Anarchaphilias Töchter

 

Der Wahltermin rückte in greifbare Nähe. Noch vier Tage und Melancholanien stand vor der wohl größten Wende in seiner Geschichte. Es bestand nicht der geringste Zweifel, dass Elena und ihre Neue Liga einen erdrutschartigen Sieg einfahren würde.

Für die übrigen Parteien interessierte sich kaum noch einer. Die Frage warum das so war erübrigte sich.

Zum Endspurt wurden noch einmal alle Register gezogen.

Den Vogel schoss natürlich die Abschlusskundgebung der Neuen Liga im Zentralen Park der Hauptstand Manrovia ab.

Nie wieder sollte Melancholanien eine größere Massenveranstaltung erleben.

Wer es nur irgendwie einrichten konnte, machte sich auf den Weg dorthin.

Schon am Vortag hatten sich die ersten hartgesottenen Elena-Verehrer, bestückt mit Schlafsack, Isomatte und den üblichen Utensilien, die man für eine Übernachtung im Freien benötigte, dorthin begeben.

Die begehrten Plätze ganz in der Nähe der noch im Aufbau befindlichen Bühne waren aus verständlichen Gründen schnell belegt. Eifersüchtig wachten die Platzinhaber darüber, dass ihnen auch kein anderer in letzter Minute noch das Platzrecht streitig machte.

Einfach nur ganz vorne sein, wenn Elena und die ihren eine neue Zeit einläuteten.

Es lag eine Spannung in der Luft wie vor einem heftigen Gewitterguss. Es braute sich etwas zusammen. Hoffnung, aber auch Angst bestimmten die entscheidenden Tage vor dem Endspurt.

Chantal hatte sich mit ihrem Ü-Wagen an der dafür vorgesehenen Stelle postiert. Von hier, einem kleinen eigens dafür abgesperrten Seitenweg hatte sie einen guten Überblick, auch wenn Elena noch gute 100 Meter von ihr entfernt sprechen würde.

Aus dem sicheren Inneren des Wagens beobachtete sie wie sich der Platz von Stunde zu Stunde mehr bevölkerte.

Wo nur kamen all die Menschenmassen her? Es schien, als sei ganz Melancholanien auf den Beinen, nur um Elena zu sehen, oder hatten die plötzlich kein Zuhause? Wenn das so weiter ginge, gäbe es hier bald kein Durchkommen mehr. Schon jetzt, etwa vier Stunden vor dem eigentlichen Veranstaltungsbeginn, waren sämtliche Zufahrtswege hoffnungslos verstopft.

Es dauerte nicht lange und Chantals Vermutung bestätigte sich, die Dächer der umliegenden Gebäude begannen sich zu füllen. Es gab nicht wenige, die dafür eigens die Ziegel herunternahmen. Wenn das nur gut ging, ein schlechtes Omen, sollten sich hier, durch solchen Leichtsinn, noch Unfälle ereignen. Was würde im Fall einer Massenpanik geschehen? Hatten die verantwortlichen Ordnungskräfte überhaupt einen Notfallplan? Chantal bezweifelte das. Chaos bestimmte weitgehend das Geschehen.

Sollte sie einfach mal so zum Spaß über ihren bereits einsatzfähigen Lautsprecher „Feuer“ rufen? Die würden sich glatt zu Tode trampeln. Selbstverständlich verwarf sie dieses Ansinnen augenblicklich.

Direkt vor ihrem Bulli hatte sich eine Gruppe Jugendlicher häuslich niedergelassen.

So ging das aber nicht, drohten die ihr doch glatt die Sicht auf Elena zu nehmen. Nicht auszudenken.

Mit versteinerter Mine betrachtete Chantal das Treiben direkt vor ihrem Wagen.

Sie trat kurz nach draußen und bedeutete den Anwesenden sich zu entfernen, doch die beachteten sie gar nicht.

Hier war sich  jeder selbst der Nächste.

Zum Glück lugte die Kamera aus dem Schiebefenster, so konnte sie wenigstens die Übertragung sichern.

Noch immer dreieinhalb Stunden bis zum Beginn. Es hatte den Anschein, als habe einer mal so eben  die Zeit zu Stillstand gebracht.

 

Elena befand sich zu dieser Zeit mit ihrem gesamten Stab noch in den schützenden Mauern der alten Abtei. Wenn es nach ihr gegangen wäre hätte sie diese auch nicht mehr verlassen. Ihr graute vor dem Massenauflauf. Früher pflegte sie sie jene Art der Selbstdarstellung  ausgiebig zu genießen, doch heute jedoch floh sie am liebsten solchen Megaevents, es war ihre Sache nicht mehr. Zu sehr erinnerte sie das an ihr früheres Leben, mit dem sie doch ein für allemal gebrochen hatte. Kovacs Worte hallten ständig in ihrem Bewusstsein nach. Was erwartete sie, sollten sich dessen Mahnungen bewahrheiteten? Beging sie heute tatsächlich den Fehler ihres Lebens? Jetzt konnte sie die Massen bewegen, dirigieren, wie Marionetten an ihren Fäden tanzen lassen.  Wie aber könnte es in einem halben Jahr aussehen?

Elena vertrieb die bösen Gedanken.

Sie meditierte im Schatten des großen Glockenturmes, der als steinernes Mahnmal vergangener Zeiten in den Himmel ragte, so, als läute er schon einmal im vorweg eine neue Epoche an.

Die Hitzeperiode legte erneut eine Pause ein. Angenehm empfanden viele die Kühle, die sich seit zwei Tagen über das Land legte. Aber es blieb trocken. Gerade das Richtige für eine solche Veranstaltung. Es schien, als ändere sich das Wetter immer dann, wenn Elena es für ihre Zwecke benötigte. Konnte das noch Zufall sein, oder hatten da überirdische Mächte ihre Hand im Spiel?

Gabriela, Alexandra, Colette und all die anderen kamen zu ihr, um die letzten Vorbereitungen zu treffen, auch Leander war dabei, schlich wie ein parierender Dackel hinter den anderen her. Niemand schien von ihm Notiz zu nehmen. 

Langsam aber sicher entwickelte er sich zu jener Person , die das Schicksal ihm zugewiesen hatte  nachdem er sich für Elena entschieden hatte, zum `Mann an ihrer Seite`. Zu mehr würde er es in diesem Leben kaum noch bringen.

Er ließ sich in einigen Metern Abstand nieder und beobachtete als Zaungast das Treiben.

Die Regisseurin der bevorstehenden Inszenierung erteilte letzte Anweisungen. Ein eingespieltes Team scharte sich um ihre charismatische Anführerin.

„Leander, warum setzt du dich so abseits? Komm doch zu uns!“ forderte Elena ihren Liebsten auf.

„Ich dachte nur, ihr wäret lieber unter euch und ich störe vielleicht.“

„Ach, so ein Unsinn! Komm her!“ befahl Elena und Leander gehorchte. Elena schmiegte sich an ihn.

„Ihr kennt alle eure Aufgaben. Noch mal alles durchgehen in Ruhe, die haben wir nur hier, danach müssen wir aufbrechen. Zum Glück sind wir im Besitz des Hubschraubers, denn im Radio wurde vermeldet, dass der Verkehr vollständig in sich zusammengebrochen sei.

Es wird ein Volksfest, als solches habe ich es deklariert. Keine trockenen pausenlosen Reden.

Kyra? Wo ist Kyra?“

„Ich bin hier!“ Meldete sich die Angesprochene.

„Wau, du siehst ja um werfend aus. Deshalb habe ich dich gar nicht erkannt.“ bekundete Elena ihr Erstaunen.

„Meinst du? Naja, ich wollte eben mal was ganz besonders ausprobieren.“ antwortete Kyra und wies auf ihre topgestylte Punkerfrisur, die schwarz-rote Färbung kontrastierte gut, alles nach oben gestylt. Dazu ihren hautengen Lederdress und die Stiefel, wie eine Kampfamazone aus vergangen Zeiten.

„Die Musik zuerst. Kyra, du heizt den Massen gehörig ein, bringst sie zum Kochen mit deinen provokanten Liedern. Was die Reden betrifft.“ Elena blätterte in ihrem Manuskript.

„Leander, ich denke, du sprichst als erster. Du gibst eine allgemeine Einführung. Ist das ok?“

„Na klar, wenn du es sagst!“

„Ja, ich sage es! Sei doch nicht immer gleich  so brummelig! Denk doch, dir gebührt die Ehre, den Anfang zu setzen“

Elena zog Leander zu sich und begrabschte diesen. Dies war eher spaßiger Natur.

„Immer wieder Musik als Zwischeneinlage, Kyra, da steht dir eine gewaltige Aufgabe ins Haus.“

„Krieg ich auf die Reihe!“

„Danach spricht Cornelius! Wo steckt der schon wieder? Naja gut, er kennt ja seinen Einsatz schon seit Tagen. Der Reihe nach schließen sich weitere Redner an. Ich würde sagen, den Abschluss machst du, Colette. Du bist da sehr geschickt!“

„Mache ich, klar! Aber ich denke, etwas ganz Entscheidendes hast du vergessen!“

„Und das wäre?“

„Du müsstest auch noch ein Paar Worte sprechen! Zumindest halte ich es für ratsam.“ gab Colette zu verstehen. 

„Ich? Natürlich spreche auch ich einige Worte. Am Ende, als Letzte? Wie findet ihr das?“ schlug Elena vor.

„Sicher, das Spannendste zum Schluss. Aber wir dürfen die Zuhörer nicht all zu sehr auf die Folter spannen und deren Geduld nicht überstrapazieren. Machen wir uns nichts vor, die kommen nun mal deinetwegen!“ mahnte Alexandra.

