte dieser sinnlose Krieg gekostet.

Die Kommandeure des Blauen Orden waren allesamt eiskalte Verbrecher, die hatten nun die gerechte Strafe für ihre kriminellen Machenschaften bekommen, niemand weinte ihnen eine Träne nach. Auch Frederic gehörte dazu. Doch so viele Unschuldige hatten büßen müssen, Mitläufer, ohne wirkliche Schuld. Elena konnte Neidhardts brutales Vorgehen nie und nimmer gut heißen. Eine Zusammenarbeit mit ihm, ganz gleich auf welcher Ebene kam für sie nicht in Frage. Kurz vor ihrem erneuten Zusammenbruch hatte sie unmissverständlich bekundet, was sie von der neuen Regierung hielt.

Dann begab sie sich wieder in die Dunkelheit. Es herrschte tiefe Betroffenheit bei den Bewohnern der Alten Abtei, denn nun hatte es den Anschein, dass es wohl für immer war und sich Elena nie wieder würde erholen können.

Elenas Verstand schrumpfte auf das Niveau eines  etwa 6 Jährigen Mädchens, so zumindest benahm sie sich.

Es tat allen unendlich weh, die einst so stolze, hochintelligente, elegante und wunderschöne Frau in diesem Zustand zu sehen.

 

Nun schlug Colettes Stunde. Sie übernahm die Führung dessen was noch verblieben war, um es in eine neue, hoffentlich bessere Zeit zu retten.

Die Bewahrerin von Kovacs Ideen sollte nun den kleinen dünnen Trieb am Leben erhalten und konservieren, bevor dieser in ferner Zukunft wieder zur vollen Blüte gelangen und seine Strahlkraft das ganze Land erleuchten konnte. Ohne Colettes Eingreifen wäre in jenen Tagen das Projekt Elena-Kommune gestorben und in Vergessenheit geraten.

Fortan trug sie nur noch schwarze Kleidung, das wollte sie solange fortsetzen bis Elena aus ihrem Trauma erwacht und wieder in alter Stärke erblühte. Lange dunkle Nacht der der Winterstarre, obgleich draußen der Frühling mit wunderbaren Wetter aufwartete und das leidgeprüfte Land langsam zum Leben erwachte. Frieden, Frieden überall im Land.

Doch mit dem Frieden kam die Diktatur. Wieder senkte sich Dunkelheit herab und  lies das zarte Pflänzchen Hoffnung  erneut zu Eis erstarren.

 

 

ENDE ERSTER TEIL