Das Beste kommt zum Schluss

 

Der Winter war vorbei. Zaghaft aber bestimmend begann der Frühling die Erde, die Tiere und Pflanzen und die Menschen von der starren Winternacht zu erlösen.

Die Sonne hatte jetzt, Anfang März schon ausreichend Kraft die Luft zu erwärmen, wenn auch noch dickere Kleidung von Nöten war.

Aufatmen überall. Endlich geschafft, endlich der Dunkelheit entronnen. Die Tage wurden wieder deutlich länger und gestatteten dementsprechende Aufenthalte im Freien.

Frühling in Anarchonopolis, das war seit je her etwas ganz Besonderes. Und nachdem sie im vergangenen Jahr darauf hatten verzichten müssen, genossen es die Freiheitstöchter auf ganz bewusste Art.

Schon fast vergessen war das Exil das hinter ihnen lag. Vergessen auch die Zeit der Trennung,

die Zeit der Ungewissheit.

Für Madleen hingegen begannen jetzt die schwersten Tage ihrer Schwangerschaft. Die Zeit der Niederkunft stand unmittelbar bevor. Ihr runder Bauch gestattet ihr kaum noch Aktivitäten, worunter sie sehr litt. Sie kam sich vor wie ein wandelndes Fass. Der Aufzug erlaubte ihr auch Aufenthalte im Freien, an der frischen Luft, doch die meiste Zeit verbrachte sie in der Wohnung.

Elena koordinierte ihren Terminkalender so dass sie möglichst viel Zeit mit ihrer Frau verbringen konnte. Das war nicht einfach zu bewerkstelligen, denn die politische Arbeit nahm viel Zeit in Anspruch. Aus diesem Grund war Elena froh, dass Larissa kaum noch von Madleens Seite wich und sie mit viel Liebe umsorgte. Unterstützt wurde sie dabei auch von Lucy, die ihr bereitwillig zur Hand ging.

Madleen war nie allein, für Elena sehr beruhigend zu wissen. Ständig war sie abrufbereit, denn sie wollte Madleen, wenn es soweit war, bei der Geburt ihres Kindes helfend zur Seite stehen.

Die Tage vergingen und der Druck steigerte sich enorm. Mehrmals schien es, dass die Wehen einsetzten, doch erwies sich das nach kurzer Zeit als falscher Alarm.

Endlich, an einem Samstagnachmittag schien der Augenblick gekommen.

Madleen war bereits am Vormittag auf die Krankenstation im Keller des Konventsgebäudes gebracht wurden.

Ein günstiger Tag, Elena hatte heute frei und keine Verpflichtungen andererseits.

Hektisches Treiben. Elena und Larissa waren anwesend, ferner hatten sich auch Madleens Mutter Annett eingefunden, sowie Betül, die alle eine medizinische Ausbildung hatten und entsprechend Erfahrung mitbrachten.

Sie hatten Madleen entkleidet und auf den Geburtsstuhl gesetzt. Immer heftiger meldeten sich die Wehen.

Madleen begann laut zu stöhnen und zu keuchen, der Schweiß rann ihr in Stöhnen von ihrem Körper.

„Wenn….wenn… ich gewusst hätte wie weh das tut, dann wäre….ich vorsichtiger gewesen

Warum nur musste ich diesen Dreckskerl Cassian auf mich lassen….ja…selber Schuld, nun….nun habe ich den Salat.“ Stotterte Madleen, dabei heftig nach Luft ringend.

„So ist das nun mal meine Tochter. Die Kerle haben ihren Spaß und weiter nichts. Die ganze Last trägt allein die Frau. Aber es hilft nichts, da musst du durch. Ich habe es viermal erlebt.

Klar beim ersten Mal ist es immer heftig. Beim nächsten Mal wirst du besser damit klart kommen.“ Klärte Annett die Tochter auf.

„B..beim nächsten Mal? Es…es…es ..gibt kein nächstes Mal. Die Kerle sollen mir gestohlen bleiben. Ahhh…..aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaahhhhhhhhhhhhhhhhh…..

„So ist es recht Madleen. Pressen, pressen ,pressen, immer fester.“

Wies Elena ihre Frau an, während sie deren Oberschenkel weit auseinanderpresste.

„Komm Larissa, wir nehmen Madleen gemeinsam in die Arme und geben ihr Halt.“

Meinte Annett und Larissa gehorchte auf der Stelle.

„Ahhh…..aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaahhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh….“ Schrie Madleen erneut mit schmerzverzerrtem Gesicht.

Annett befreite die Stirn der Tochter vom Schweiß.     

Madleen begann vor Verzweiflung wie wild um sich zu schlagen. Annett und Larissa griffen ihre Arme und hielten sie fest.

„Ruhig, ganz ruhig Madleen. Wir sind bei dir. Bald hast du es geschafft!“ Versuchte Larissa zu beruhigen.

„La…Larissa, mein kleiner Spatz!“ Madleen griff nach Larissa Hand, fest krallten sich die Finger ineinander.

„Atmen, atmen Madleen und immer wieder pressen, ganz fest!“ Rief Elena. Ihre Hand ruhte sanft auf Madleens Bauch, es schien der werdenden Mutter als sei tatsächlich eine gewisse Linderung dadurch hervorgerufen.

Doch dann fuhr erneut ein bohrender Schmerz durch den Bauch.

„Ahh……aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaahhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh….“

Madleens Schrei ging durch Mark und Bein.

„Es kommt Madleen! Mein Liebling, es kommt! Immer weiter pressen.“ Gab Elena zu erkennen.

Annett und Larissa hielten Madleen fest umschlungen.

„Ahhh….aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaooooooooooooooooooooooooooohhhhhh“

Ein kleines blutiges Bündel rutschte in Elena Hände, während Madleen völlig erschöpft in sich zusammensackte. Hastig schnappte sie nach Luft.

„Du hast es geschafft! Es ist da! Es ist da Madleen!“ Begeisterte sich Larissa.

„W…w…wirklich? Ich habs überstanden?“ Zweifelte Madleen völlig außer Atem.

„Ja, meine Tochter! Oh, ich bin stolz auf dich, meine Tapfere!“ Annett küsste die Tochter auf die Wange.

Elena hatte in der Zwischenzeit das Neugeborene gesäubert, die Nabelschnur fachgerecht durchtrennt und sogleich begann es zu wimmern.

Es offenbarte sich das Wunder, denn es bestand kein Zweifel. Es war…ein Junge.

Elena wusste es natürlich schon vorher, denn sie hatte mehrfach eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt, doch Madleen hatte darum gebeten, es nicht zu erfahren und auch den anderen nichts davon mitzuteilen.

Währenddessen säuberten Annett und Larissa Madleen und geleiteten sie ganz langsam in das Nachbarzimmer, dort wo ein bequemes Bett schon auf die stolze Mutter wartete.

Kurze Zeit später betrat Elena mit dem Kind im Arm den Raum.

„So, nun legen wir dich mal schön in die Arme deiner Mama.“ Elena reichte Madleen das Kind. Annett blickte darauf und erkannte sofort.

„Ein Junge Madleen. Es ist ein Junge. Nein, das ist ein Wunder. Ein Junge der in Anarchonopolis zur Welt kommt.“

Madleen griff nach dem Bündel und hielt es fest in den noch schwachen Armen.

„Du hattest sicher auf ein Mädchen gehofft?“ Erkundigte sich Larissa zaghaft.

„Ich nehme es so wie es kommt. Hauptsache es ist gesund. Ein kleiner Mensch ist in die Obhut unserer Kommune geboren. Das ist ein wunderbares Ereignis. Komm her, ich werde dich lieben. Jeden Tag aufs Neue. Ich wünsche dir alles Glück auf Erden. Sei willkommen in der Welt.“

Elena, Annett und Larissa rückten ganz nahe an die frischgebackene Mutter. Betül fotografierte die Szene.

„Und, es ist wirklich gesund?“ Wollte Madleen erneut wissen.

„So wie es aussieht, fehlt ihm nichts. Aber ich werde dein Kind, nein unser Kind noch einmal gründlich untersuchen, um sicher zu gehen.“ Beruhigte Elena.

 

Das Wunder von Anarchonopolis war gebrochen und durch ein neues Wunder ersetzt worden.

Das alte Wunder, das in der Zeit seid die Kommune bestand den Freiheitstöchtern ausschließlich Mädchen geboren wurden. Niemand hatte dafür je eine Erklärung finden können. 

Nun gab es einen neugeborenen Jungen. Madleen entschied ihm den Namen Daniel zu geben.

Ein Mädchen hätte wohl entsprechend Daniela geheißen.

Der Name war Zufall, doch er schien trotzdem mit Bedacht gewählt. Sogleich fühlte man sich an die biblische Geschichte von Daniel in der Löwengrube erinnert. Befand sich der kleine Daniel in einer solchen?

Er war in eine Welt geboren, die von Frauen bestimmt und geprägt war. Er würde als der einzige Junge unter lauter Mädchen aufwachsen. Ein gutes oder schlechtes Omen? War damit etwa am Ende ein Konflikt vorprogrammiert? Niemand vermochte das zu sagen.

Doch im Moment schien das noch weit entfernt.

Die Freude überstrahlte noch die Bedenken.

 

„Jetzt brauchst du erst mal Ruhe mein Liebling. Der Kleine ebenso.“ Elena nahm das Baby aus Madleens Händen und bettete es die kleine Wiege die schon bereitstand.

„Also wir gehen dann. Komm erst mal wieder richtig zu Kräften meine Tochter. Am besten versuchst du ein wenig zu schlafen. Ich komme später wieder.“ Stimmte Annett zu.

Larissa blickte zu Madleen, die ihr ein sanftes Lächeln schenkte.

„Komm Larissa!“ Forderte Annett, dann legte sie sanft ihren Arm um deren Taille. Gemeinsam verließen sie das Ruhezimmer.

 

Die Nachricht von der Geburt des kleinen Jungen verbreitete sich wie ein Lauffeuer.

Am Folgetag, einem Sonntag gaben sich die Freiheitstöchter und viele andere Bewohner der Abtei gleichsam die Klinke in die Hand, um Madleen ihre Aufwartung zu machen. Der Besucherstrom wollte kaum abebben, so dass Elena sich genötigt sah einzuschreiten, um ihre Frau nicht zu überlasten.

Am späten Nachmittag kehrte Madleen schließlich in die gemeinsame Wohnung, einige Stockwerke höher, zurück.

Noch immer fühlte sie sich etwas schwach, so dass sie noch weiter das Bett hütete, doch langsam kehrten die Kräfte wieder.

Tessas Interesse an dem kleinen Bruder war entsprechend groß. Sie wollte kaum von Madleens Seite weichen. Es war ihr Bruder, auch wenn die beiden nicht blutsverwandt waren.

Als die Nacht hereinbrach, bette sich Elena sanft an Madleens Seite. Sie lud Tessa ein sich in die Mitte zu legen. Madleen hielt den kleinen Daniel in den Armen. So verharrten sie eine ganze Weile.

Larissa spähte ganz vorsichtig durch den Türschlitz. Ein Bild des Friedens und der totalen Harmonie. Eine kleine Familie, Menschen die zusammengehörten. Eine Träne stahl sich aus Larissas Auge. Wie gerne würde sie sich jetzt dazulegen. Doch ihr war bewusst, dass das nicht möglich war. Damit würde sie eine Grenze überschreiten. In dieser Szene würde sie nur stören. Sie spürte ein Stechen im Herzen als sie leise die Türe hinter sich schloss.

Wieder einsam!

Doch lange quälte sie dieser Zustand zum Glück nicht. Denn sie spürte plötzlich wie sich zwei Arme um ihre Taille legten und sie sanft zu sich zogen.

Larissa schloss die Augen und ließ den Kopf nach hinten fallen.

„Ach Lucy, wenn ich dich nicht hätte!“

„Du hast mich! Ich weiß wie du dich jetzt fühlst. Aber keine Angst, Lucy ist stets zur Stelle wenn sie gebraucht wird. Ich bin für dich da.“

„Hmmm, dass tut gut zu hören!“

„ Komm mit rauf zu mir! Wir sind allein. Mein Vater hat sich in den Kopf gesetzt heute Nacht in der Eremo zu verbringen. Wir sind allein. Komm unter meine Decke, dann verwöhn ich dich, bis der Morgen kommt.“ Bot Lucy an und Larissa nahm das Angebot von Herzen an.