„Sie kommen unsertwegen!“ versuchte Elena ihre Rolle klein zu reden, was ihr selbstverständlich nicht gelang. " Auch um mich zu sehen, natürlich!“ fügte sie dann noch schnell hinzu.

Schließlich stieß Cornelius  noch zu ihnen.

" Da bist du ja!“ begrüßte ihn Elena. „Wir haben unsere Einsätze noch mal Revue passieren lassen. Du kommst als zweiter an die Reihe. Ist dir das Recht?“

" Sicher! Geht  in Ordnung! Ich habe mich gründlich vorbereitet. Alles läuft nach Plan, bis jetzt zumindest!“ entgegnete Cornelius.

„Wieso? Hast du Befürchtungen, dass etwas dazwischen kommt?“ Auf Elenas Stirn bildeten sich Sorgenfalten.

„Nichts Konkretes. Es gibt Gerüchte, wonach die "Patrioten"mit massiven Störaktionenen gedroht haben. Die sind auf dem Plan, nach den Ausschreitungen letzte Woche. Es war nur noch eine Frage der Zeit, dass die auf der Bühne erscheinen. Die sehen ganz einfach ihre Felle davonschwimmen, es versteht  sich, dass sie langsam nervös werden.“ klärte Cornelius auf.

„Dann droht am Ende Gefahr? Gehst du davon aus, dass die eine so große Menschenansammlung frontal an greifen?“ sorgte sich Colette.

„Ich denke nicht dass die soweit gehen. Aber es könnte sein, dass sie am Rande von sich reden machen. Leute provozieren, Ausschreitungen auslösen. Das sind Profis, unterschätzt die nicht!“

„Es war ohnehin verhältnismäßig ruhig die letzten Wochen, findet ihr nicht auch? Die haben uns eigenartigerweise gewähren lassen. Passt eigentlich gar nicht zu denen.“ erinnerte sich Leander.

„Na, sei doch froh!“ antwortet Kyra.

„Bin ich ja auch. Aber es könnte sein, dass die sich einfach einen rechten Zeitpunkt aussuchen, um zuzuschlagen, dann, wenn keiner mehr damit rechnet!“ glaubte Leander zu wissen.

„Na, mal doch nicht gleich wieder den Teufel an die Wand! Es wird schon gut gehen, hab ich jedenfalls im Gefühl!“ schaltete sich nun Gabriela ein.

„Ich lasse mir von diesen Krakeelern nicht den Tag vermiesen. Sollen sie nur kommen. Ich glaube, wir sind imstande, sie gebührend zu empfangen.“ erwiderte Elena. „Sagt mal, hat einer von euch Kovacs gesehen? Ich fürchte, der kommt wieder nicht mit. Das geht mir absolut gegen den Strich.“

„Lass ihn doch! Wenn er nun mal partout nicht will. Man kann ihn schlecht zu seinem  Glück zwingen!“ meinte Alexandra.

„Wir sind ohne seine Präsens nicht vollständig und das tut mir weh. Gerade er fehlt mir besonders bei solchen Auftritten. Ich sehe darin ein schlechtes Omen für unsere Sache.“ bedauerte Elena zutiefst.

„Unsere Ansichten unterscheiden sich nun mal erheblich. Es ist schade, aber da kann man leider gar nichts machen. Ich habe ihm mehrfach gesagt, dass eine Vorstellung von Nicht-Herrschaft edle Ziele sind, langfristige Ziele für eine bessere Zukunft, aber im Moment kaum zu realisieren. Wenn ihr die Massen betrachtet. Die kommen bestimmt nicht um sich anzuhören, dass sie ab Morgen alleine regieren sollen. Die wollen was Konkretes, etwas Greifbares. Und sie vertrauen auf Elena, dass sie ihnen den Weg in die rechte Richtung weist.“ tat Cornelius seine Überzeugung kund.

Elena erschauderte beim Hören dieser Worte. Was hatte ihr Kovacs prophezeit: `Wehe dem Sieger!` Sie konnte nur hoffen, ihm nicht doch noch zustimmen zu müssen.

„Er fehlt mir! Er fehlt mir einfach nur. Wir sind nicht vollständig, wenn er nicht dabei ist und das ist traurig. Wir sollten für einander einstehen, so haben wir es uns geschworen. Nun ist er ausgeschlossen..“

„Ausgeschlossen hat er sich nur selber! Das solltest du nicht vergessen, Elena!“ wies Kyra auf diese unumstößliche Tatsache hin.

„ Auch wenn es wehtut, ohne Kovacs! Die Menschen wollen dich Elena! Das ist im Moment das Wichtigste und darauf müssen wir uns konzentrieren!“ schlug Colette vor.

„Ja, sie wollen mich! Ich hoffe, das ich ihnen geben kann, wonach sie verlangen?“ gab Elena, von inneren Zweifeln bedrängt, zur Antwort.

 

Lars versuchte unterdessen, alles daran zu setzen, nicht noch im letzen Augenblick aufzufliegen, denn er hatte Unerhörtes im Sinn, indem er  sich Neidhardts ausdrücklichen Befehlen  widersetzte. Dieser hatte seinen Leuten unter Androhung drakonischer Strafen verboten Elenas großes Abschlussevent zu besuchen. Lars aber konnte sich ihrem Einfluss nicht mehr länger entziehen. Er musste einfach dorthin, koste es, was es wolle.

Überhaupt, war es schließlich Neidhardt selbst, der vor nicht all zu langer Zeit ausdrücklich empfohlen hatte, die Veranstaltungen der konkurrierenden Parteien zu besuchen, um sich ein anschauliches Bild von deren Ideen zu machen und wenn nötig ihre Veranstaltungen ordentlich aufzumischen?

Selbstverständlich konnte der damals noch nicht ahnen, in welche Richtung sich die Dinge entwickelten, welche Massensuggestion hier am Werke war.

Lars plagte sich mit einem schlechten Gewissen, denn er konnte sehr gut nachvollziehen, wie seinem Chef zumute war.

Der alternde Revolutionär musste tatenlos zu sehen, wie sich Elena reihenweise seiner Argumente und Programme bediente, indem sie diese leicht entschärft und frisch aufpoliert als ihre eigenen ausgab und niemanden schien Anstoß daran zu nehmen. Er hatte all die Jahre im Untergrund, in Haft oder im Exil auf seine Stunde gewartet, durchgehalten und nun kam sie und stahl ihm nicht nur die Schau, sondern schien sein Lebenswerk regelrecht an die Wand zu fahren.

Elena wurde nun jene Anerkennung zu Teil, die ihm selbst ein Leben lang versagt geblieben war.

Neidhardt kochte vor Wut, auch wenn man es ihm nicht anmerkte.

Das ihn nun auch noch die eigenen Leute die Gefolgschaft verweigerten, brachte das Fass zum Überlaufen.

Äußerste Vorsicht war geboten.

Lars schlich sich in die Asservatenkammer und fand dort, was er brauchte, um sich gut zu tarnen. Die schwarze Perücke passte sich gut seinem kahl geschorenen Eierkopf an und der ebenso schwarze Schurbart veränderte tatsächlich sein Gesicht, so dass er sich beim prüfenden Blick im Spiegel beinahe selbst nicht wieder erkannte.

Nun noch die saloppe Bekleidung. Es versteht sich von selbst, dass die mausgraue Parteiuniform hier fehl am Platze war.

Er schlich sich aus dem Haus und schließlich vom Gelände des alten Gutshofes. Es stand ihm nur das alte klapprige Moped vom Typ Bussard zur Verfügung. Der Tank war zum Glück noch voll. Ab die Post, wenn er Glück hatte, kam er noch nicht zu spät, denn um nichts in der Welt wollte er sich dieses historische Schauspiel entgehen lassen.

Eigenartig, wie ruhig hier alles war, wo steckten seine Genossen? Egal. Es gab im Moment Wichtigeres als die Anwesenheitsliste.

 

 Am Vormittag hatte Folko eine Nachricht seines Großmeisters erhalten, sich umgehend in der Großkomturei des Blauen Ordens einzufinden. Nach monatelangem Schweigen erinnerte sich der Orden seines abtrünnigen Kämpfers. Ausgerechnet heute, an einem so denkwürdigen Tag. Was führten die im Schilde? Folko konnte sich keinem Reim darauf machen. Regelmäßig hatte er seinem Großmeister Bericht erstattet, so wie vereinbart. Natürlich entsprach das nicht den tatsächlichen Gegebenheiten, er frisierte wo er konnte und ging dabei sehr professionell vor.

War der Betrug aufgeflogen? Wenn ja, dann gnade ihm Gott. Er wusste welche perversen Strafen vermeidliche Verräter zu erwarten hatten. Holte ihn die Vergangenheit am Ende doch noch ein? Hatte er sich in zu großer Sicherheit gewogen? Ein Fehler! Nun würde er offensichtlich dafür zu büßen müssen. Er bereitete sich auf alles vor und entschwand unbemerkt aus den Mauern der alten Abtei.

Folko reiste in seine Vergangenheit. Seine Beziehung zum Blauen Orden war vollständig zum erliegen gekommen.

Dessen chauvinistische Ideologie stellte einen diametralen Gegensatz zu all dem dar, was er bei Elena erlebt hatte. Zweifelsohne hatte Folko den weitesten Weg von allen hinter sich.

Noch immer sah man ihm den Gentleman an, mit den feinen Manieren und dem kultivierten Auftreten.