 

Nachdem Tessa in ihrem eigenen Zimmer zu Bett gegangen war und Elena das Neugeborene in die Wiege gebettet hatte zog sie ihr Nachhemd aus und bettet sich an Madleens Seite, die sich ebenfalls von ihrer Nachbekleidung befreit hatte.

Elena schlang behutsam ihren linken Arm um ihre Frau und zog sie zu sich, dann begann sie mit der rechten Hand ganz sanft den Körper zu streicheln. Durch die Haare über das Gesicht, die Brüste, den Bauchnabel, bis zu den Oberschenkeln.

Madleen genoss die Berührung nach den Strapazen des Tages ganz besonders.

„Nun? Wie fühlt es sich so als frischgebackene Mutter?“ Flüsterte Elena in Madleens Ohr.

„Erst einmal befreit, von der Last der letzten Monate. Endlich wieder frei bewegen und natürlich auch wieder richtigen Sex mit dir.“

„Das ist verständlich! Mir ging es damals mit Tessa ähnlich, obwohl die äußeren Umstände sehr dramatisch waren. Der Kleine wird in eine viel positivere Umwelt hineinwachsen können.“ Erwiderte Elena während sie mit dem Zeigefinger Madleens Bauchnabel kitzelte.

„Meinst du? Es ist ein Junge. Wird er sich zurechtfinden in dieser Frauen-und-Mädchenwelt?

Das geht mir seit der Geburt beständig durch den Kopf.“

„Du hast Recht. Vor lauter Euphorie habe ich das gar nicht einkalkuliert. Nun die nächsten drei-vier Jahre wird es nicht so auffallen. Doch je älter er wird…. Hm, kommt Zeit kommt Rat, da werden wir schon eine Lösung finden. Jetzt sollten wir uns damit noch nicht belasten.

Schlug Elena vor.

„Ich hatte es im Gefühl! Du hast es ja gewusst, von den Untersuchungen her. Ein Mädchen wäre natürlich einfacher. Sie könnte sich voll und ganz in die Gepflogenheiten der Freiheitstöchter einleben. Von Anfang an dabei sein, so wie die anderen Mädchen die von ihren Müttern in die Tradition geleitet werden. Bei ihm? Es wird schwierig.“ Beklagte Madleen erneut.

„Wie gesagt! Wir lassen uns Zeit. Es werden ja noch andere Kinder geboren, da werden doch mit Sicherheit Jungen dabei sein, die ihm als Spielkameraden zur Verfügung stehen.“ Versuchte Elena zu beruhigen, obwohl sie selbst nicht so recht daran glauben mochte. Das Mysterium von Anarchonopolis war nun mal Realität. Eine Realität die nicht zu erklären war.

„Ja und noch viel größere Angst habe ich wegen seines Vaters. Er ist der Sohn eines Schurken, eines Tyrannen, eines extrem negativen Charakters. Wie soll ich ihm das beibringen?“  Madleens Befürchtung war nicht von der Hand zu weisen. Sie überlegte eine ganze Weile bevor sie fortzufahren wagte.

„Ich werde es ihm niemals sagen! Vater unbekannt! Ich kann und werde ihn nicht mit dieser schlimmen Wahrheit konfrontieren.“ Ein eindeutiger Beschluss.

„Ich weiß nicht, ob ich dir in dieser Sache beipflichten kann. Nun, dass musst du entscheiden. Ich werde es akzeptieren, auch wenn ich es nicht für richtig erachte.  Die anderen werden sich ebenfalls daranhalten.“

„Niemals soll Cassians böser Schatten auf ihn fallen. Ich werde das mit allen Kräften zu verhindern wissen. Er ist mein Sohn und der deine. Wir werden ihn gemeinsam großziehen und in diesem Bewusstsein wird er aufwachsen.“

Madleen wurde energisch während sie das sprach.

„Aber natürlich! Genauso! Wir sind seine Familie, da gibt es die Mama Madleen und die Mama Elena und Tessa ist seine große Schwester. Ich werde ihn ebenso lieben wie du Tessa liebst.“ Stimmte Elena zu.

Elena platzierte sich nun ganz hinter Madleen und schlang ihre Arme und die langen Beine um deren Körper, dann begann sie sanft Madleens Brüste zu massieren.

„Aber ich habe Angst, dass Daniel charakterlich seinem Vater nachschlägt. Das wäre eine Katastrophe. Ich wage es mir nicht einmal auszudenken. Da wäre es sicher doch besser er wäre als Mädchen geboren.“

„Aber das hat doch nichts mit dem Geschlecht zu tun, Madleen. Auch ein Mädchen kann charakterlich dem Vater nachschlagen. Auch ein Mädchen kann negative Eigenschaften übernehmen sowohl vom Vater als auch von der Mutter. Da steckst du nicht drin. Es kommt auch auf die Erziehung an.“

„Und du glaubst das klappt?“

„Eine Garantie gibt es niemals! Aber werden versuchen ihn in aller Liebe und Akzeptanz zu erziehen. Cassian Schatten wird seinen Lichtschein nicht verdunkeln. Dafür werde auch ich mit sorgen.“ Entgegnete Elena.

Madleen streckte die Arme weit nach hinten und schlang sie dann um Elenas Schulter.

„Wir lassen uns von der Zeit führen. Sie wird wissen, was sie zu welchem Zeitpunkt im Gepäck für uns hat.“

   

Die Tage vergingen. Schließlich sah sich Madleen imstande langsam und mit Bedacht ihre Tätigkeiten wieder aufzunehmen. Elena war zunehmend mit ihrem politischen Tagesgeschäft beschäftigt. Begleitet wurde sie dabei zumeist von Dagmar, die im Begriff war sich zu ihrer rechten Hand zu entwickeln, was die politischen Belange betraf.

Somit hatte auch Annett genügend Zeit sich um ihre Tochter und den Enkelsohn zu kümmern.

Tatkräftig unterstützt von Larissa und Lucy.

Nach einem kurzen Intermezzo kehrte der Alltag zurück.

Der Frühling eroberte weiteres Terrain und vertrieb die letzten Spuren des Winters vollständig.

Zeit des Aufbruchs.

Die politische Situation im Lande hatte sich stabilisiert. Noch immer amtierte die provisorische Übergangsregierung. Vor einigen Wochen war sie durch Vertreterinnen und Vertreter aus Anarchonopolis erweitert worden.  Elena gehörte nun wieder dazu, ferner Alexandra, Dagmar, Inga, sowie Ronald Folko und Lars. Auch Neidhardts ehemaliger Stellvertreter Dagobert wurde wieder mit ins Boot geholt. Gabriela verzichtete wie vereinbart, um sich ganz auf ihre wissenschaftliche Arbeit zu konzentrieren. Die Verhandlungen waren, wie befürchtet ins Stocken geraten.

Die Situation glich im Grunde jener aus der Zeit nach Neidhardts Rücktritt, als die Freiheitstöchter schon einmal in die Verantwortung katapultiert wurden. Nur das sie heute nicht die Hauptverantwortung zu tragen hatten, ein Umstand wofür Elena sehr dankbar war.

 

Auch die Tatsache, dass sich die Vertreter und Vertreterinnen einer radikalen Akratie weitgehend zurückhielten kam der Situation zu Gute. Das war vor allem Dagmar zu verdanken, die ihre Anhängerschaft davon überzeugen konnte, dass der Moment zur Ausrufung der Akratie sehr unpassend war und abwarten die beste Lösung schien.

Cassians zählte noch immer viele Parteigänger, doch die wagten nicht sich mit den Militärmachthaber anzulegen. Noch ein Pluspunkt also.

Trotzdem lag eine Spannung in der Luft, da die Verhandlungen ins Stocken geraten waren.

Streitpunkt war nach wie vor die Frage, wie eine neue Regierung zustande kommen sollte.

Natürlich durch freie Wahlen, das war nahe liegend, doch barg es auch die Gefahr, dass viele dadurch zu Verliererinnen und Verlierern wurden.

Colette stellte in ihrer Funktion als Staatoberhaupt, die die Bezeichnung Königin weiter- führen durfte, eine wichtige Scharnierfunktion dar. Eine Volksabstimmung hatte ein eindeutiges Votum ergeben. Ein großer Erfolg für die Freiheitstöchter.

 

Ein weiterer Erfolg war, dass sich auf den untersten, kommunalen Ebenen schnell basisdemokratische Strukturen entwickeln konnten. Die Menschen zeigten sich überraschend aufgeschlossen dafür. Die negativen Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit schienen weitgehend vergessen.

   

Die Freiheitstöchter hatten kürzlich auf einem Plenum beschlossen die Fehler von früher zu vermeiden und sich nicht wie zu jener Zeit abzuschotten. Eine Form der Öffnung bestand zum Beispiel darin Außenposten zu erreichten, um besser im ganzen Land präsent zu sein.

Dafür kam etwa Neidhardts Bunker in Frage, dort sollten sich abwechselnd immer Vertretrinnen der Schwesternschaft aufhalten. Ferner auch jenes Objekt das Dagmars ehemaligen militanten Anhängerinnen als Unterschlupf gedient hatte. Ein Seminargebäude, dass reichlich Platz bot. Es versteht sich das Dagmar selbst in nächster Zeit kaum dorthin zurückkehren wollte, zu stark waren die traumatischen Erinnerungen noch in ihr.

Annetts Bauerngehöft im Norden des Landes kam ihr hingegen sehr gelegen. Auch das wurde auserkoren als zukünftiger Außenposten zu fungieren.

 

Annett fieberte dem Tag entgegen, da sie endlich wieder ihr altes Heim aufsuchen konnte.

Dagmar hatte sich ein paar Tage frei genommen, um sie dorthin zu begleiten.

Annett konnte es gar nicht erwarten ihrer jungen Lebensgefährtin jenen Ort zu zeigen, der ihr Jahrzehntelang ein zuhause war.

Das Gehöft lag wie bekannt recht abgelegen, somit brachen mit den beiden auch einige der neuen Volontäre auf, um in ihrer Nähe zu sein, aber auch um ein paar handwerkliche Arbeiten zu verrichten.

Auch Laura und Cathy waren dabei. Wie immer fühlte sich Laura auf irgendeine Art und Weise für Dagmar Sicherheit verantwortlich.

Als der Kleinbus schließlich auf das Gelände fuhr weitete sich Annett`s Herz. Endlich wieder mal daheim. Wenn sie die Abtei inzwischen ebenfalls ihr zuhause nannte.

Sie entstieg dem Fahrzeug blickt sich um und atmete mehrmals tief ein und aus.

Dagmar trat zu ihr, Annett umfasste deren Taille und zog sie sanft zu sich.

„So, dann wollen wir mal. Ich hoffe es wird dir gefallen!“

„Ich denke schon!“ erwiderte die Angesprochene. „Ich kann mir nicht helfen, aber es kommt mir auf eigenartige Weise bekannt vor. Und das obwohl ich noch nie hier war. Also von außen betrachtet ist es schon mal sehr schön!“

 

Hand in Hand schritten sie in den kleinen Innenhof, traten schließlich in den Flur.

Dagmar blickte sich um. Die rustikale Aufmachung machte einen guten Eindruck auf sie.

„Komm erst mal mit in die Küche!“ Schlug Annett vor, Dagmar folgte.

„Na, wie gefällt dir unsere Bauernküche?“

„Hey toll! Gefällt mir ausgezeichnet!“

„Setz dich! Mach es dir bequem! Es wird von nun an auch dein Zuhause sein. Ich koche uns erst mal einen Kaffee!“ Meinte Annett und machte sich sogleich in der Küche zu schaffen, die sie so vorfand, als habe sie die vertraute Umgebung gestern erst verlassen.

Dagmar nahm auf einem Küchenstuhl Platz und schaute sich weite rum.

Nach einer Zeit trat Annett an den Tisch und setzte sich ebenfalls.

„Schön das es dir so gut gefällt. Ach ich freue mich so mit dir hier leben zu können. Ein großer Wunsch ist damit in Erfüllung gegangen.“

„Ich freue mich auch. Aber es wird ja nicht von Dauer sein. Die Aufgaben die mich erwarten.

Elena möchte mich ganz in ihrem Stab.“ Erinnerte Dagmar an die Tatsache.

„Natürlich! Das ist doch klar. Ich freue mich doch für dich. Dort ist dein Platz. Entschuldige, ich sprach wieder mal aus der Perspektive der Ruheständlerin.“

„Alles in Ordnung Annett, jetzt sind wir erst mal hier und ich werde die freien Tage mit dir genießen.“

Annett erhob sich, um den Kaffee zu bringen. In eine große Porzellanschüssel schüttet sie dir Plätzchen, die sie gestern noch gebacken hatte.

„Gut das ich daran gedacht habe, dann haben wir gleich was zum knabbern.“

Annett schenkte die Tassen voll.

„Wenn wir fertig sind zeige ich dir gleich den Rest des Hauses und natürlich auch das ganze Gelände darum.“

Die Türe ging auf und Laura und Cathy betraten die Küche.

„Kommt und setzt euch ich habe euch schon mit eingeplant. Der Kaffee reicht auch für euch.“ Lud Annett ein.

„Danke! Nehmen wir gerne an!“ erwiderte Laura wie immer kurz und bündig.

„Sieht noch alles so aus wie wir es verlassen habe. Mensch, wenn ich daran denke, da wird mir noch immer mulmig zumute.“ Meinte Cathy nachdem sie Platz genommen hatte.

„Naja, solange ist das doch noch gar nicht her. Was soll sich in so kurzer Zeit verändert haben?“ Wollte Laura wissen.

„Komisch, mir kommt es wie eine halbe Ewigkeit vor, wie ein Erlebnis aus fernen Tagen.“

Stellte Cathy fest.

„Nun, auf irgendeine Art ist es das ja auch. Bedenkt doch, was sich seither alles geändert hat.

Zum Guten, Gott sei dank“

 Glaubte Annett zu wissen.

„Ja, das ist wunderbar. Wenn ich bedenke, welch bedrückenden Stimmung damals herrschte als wir hier waren. „ Holte Cathy die Vergangenheit noch einmal hervor.

„Eine gedrückte Stimmung?“ Dagmars Frage kam überraschend.

„Nun ja, wegen…dir vor allem. Laura und ich waren frei, wenn ich auch eine Verwundung davontrug. Die heilte recht schnell. Aber eine schwere Last lag auf unser aller Seelen. Du warst in Gefangenschaft. Das hat uns sehr belastet.“ Sprach Cathy und senkte danach den Kopf, weil sie fürchtete schon wieder etwas Falsches gesagt zu haben

„Es ist vorbei. Last die Dämonen der Vergangenheit ruhen. Wir sollten die Zukunft im Visier haben und uns freuen, dass wir alles glücklich hinter uns gelassen haben.“ Meinte Laura.

„Das denke ich auch!“ Stimmte Annett zu.

„Ich meine Cathy hat Recht. Für mich ist es noch immer nicht vorbei. Die Dämonen melden sich von Zeit zu Zeit in mein Bewusstsein. Es ist richtig offen darüber zu sprechen, dann wenn Zeit dafür ist. Jetzt aber möchte ich erst mal hier ankommen und alles auf mich wirken lassen.“ Entgegnet Dagmar

„Ihr kennt euch ja schon aus. Ich bin das erste Mal hier.“

„Apropos, Laura und Cathy, ihr werdet verstehen, dass ihr diesmal mein Schlafzimmer nicht benutzen könnt. Das brauche ich selbst, für mich und meine Daggi. Aber das Gästezimmer ist ebenso schön und gemütlich.“ Wies Annett auf den Umstand hin.

„Natürlich! Ist doch klar! Ganz egal wo wir auch schlafen, schön ist es überall.“ Stimmt Cathy zu.

 

Nachdem alle ausgetrunken hatten, verstreute sich die kleine Runde. Die zwei Paare nahmen die Umgebung getrennt voneinander in Augenschein.

Annett führte Dagmar zunächst durchs Haus und zeigte ihr alle weiteren Zimmer. Im Anschluss wanderten sie Hand in Hand über das Gelände.

 

Der Abend kam schnell, es war Anfang April, die Tage wurden zwar deutlich länger, aber noch war kein Sommer.

Rückzug. Alle waren müde und begaben sich früh zu Bett.

Nun war für Annett der große Augenblick gekommen. Sie betrat mit Dagmar ihr Schlafzimmer. Das große rustikale und bequeme Doppelbett wartete schon. Hier, wo sie so viele Jahre mit ihrem Mann Thorwald geschlafen hatte, jener wuchtige, stämmige und bärtige Landwirt, ihr alter Brummbär, wie sie ihn liebevoll zu nennen pflegte, würde sie nun den geschmeidigen, sportlichen Körper einer jungen, schönen Frau neben sich spüren. Annett spürte die Erregung in jeder Faser ihres Leibes. Komisch, hatte sie doch in den zurückliegenden Wochen in der Abtei ausgiebig die Liebe und Zärtlichkeit ihrer Gefährtin genießen dürfen. Die Umgebung machte den Unterschied. Hier war es wieder ganz anders als in Anarchonopolis. Es war ihr Reich, ihr Lebensmittelpunkt für fast ein ganzes Leben.

Hier hatte sie gewirkt, an der Seite ihres Mannes, hatte ihre drei Söhne und die Tochter Madleen großgezogen, jene Tochter, im gleichen Alter wie die Frau mit der sie sich gleich im Liebesakt miteinander verbinden würde.

Alles war so anders. Annett war sich der Trageweite wohl bewusst.

Sie hatte sich schon zurecht gemacht und war unter die Decke gekrochen. Dagmar war noch im Badezimmer, erschien dann im Zimmer und zog den Bademantel aus. Ihr wohlgeformter Körper glänzte im Schein der Nachttischlampe.

„Wunderschön! Du bist wunderschön! Komm! Komm unter meine Decke!“ Lud Annett ein.

Und schlug die Steppdecke beiseite.

Schwungvoll ließ sich Dagmar auf dem Bett nieder und krabbelte sogleich in die Arme ihrer Geliebten.

Es folgte ein leidenschaftlicher Kuss.

„Oh was bin ich doch dankbar, dass du in mein Leben getreten bis mein tapferes Mädchen.“

Weit öffnete sich Dagmars Herz um Annette Liebe aufzunehmen.

„Ja, mir geht es genauso. Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, wie es ohne dich war. Ich schwöre dir dich nie allein zu lassen. Mein ganzes Leben möchte ich bei dir bleiben.“ Versprach Dagmar den heiligen Eid.

Dann schlangen sie die Arme umeinander und liebten sich voller Sanftheit bis sie in einen Schlummer fielen.

 

Doch die Dämonen der Vergangenheit, von denen Dagmar noch am Nachmittag gesprochen hatte gaben auch in dieser Nacht keine Ruhe und fielen in aller Heftigkeit über sie her.

Der Alptraum, der sie heimsuchte war schrecklich.

Schweißgebadet warf Dagmar den Kopf hin und her.

„Julia…bitte bleibt hier….nicht…ich habe  mich geirrt…. Ihr lauft in euer Verderben. Oh….nein…es ist meine Schuld,…ich bin Schuld an eurem Tod….ich…ich…ich…..

Komme da niemals drüber weg….niemals drüber weg…..““

„Daggi, Daggi , mein Liebling. Komm zu dir! Wach auf.“ Drang da eine Stimme zu ihr.

Hastig öffnete Dagmar die Augen. Sie atmete voller Hektik ein und aus.

Annett hielt sie in den Armen und streichelte ihren Kopf.

„Ruhig! Ganz ruhig, Dagmar! Es ist vorbei! Ein Traum! Nur ein böser Traum. Du bist in Sicherheit! Du bist bei mir, in meinen Armen. Niemand kann dir irgend etwas böses tun!“

„Ich…ich komme da niemals drüber weg!“ Brach es aus Dagmar heraus.

„Jaaa! Ich weiß! Es ist ein weiter Weg. Aber du wirst es schaffen. Du wirst dich von den Dämonen befreien, ich bin bei dir, alle Tage, solange ich lebe.“ Sprach Annett voller Sanftmut zu ihrer Geliebten während sie mit der Handfläche über Dagmars Wangen strich. Danach mit dem Zeigefinger über die Stirn, die Nase, den Mund bis zum Hals.                                                                                                

„Annett?“ Dagmar schien erst jetzt zu sich zu kommen.

„Ja, ich bin`s, mein Mädchen!“

„Es geht schon wieder! Ich…ich bin in Ordnung. Alles gut! Ein Traum, ein schlimmer Alptraum. Ich sah meine Gefährtinnen, wie sie in den Tod liefen, in die Gewehrsalven und Cassian stand dabei und sein höhnisches Gelächter drang zu mir herüber. Ich wollte Julia fassen, doch ich verlor sie aus den Augen. Sie sind tot, alle tot. Nur Laura und Cathy sind mir von der alten Gruppe noch geblieben. Oh Annett, ich komm da niemals drüber weg!“

Dagmar begann zu weinen. Annett zog sie noch enger zu sich, schlag die Arme um deren Oberkörper.

„Psssssss. Jaaa, lass es raus Dagmar, lass es raus sonst erdrückt es dich. Alles wird gut! Glaub mir alles wird gut!“

„Oh Julia, Julia! Ich habe sie einmal so geliebt. Wir trennten uns im Streit. Nun ist sie tot und ich kann mich nie mehr mit ihr versöhnen.“ Schluchzte Dagmar in Annette Arme.

Was könnte Annett darauf erwidern? Sie wusste darauf keinen Rat und zog es vor zu schweigen. Stattdessen antwortete sie mit Zärtlichkeit und Einfühlungskraft. Küsste Dagmar und streichelte sie noch intensiver.

Nach einer gewissen Zeit beruhigte sich Dagmar. Sie kroch noch näher zu Annett, suchte deren Brust, um schloss die linke Brustwarze mit ihrem Mund und begann ganz sanft daran zu lutschen. Annett war tief gerührt von dieser Geste des Vertrauens und der grenzenlosen Zuneigung und ließ sie gewähren.

Nach einiger Zeit schliefen sie erneut ein und fielen in bessere, positive Träume.

 

Der folgende Tag begann mit einem herzhaften Frühstück in der Bauernküche. Annett ließ es sich nicht nehmen „Ihre Mädchen“ zu bewirten und zu verwöhnen, auch wenn diese bekundeten ihr helfend zur Hand gehen zu wollen.

Annett fühlte sich wie ein Fisch im Wasser. Die Frauen, die ausnahmslos ihre Töchter sein könnten, waren ihre Freundinnen, waren ihre Familie. Der Alterunterschied war so gut wie ausgeglichen.

Dagmar fühlte sich nach eigenem Bekunden wieder Ordnung und in der Lage am Alltag teilzunehmen, auch wenn Annett da noch ihre Zweifel hegte.

Nach dem Frühstück brach Annett gemeinsam mit ihrer Geliebten auf um ihr die Umgebung zu zeigen. Die Bewegung an der frischen Luft tat beiden gut.

 

Zwei Tage später füllte sich das Gehöft noch mehr. Madleen hatte sich mitsamt des kleinen Daniel angesagt, begleitet natürlich von Larissa. Ferner kamen auch Madleens Bruder Robert und dessen Frau Valeria mit hierher, sowie zwei der neuen Volontärinnen, die bekundet hatten den Ort gerne kennen zu lernen. Es gab auch einiges zu tun, denn immerhin war der Hof lange Zeit unbewohnt. 

Elena kam nicht mit, einmal der politischen Geschäfte wegen, andererseits wollte sich einige Tage ganz Neidhardt zuwenden, den sie, nach eigener Auffassung in letzter Zeit vernachlässig hatte. Gemeinsam mit Tessa und Lucy würde nun dieser Teil ihrer Familie in den Vordergrund rücken.