Er war auf den Dreckspatz Kyra getroffen, hatte sich Hals über Kopf in sie verliebt und wurde Zeuge, wie sich diese zu einer Powerfrau von Format entwickelte, auch oder vielleicht  vor allem aufgrund seines Zutuns. Sie bildeten ein fast perfektes Paar, beide waren einander sowohl Lehrer als auch Schüler.

All die feinen gebildeten Damen, die er im Laufe seines Lebens hatte kennen lernen dürfen, verblassten zu Schattenwesen aus der Unterwelt, wenn er mit Kyra unter der Decke seine Ringkämpfe veranstaltete. Diese Punklady war genial.

Dass Kyra Frauenbeziehungen pflegte und regelmäßig mit ihren Freundinnen schlief, stellte für ihn kein Problem dar.

Würde er sie wieder sehen, sie und all jene, die er zurückgelassen?

Als sich die Tore der trutzigen Ordensburg hinter seinem Jeep schlossen fühlte er sich gefangen, ausgeliefert und endlos einsam. 

Adieu, du schöne Welt. Noch einen Blick auf das Grün der Bäume werfen, die sich um die Feste gruppierten. Noch einmal dem Tirilieren der Vögel lauschen, die ihr Lied gen Himmel zwitscherten.

Ein Griff in die Tasche seiner Khakiweste, er hatte sie zum Glück dabei, die Kapsel mit dem schnell wirkenden Gift. Ein Biss darauf und er würde schmerzlos ans andere Ufer der Nacht schreiten.

Er war Soldat, ein Elitekämpfer, der in Auslandseinsätzen dem Tod des Öfteren ins Angesicht geblickt hatte. Doch eine solche Situation war ihm bisher fremd. Dieses beklemmende Gefühl einer endlosen Leere. 

Es half nichts, er musste sich beugen. Lebe wohl Kyra, kesse Göre, die mir so viel gegeben hat. Lebe wohl Elena, die mir die Augen öffnete, lebe wohl Kovacs, mit dem ich so viele geistreiche Diskussionen führen durfte. Lebt wohl alle, die ihr mir ans Herz gewachsen seid.

Wir treffen uns wieder auf der anderen Seite, sollte es denn tatsächlich eine solche geben.

Thoralf, der Großmeister erwartet ihn in seinem Arbeitszimmer, wie immer mit dem aufgesetzten Lächeln. Ein Lächeln, das die Lüge und die Niedertracht überspielte, die sich dahinter wie eine giftige Kobra verbargen.

„Sei mir gegrüßt, Folko! Lange nicht mehr gesehen. Ich freue mich, dass du so schnell meiner Aufforderung nach gekommen bist. Ich habe es immer gesagt und werde es immer sagen, auf Folko ist Verlass.“

„Ich grüße dich, Thoralf, ich kam so schnell ich konnte, um mich allem zu stellen. Ich bin bereit, das zu empfangen, dass du mir zugedacht.“ erwiderte Folko bestrebt die Haltung zu bewahren.

„Sehr gut! Dass ist es, was ich an dir schätze. Geradlinig und offen.“

 

Wann gedachte er die Katze aus dem Sack zu lassen?  Folko erwartete jeden Augenblick sein sicheres Todesurteil.

„Setz dich Folko, mach es dir bequem! Zigarre?“

Thoralf hielt ihm das Kästchen mit den erlesenen Sumatra vor`s Gesicht.

Aha, eine gute Zigarre vor dem letzten Gang. Thoralf hatte scheinbar alles genau nach Plan eingefädelt.

Folko entnahm einen Glimmstängel und Thoralf zündete ihn an.

Dann schritt er zu dem Vertico an der Wand.

„Einen Kognak?“

„Ja, gern! Warum nicht!“

Thoralf goß einen Kognakschwenker und reichte ihn seinem Gast.

Klar, die Betäubung, so wurde das hier seit Ewigkeiten gehandhabt.

Danach lies sich Thoralf auf dem Sessel neben ihm nieder.

„Es tut immer wieder gut festzustellen, dass man sich auf seine Kameraden voll und ganz verlassen kann. Ich bin guter Zuversicht, das wir das Problem schnell und unproblematisch lösen können.“

Genau, das war Thoralfs Art, bis zum Schluss den Gönnerhaften mimen, obgleich er seinen Entschluss längst gefasst. Folko griff nach seiner Giftkapsel und führte diese unbemerkt zum Mund.

„Ich habe dich rufen lassen, um dir mitzuteilen, dass ich einiges mit dir vorhabe, etwas sehr bedeutsames meine ich. Ich werde dich mit einer vertrauensvollen Aufgabe betrauen. Eine Aufgabe, die dir einiges abverlangt, aber du bist unverzichtbar.“

Folko schob die Kapsel zwischen die Zähne.

„Um es kurz zu machen, du bekommst Frederics Posten!“

Folko traute seinen Ohren nicht, wollte er ihn zusätzlich verhöhnen, jetzt, da das Urteil schon gesprochen?

Folko bekam einen Hustenschauer, um ein Haar hätte er die Kapsel verschluckt, doch es gelang ihm gerade noch rechtzeitig, sie zu entfernen.

„Du… du willst mich befördern?“

„Was dachtest du denn?  Frederic, dieser Feigling lässt uns einfach im Stich, vergnügt sich mit seinen Nutten an der Côte d'Azur, während wir hier auf einem brodelnden Vulkan sitzen, jederzeit zum Ausbruch fähig. Jetzt, da jeder auf seinem Posten gebraucht wird.

Du bist anders, auf dich kann ich mich verlassen. Deshalb setze ich dich auf seinen Posten.

Er hat mir zwar versichert, zurück zu eilen, wenn der Sturm losbricht, aber ich glaube nicht so recht daran. Und selbst wenn, dann müsste er sich hinten anstellen.“

Es rumpelte gewaltig, als die Ladung Steine von Folkos Herzen in ein tiefes Tal stürzte. Thoralf meinte, was er sagte, daran bestand kein Zweifel, Folko kannte ihn zu gut.

„Ja und, äh… ich meine. Was soll ich tun!“ stammelte Folko noch immer wie benommen.

„Na Frederics Aufgabengebiet! Du wirst mein Stellvertreter. Bereite dich gut vor, halte dich bereit. Wir haben Alarmbereitschaft. Sollte Elena die Wahl gewinnen und womöglich die steinerne Front mit ins Boot holen ist das Maß voll, dann wissen wir, was zu tun ist. Dann werden wir sämtliche Freicorps mobilisieren."

„Ihr plant einen Staatsstreich?“

„Selbstverständlich! Es ist soweit. Der Anlass, den wir seit langem suchen. Die alten Regierungen haben ihre Aufgabe mehr schlecht als recht erledigt, sie haben den Status quo sichergestellt, mehr aber auch nicht. Die zu erwartende Regierung bedeutet ein absolutes Novum  in der Geschichte. Die kann man nicht einordnen. Wir dürfen nicht dulden, dass sie die Regierungsgeschäfte aufnimmt sondern vorher zur Tat schreiten.

Es versteht sich von selbst das wir zu vermeiden suchen uns zu unkontrollierten Aktionen hinzureißen. Wir warten die Ergebnisse der Wahl ab und anhand der neuen Machtverhältnisse entscheiden wir, wie wir uns verhalten. Die günstigste Variante: Die Neue Liga wird stärkste Kraft, es reicht aber nicht zur absoluten Mehrheit. Die Folge: Elena braucht Neidhardts Steinerne Front als Mehrheitsbeschaffer. Dann können wir sofort zu schlagen.

Sollte sie wider Erwarten die absolute Mehrheit erringen, also imstande sein, allein zu regieren müssen wir abwarten und den Dingen ihren Lauf lassen.

Entscheidend ist, uns vor der Öffentlichkeit als diejenigen zu präsentieren, die Melancholanien vor der Diktatur der Radikal-Revolutionäre bewahren.  Aus diesem Grund müssen die unter allen Umständen in die neue Regierung. Jetzt nehmen wir sie in die Zange. Neidhardt mag den Friedfertigen spielen, abkaufen tut ihm das keiner. Aus sicherer Quelle ist mir zugetragen worden, dass die Radikal-Revolutionäre ihre Waffendepots nicht aufgelöst haben, sondern im Gegenteil heimlich aufrüsten. Also tun wir es ihnen gleich.“

„Das heißt mit anderen Worten, wir lassen es auf einen Bürgerkrieg ankommen?“ forschte Folko nach.

„Schlimme Worte! Ein reinigendes Gewitter, das ist die rechte Bezeichnung. Dieses Land muss gesäubert werden von all diesen lichtscheuen Elementen, die seine Ehre besudelt haben. Wir werden die eherne Tradition wieder aufrichten, die Melancholanien dereinst so groß und erhaben machte.“

„Das war immer unser Ziel. Nun ist es soweit. Die Zeit arbeitet für uns!“ spielte Folko den Begeisterten, um auf diese Weise sein Entsetzen zu überspielen.

„Wir räumen auf. Und du wirst dabei an vorderster Front zum Einsatz kommen. Ich muss sagen, deine Tarnung war erstklassig. Mischt sich einfach so unter Elenas Anhang ohne dass von denen auch nur einer eine Kleinigkeit bemerkt. Spitzenleistung, Folko. Dafür bekommst du das Stählerne Kreuz erster Klasse, dafür verbürge ich mich. Eine Zeitlang, da glaubte ich fast, du wärst tatsächlich übergelaufen, so perfekt spieltest du deine Rolle. Du nicht! Du zähltest stets einer zu den Überzeugtesten und bist es noch immer. Frederic kannst du vergessen. Große Worte, sich in den Vordergrund spielen, mehr ist von ihm nicht zu erwarten.