Tessa wäre viel lieber mit ihrer Mama Madleen und dem kleinen Brüderchen auf den Hof der Großmama Annett gefahren, hatte sich aber dann damit abgefunden. Dies lag vor allem an Lucy, die in der Zwischenzeit so etwas wie eine große Schwester für Tessa geworden war und deren Aufmerksamkeit genoss.

Lucy vermisste Larissa und Larissa vermiste Lucy. Die kurzzeitige Trennung bot beiden die Gelegenheit ihren jeweiligen Göttinnen noch einmal ganz nahe zu sein. 

 

Für Annett brachte der Zuwachs zunächst eine Mehrbelastung, denn sie fühlte sich nun wieder voll für Madleen und deren Sohn verantwortlich und war stets bemüht die beiden so gut es eben ging zu bemuttern.      

Doch Hilfe stand bereit. Larissa half fleißig im Haushalt mit und war Annett eine große Stütze, auch Cathy beteilige sich dort, während Laura gemeinsam mit Robert, Valeria, Dagmar und den Volontären das Gelände wieder ein wenig auf Fordermann brachten.

Die Arbeit machte allen Spaß, die willkommene Gelegenheit dem politischen Alltagstreiben in Anarchonopolis für kurze Zeit zu entfliehen.

 

Am zweiten Tag nach Madleens Ankunft ruhten die Aktivitäten. Nach getaner Arbeit genossen alle die Stille in der nun immer deutlicher erwärmten Aprilsonne.

Das gute Wetter lud nach draußen ein. Annett verwöhnte ihre jungen Leute mit einer selbstgebackenen Torte.

Madleen lag mit Dagmar im Gras auf der Wiese direkt neben dem Eingang und tauschte sich mit ihr in einem intensiven Gespräch aus. Annett bereitete gemeinsam mit Larissa und Cathy die Kaffeetafel.

„Hey Madleen! Aber, aber! Du wirst mir die Dagmar doch wohl nicht ausspannen wollen?“ Rief Annett der Tochter mit ironischem Unterton zu und hob dabei den Zeigefinger.

„Keine Sorge Mutti. Ich bin mit Elena und Larissa gut ausgestattet.“ Antwortete die Tochter.

„Und ich mit dir!“ Schloss sich Dagmar an und warf Annett eine Kusshand zu.

Die beiden erhoben sich und schritten auf den gedeckten Tisch zu.

„Nun, gesetzt den Fall Elena und Larissa währen nicht vorhanden, würde ich durchaus um die Hand dieser wunderbaren Frau kämpfen, der tapfersten von uns allen, selbst mit meiner eigenen Mutter.“ Gab Madleen zu verstehen nach dem sie Platz genommen hatte.

„Na, das glaub ich dir aufs Wort. So nun esst erst Mal. Ich hoffe die Torte schmeckt euch auch.“ Entgegnete Annett.

„Du wolltest uns doch noch etwas berichten, über die neusten Entwicklungen in Sachen Regierungsbildung.“ Erinnerte Laura Madleen.

„Ach ja, natürlich! Also der Stand von gestern, als wir uns gerade in Bewegung setzten.

Die wären tatsächlich bereit Elena als Kanzlerin einzusetzen, natürlich auch nur übergangsmäßig, bis zu eventuellen Wahlen. Damit verbunden der schrittweise Rückzug der Militärs aus der Verantwortung.“ Klärte Madleen auf.

„Wirklich? Na das wäre doch großartig. Dann hätte sie es also wieder einmal geschafft.“ Begeisterte sich Cathy.

Doch Dagmar konnte ihr da nicht beipflichten.

„Da wäre ich mir ganz und gar nicht sicher. Da liegt die Gefahr, dass die Militärs einfach nur ihre Verantwortung loswerden wollen und Elena und die ganzen Freiheitstöchter die alleinige Verantwortung aufgebürdet bekommen. Ich wäre da sehr, sehr vorsichtig.“

„Hat Elena schon entschieden?“ Wollte Annett wissen.

„Nein, aber sie liegt hier mit Dagmar gleich auf. Sie sieht es ähnlich und hat sich erst mal mehrere Tage Bedenkzeit ausgebeten. Sie möchte unserer aller Meinung hören und in ihre Entscheidung einbeziehen.“ Antwortete Madleen während sie sich ein Stück Torte auf den Teller schaufelte.

„Das war sehr klug von ihr!“ Freute sich Dagmar.

„Ja, sie möchte unsere Rückkehr abwarten. Vor allem deine Dagmar. Du sollst auf jeden Fall mit deinen AnhängerInnen Rücksprache halten.“ Erwiderte Madleen.

„Hat man schon in Erfahrung gebracht wie sich Cassians Anhänger verhalten. Die zeigen sich erstaunlicherweise ruhig. Zu ruhig würde ich sagen, das erscheint mir allemal verdächtig.“ Warf Laura ein.

„Nein, die haben auch noch keine Stellung bezogen. Sie stehen unter Beobachtung. Haben offiziell eine Parteigründung angemeldet. Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn sie sich denn loyal zu dem neuen Gemeinwesen verhalten.“ Gab Madleen zur Antwort.

„Politik, Politik und nochmals Politik. Die verfolgt uns bis hierher. Wir sind eigentlich hierher gekommen um zu entspannen, vergesst das nicht.“ Mahnte Annett.

„Aber auch, um uns mit den Menschen hier vor Ort auszutauschen. Über das was sie von der ganzen Situation halten. So habe ich das in Erinnerung.“ Meldete sich schließlich Larissa zu Wort.

„Sehr richtig Larissa! Das werden wir auch tun. Gleich morgen werde ich die örtlichen Initiativen aufzusuchen. Wenn du magst kannst du mitkommen, ihr anderen natürlich auch.“

Schlug Dagmar vor.

„Ja, gerne. Ich wäre da auch dabei.“ Bot sich Cathy an.

Sie setzten die Kaffeetafel fort, die Gespräche kreisten dann nicht mehr nur ausschließlich um Politik.

Annett bemerkte das Dagmar dem Anschein nach mit der Abgeschiedenheit hier nicht so recht klar zu kommen schien. Sie war eben eine Kämpferin durch und durch. Ihr derzeitiges Schlachtfeld war die politische Arena. Annett würde damit leben müssen, wenn sie dauerhaft mit Dagmar zusammenbleiben wollte. Sie war dazu bereit, doch es war nicht einfach.

Zudem hatte Annett das Gefühl, dass Dagmar irgendetwas mit sich herumtrug, ein Art Geheimnis über das sie nicht gerne sprach, etwas dass auf ihrer Seele lastete.

Sie beließ es zunächst dabei. Hielt es aber für angebracht es bald auszukundschaften.

 

In Anarchonopolis gingen derweil die Vorbereitung für das große Frühlingsfest voran.

Die Schwestern hatten dafür das Osterfest auserkoren, das in diesem Jahr sehr spät, also Ende April begangen wurde. Sie hofften auf eine gute Wetterlage und die schien sich auch, nach allen Prognosen zu bestätigen.

Die Freiheitstöchter sowie die zahlreichen Volontärinnen und Volontäre waren eifrig damit beschäftigt das Gelände herzurichten. Es wurden zahlreiche Besucher aus dem In-und-Ausland erwartet. Die ersten Gäste würden in Bälde hier eintreffen.

 

Colette, Betül, Androgyna und einige andere waren an diesem Samstagmorgen damit beschäftig alles genau unter die Lupe zu nehmen, was sich an Vorbereitungen bisher getan hatte. Sie konnten sehr zufrieden sein. Alles lief wie am Schnürchen.

Als sie nach außen vor Eingangstor traten und über den großen Parkplatz blicken bog gerade ein Kleinbus von der Straße her ein. Colette, in ein Gespräch mit den anderen vertieft, hatte das Fahrzeug dennoch im Blick. Es waren wieder Besucher, die schon vorzeitig angereist waren, um die Tage vor Beginn des Festes noch in Ruhe zu verbringen.

Da plötzlich fiel Colettes Blick auf die junge Frau, die dem Fahrzeug gerade entstieg und ihr Herz weitete sich bei deren Anblick.

„Aber das ist doch….Sie mal Androgyna, erkennst du sie wieder. Das ist Eichhörnchen!!!

Ich glaub es nicht. Sie ist tatsächlich gekommen.“

Colette eilte umgehend auf die Neuankömmlinge zu, Androgyna folgte.

„Eichhörnchen! Das ist eine Freude!“ Colette breitete die Arme aus.

„Colette!“ Eichhörnchen tat es ihr gleich und die beiden viele sich in die Arme.

„Ich freue mich dich wieder zusehen Colette und auch euer kleines Paradies kennen zu lernen.“ Meinte Eichhörnchen.

„Oh, meine Freude ist riesengroß. Noch vor ein paar Tagen sagte sich zu Androgyna. Unsere Gemeinschaft ist noch nicht komplett. Erst wenn Eichhörnchen aus dem Hambacher Forst zu uns stoßt, dann sind wir wirklich vollständig.“ Begeisterte sich die Königin.

Nun begrüßten auch Androgyna und Eichhörnchen einander.

 

Eine andere Frau aus dem Bus gesellte sich hinzu.

„Darf ich vorstellen? Das ist Olivia, meine Frau. Ich bin sehr glücklich, dass ich sie überreden konnte mich zu begleiten. Sie hat auch großes Interesse für eure Gemeinschaft.“

Colette begrüßte auch Olivia.

„Ich grüße dich Olivia. Eichhörnchens Gefährtin ist uns ebenso willkommen. Und hat selbstverständlich ihren Platz bei uns.“

„Ich bin auch erfreut, dich wieder zusehen, Königin von Akratasien. Ich kenne dich aus dem Hambacher Forst. Ich habe deine Worte gehört und die bewegen mich seit jenen Tagen. Nun stehen wir uns endlich mal gegenüber.“ Antwortete Olivia.

„Ja, kommt erst mal mit rein. Wollte ihr euch zunächst ein wenig ausruhen, oder möchtet ihr das Gelände schon ein wenig in Augenschein nehmen?“ wollte Colette wissen.

Sie entschieden sich für Letzteres.

Langsam schritt die kleine Gruppe über das Gelände und bewegte sich auf den dichten Wald zu und die schroffen Berge die mit steinerner Kraft in den Himmel ragten.

„Wau, das ist ja phantastisch hier. So schön habe ich es mir gar nicht vorgestellt. Hier scheint die Natur noch gesund und in bester Ordnung.“ Begeisterte sich Eichhörnchen.

„Ja, das ist die in der Tat.“ Stimmte die Königin zu. In der Zwischenzeit waren sie am Garten angelangt, der die Einsiedlerhäuschen umgab.

„Ich hatte gerade einen spontanen Einfall was eure Unterbringung betrifft. Wie wäre es, wenn ihr in eines der Einsiedlerhäuschen zieht? Wir haben die erst vor wenigen Tagen frisch renoviert, die haben jetzt Strom, Heizung und fließend Wasser. Wäre das etwas für euch?“

„Hey toll! Natürlich! Olivia, was meinst du?“

„Ich finde es auch schön. Ich wäre dabei!“ 

 

„Wunderbar! Ja, ich dachte mir, dass es für dich, natürlich für euch geeignet ist. Kommt erst mal rein.“ Colette führte sie in den Innerbereich einer Eremo.

„Seht ihr? Ein zweistöckiges kleines Haus, bietet durchaus viel Platz, auch für zwei Personen. Die Innenausstattung, wie schon sagte, auf dem neusten Stand. Ein kleiner Garten darum und da wir jetzt in den Frühling gehen, gut zu nutzen. Die Außenmauer ist 2m hoch und grenzt direkt an den Wald. Die müsstet ihr nur überwinden, aber da sehe ich für zwei begabte Kletterer kein Problem.“

„Nein, vor so einer Mauer fürchte ich mich wahrlich nicht.“ Stimmte Eichhörnchen zu.

„Mein kleines Eichhörnchen hat schon ganz andere Hindernisse überwunden. Nicht war?“ Olivia legte zärtlich den Arm um ihre Frau.