Zugegeben, sein Geld und sein Einfluss bei den Medien hat uns einen großen Dienst erwiesen. Aber für einen wirklichen  Kampf ist der absolut nicht zu gebrauchen.

Was unseren Ordenbruder Helmfried betrifft, da erübrigt sich jeglicher Kommentar. Der hat alles verpatzt. Seine Rede vorgestern, auf der Abschlusskundgebung der Musterdemokraten, eine Katastrophe. Damit hat er Elena auch noch den letzten Ball zugespielt. Der ist erledigt. Und von dem Hosenscheißer Victor wollen wir lieber gar nicht erst reden. Alles Luschen, Weicheier, unfähig, unsere elitären Vorstellungen zu erfüllen. Die repräsentative Demokratie hat ausgespielt, es wird Zeit, das Heft selber in die Hand zu nehmen.

Dafür brauchen wir Männer von Format, Männer, die zu siegen wissen, Männer wie dich.“

Thoralf klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter, dann schritt er zum Vertico, holte die Kognakflasche und füllte Folkos Glas noch einmal , danach genehmigte er sich ebenfalls einen.

„Erzähl doch mal! Ich bin gespannt, wie es dort war! Wie ist es dir gelungen, dich dort einzuschleichen. Muss ja ausgesprochen abenteuerlich gewesen sein, oder?“

„Da gibt es gar nicht so viel zu erzählen, meine Berichte hast du ja regelmäßig erhalten. Die haben mich gleich in ihren Reihen aufgenommen. Das bedurfte natürlich einer gewissen Zeit der Annäherung. Nur so war es mir möglich, an die wichtigen Informationen zu kommen. Und wie du siehst, war es die richtige Entscheidung Elena nicht aus dem Weg zu räumen. In ihrer derzeitigen Position wird sie uns von großen Nutzen sein.“ antwortete Folko und beherrschte seine Rolle gut.

Thoralf schnippte mit dem Finger.

„Das ist es, was ich an dir so schätze. Du denkst mit. Du bist kein bloßer Befehlsempfänger. Zugegeben, dein Zögern irritierte mich anfangs,  ich habe mich geirrt. Eine lebende Elena ist im Moment noch erforderlich, sie liefert uns den Sieg. Wir werden ihre Person auch weiterhin nicht antasten. Bei ihrer Popularität in der Bevölkerung wäre das politischer Selbstmord. Vielmehr sollte wir ins Auge fassen sie langfristig auf unsere Seite zu ziehen, wenn das auch ausgesprochen schwierig erscheint. Aber auf den Versuch kommt es an. Dagegen sollten  wir uns die Personen ihres näheren Umfeldes vorknöpfen, so treffen wir sie ins Mark. Die lassen wir einem nach dem anderen über die Klinge springen. Zuerst natürlich ihren Lebensgefährten, dieses Proletenschwein, wie heißt er doch noch gleich?“

„Du meinst Leander?“

„Ja richtig, den! Den schnappen wir uns bei nächstbester Gelegenheit, ich sage dir das wird ein Spaß.Auch die anderen. Ich denke da zum Beispiel an diese Punkerbraut, die heute im Park singen wird. Kyra oder so ähnlich heißt sie!“

Beim hören ihres Namens, zuckte Folko instinktiv zusammen und ein eiskalter Schauer lief ihm über den Rücken.

„Du kennst sie doch, hattest mit ihr unmittelbar zu tun. Sag, wie ist sie? Wirklich so wild und ungebändigt, wie man ihr nachsagt? Haha, genau das was ich brauche. Die gehört mir. Die reserviere ich mir. Für meinen Keller, du weißt ja, was da unten passiert.“ prahlte Thoralf.

Der Stich in Folkos Herz war so schmerzhaft, dass ihm für eine Weile der Atem stockte und schwarz vor Augen wurde. Ihm war speiübel, so dass er auf der Stelle die feine Mahagonitischplatte hätte besudeln können. Seine kleine Kyra in den Händen dieses perversen Rohlings? Thoralf war berüchtigt für seine abartigen Vorlieben. Oftmals ließ er sich junge hübsche Paria-Mädchen holen und in seinem Verlies auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Dort wurden sie unter Drogen gefügig gemacht, wie Tiere in Käfigen gehalten und regelrecht abgerichtet. Die widerwärtigsten Sexspiele mussten sie über sich ergehen lassen, so dass nicht einige von ihnen schon bald den Verstand verloren und geistig tatsächlich zu Tieren mutierten.

„Weißt du, ich werde mir einen neuen Käfig anfertigen lassen, eigens für sie. Um diese Trophäe wird mich ganz Melancholanien beneiden. Ich werde sie wie eine Hündin an einem Stachelhalsband mit mir führen, wohin ich auch gehe. Natürlich nackt, versteht sich von selbst. Vor allem auf den Festlichkeiten, die wir aus Anlass unseres Sieges im ganzen Lande begehen werden, werde ich sie zur Schau stellen.“

Unbemerkt unter der Tischplatte ballte Folko die Fäuste und bebte innerlich vor Anspannung. Warum nur hatte er seinen Ehrendolch nicht dabei. In der friedfertigen Umgebung der Gartensiedlung und später der Abtei hatte er seine Waffen niedergelegt, gut versteckt in dem Glauben, nie wieder welche benutzen zu müssen. Nun reute es ihn. Auf der Stelle hätte er seinen Dolch gezogen und diesen Mann den er einmal seinen Freund nannte, ins Jenseits befördert, auch auf die Gefahr hin, durch diese Tat die  Ordensburg selber nicht mehr lebend verlassen zu können.

Doch  durfte er sich nichts anmerken lassen und musste seine Rolle so gut es ging weiterspielen.

„Selbstverständlich bist du herzlich eingeladen diesem bizzarrem Schauspiel beizuwohnen, du bist mein Stellvertreter und mein Freund, ich kann sie dir gerne ausleihen, wenn dir danach ist. Schon immer haben wir alles brüderlich geteilt, warum als nicht auch so eine?“

Wie lange würde Thoralf diese seelische Folter noch fortsetzen? Folko glaubte jetzt, für nichts mehr garantieren zu können. Er wäre im Stande, ihn mit bloßen Händen zu erwürgen.

Zum Glück lenkte Thoralf selbst das Gespräch in eine andere Richtung.

„Also, ich zähle auf dich! Du kannst deinen Posten einnehmen, wann immer es dir beliebt, sofort, wenn du magst.“

Thoralf leerte sein Glas in einem Zug.

„Hm, ich denke, ich fahre noch mal zurück. Elenas große Show, du weißt doch. Ich denke, da könnte heute Entscheidendes geschehen. Ich will ganz vorne sein, um später besser zu berichten.“ Folko hatte es ausgesprochen eilig, so schnell wie nur irgend möglich von hier weg zukommen.

„So ist es richtig! Pflichtbewusst bis zum letzten Augenblick! Ich bin mir sicher, mit dir die beste Wahl getroffen zu haben. Komm, wenn du es für richtig erachtest. Dir steht alles zur Verfügung, was du brauchst.“

„Oh, ich muss mich eilen! Dass große Event im Zentralen Park fängt bald an und ich muss mich noch durch den Verkehr quälen. Gut, wir bleiben in Verbindung. Ich melde mich sobald ich näheres in Erfahrung bringen konnte.“

Eine hastige Verabschiedung folgte. Thoralf schien tatsächlich keinen Verdacht zu schöpfen. Er konnte also seine Rolle weiterspielen.

Hastig bestieg er seinen Jeep und lenkte ihn vom Hof der Ordensburg in Richtung Stadt. Es dauerte nicht lange und er befand sich in einem lähmenden Stau. Damit hatte er gerechnet, alles strömte in Richtung Zentraler Park. Er musste davon ausgehen zu spät, womöglich heute gar nicht mehr einzutreffen, sollten sich der Massenauflauf noch verdichten.

Negative Gedankenströme peinigten ihn. Er saß in einer Zwickmühle und hatte nicht die geringste Ahnung, wie er entkommen sollte.

Noch immer war seine wahre Identität innerhalb der Kommune nicht aufgeflogen, doch damit schien es nun vorbei.

Er würde sich offenbaren müssen, wollte er Kyra und die anderen retten. Und das bereitete ihm ausgesprochen großen Kummer.

Der Blaue Orden und all das, was sich mit ihm verband war für Kyra ein rotes Tuch. Sie hasste diesen abgrundtief und hatte allen Grund dazu, waren die Paria doch eines der Hauptopfer dieser elitären Vereinigung.

Gestand er ihr sein wahres Ich, würde sie ihm ins Gesicht spucken und versuchen die Augen auszukratzen und sie täte recht damit. Erst in diesem Moment lichtete sich der Schleier und ihm ging auf welcher Bande eiskalter Verbrecher er so lange vorbehaltlos seinen Dienst erwiesen hatte.

Doch er musste dieses Risiko eingehen, wollte er sie retten. Konnte sie ihn noch lieben, wenn sie erfuhr, was er war, was er getan hatte in der Vergangenheit? Wohl kaum. Er würde auf ihre Liebe verzichten müssen und das tat ihm unendlich weh. Doch die Hauptsache, Kyra lebte und es ging ihr gut. Mehr konnte er nicht mehr tun.

Zum ersten Mal in seinem Leben wurde er richtig sentimental und seine Augen füllten sich mit Tränen, er, der große Elitekämpfer, dem  doch nichts aus der Fassung bringen konnte.