„Dann viel Spaß mit dem neuen Zuhause. Ach ja, die Nachbarschaft. Drei Häuser sind schon bewohnt, eures wäre dann das vierte. Eins habe ich für mich, als Rückzugsort. Eines der wenigen Privilegien die ich als Königin in Anspruch nehme. Ein weiteres bewohnt Neidhardt, der Name ist euch sicher bekannt?“

„Ja, wir wissen wer er ist. Wir haben uns mit der Geschichte eures Landes vertraut gemacht.“ Bestätigte Olivia.

„Er nutzt sie auch nicht durchgehend. Ich denke aber, dass er sich im Frühling nun häufiger hier aufhalten wird. In der dritten wohnt Pater Liborius der letzte der von der alten Mönchsgemeinschaft übriggeblieben ist, die hier früher lebte und der nun bei uns wohnt.

Eine weitere wird demnächst bezogen, von Sheikh Abdul, Betüls altem Sufimeister, der sich auch dauerhaft bei uns niederlassen möchte. Das steht schon fest. Damit hätten wir einen Vertreter des sufistischen Islam bei uns.“

„Und die anderen. Wer wird die in Besitz nehmen?“ Fragte Eichhörnchen nach.

„Da sind wir noch in Verhandlungen. Da wäre z.B. ein berühmter buddhistischer Mönch und Weisheitslehrer, der Interesse angemeldet hat. Auch ein jüdischer Rabbi, Vertreter der mystischen kabbalistischen Richtung würde sich gern hier niederlassen. Wann die hier eintreffen, steht aber noch nicht ganz fest.“

„Das hört sich interessant an. Da wären wir ja in ganz besonderer Gesellschaft.“ Stellte Olivia fest.“ Ich frage mich nur ob wir da hineinpassen. Wir, ein lesbisches Pärchen, meine ich. Und Eichhörnchen als Baumbewohnerin und leidenschaftliche Anarchistin?“

 

„Oh, da würde ich mir keine Gedanken machen. Wir sind hier in Akratasien, da passt alles zusammen. Wenn nicht wird es eben passend gemacht, wie wir immer zu sagen pflegen.“ Beruhigte die Königin.

„Ich habe mit denen keine Probleme. Ich achte alle für ihre Meinung. Natürliche möchte ich, dass sie meine ebenso achten.“ Erwiderte Eichhörnchen.

„Ich denke, dass du Eichhörnchen sehr gut in diese Gesellschaft passt, du eine echte Naturmysikerin, von dir können einige noch was lernen.“ Sprach Colette.

„Mein Eichhörnchen hat noch so manche Fähigkeiten, von denen viele nichts wissen.“ Olivia schlang ihre Arme um ihre Geliebte.

„Übrigens, wenn du magst kannst du dir gerne auf einem der Bäume ein Baumhaus errichten. Das wäre toll. Alles was du brauchst, Bauholz, Werkzeug und auch die entsprechende Einrichtung, bekommst du von uns.“ Bot Colette spontan an.

„Wau, wirklich? Hey das wäre was. Da sag ich natürlich ja. Mensch, Olivia, da fühle ich mich gleich richtig zuhause.“ Begeisterte sich Eichhörnchen.

„Das seid ihr! Das seid ihr hier auf jeden Fall. Apropos, wie lange möchtet ihr denn überhaupt bleiben?“ erkundigte sich die Königin.

„Nun, wir haben alles offengelassen. Ich bin beurlaubt von meinem Beruf. Ich muss mich nicht unter Druck setzen. Ja und Eichhörnchen ist ja eh unabhängig. Es kommt ganz darauf an. Ich werde dann irgendwann eine Entscheidung treffen müssen.“ Klärte Olivia auf.

„Bleibt solange wie ihr wollt und könnt. Kurze Zeit, längere Zeit, für immer? Uns ist alles recht. Letzteres würde mir natürlich besonders gefallen.“ Entgegnete Colette.

„Ich würde gerne länger bleiben. Aber ich richte mich nach Olivia. Sie soll nicht meinetwegen ihre Karriere aufgeben. Das möchte ich nicht. Wenn sie zurück will dann werden wir das machen.“ Meinte Eichhörnchen.

„Meine Karriere ist nicht wichtig. Die habe ich schon lange nicht mehr im Blick seid ich mein Eichhörnchen kenne. Mach dir keine Sorgen Schatz, ich weiß was ich tue. Die Entscheidung für dich ist immer die richtige.“ Antwortete Olivia.

 

„Du warst Polizistin, wie ich erfahren habe. Nun, auch für dich könnten wir hier eine Aufgabe finden. Auch ein Gemeinwesen wie das unsere kommt nicht ohne Sicherheit aus. Es gibt eine Miliz, die für den Schutz der Menschen zuständig ist, natürlich basisdemokratisch organisiert.

Auch hier in Anarchonopolis brauchen wir Schutz. Wir haben hier unsere Einheit, die von Folko geführt wird. Die könnten Leute wie dich gut gebrauchen. Aber wie gesagt, die Entscheidung liegt bei dir.“ Schlug Colette vor.

„Ich danke dir für das Angebot. Ich werde darüber nachdenken und rechtzeitig Bescheid geben.“ Bedankte sich Olivia.

„Oh, das würdest du für mich tun?“ Eichhörnchen fiel ihrer Frau um den Hals.“Wie sehr ich dich doch liebe.“  

„So, ich lasse euch erst mal allein. Lebt euch in Ruhe ein. Kommt erst mal an. Wir sehen uns dann zum Abendessen im Refektorium, wozu ihr natürlich eingeladen seit.“

Colette verabschiedete sich und ging zum Konventsgebäude zurück.

Die beiden Neuankömmlinge beschnupperten in Ruhe ihre neue Umgebung und waren beide begeistert davon.

 

Unterdessen gingen die Vorbereitungen auf das große Event weiter. Es wurde nur noch die Rückkehr von Madleen, Annette, Dagmar und den anderen erwartet.

 

Elena war wieder einmal stark in Anspruch genommen. Der politische Einsatz einerseits und die Fürsorge für die Schwesternschaft andererseits. Deshalb hoffte sie auf die baldige Rückkehr der zeitweilig verreisten.

Eine ganz besondere Aufgabe lag ihr am Herzen. Es handelte sich um Julia. Dagmars einstige Gefährtin und Mitverschworene war zurück. Sie stand eines morgens einfach vor der Pforte und bat um Einlass. Sie wirkte zunächst bei guter Verfassung, doch das war ein Trugschluss. Sie war schwer mitgenommen und krank. Wie Dagmar hatte auch sie Folter und Gefangenschaft hinter sich und den sicheren Tod stets vor Augen. Sie war mit Dagmar zusammen geflohen und hielt sich seither verborgen. Wo, konnte weder Elena noch eine andere in Erfahrung bringen. Ihr Gedächtnis schien schwere Aussetzer aufzuweisen.

Konnte oder wollte sie sich nicht erinnern?

 

Elena stand vor einem Rätsel. Sie kümmerte sich um Julia. Hoffte aber auf baldige Unterstützung von Seiten Dagmars oder Annetts.

Es schien als müsse Elena wieder einmal ihr Privatleben dem Gemeinwohl opfern. Eigentlich wollte sie die Zeit ja mit Neidhardt, Tessa und Lucy verbringen.

Colette sah das und bot sofort ihre Hilfe an. Sie nahm Julia mit zu sich. Gemeinsam mit Betül, Androgyna, Kim und Denise sorgte sie für die kranke Schwester. Eine war stets zugegen um Julia Gesellschaft zu leisten. Natürlich suchte auch Elena sie täglich auf. Julias Zustand schien weiter sehr schlecht. Ein schweres Trauma lastete auf ihr. Hier war dringend Hilfe geboten. Elena praktizierte in ihrer Wohnung auch den therapeutischen Beischlaf der ein wenig Linderung brachte. Aber es ging kein Weg daran vorbei. Es bedurfte eines Heilungsrituals, so wie es Dagmar erfahren hatte.      

 

Dagmar wurde von Elena gleich nach Julias Eintreffen unterrichtet. Sie offenbarte es den anderen aber nicht, auch nicht Annett, vorerst nicht. Dagmar wollte auf einen passenden Augenblick warten um es ihr zu sagen. Sie verbrachte die Zeit hier auf dem Gehöft weiter wie bisher, nur nicht mehr so beschwingt wie an den ersten Tagen. In Gedanken weilte sie bei Julia, ihrer einstigen Liebe. Julia war am Leben, sie war in Anarchonopolis. Was für eine wunderbare Neuigkeit. Doch in die Freude mischte sich Angst. Angst es Annett zu sagen. Angst Annett zu verletzten, Angst sie zu verlieren.   

Dagmar befand sich in einem schlimmen Zwiespalt.

Eines Abends zwei Tage vor ihrer Rückfahrt fand sie die Kraft es Annett schonend beizubringen. Deren Reaktion war entsprechend.

 

„Ich habe es gewusst, ja ich habe es gewusst. Jeden Tag habe ich mich davor gefürchtet das so etwas geschehen könnte. Ich freue mich natürlich darüber, dass Julia lebt, dass sie zurückgekehrt ist und in unserer Gemeinschaft gut aufgehoben ist. Aber ich weiß, dass ich dich verlieren werde. Und das reißt mir das Herz aus der Brust.“

Annette Bekenntnis schockierte Dagmar zutiefst.

„Aber Annett, warum sagst du so etwas? Warum solltest du mich verlieren? Das hat doch mit unserer Beziehung nichts zu tun!“

„Nein? Da bin ich ganz anderer Meinung. Sie war deine Gefährtin, deine Geliebte. Du warst mit ihr zusammen lange Zeit. Sie passt natürlich viel besser zu dir. Sie ist im gleichen Alter, nicht?“ Annetts Stimme ließ die tiefe Verletzung deutlich erkennen.

„Julia ist drei Jahre jünger als ich. Sie ist…“

„Na siehst du. Da haben wir es doch. Sie passt viel besser zu dir, als ich. Ich die alte Schachtel, die Alte mit ihrer jungen Geliebten. Ich wusste es, ich habe es immer kommen sehen.“

„Annett bitte hör auf. Du weißt, dass ich es ganz und gar nicht mag, wenn du so redest. Zwischen uns wird sich nichts ändern. Glaub mir doch. Ich stehe allezeit zu dem Wort das ich dir gegeben habe.“ Versicherte Dagmar noch einmal.

„Ja, das sagst du jetzt! Wenn du erst in ihrem Armen liegst ist alles vergessen. Dann hat die alte Annett ausgedient.“

 

Annett hatte auf dem Sessel Platz genommen und blickte zu Boden. Dagmar kniete vor ihr nieder, griff nach deren Händen und drückte sie ganz fest.

„Annett, liebe Annett, bitte hör mir zu. Hör mir ganz ruhig zu.

Also. Ja, es ist war, Julia und ich waren ein Paar, wie liebten uns sehr. Doch das ist lange her. Wir trennten uns. Blieben gute Freundinnen und arbeiteten politisch weiter zusammen.

Ja, es ist auch war das ich noch immer etwas für sie empfinde.“

„Siehst du! Du gibst es selbst zu.“

„ Bitte lass mich ausreden. Ich mache mir große Sorgen um Julia. Sie hat ähnliches erlebt wie ich, womöglich sogar noch Schlimmeres. Ich kann mich in ihren Zustand gut hineinversetzen. Ich muss ihr helfen, das verstehst du doch?“

Annett schwieg, senkte den Blick weiter zu Boden.

„Aber, all das hat nichts, ganz und gar nichts mit uns zu tun. Unsere Beziehung ist davon nicht betroffen, nicht im Geringsten. Ich liebe dich Annett, ich möchte mit dir zusammen sein, weiter so wie bisher.“

„Ich möchte dir so gerne glauben. Aber ich schaffe es nicht. Meine Angst dich zu verlieren ist einfach viel zu groß.“ Entgegnete Annett.

„Du kannst mir glauben. Bitte, bitte glaube mir. Du bist meine große Liebe, ich werde dich nie verlassen.“

Dagmar fiel ihr um den Hals und küsste sie.

 

Die beiden verharrte so eine ganze Weile. Doch konnte Annett ihre Tränen nicht halten.