Seine Wildkatze, die die Freiheit über alles liebte, sein Energiebündel, voller Tatendrang  als Gefangene dieser gewissenlosen chauvinistischen Banditen, nein, das durfte nicht sein. Er würde sie retten, selbst wenn es ihm sein eigenes Leben kostete.

Stop and go. Langsam, ganz langsam bewegten sich die Menschen vor und hinter ihm. Zeit genug, um zu überlegen, um in sich zu gehen, das Leben Revue passieren zu lassen.

Langsam gelang es ihm, die Fassung wieder zu erlangen. Noch war es nicht so weit. Vor der Wahl würde nichts geschehen. Danach war es von Nöten, dass alle Mitglieder der Kommune nach Möglichkeit die schützenden Mauern der Abtei nicht verließen. Hier braute sich ein Orkan von gigantischem Ausmaß zusammen, wenn Thoralf nicht übertrieben hatte. Die Kommune drohte zwischen die Fronten zu geraten. Er musste das verhindern. Seine Stellung bei den Blauen bot ihm beste Voraussetzungen, dem entgegen wirken zu können.

 

Unterdessen war der Hubschrauber mit Elena und einigen ihrer Gefährten von dem eiligst errichteten Hubschrauberlandeplatz am Rande der Abtei gestartet und bewegte sich in Richtung Zentraler Park.

Unter ihnen Menschen, Menschen, Menschen. Ein Ding der Unmöglichkeit, sich hier noch durch zu bewegen. Eine Reise durch die Luft bot so die beste Voraussetzung, doch noch rechtzeitig sein Ziel zu erreichen.

„Wahnsinn, ich hätte mir nie im Leben träumen lassen, dass es so viele werden. Man kann gar keinen Anfang und kein Ende sehen.“ staunte Kyra, während sie durch das Fenster nach unten blickte.

„Dann haben sie doch nicht übertrieben, als sie gestern von einer Million sprachen. Ich wollte es nicht glauben. Aber bei den Massen.“ erwiderte Gabriela.

„Ich hoffe, ihr seid alle in der richtigen Verfassung. Heute werden wir Geschichte schreiben. Wir werden die Weichen für die Zukunft stellen.“ glaubte Cornelius zu wissen.

Elena schwieg, ihr war nicht nach Konversation. Ihre Gedanken weilten bei Kovacs, dem Freund, dem sie soviel verdankte. Er wohnte diesem Ereignis nicht bei. Das tat ihr unendlich weh. Solcherart Massenaufläufe seien ihm ein Gräuel, hatte er ihr noch gestern gesagt. Kovacs zog sich immer mehr von der Welt zurück. Er sei nicht geschaffen, um noch mal im Rampenlicht zu stehen. Er wolle im Stillen wirken. Sie musste sich seinem Wünschen beugen.

Derweil setzte die Maschine zur Landung an.

Streng vom Besucheransturm abgeschirmt konnten sich alle frei auf ihren Bestimmungsort zu bewegen.

 

Lars hatte Glück noch rechtzeitig vor Ort einzutreffen. Er schloss das Moped ab und bewegte sich mit der Masse auf das Hauptfeld zu. Es ging im Schritttempo, aber das machte nichts, es blieb noch genügend Zeit. Er wollte es möglichst weit nach vorne schaffen, um eine gute Sicht zu bekommen.

Nach einigem Geschubbse hatte er einen ganz passablen Platz ergattert, als er auf eine kleine Gruppe von Männern traf, die ihm seltsam bekannt vorkamen und er feststellte, dass er nicht allein auf diese Idee gekommen war.

Das standen Dagobert, Thomas, Gerold und noch einige andere von Gutshof, ähnlich wie er selbst.schön unauffällig auffällig gekleidet.

„Wwww …was macht ihr denn hier?“

„Hm, das gleich könnten wir dich auch fragen, Lars. Du kennst offensichtlich Neidhardts Verbot nicht?“ sprach ihn Dagobert von der Seite an.

„So wie es scheint. Aber wie ich sehe, haltet ihr ebenfalls nicht all zu viel davon!“ brachte Lars zu seiner Verteidigung vor.

„Wie Neidhardt selbst immer wieder betont, immer an der vordersten Front sein. Erkunden, kombinieren, berichten. So machen wir das heute  auch.“ glaubte sich Gerold zu erinnern.

„Ihr habt euch ja ganz schön in Schale geschmissen. Glaubt ihr wirklich, das euch keiner erkennt?“ wollte Lars wissen.

„Ich denke nicht.Wirken wir etwa auffällig?“ Dagobert blickte zweifelnd an sich herunter.

„Ist ja auch egal. Die Wahlen können wir eh nicht mehr gewinnen. Ob uns heute einer hier entdeckt oder nicht, macht den Kohl auch nicht mehr fett. Mir ist es jedenfalls Wurst. Wie es danach weitergeht, steht ohnehin in den Sternen.“ resignierte Lars.

 

Chantal hatte es sich in ihrem Ü-Wagen bequem gemacht und beobachtete die immer weiter nach vorn drängenden. Endlich konnte sie Elena und die anderen sehen, wie sie sich auf der Bühne zu schaffen machten. Das Warten hatte also ein Ende. Ganz pünktlich würden die sicher nicht mehr beginnen, damit hatte sie auch nicht gerechnet. Ihr Herz klopfte, während sie auf dem Dach die Kamera in Stellung brachte.

Ein Trupp Jugendlicher preßte sich beim vorbeiwaten so dich an das Auto, dass es mächtig zu wackeln begann und Chantal beinahe den Halt verlor.

„He, passt doch auf da unten!“ rief sie aufgebracht den Vorbeischiebenden zu, doch die nahmen gar keine Notiz von ihr.

Kein Wunder, alle hatten nur ein Ziel und das war Elena.

Als die sich dann zum ersten Male auf der Bühne präsentierte, brandete ihr stürmischer Beifall entgegen.

Auch Chantal konnte nicht mehr an sich halten.

„Elena, Elena, ich bin hier! Hier unten! Siehst du mich?“ Mit beiden Armen ruderte sie heftig in der Luft herum. Bis ihr aufging, wie albern das war. Natürlich konnte die Spitzenkandidatin nicht auf jeden einzelnen Obacht geben.

Elena entschwand nach diesem kleinen Intermezzo wieder, denn sie war mit ihrem Beitrag noch lange nicht an der Reihe.

In der Zwischenzeit waren auch Chantals Mitarbeiter eingetroffen. Sie erteilte letzte Anweisungen. Jeden Moment sollte die Live-Übertragung beginnen.

„Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf sie ganz herzlich zu unserer Direktübertragung vom zentralen Platz Manrovias begrüßen. Überzeugen sie sich selbst. Hier ist ein Menschenauflauf, wie ihn Melancholanien noch nie erlebt hat.“

Die Kamera schwenkte langsam über die Volksmassen, damit sich auch die letzten Bewohner in den entferntesten Winkeln des Landes ein Bild dessen machen konnten, das hier gerade vor sich ging.

„Ich kann Ihnen die Stimmung kaum beschreiben. Man muss einfach dabei sein, um nachzuempfinden welche Atmosphäre sich hier ausbreitet. Atemberaubend, einfach atemberaubend, sage ich Ihnen. In diesem Augenblick schaut die ganze Welt auf uns und wir können stolz darauf sein. Die Abschlusskundgebung der Neuen Liga wird sich zu einem Manifest für einen vollständigen Neubeginn entwickeln, das kann ich ihnen vorausschauend sagen. Es werden verschiedene Redner sprechen, Politiker aus den Reihen der Neuen Liga. Ganz am Ende wird Elena selbst das Wort ergreifen. Zwischendurch gibt es Musikeinlagen. Ich denke, ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte, hier herrscht Partystimmung. Selten konnte man die Bewohner unseres Landes in so ausgelassener und heiterer Stimmung erleben. Es scheint, als habe einer eine große Last von allen Schultern genommen.

Wir alle sind gespannt auf das, was uns Elena an diesem Tag zu sagen hat. Sie ist die haushohe Favoritin in diesem Kampf und keiner kann ihr diese Position noch streitig machen

 Ihre Gegner weit abgeschlagen. Da müsste Weihnachten schon in den August fallen, wenn sich an dieser Tatsache noch etwas ändern sollte. Ich persönlich bin ausgesprochen dankbar für die Tatsache, hier zu stehen und ihnen von diesem historischen Ereignis kund zu tun.  Voller Stolz werden wir uns in vielen Jahren dieses Erlebnisses erinnern und können sagen: Und wir waren dabei .“

 

Zunächst sollte  Leander seinen Redebeitrag halten. Keine leichte Aufgabe in Elenas Vorprogramm aufzutreten. Wie würden die Versammelten reagieren?

Als Leander sich am Rednerpult platzierte schwappte ihm ein verletzendes Hohngelächter entgegen. Was suchte dieser Notkonfirmant dort oben, scheinbar verirrt. Peinlich, peinlich.

Aufgrund der mangelnden Disziplin war es ihm langezeit nicht möglich sein Rede zu beginnen. Mehrfach setzte er an, musste aber sogleich wieder unterbrechen.

„He, geh zu Mutti, wo du hingehörst! Der macht sich ja vor Angst gleich in die Hosen!“

„Kannst du überhaupt reden?“ Solche und ähnliche Grobheiten musste er über sich ergehen lassen. Doch tapfer  behielt er vorerst noch die Fassung.  

Auch als die ersten Steine flogen, wich er nicht zurück, auch wenn ihm die Anspannung ins Gesicht geschrieben stand.

„Elena! Wir wollen Elena!“ Das traf ihn bis ins Mark.

Nun bemächtigte sich seiner übergroßer Zweifel.