„Es war alles zu schön um wahr zu sein. Ich habe mich ein ganzes Leben lang nach einer Beziehung zu einer Frau gesehnt und die Hoffnung schon fast ausgegeben. Dann kamst du in mein Leben und ich fiel aus allen Wolken. Es war so schön mit dir. Dein wunderbarer ,junger und gesunder Körper. Diese Anmut, diese Sinnlichkeit gepaart mit deiner Kraft. Ich kann es gar nicht weiter beschreiben. Ich habe jeden Augenblick mit dir genossen und nun…“

„Und genauso wird es weitergehen. Ich stehe zu dir! Ich kann dir immer nur versichern, dass mich der Altersunterschied nicht kümmert. Du und ich wir sind eins!“ Beteuerte Dagmar noch einmal und sie würde immer wieder und immer wieder tun.

„Große Worte Dagmar. In der Theorie ist alles so einfach. Wir können es tausend Mal und abertausend Male durchspielen, die Realität wird sich brutal zu Wort melden.“ Zweifelte Annett noch immer.  

„Du solltest Julia erst einmal kennen lernen. Ich weiß nicht. Sie müsste dir doch noch bekannt sein, von früher. Wenn unser Kontakt auch nicht so direkt war?“

Versuchte Dagmar das Gespräch abzumildern.

„Ja, ich versuche mich zu erinnern. Flüchtig sehr flüchtig. Ich hatte nicht viel mit ihr zu tun.“

„Wenn ihr euch erst mal von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht, wirst du mit Sicherheit ganz anders reden. Ich glaube daran, dass du sie mögen wirst und sie dich.“

„Das glaube ich nicht! Ich kann es mir zumindest nicht vorstellen. Aber ich muss mich auf das Unvermeidliche einstellen. Wenn wir zurück in Anarchonopolis sind, dann wird alles anders. Ja, es wird nie mehr so wie es bisher war.“

Annett vergrub ihr Gesicht tief in ihren Handflächen. Dagmar vermochte nicht sie zu beruhigen, senkte ebenfalls den Blick und schwieg. Tränen bildeten sich auch in ihren Augen.

Warum nur? Warum? Diese Frage bewegte sich unaufhörlich.

Es machte keinen Sinn noch weiter zu reden. Langsam erhob sich Dagmar und schritt mit traurigem Blick aus dem Zimmer.

Doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt und Dagmar hoffte weiter, es war im Moment alles was ihr blieb.

 

Die Tage vergingen schnell, viel zu schnell für Annett und schon waren sie startklar um nach Anarchonopolis zurückzukehren. Annett wäre viel lieber hiergeblieben, hier in ihrer alten Heimat, die ihr so vertraut war. Doch sie musste sich der kalten Wahrheit stellen, dem was in der Abtei auf sie wartete. Die Begegnung mit Julia, mit der jungen attraktiven Nebenbuhlerin.

Annett stand lange vor dem großen Spiegel in ihrem Wohnzimmer und blickte auf das Gesicht dort gegenüber, das ihr plötzlich so fremdartig erschien. Sie war die Gleiche wie sonst auch, doch auch eine völlig Andere. Es kam ihr vor als sei sie um Jahre gealtert.

Vorbei die schöne Zeit des Frühlings, eines Frühlings wie sie ihn noch nie hatte erleben dürfen, dieser Aufbruch im Körper und der Seele. Diese Gefühlswallungen. Diese positiven Energieschübe, diese Empfindung, dass plötzlich alles neu und richtig ist.

Vorbei, aus und vorbei. Nun war es plötzlich Herbst, ein trister kalter November in ihrer Seele.

Dunkelheit senkte sich herab und ließ sie erschaudern. Wieder eine Wandlung doch nun ging es in eine andere Richtung, ab ins Negative. Ab in den Schlund der sie zu verschlingen drohte.

 

Währenddessen war Eichhörnchen in ihrem neuen Zuhause damit beschäftigt Colettes Angebot in die Tat umzusetzen und das Baumhaus zu errichten.

Sie hatte sich vorgenommen das Haus bis zum Beginn des großes Festes fertig zustellen um  dort Kletterworkshops und ähnliches anzubieten. Sie erhielt wie versprochen alle Utensilien die sie dazu benötigte. Mehr noch. Spontan bekamen sie und Olivia einige Helfgerinnen. Kyra, Eve, Androgyna, Kim und Lukas boten sich an zu bei den Bauarbeiten zu helfen. Auch Lucy machte mit. Sie kannte Eichhörnchen flüchtig aus der Zeit im Hambacher Forst.

Schnell war der geeignete Baum gefunden. Eine alte große Eiche ,mit einem dicken Stamm der einen Durchmesser von gut zwei Meter aufwies. Der Baum befand sich in Sichtweite der Klostermauer.  Es musste zunächst sichergestellt werden, dass die Baumäste stabil genug waren um die Last zu tragen. Das war der Fall. Sogleich begannen die Arbeiten und in kurzer Zeit war das Häuschen fertig gestellt. Es befand sich in etwa 15 m Höhe. Die Baumkrone darüber bot einen zusätzlichen Schutz. Natürlich war es nur für Leute geeignet die schwindelfrei waren.

 

Am Abend des Tages als das Haus bezogen werden konnte saßen Eichhörnchen und Olivia in dem kleinen, gut eingerichteten Raum und blickten durch das etwa einen qm Große Glasfenster, das den Blick freigab auf den Südhang des Gebirges. Ein majestätischer Ausblick. Es stand fest, die Arbeit hier war der Mühe wert.

Olivia hatte ihren Arm um ihre Gefährtin gelegt und sie blickten dem Sonnenuntergang entgegen.

„Es ist wunderschön hier. Einzigartige Landschaft. Ich bin froh das ich mich entschieden habe mit dir zu kommen.“ Gestand Olivia.

„Wirklich? Und du bereust es nicht, dass du alles aufgegeben hast. Dein altes Leben und alles was dazu gehört?“

„Ich würde es tief bereuen, wenn ich es nicht getan hätte. Entscheidungen sind dazu da, dass man sie trifft. Ich habe mich entschieden.“

„Du willst hierbleiben, etwa für immer?“ Hakte Eichhörnchen voller Neugier nach.

„Ja! Ich bin noch am Überlegen, wie ich alles regeln kann. Da gibt es noch einiges zu erledigen. Aber im Großen und Ganzen steht fest: ich werde mein Eichhörnchen nicht alleine lassen. Wir gehören zusammen.“

Eichhörnchen wandte sich zu ihr und gab ihr einen dicken Kuss.

„Oh, dass macht mich überglücklich. Du nimmst mir da eine schwere Last von meinen Herzen. Ich hätte natürlich Verständnis dafür gezeigt, wenn du zurückgegangen wärst. Aber es hätte mich sehr traurig gemacht. Aber so? Ich liebe dich so sehr.“

Es folgte ein weiterer leidenschaftlicher Kuss.

„Ich werde nur hin und wieder nach Deutschland fahren um meine Eltern zu besuchen.“

„Da komme ich natürlich mit! Versteht sich!“ Bot Eichhörnchen sogleich an.  

Olivia hatte, bevor sie sich zum Aufbruch rüsteten, Eichhörnchen ihren Eltern vorgestellt. Die waren von der neuen Schwiegertochter sehr angetan und hatten sie sofort in ihr Herz geschlossen. Auch der Tatsache, dass Olivia eine komplette Neuorientierung in ihrem Leben anstrebte, standen sie sehr aufgeschlossen gegenüber.

„Oh Anja, was habe ich mit dir doch für ein großes Glück gefunden.“ Olivia sprach ihre Frau meist mit ihrem richtigen Namen an.

„Und ich in dir!“

„Das Schicksal hat uns zusammengeschweißt. Jetzt sind wir hier und blicken auf eine Welt die so ganz anders ist als jene die wir verlassen haben.“ 

„Kommst du auch wirklich mit dem Wald und der ganzen Gegend zurecht. Ich meine, ich bin es gewohnt. Ich das Baummädchen, es macht mir nichts aus, auch die Einsamkeit nicht!“ Bemerkte Eichhörnchen.

„Ja, aber Einsamkeit bedeutet auch Freiheit. Grenzenlose Freiheit. Wer die Einsamkeit nicht mag, mag auch die Freiheit nicht. Aber so einsam ist es hier ja gar nicht.“ Erwiderte Olivia.

Danach begannen beide die Sohlen ihrer nackten Füße aneinander zu reiben, die Zehen in einander zu verhaken. Das bedeutete stets der Auftakt zu ihrem Liebesspiel. Sie würden sich jetzt gleich hier oben lieben. Hier in der Einsamkeit und Stille einer noch fast unberührten Natur, hier in einer Welt die sich noch im Gleichgewicht mit sich selbst befand.

 

 

 „Annett was ist mit dir? Warum kommst du nicht? Wir sind bereit und warten nur noch auf dich um zu starten?“ Holte Cathys Frage Annett in die Gegenwart zurück.

„Ja, ich komme! Ich komme schon!“

Annett folgte nach draußen. Die anderen warteten bereits ungeduldig. Annette blickte sich noch einmal nach allen Seiten um, dann bestieg sie den Kleinbus. Es war wie vor gar nicht langer Zeit, als sie von hier aufbrach, in Richtung Deutschland ist Exil, dort wo sie Dagmar begegnete die ihr Herz in Flammen setzte. Ja, damals, es schien wie aus einem anderen Leben.

Sie platzierte sich neben Dagmar. Die griff nach Annetts Hand, doch die entzog sich der Berührung. Enttäuscht ließ Dagmar den Kopf hängen.

Die weitere Fahrt verlief weitgehend ohne Worte, die Beiden schwiegen einander aus. Das war zumindest besser als im Streit zu verharren.

Sie waren eine ganze Strecke gefahren, als Dagmar erneut nach ihr griff und Annett wieder versuchte sich dem zu entziehen. Doch Dagmar ließ nicht locker und schließlich bekam sie die Hand zu fassen, drückte sie sanft und fest zugleich. Dagmar kämpfte mit den Tränen.

Annett bemerkte es und musste ebenso um Fassung ringen.

So ging es weiter, immer weiter, bis sie schließlich am Horizont ihr Ziel erblickten, die Abtei,  die sich sanft vom dahinter liegenden Grauhaargebirge abhob und sie aus der Ferne willkommen  hieß.

Laura steuerte den Kleinbus sicher auf das Klostergelände und brachte das Fahrzeug auf dem Parkplatz vor der Pforte zum Stehen. Danach waren alle mit Ausräumarbeiten beschäftig.

Dagmar eilte, nachdem sie alles sicher verstaut hatten sofort zu Colette, um Julia zu sehen.

Annett nahm das mit versteinertem Blick zur Kenntnis. Sie fühlte sich abgemeldet. Das war es wohl. Adieu meine geliebte Daggi, ich wünsche euch viel Glück, dachte sie während sie sich schnurstracks auf ihre Wohnung zu bewegte.

 

Lucy hatte derweil die Ankunft der Rückkehrer von Weiten mitbekommen und eilte über das Gelände. Sie pirschte sich langsam auf Larissa zu die deren Nähe noch nicht wahrgenommen hatte, hielt ihr die Augen von hinten zu.

„Willkommen zurück, Traumfrau. Ich habe dich sehr vermisst die Tage.“ Flüsterte Lucy Larissa ins Ohr.

„Hey Lucy! Ich dich auch. Es ist gut wieder hier zu sein.“

„Und? War es schön dort oben?“

„Ja, sehr schön. Habe viel erlebt!“

„Auch mit Madleen? Hast du die Zeit mit ihr genießen können?“ Kam Lucy nun auf den springenden Punkt zu sprechen.

„Ja, wunderschöne sinnliche Berührung. Sie hat sich die Zeit genommen, trotz der Tatsache, dass sie ja mit dem Kind viel um die Ohren hat. Und bei dir? Hattest du auch schöne Erlebnisse?“

„Oh ja, sehr sogar. Elena hat mit uns, also meinem Vater und mir einige Zeit verbracht. Ja und dann ist es geschehen. Ich hab es doch tatsächlich fertig gebracht und eine Nacht mit ihr geschlafen.“ Gestand Lucy freimütig.