Er überlegte, ob er überhaupt noch das Wort ergreifen konnte. Augenblicke wurden zu Stunden. Gehen oder bleiben, das war hier die Frage.

Gerade wollte er sich zum Gehen wenden, als Kyra an das Mikro trat und ihren urischen Schrei von sich gab, so dass die Verstärkerboxen nur so klirrten.

„He, ihr Pfeifen da unten! Wenn ihr nicht augenblicklich mit dem Geplärr aufhört, könnt ihr gleich nach Hause gehen. Ist das klar. Entweder ihr haltet auf der Stelle eure Schnauzen oder es gibt gar nichts, keine Elena, keine Musik, keine Party, verstanden? Ihr Großmäuler! Im Alltag macht ihr in die Hosen wenn ihr den Chef nur von weitem seht und hier wollt ihr die coolen Oberfreaks heraushängen lassen? Selber nichts zu Wege bringen und sich feige am Mamas Rockzipfel hängen. Aber einen der für alle denkt und sich den Arsch für euch aufreißt ausbuhen? Ich glaube es nicht.  Wir sind ein Team, einer für alle, alle für einen. Entweder jeder liefert seinen Beitrag oder keiner von uns. Ich hoffe, ich habe mich deutlich genug ausgedrückt!“

Sie legte ihre Hand auf Leanders Schulter. Unten wurde es erstaunlich still, das hatte gesessen.

Folko, der relativ weit hinten  stecken geblieben war, wurde noch rechtzeitig Zeuge dieses Vorfalls. Nun konnte er sich der Tränen nicht mehr erwehren. Das war Kyra, seine Kyra. Was für eine Powerfrau. Und er durfte sie lieben. Er würde für sie kämpfen, koste es, was es wolle.

Hundert ihrer Art würden genügen, um den Blauen Orden in das Rattenloch zu treiben, wohin dieser schon lange gehörte.

„Danke dir, Kyra! Das war Spitze! Die Retterin in letzter Minute. Ich selbst konnte doch nicht ein greifen! Du verstehst doch, warum!“ bedankte sich Elena, als Kyra hinter die Bühne zurückkehrte.

„Absolut Elena! Deshalb habe ich es ja getan.“ entgegnete diese.

Endlich hatte sich der Sturm gelegt und Leander konnte mit seiner Rede beginnen. Niemand wagte jetzt noch die Stimme gegen ihn zu erheben.

„So, ihr wollt Elena? Klar, die wollen alle. Ich sage euch, ihr werdet sie auch bekommen.

Aber nicht so, nicht auf diese Weise. Elena ist keine von der Art, die sich mit solch plumper Anmache begeistern ließe. Elena leidet unter ihrer Popularität. Ihr wollt sie, sie allein. Dabei will sie euch etwas sagen, möchte eure  Augen öffnen, für all das, was um uns geschieht. All die Ungerechtigkeiten die uns um geben. All die Verbrechen, die an so großen Teilen der Bevölkerung begangen wurden, blind seid ihr dafür. Elena ist es, die euch sehend machen will und euch aus eurer Umnachtung lösen will, in die ihr all die Jahre und Jahrzehnte getrieben worden seid.

Wenn ihr folgen wollt, müsst ihr kritisch denken lernen und hinterfragen, zweifeln an all dem, was euch vorgesetzt wird. Denkt um, denkt tiefer und folgt dem Pfad, der in ein neues Leben führt, einem Leben in Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Geschwisterlichkeit.

Jeder einzelne von uns ist aufgerufen, seinen Beitrag zu leisten. Elena alleine kann es nicht schaffen wenn wir ihr nicht tatkräftig zur Seite stehen.

Überall, auf der ganzen Welt erscheinen auf einmal prominente Leute auf der Bühne der Politik. Wollen sich einmischen in das Tagesgeschehen. Da sind ehemalige Konzernchefs darunter, aber auch Leute aus der Kultur, Schriftsteller, Schauspieler,  sogar ehemalige Clowns und neuerdings Berufsboxer. Sie geben vor, alles neu, alles besser zu machen. Kritisieren lautstark und medienwirksam die alteingesessenen politischen Eliten. Sie sind die Stars, alle mögen sie, alle hören ihnen zu und am Ende werden sie auch oft mit überwältigenden Ergebnissen gewählt. Sind sie dann tatsächlich an der Macht, können sie es gar nicht erwarten, es all jenen, noch kurz zuvor heftig gescholtenen Eliten gleich zu tun. Aber keiner scheint es zu bemerken, niemand erhebt seine Stimme gegen sie. Der Coup scheint gelungen.

Nein, Elena gehört nicht zu denen, auch wenn ihr nichts Besseres zu tun habt, als sie auf eine solche Rolle festzulegen.

Elena will euch das Werkzeug in die Hand legen, dass euch befähigt, euer Leben selbständig zu gestalten. Die Frage ist nur, seid ihr dazu imstande? Besitzt ihr die dazu erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten? Oder legt ihr nach nur kurzer Zeit eure gerade eroberte Macht freiwillig in die Hände von Tyrannen, in die Hände von denen, die euch das Blaue vom Himmel versprechen.

Elena hat euch bisher noch gar nichts versprochen und das ist gut so.

Es gibt nämlich kaum etwas zu versprechen, außer, dass es für alle tiefe Einschnitte geben könnte. Dieses Land wurde jahrzehntelang vorsätzlich heruntergewirtschaftet, die Bevölkerung gespalten. Da bedarf es weit mehr als ein paar Monate, um die gröbsten Wunden zu lindern. Elena ist keine Zauberin, auch wenn ich mir der Tatsache bewusst bin, dass sehr viele in Melancholanien eine solche in ihr sehen.

Es wird keine Verbesserungen über Nacht geben, auch wenn wir uns diese noch so wünschen.

Es hängt von euch ab, wie es weitergeht. Beginnt einfach nur, kritisch zu denken. Lasst der Logik ihren Lauf. Erkennt worauf es ankommt. Ergreift die Initiative dort, wo sie am dringlichsten ist.

Wir wollen heute alle zusammen feiern, das ist richtig und gut. Aber bedenkt, das Leben hier ist alles andere als eine Party. Am Tage nach der Wahl beginnt der Alltag und der könnte Schmerzen bringen. Seid auf der Hut.“

Stille, andächtige Stille, man hätte eine Stecknadel zu Boden fallen hören können und das bei diesem Massenauflauf.

Danach setzte Beifall ein, erst zögerlich, dann immer stärker.

Leander hatte es am Ende doch noch allen bewiesen.

 

Auch Lars schien ausgesprochen beeindruckt von dem, was er da gerade vernommen hatte.

„Bravo, hervorragend! Gute Rede. Ein wegweisender Beitrag!“

Er klatschte unaufhörlich in die Hände, so dass es den anderen auffiel.

„He, krieg dich mal wieder ein. Bedenke, der ist keiner von uns. Da brauchst du dich nicht so zu verausgaben.“ versuchte ihn Gerold wieder auf den Boden zu holen.

„So? Meinst du? Da irrst du dich gewaltig. Das ist einer von uns. Ich sage euch, der Junge macht Geschichte, ihr werdet es sehen, den haben alle unterschätzt. Wahrscheinlich am meisten seine eigenen Leute. Ich kenne ihn, habe mit ihm eine zeitlang am Band gearbeitet.  Schon in jenen Tagen hat er sich als Rebell hervorgetan. Ich bin überzeugt, er wird es allen zeigen:“

„Hast du deine Aufnahmeantrag schon ausgefüllt?“ wollte Dagobert wissen.

„Welchen Aufnahmeantrag?“

„Na, den in die Neue Liga. So wie du redest, könnte man glatt der Meinung sein, du gehörst zu denen und nicht zu uns.“

„Ach, rede doch nicht immer so einen Unfug, Dagobert. Darum geht es doch gar nicht. Ihr begreift nichts, absolut nichts. Es geht nur darum, dass wir im Gegensatz zu denen die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben.“ wies ihn Lars zurück.

„Was willst du damit sagen?“ wollte Gerold wissen.

„Stellt euch doch einfach Neidhardt auf der Bühne  vor! Wie würde der sich schlagen, vor so einer großen Versammlung?“

„Du bist unrealistisch, du kannst doch Neidhardt nicht mit Elena vergleichen.“ wiegelte Dagobert ab.

„Das will ich auch gar nicht. Ich will nur sagen, die wissen wo es langgeht, die haben den Dreh heraus. Die stecken uns alle in die Tasche. Neidhardt ist ein begnadeter Redner, der hätte auch etwas zu sagen, wenn er denn wollte. Aber die Frage ist doch, ob er es wirklich will. Und seine ganze Art, knochentrocken. Er schafft es einfach nicht, unsere Anliegen rüber zu bringen. Seine Worte zerbröseln zu Staub, noch ehe er sie über seine Lippen bringt, so kann man die Massen nicht gewinnen. Die dort oben haben es erfasst, die wissen wie man die Leute an sich bindet. Mit Worten, die einleuchten, die jeder nachvollziehen kann. Wissenschaftliche Vorträge sind hier fehl am Platz, sind geeignet gerade mal für Experten.“

„Hört hört! Unser Aufsteiger probt den Aufstand. Willst du Neidhardt kritisieren, am Ende gar seinen Führungsanspruch streitig machen?“ hielt ihm Dagobert vor.

„Keineswegs! Aber Kritik ist schon angebracht aufgrund der Tatsache, dass unsere letzten Anhänger scharenweise zu Elena überlaufen. Aber das ist es ja eben. Man darf nichts dergleichen tun. Übt man konstruktive Kritik, scheint es so, als habe man eine Majestätsbeleidigung begangen. So kommen wir nicht weiter. Auch wir brauchen die freie Diskussion. Die dort oben praktizieren sie und deshalb sind sie uns haushoch überlegen.“

Als nächste kam Colette an die Reihe mit einer Ansprache. Umgeben von einer fast mystisch anmutenden Aura, wagte keiner sie anzugreifen.

Es folgte die erste musikalische Darbietung. Kyra und ihre Band bewiesen wieder mal, wie routiniert sie inzwischen waren. Es gelang ihnen, die Stimmung weiter zu heben und zum Kochen zu bringen.

Über ihnen verdunkelte sich der Himmel bedrohlich, Wolken zogen heran. Aber es blieb trocken. Eine leichte Brise frischte immer deutlicher auf.

Der Reihe lieferten auch die andern ihre Beiträge ab, so auch Cornelius und einige weitere.

Kyras Standpauke hatte ihre Wirkung noch immer nicht verloren. Bis auf wenige Ausnahmen erwiesen sich die Zuhörer nun als ausgesprochen diszipliniert, niemand wagte mehr ein Pfeifkonzert anzustimmen.

Elena würde als letzte sprechen. Hinter den Kulissen versuchte sie Leander mit einigen tröstenden Worten aufzurichten.

„Du hast dich meisterhaft geschlagen, Liebster! Ich bin mächtig stolz auf dich. Du hast vor allen bewiesen, was in dir steckt. Von nun an werden sie dir den Respekt schulden, der dir gebührt.“

„So, meinst du? Na, ich weiß  nicht. Vorhin klang das noch ganz anders!“

„Lass dich nicht von so ein paar Störenfrieden einschüchtern. Das sind Ausnahmeerscheinungen. Die Mehrheit weiß all das, was du uns zu sagen hattest, sehr wohl zu schätzen.“ versuchte Elena weiter seinen Minderwertigkeitsgefühlen entgegenzuwirken.

„Ich bin, was ich bin! Der Mann an Elenas Seite. Heute habe ich das in aller Härte zu spüren bekommen. Ich habe versucht, mich ein zubringen. Aber alles, was ich tue, alles was andere tun, jeder Einzelne steht in deinem Schatten.“ Das klang resignierend.

Elena konnte sich nicht erklären, warum er sich selbst immer so degradierte.

Sie schritt auf ihn zu und zog ihn an sich, so, wie sie es immer zu tun pflegte.

„Ich werde in wenigen Minuten sprechen. Darauf muss ich mich jetzt konzentrieren. Später, wenn wir wieder Luft zum atmen haben, müssen wir das ausdiskutieren, das verspreche ich dir. Wir sind ein Team. Du und ich, wir sind eins. Nichts kann uns trennen. Wir befinden uns auf Augenhöhe.“

„Wenn du das sagst, dann wird es wohl so sein!“

„Ja, es ist so! Gleichberechtigt werden wir Seite an Seite in die neue Welt schreiten. Wünsch mir Glück!“

Sie gab ihm einen Kuss, dann hielt sie inne, um sich auf ihren Auftritt vorzubereiten. Ein letztes Augenzwinkern in Leanders Richtung. Dann öffnete sie den Vorhang und präsentierte sich den Massen. Wie eine Tsunami brandete ihr der Applaus entgegen.

Nein, mit dieser Frau würde kein Sterblicher auf Augenhöhe kommunizieren.

 

Elena betrat die Bühne und wurde in einer Flut der Begeisterung gebadet. Sie schritt auf das für sie bereitgestellte Podest, riss die Arme weit nach oben und richtete die Finger beider Hände als Victory-Zeichen in den Himmel. Ihr blies ein kräftiger Sturmwind entgegen, so dass ihr weiter Staubmantel und die Lockenmähne weit nach hinten wehten.

Alles war bis ins Detail einstudiert, selbst ihre Kleidung. Wie eine Hohepriesterin begann sie,  ein wahres Hochamt zu zelebrieren.

Die Menschen hingen an ihr und harrten der Worte, die in Bälde über ihren Lippen flossen. Es schien, als habe sich eine Göttin auf den Weg in die Niederungen menschlicher Existenz begeben.

Als sie die Arme langsam nach unten senkte, ebbten die Jubelrufe auf einen Schlag ab.

Das Zeichen, das sie nun zu reden gedachte.

„Freunde, Volk von Melancholanien. Ihr wartet schon ungeduldig auf meine Worte und ich will zu euch sprechen.

Dabei gäbe es gar nicht mehr viel zu sagen. Denn meine Vorredner haben hervorragende Arbeit geleistet und euch unser Programm kundgetan. Dem habe ich nichts hinzu zufügen. Aber ich will trotzdem sprechen, auch auf die Gefahr, mich zu wiederholen, denn das was ich zu sagen habe, konntet ihr in den zurückliegenden Wochen in vielen meiner Auftritte schon vernehmen.

Als ich mir  überlegte, wie ich am besten eine Rede formulieren sollte, fiel mir ein Zitat eines ganz großen Mannes in die Hände, eines Wissenschaftlers von Weltbedeutung. Albert Einstein sagte einmal einen Satz, den ich mir quasi zum Leitmotiv erwählte. >Probleme kann man niemals mit der Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.<

Das ist wahr gesprochen, besser kann man es nicht ausdrücken.  Ich mag große Denker, von ihnen geht so viel Kraft, so viel Energie, so viele Visionen aus. Leider haben wie in Melancholanien kaum noch große Männer. Wenn ich daran denke, was sich mein verehrter Gegenkandidat Helmfried hier an dieser Stelle vor zwei Tagen geleistet hat, kann ich nur sagen, armes, armes Melancholanien. Unser lieber Helmfried, der mit seinem Doktortitel auf schneidet, obgleich jeder in diesem Land weiß, dass er für seine Arbeiten lediglich bei Anderen, Besseren abgeschrieben hat, strebt das genaue Gegenteil von Einsteins Ratschlag an. Er ist felsenfest davon überzeugt, die Probleme mit den gleichen Denkweisen zu lösen.  Er will mehr Markt, weniger Staat, diese alte abgestanden Brühe, die uns schon seit Jahrzehnten serviert wird. Er strebt den absoluten, den totalen Markt an, wie er so pathetisch betonte. Der Wert eines Menschen soll nur noch nach seinem Leistungsniveau gemessen werden. Hat er denn übersehen, dass wir einen solchen Zustand schon seit Jahren haben? Welche Daumenschrauben möchte er noch anlegen? Will er einen Brand mit Benzin löschen? Wo sollen all jene hin, die dem Leistungsniveau nicht mehr entsprechen? Noch mehr Pariasiedlungen? Noch mehr Ausgrenzung? Das Renteneintrittsalter auf 85 Jahre erhöhen, oder besser auf 90? Oder wie stellt er sich das vor?

Nein, große Männer gibt es  schon lange nicht mehr in Melancholanien. In dieser Yuppie-Kultur ist kein Platz für Leute von Format.

Ein anderer Großer der Weltgeschichte, Mahatma Gandhi, sagte einmal > Der Schwache kann nicht verzeihen, verzeihen ist eine Eigenschaft der Starken.<

Wie viel Wahrheit doch in diesen Worten liegt. Die Starken sind es, die die Schwachen um Verzeihung bitten müssen und nicht umgedreht. Denn es sind die Starken, die sich der Lebensgrundlage der Schwachen bemächtigen, die ihnen das Recht auf ein menschenwürdiges Dasein nehmen.

Wir können von den Schwachen nicht verlangen, dass sie auf uns zugehen, wir, die Starken müssen den ersten Schritt tun. Oder wir machen sie alle zu Bettlern.

So soll es sein. Ihr Privo, die ihr von dem lebt, das ihr nicht erarbeitet habt, geht auf jene zu, die nicht auf Rosen gebettet sind. Gebt freiwillig und von Herzen, laßt euch nicht erst zu diesen Schritten nötigen. Denkt daran, ihr erwerbt euch dafür einen Schatz im Himmel. Aber wir wollen nicht auf den Himmel warten, laßt uns vielmehr ein Stück Himmel hier auf die Erde zu holen. Wenn wir fest daran arbeiten und dafür kämpfen, kann uns das durchaus gelingen.

Ich werde mich dafür einsetzen, solange ich lebe und werde nicht mehr von diesem Vorhaben ablassen.

Aber denkt daran, wenn ihr mir zujubelt. Auch ich bin nur ein Mensch. Ein Mensch mit Schwächen und Fehlern. Jubelt dem zu, wofür ich stehe und nicht nur meiner Person. Leander, du hast es so wunderbar ausgedrückt. Elena ist sterblich wie jeder andere auch, aber ihre Idee ist es, die weiterleben wird und muss.

Lasst uns ein neues Melancholanien bauen, ein Land, in dem Dinge wie Mitgefühl, Ehrfurcht vor dem Leben, Solidarität und gegenseitige Wertschätzung nicht nur leere Worthülsen sind.“

Jubel, grenzenloser Jubel, von allen Seiten. Elena war noch nicht fertig mit ihrer Ansprache, denn sie hatte eine wichtige Botschaft.

Doch zunächst sollte es eine Musikeinlage geben.

Elena schritt noch einmal an das Mikro

„Ich habe noch eine ganz wichtige Botschaft für euch alle. Aber bevor es soweit ist, hören wir Musik. Kyra, Kim und Colette kommt nach vorn. Lasst uns hören euren Sound, den ihr eigens für diesen Tag gebastelt habt. Gib ihn uns, den Punk, der befreit und uns unverwundbar macht.“

Das Trio begann mit seinem Sound. Kyra war in ihrem Element und würgte die E-Gitarre, um ihr auch noch die letzten verborgenen Töne zu entlocken.