„Wirklich? Ist doch toll. Das wolltest du doch lange schon.“

„Ja, nun habe ich es tatsächlich erreicht. Jetzt bin ich wieder für dich da. Für dich und unsere Liebe.“

„Ja, da wollte ich mit dir darüber reden. Ich habe über alles noch einmal gründlich nachgedacht. Du hast Recht. Wir beide lieben eine Göttin und das kann sehr stressig sein auf Dauer. Ich liebe Madleen nach wie vor sehr. Sie war so zärtlich zu mir. Aber sie gehört in erster Linie Elena und Elena gehört ihr. Gerade jetzt wo das Kind da ist. Die sind eine Familie. Wir sind nur Nebenbeziehungen. Das befriedigt nicht auf Dauer. Ich bin bereit Lucy, bereit für dich. Ich möchte dauerhaft mit dir zusammenbleiben, als Hauptbeziehung.“

„Jippiey!“ Lucy fiel Larissa um den Hals.

Dann zog sie die Geliebte zu sich und küsste sie.

„Ich habe darauf gewartet, dass du das sagst. Ich danke dir! Ja, dann auf, auf. Ich habe die Frau fürs Leben gefunden. Ej das ist supergeil. Jippiey.“

Lucy drückte Larissa noch einmal fest an sich.

„Und wie wollen wir weiter verfahren? Ich meine, wollen wir richtig zusammenleben, als Paar?“ Wollte Larissa wissen.

„Nun, ich denke wir brauchen da nichts zu überhasten. Es geht erst mal weiter wie bisher. Ich bin regelmäßig unten bei euch und du kannst jederzeit zu uns kommen. Neidhardt wird jetzt bald in seine Einsiedelei ziehen, dort oben am Waldrand, zumindest den Frühling und Sommer über, dann habe ich quasi sturmfreie Bude. Wir haben die Wohnung für uns und sind total ungestört. Doch auch wenn Neidhardt anwesend ist wird uns das nicht stören. Übrigens, er mag dich. Hat er mir erst neulich gestanden.“

„Wirklich? Hat er das wirklich gesagt?“

„Kannste glauben. Er findet dich nett und sympathisch und ist der Meinung wir würden gut zueinander passen.“

„Das ist toll! Das ist wirklich toll. Ich habe stets die Angst, dass ich irgendwelchen Leuten nicht passe oder im Wege bin. Bei deinem Vater wäre mir so etwas sehr unangenehm.“

„Keine Sorge. Du passt bestens. Du kannst, wenn du magst gleich mit nach oben kommen.

Wir schlafen heute bei mir. Dann werde ich mein kleines Mäuschen richtig rannehmen und ordentlich verwöhnen.“ Lucys Angebot klang verführerisch.

„Wau, das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Da bin ich mal gespannt.“

Beide strebten der Hauptpforte entgegen.

 

Inzwischen war Dagmar in Colettes Wohnung und blickte auf Julia, die auf einem Sessel Platz genommen hatte.

„Julia? Ich bins Dagmar! Erkennst du mich denn nicht?“

Julias Gedächtnis schien in der Tat schwer gelitten zu haben, wenn sie nicht einmal Dagmar auf Anhieb wieder erkannte.

Erst nach langem Überlegen kam es über sie.

„Dagmar? Du? Ja, du bist es! Ich dachte zunächst einer Sinnestäuschung erlegen zu sein.“

„Ja freust du dich denn nicht mich wieder zu sehen?“

„Doch, doch! Ich….ich …freue mich natürlich! Ich…“

Urplötzlich brach Julia in Tränen aus.

„Dagmar, du bist es! Du bist es tatsächlich. Ich glaubte dich nie wieder zu sehen. Du lebst und bist wohlauf wie ich sehe!“

Dagmar umarmte Julia und hielt sie fest umschlungen.

„Ja, ich bin es. Mir gelang die Flucht. Ich konnte mich durchschlagen, bis nach Deutschland, dort wo Elena, Colette und die anderen im Exil lebten. Aber du? Was war mit dir? Wie um alles in der Welt ist deine Flucht verlaufen?“

„Ich…ich wurde gefasst, schon kurz nach der Befreiung. Ich konnte die Freiheit nicht lange genießen. Sie brachten mich zurück in den Keller der Ordensburg. Ich wurde weiter gefoltert, nun noch heftiger, weil ich für die anderen büßen sollte und sexuell missbraucht…“

Julia brach ab, sie konnte nicht mehr weitersprechen. Zu sehr lastete das Trauma auf ihren Schultern.

Dagmar erkannte es und schwieg für eine Weile.

Später wagte sie nachzuhaken.

„Ja, das leuchtet ein. Aber lange kann es doch nicht gewesen sein. Eins zwei Wochen vielleicht.

Cassian wurde im letzten Herbst gestürzt.  Jetzt haben wir April, Ostern steht vor der Tür.

Das ist ein halbes Jahr das fehlt. Wo warst du in dieser ganzen Zeit?“

„Ich… ich war….ich war…“ Julia hatte dem Anschein nach erhebliche Gedächtnislücken. Sie versuchte krampfhaft der Erinnerung auf die Sprünge zu helfen, doch es gelang ihr nicht.

„Ich…ich weiß es nicht. Ich will….mich erinnern, doch ich schaffe es nicht…mein Gedächtnis ist wie ausgelöscht.“

„Dann ist es gut so. Quäle dich nicht damit. Die Erinnerungen kommen wieder, der derzeitige Verlust schützt deine Seele. Elena muss helfen. Sie hat sich schon um dich gekümmert!“

„Ja, sie war jeden Tag hier bei mir. Auch Colette und die anderen haben mich besucht. Ich bin total fertig Dagmar. Ich weiß nicht was mit mir ist. Es ist sehr schlimm. Ich weiß nicht was ich tun kann!“ Stammelte Julia weiter vor Verzweiflung.

„Da kann nur eine ganz gezielte Therapie helfen. Elena hat sie bei mir ebenfalls durchgeführt. Dann ging es mir besser, wenn das Trauma dadurch zwar immer noch nicht ganz überwunden ist. Aber es muss etwas in dieser Hinsicht geschehen und zwar bald.“ Sprach Dagmar im bestimmenden Tonfall.

Julia klammerte sich an die ehemalige Geliebte, so fest, dass es den Anschein hatte, dass sie diese nie wieder loszulassen gedachte.

„Alles wird gut Julia! Glaube mir, alles wird gut! Du bist zuhause, du bist in Anarchonopolis. Niemand wird dir jemals wieder schaden können, weder Cassian noch ein anderer Tyrann.

„Und da bist du dir auch ganz sicher?“

„Solange wir zusammenhalten ja. Wir dürfen uns nie wieder spalten lassen. Das war unser großer Fehler damals. Heute arbeite ich eng mit Elena zusammen, bin gewissermaßen so etwas wie ihre rechte Hand.“ Gestand Dagmar.

„Ich kann das kaum glauben. Du und Elena gemeinsam an der Front? Ja, daran kann ich mich erinnern. Ihr wart doch mal wie Hund und Katze?“ Fiel Julia ein.

„Das waren wir in der Tat. Doch es hat nur Kummer und Verdruss über uns alle gebracht. Ich versuche meine Fehler von damals wieder gut zu machen.“

„Und du glaubt das geht einfach so. Vergeben und vergessen?“

„Es kann funktionieren, wenn wir alle an uns arbeiten. Auch du wirst es schaffen. Jetzt ist vor allem wichtig das du wieder ganz gesund wirst, an Körper und Seele.“ Versuchte Dagmar zu beruhigen.

„Sag Julia, hast du Schmerzen?“

„Ja, am ganzen Körper, vor allem die Gelenke tun weh. Ich kann mich manchmal kaum bewegen.“ Antwortet Julia.

„Bist du hier gut untergebracht?“

„Ja, Colette und die anderen sind sehr lieb zu mir und erfüllen alle meine Wünsche, aber trotzdem weiß ich nicht ob ich hier länger bleiben kann.“

„Das brauchst du nicht. Ich habe eine bessere Idee. Du kommst mit zu uns.“ Bot Dagmar an, obwohl sie sich der Tragweite dieses Vorschlages voll bewusst war.

„Zu uns? Wer ist das?“

„Zu Annett und mir, Annett ist meine Gefährtin, meine Frau. Wir leben zusammen. Sie hat mich liebevoll gepflegt, als es mir vor ein paar Monaten ähnlich erging wie dir jetzt. Das brachte es mit sich das uns die Liebe traf. Du kennst doch Annett noch, oder?“

„Annett? Annett, ich versuche mich zu erinnern. Das war doch…“

„Annett ist Madleens Mutter! Hilft dir das weiter?“

Julia überlegte, es war ihr anzumerken, dass es ihr sehr viel an Kraft zu kosten schien.

„Ja, ja, natürlich! Madleens Mutter. Ich sehe sie vor mir. Aber ich weiß nicht mehr so recht wie sie aussah.“

„Du wirst sie wieder sehen. Heute noch, spätestens morgen. Sie wird sich ebenso um dich kümmern wie um mich. Du wirst sie mögen und sie wird dich mögen.“

„Ja, wenn du meinst? Habt ihr denn auch ausreichend Platz um mich unterzubringen?“

„Ja, wir haben noch ein Zimmer, dass wir kaum benutzen. Wir wohnen ein Stockwerk höher, direkt hier drüber. Und du wirst es nicht glauben wer unsere Nachbarn sind.“

„Ja? Wer denn?“

„Laura und Cathy!“

„Was? Laura und Cathy sind auch hier? Oh wie phantastisch. Sie sind also auch mit dem Leben davongekommen. Aber ich habe sie nicht gesehen die letzten Tage seid ich hier bin.“ Freute sich Julia über die positive Neuigkeit.

„Das konntest du nicht, weil sie nicht anwesend waren. Die sind mit uns im Norden gewesen, auf Annettes Bauernhof.“

„Oh ich freue mich so! Ich freue mich ja so darüber. Wenigstens ein paar haben überlebt.“ Danach begann Julia wieder zu weinen.

Dagmar schloss sie tief in ihre Arme und wog sie wie ein kleines Kind hin und her.

„Ich…ich muss mich noch bei Madleen bedanken. Sie…sie hat uns befreit. Ja, sie hat uns befreien wollen. Wenn ich es auch nicht geschafft habe. Der Dank gebührt ihr allemal.“

„Da wirst du noch Gelegenheit dazu haben. Auch Madleen war mit unterwegs. Madleen und ich, wir sind jetzt sehr gute Freundinnen.“ Klärte Dagmar weiter auf.

„Wer hätte das gedacht. Du und Madleen Freundinnen. Ich erinnere mich noch daran wie du über sie gesprochen hast.“

Dagmar senkte betrübt den Kopf. An dieses Kapitel wollte sie lieber nicht erinnert werden. Madleens liebevolle Fürsorge während der Kerkerhaft hatte sie tief beschämt.

„Alles Geschichte, Julia zum Glück. Lass die Vergangenheit ruhen. Alles wird gut. Glaub mir alles wird gut.“

Dagmar nahm Julias Gesicht in beide Handflächen, dann küsste sie die frühere Geliebte, dann noch einmal. War es vorbei? Dagmar zweifelte daran. Plötzlich hegte sie wieder die alten Gefühle für Julia. Annetts Befürchtungen schienen sich nun doch zu bewahrheiten.

Eine Krise, das konnte sie nicht verleugnen. Das durfte nicht sein. Es musst einfach eine Lösung geben.

 

 

Dagmar verlies Julia um sich sogleich zu Annett zu begeben. Die hatte sich einigermaßen gefasst. Es schien kein guter Augenblick zu sein sie mit der neuen Wirklichkeit zu konfrontieren. Das hatte Zeit bis morgen, oder? Was brachte der eine Tag Aufschub? Julia als neue Mitbewohnerin, hier in der Wohnung. Würde diese Tatsache Annett das Herz brechen?

Diese Gefahr lag bleischwer in der Luft.

Schließlich wagte Dagmar doch das heikle Thema anzusprechen.