Die Stimmung kochte. Wie schon so oft begannen auch heute alle nach kurzer Zeit mitzutanzen. Es ging an keinem vorbei. Musik, die unter die Haut geht, Musik, die das Blut zum Sieden bringt. Auf der Bühne und überall wurde getanzt. Elena ganz vorne mit dabei, auch die anderen begannen, sogar der alte Cornelius konnte sich nicht mehr auf seinen Platze halten.

Chantal wippte und schaukelte ihre Hüfte, riss die Arme weit gen Himmel, warf die Beine in die Luft wie ein Go-Go-Girl.

Selbst Lars hielt es nicht mehr und er begann mitzutanzen, was aufgrund der Tatsache, das er ein schlechter Tänzer war, nicht sonderlich wirkte und er des Öfteren ausrutschte und unsanft auf dem Boden landete. Aber in diesem Moment gab es für keinen ein Entkommen.

In späteren Zeiten hieß es, dass selbst in den Häusern getanzt wurde. Ganz Melancholanien im Fieber. 

Ekstase, die Menschen befreiten sich von einem Trauma.

Als sich der Rausch gelegt hatte, konnte Elena fortfahren, das heißt, sie konnte etwas tun, was ihr schon seit Tagen vorschwebte. Visionen nannte sie es, was ihr da widerfuhr, sie fand einfach keinen anderen Begriff. Vor allem im Traum begegneten ihr immer wieder die Personen ihrer Umgebung in völlig anderen Strukturen, in anderen Zeiten, wie es schien, tief in der Vergangenheit und in anderen Ländern.

Sie wollte heute ein Bündnis schließen. Dazu hatte sie sich die ersten ausgesucht, es waren ausnahmslos Frauen, die mit ihr einen Schwesternbund ins Leben rufen sollten. Elena war einfach der Ansicht, dass die Erneuerung gezielt von Frauen ausgehen sollte, ohne dabei die Männer außer Acht zu lassen. Aber das sollte später besprochen werden.

Wieder reckte sie die Arme weit nach oben und es wurde still im Park, alle lauschten gespannt ihren Worten.

„Hört mich, Volk von Melancholanien. Ich möchte ein Zeichen setzen. Heute und hier werde ich eine Schwesternschaft ins Leben rufen. Deren Aufgabe ist es, sich dem Kampf für Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Geschwisterlichkeit zu widmen, in Melancholanien und überall in der Welt. Ich berufe hiermit meine ersten Gefährtinnen, mit denen ich von nun an gemeinsam kämpfen werde, vorbehaltlos, ohne Ansehen der Person. Es spielt keine Rolle wer ihr wart, woher ihr kommt, was ihr bisher getan habt.

Heute setzen wir den Anfang mit den ersten, weitere werden folgen. Die Türen des Schwesternbundes stehen immer offen und sind für Neuerungen bereit.

Ich rufe dich Colette, ich rufe dich Kyra, ich rufe dich Alexandra, ich rufe dich Kim, ich rufe dich Gabriela, ich rufe dich Miriam, ich rufe dich Lisa,“ jedes Mal, wenn sie einen  Namen rief, wies sie mit dem Finger auf die betreffende Person.

„Nun sind wir acht, es ist mir aber wichtig, dass es neun werden für den Anfang. Neun ist eine heilige Zahl, in vielen Völkern und Kulturen. Deshalb brauchen wir noch eine Schwester und ich weiß wo ich sie finden kann. Chantal, Chantal du kennst mich. Ich weiß, dass du hier bist.Hast du Lust dich anzuschließen? Dann komm! Komm zu uns, du bist die neunte.“

„Hier, ich bin hier, Elena!“

Wie ein Besessene schrie Chantal und sprang voller Übermut von ihrem Ü-Wagen. Wie auf Bestellung bahnten die Menschen ihr eine Gasse, so dass sie problemlos zur Bühne eilte wo sie zunächst ehrfürchtig zum Stehen kam.

„Was ist, worauf wartest du, Chantal, nimm den Platz ein, der dir gebührt.“ Elena lächelte ihr bezaubernd entgegen.

„Ich ... ich darf zu euch gehören? Meinst du das im Ernst?“

„Aber natürlich, was dachtest du denn!“

„Ich … ich weiß gar nicht, was ich sagen soll!“

„Erst einmal gar nichts, komm einfach zu uns nach oben!“

Chantal kletterte auf die Bühne und die andern halfen ihrer neuen Schwester dabei.

Elena schloss Chantal in die Arme.

„Willkommen zuhause, Chantal! Heute feiern wir, ab morgen wird es ernst. Ich brauche eine neue Pressesprecherin. Wäre das etwas für dich?“

„Ob … ob  das was für mich wäre? Ja, ja, ja. Ich bin bereit! Ich gehe mit dir, wohin du willst, wenn es sein muss, bis ans Ende dieser Welt!“

Chantal fiel Elena noch einmal um den Hals.

Dann nahmen sie Aufstellung, bildeten einen Halbkreis, reichten sich die Hände und hoben sie gen Himmel.

Dann folgte der Schwur:

„Wir sind die Töchter der Freiheit, von dieser Stunde an unzertrennlich, uns verbindet mehr als jede Blutsbande, niemand kann uns jemals wieder trennen, auch wenn wir räumlich weit von einander entfernt sind. Wir sind eine Familie, wir sind Schwestern und Gefährtinnen für ewig, bis zu unserem Tod. Wir werden kämpfen für eine Welt der Freiheit, der Gleichheit, der Gerechtigkeit und Geschwisterlichkeit. Jeder Mensch in Not ist uns Bruder oder Schwester.

Wir werden uns niemals damit abfinden, dass es auf der Welt Ungerechtigkeiten gibt. Wir kämpfen für den Frieden, Krieg ist immer Unrecht, deshalb darf es keine Kriege mehr geben.

Wir kämpfen gegen die Ursachen von Krieg und Gewalt, gegen Hunger, Elend, gegen Ausgrenzung und Unterdrückung jedweder Art. Unser Ziel ist eine gewaltfreie, herrschaftslose Welt. Niemals sollen Menschen über andere Menschen herrschen.

Die Natur ist unsere Mutter, unsere Schwester und Freundin, sie zu schützen ist uns eine heilige Aufgabe. Denn die Natur braucht uns Menschen nicht, wir aber sind auf die Natur angewiesen. Wir brauchen sie wie die Luft zum Atmen.

Wir setzen heute den Anfang, es werden weitere zu uns stoßen und Aufnahme finden. Unser Bund ist offen für neue Ideen und Anschauungen.“

Dann knieten alle nieder und verharrten eine kurze Zeitspanne in andächtigem Schweigen.

Auch in den Reihen der Menschenmassen war es mäuschenstill. Es schien, als hätten die meisten begriffen, was hier gerade vor sich ging.

Elena nahm im Anschluss jede noch einmal in den Arm.

Da plötzlich, ein Blitz und ein an schließendes Donnergrollen. Ein Zeichen? Anarchaphilias Töchter hatte sich wiedergefunden. Die Amazonen waren auferstanden. Colette blickte in den Himmel und kniff die Augen zusammen, sie glaubte wieder jener Erscheinung teilhaftig zu werden die ihr schon einige Male begegnete. Da ritt sie, jene Kämpferin mit den kupferroten Haaren, die Elena zum Verwechseln ähnlich sah auf einem schwarzen Pferd und schien am Ende mit Elena zu verschmelzen.

Es folgte wieder stürmischer Beifall aus den Reihen der Versammelten.

 

Weit entfernt ganz im Norden des Landes saß Madleen vor dem Fernsehgerät und weinte bittere Tränen. Eines nur gab es, das sie in diesem Augenblick wollte, dazugehören. Sie wollte Teil dieser eingeschworenen Gemeinschaft sein. Da vorne stehen, neben Elena, die sie so sehr liebte und neben den anderen, die ihr Schwestern wären. Dort gehörte sie hin, dort würde sie ein Zuhause finden.

Doch sie war nicht dabei, sie saß hier in der Ferne, weit ab vom Geschehen, war nicht einmal Zaungast. konnte nicht einmal live erleben, was dort Geschichte machte.

Sie fühlte sich einsam verlassen und von allen missverstanden. Ihre Familie belächelte sie ob ihrer Schwärmerei für Elena und allem, was diese tat.

Warum durfte sie nicht dazugehören? Warum konnte sie nicht eine von ihnen sein? Mit diesen Frauen wollte sie leben, mit ihnen arbeiten, mit ihnen kämpfen, mit ihnen feiern.

Sie senkte den Blick und ließ die Tränen fließen

Niemals würde sie es schaffen,dorthin zu gelangen. Auf sie achtete  keiner. Sie wollte doch auch nur etwas Gutes tun, etwas, worauf sie mit Stolz blicken konnte, etwas, das den Menschen zugute kam.

Niemals? Sprich dieses Wort nicht aus, Madleen! Wer weiß, wozu du noch imstande bist.

Und am Ende könntest du alle aus stechen.

 

Ein Anderer fühlte sich in diesem Moment völlig deplatziert, Leander. Zwar hatte er durch seine Rede punkten können, doch jetzt stand er außen vor. Einer solchen Frauenpower hatte er nichts entgegenzusetzen. Brauchte ihn überhaupt noch einer? Ihm war ganz und gar nicht nach feiern zumute. Er wollte einfach nur noch weg.

Er griff nach seiner Aktentasche, klemmte sie unter den Arm und fuhr einfach nach Hause.