„Hier in der Wohnung? Nein, niemals! Das kommt nicht in Frage! Ich hatte mich damit abgefunden, dass sie in Anarchonopolis ist, dass sie in unserer Nähe lebt und du sie täglich siehst. Aber hier, Tür an Tür? Nein und nochmals nein.“ Lehnte Annett diesen Vorschlag kategorisch ab.

„Bitte Annett, lern sie doch erst mal kennen. Steh ihr von Angesicht zu Angesicht gegenüber.

Dann wirst du deine Meinung sicher ändern!“ Glaubte Dagmar zu wissen.

„Auf gar keinen Fall! Nein! Ich will sie nicht sehen! Hörst du? Ich will sie nicht sehen! Und damit basta!“

Das klang endgültig. Welches Argument Dagmar auch noch einbringen würde, es schien zwecklos. Annett würde ihre Ablehnung niemals aufgeben.

Da half nur die direkte Konfrontation. Dagmar erhob sich und verlies die Wohnung, lies Annett mit sich und ihrem Schmerz zurück.

Sie eilte ein Stockwerk tiefer zu Julia.

„Komm Julia! Wir gehen jetzt zu Annett. Sie freut sich schon dich kennen zu lernen.“

Log Dagmar die Freundin an.

„Wirklich? Ja….ja…ich komme!“

Julia erhob sich und folgte Dagmar auf den Flur. Hand in Hand schritten sie den Gang entlang dann die Treppe nach oben.

Vor der Wohnungstüre angekommen blieben sie zunächst stehen.

Dagmar wurde von Angst heimgesucht. War das wirklich eine gute Idee? Würde sie im nächsten Augenblick Annett für immer verlieren? Die Gefahr war groß, doch es half nichts.

„Einen Moment, warte hier bis ich dich rufe.“

Dann trat Dagmar ein.

„Julia ist draußen, Annett, sie brennt darauf dich kennen zu lernen.“

„Waaaas? Nein! Nein! Ich will sie nicht sehen, ich will sie nicht sehen!“ Schrie Annett stand auf und schritt zum Fenster, verschränkte dabei die Arme wie ein trotziges Kind.

„Du brauchst sie nicht reinzuholen! Verstehst du Dagmar? Ich will sie nicht sehen!“

Doch Dagmar hatte die einstige Geliebte bereits in die Wohnung gelassen.

Noch eine Weile blickte Annett durchs Fenster, auf die schroffen Berge des Grauhaargebirges., die langsam begannen sich mit dem Grün des Frühlings zu schmücken.

Dann wandte sie sich um und blickte Julia direkt in die Augen. In diesem Moment fiel alle Furcht, alle Ablehnung, auch alle Wut von ihr ab. Sie blickte in das wunderschöne Gesicht der jungen Frau vor ihr und war erfüllt von tiefem Mitgefühl für einen Menschen der schwer hatte leiden müssen.

Doch da war noch mehr, viel mehr.  Eine ungeheure mysteriöse Anziehungskraft baute sich zwischen den Beiden auf. Annetts Herz begann zu brennen.

„Du bist Julia? Ja, ich erinnere mich an dich. Ich habe dich ein paar Mal gesehen. Früher.

Du bist sehr schön. Dagmar hat also nicht übertrieben.“

Annett griff nach Julias Händen und drückte diese ganz sanft.

Gleich im Anschluss schloss sie Julia in die Arme und zog sie fest zu sich.

„Sei willkommen, mein armes Herz. Ja, ich war dumm, sehr, sehr dumm und kindisch.

Natürlich bist du bei uns willkommen. Du brauchst Hilfe und die wirst du bekommen.“

Die beiden hielten sich lange in den Armen, dabei flossen reichlich Tränen. Dagmar hingegen strahlte über das ganze Gesicht. Sie trat auf die beiden zu, breitete die Arme aus und umschlang die beiden fest.

Geschafft! Das Risiko hatte sich gelohnt. Es lief bedeutend besser als sich Dagmar gewünscht hatte.

 

Sie hatten sich gefunden. Ein Weg breitet sich vor ihnen aus, der darauf wartete beschritten zu werden.

Sowohl Annett als auch Dagmar standen der in Anarchonopolis häufig praktizierten polyamoren Lebensweise bisher kritisch gegenüber. Sie sahen es nicht als ihr Lebenskonzept, da es eben auch viele Risiken in sich barg.

Nun hatte es beide schlagartig eingeholt.

Dagmar liebte Julia noch immer, ja wieder aufs Neue. Julia brauchte sie jetzt, dringend und sie würde sich dem nicht entziehen. Dagmar liebte aber auch Annett, gerade der Altersunterschied schien besonders anziehend und prickelnd. Sie als Jüngere die sich der Älteren voller Vertrauen hingab und es genoss von ihr begehrt zu werden.

Annett hatte nach Jahrzehnten in Dagmar die große Erfüllung gefunden und damit begonnen ihre lange Zeit verschütteten Gefühle radikal auszuleben.

Störte Julia diese totale Harmonie, oder würde sie diese im Gegenteil sogar noch bereichern können? Die folgenden Tage würden die Antwort liefern.

„Ach ihr zwei, was macht ihr mit mir? Dagmar ich kann verstehen, dass du Julia liebst, sie ist reizend und verführerisch. Julia ich sehe ein, dass du Dagmar liebst, für sie gilt das Gleiche.

Ich werde euch mit meiner Eifersucht nicht quälen, habt keine Furcht. Ich werde es genießen euch zwei zusammen zusehen und geistig dabei sein.“

„Nicht nur geistig Annett, du wirst voll dabei sein. Ich liebe dich noch immer und Julia wird es ebenso tun.“

Julia signalisierte nickend ihre Zustimmung, da schmiegte sie sich eng an Annett.

„Können wir das schaffen? Zu dritt leben und lieben, so wie es viele andere hier tun? Ich bin fast doppelt so alt wie ihr. Und ich werde immer älter. Werdet ihr zu mir stehen auch dann, wenn mein Geist beginnt zu verschwimmen und mein Körper gebrechlich wird.

„Auch dann! Auch dann, meine liebe wundervolle Annett. Du die du mich aus dem Dunkel geleitet hast. Nun müssen wir Julia von den Dämonen befreien.“ Erwiderte Dagmar.

„Ja Julia, ich bin bereit. Ich werde mich deiner annehmen und dich wieder in die Sonne des Tages bringen. Du kannst mir vertrauen.“ Sprach Annett und strich Julia mit dem Handrücken über die Wangen.

„Ich vertraue dir! Ich gebe mich in deine Hände.“ Stimmte Julia zu.

 

Am Abend saßen sie beide lange Zeit an Julia Nachtlager, streichelten sie, liebkosten sie.

Du bist angekommen, Schwester. Niemand wird dir jemals wieder etwas zu leide tun. Wir sind da, wir und unsere Liebe, die dich umfangen hält. Liebe und Zärtlichkeit als Antipoden gegen Gewalt und Demütigung, das alte Rezept, es bewahrheitet sich wieder

Annett s Zuneigung zu Julia wuchs von Augenblick zu Augenblick. Sie hatte den Eindruck Julia schon seit Ewigkeiten zu kennen und zu lieben.

Ja, hier schien die Antwort zu liegen. Plötzlich überkam es Annett wie eine Eingebung. Es fiel ihr wie Schuppen von den Augen. 

Sie und Julia kannten sich schon vor ein paar tausend Jahren. Damals als Annett Galbura war, die Heilkundige der Amazonenkriegerinnen. Und Julia? Das Rätsel schien in diesem Augenblick gelöst.

Julia war Luella, jene Kriegerin die sich nach der letzten Schlacht schwer verletzt und mit letzter Kraft in Galburas Lager gerettet hatte, von ihr geheilt, gepflegt und schließlich geliebt wurde.

Hier begann sich gerade Geschichte zu wiederholen, wie so oft bei den Freiheitstöchtern.

In der Nacht lagen sie zu dritt. Annett in der Mitte, Dagmar zu ihrer Rechten, Julia zu ihrer Linken. Um beide hatte sie ihre Arme geschlungen und sie fest zu sich gezogen.

„Hmm, ihr zwei seid die Erfüllung meines Lebens. Wenn es stimmt, wie man häufig sagt. Nämlich dass das Beste stets zum Schluss kommt, nun dann hat es sich vorhin erfüllt. Zumindest was mich betrifft. So lange habe ich warten müssen um die Liebe einer Frau zu finden. Ja nun habe ich gleich zwei an meiner Seite, die mir ihre Liebe schenken wollen. Die Göttin scheint es wirklich gut mit mir zu meinen.“

„Ja, das tut sie Annett! Das tut sie! Und du hast es dir redlich verdient!“ Stimmte Dagmar ihr zu.

  

Das Osterfest kam, in diesem Jahr konnte es wieder auf die besondere Art gefeiert werden, als Fest der Wiedergeburt, der Erneuerung, der Auferstehung zu einem neuen Leben.

Das Brennholz für das Osterfeuer wurde erst am Abend zuvor von viele fleißigen Helfern und Helferinnen aufgeschichtet, um zu vermeiden, dass sich Tiere darin eingenistet hatten.

Um Julia eine möglichst freudige Teilnehme zu gewähren hatten sie das Heilungsritual zwei Tage vorher durchgeführt.

Das geschah in der gleichen Art wie bei Dagmar, nur das es diesmal vier Personen waren, die daran teilnahmen, neben Elena, Annett und Betül bestand auch Dagmar darauf zu helfen.

Julia ging es danach deutlich besser, wenn auch das Trauma ebenso wie bei Dagmar noch lange nicht überwunden war.

Julia würde sogar noch länger benötigen, denn sie hatte viel Schlimmeres durchzustehen.

 

Viele Besucher trafen ein, auch aus dem Ausland, um die endgültige Wiedergeburt der Freiheitstöchter zu feiern. Die provisorische Regierung war fast vollständig vertreten und bekundete ihre Glückwünsche und die Hoffnung auf eine gute Zusammenarbeit für die Zukunft.

Die Erwartung, dass Elena ihre Entscheidung getroffen hatte, was die Leitung der zukünftigen Regierung betraf, erfüllte sich nicht. Elena hatte sich bewusst noch nicht entschieden, um auf diese Weise noch mehr Zeit zu gewinnen. Es würde also, was die politische Ebene betraf weiterhin beim derzeitigen Status bleiben.

Viele nahmen diese Tatsache durchaus positiv auf.

Die Osternacht entfaltete ihre ganze mystische Energie. Das Feuer loderte in den Himmel und erhellte die Nacht.

Wir sind wieder hier und wir werden bleiben. Niemand wird uns je wieder vertreiben aus dieser schönen bunten Welt. Einer Welt des Friedens, der Freiheit, der Harmonie und der Verständigung, so die eindeutige Botschaft des Abends.

Die Stimmung war ausgelassen und von Freude auf die Zukunft durchdrungen. Diejenigen die neu in der Gemeinschaft waren fühlten sich gleich angenommen und zuhause.

Nun konnte der Frühling kommen. Der Frühling den alle mit hohen Erwartungen verbanden.

 

Der Frühling kam und ging schließlich in den Sommer über. Auch dieser hatte eine ganze Reihe von positiven Ereignissen im Gepäck.

 

Kristin kam nieder und brachte eine gesunde Tochter zur Welt. Alle teilten ihre Freude, vor allem natürlich Gabriela, die total aus dem Häuschen war. Sie liebte die Kleine, die den Namen Diana bekam geradezu abgöttisch. Vergessen waren ihre kurzzeitigen Bedenken. Die kleine Familie rückte zusammen und ging in der größeren der Schwesternschaft auf.

Also wieder ein Mädchen. Die nächste Generation der Freiheitstöchter wuchs und formierte sich langsam, wenn sie natürlich noch ausreichend Zeit hatte um in ihre künftige Rolle hineinzuwachsen. Aber das Haus war bestellt, für die Zukunft vorgesorgt.

Alle würden in späteren Zeiten wichtige Aufgaben übernehmen können.

 

Das Tessa einmal in Elenas Fußstapfen treten würde, daran bestand nicht der geringste Zweifel. Wie ihre Mutter schien sie die geborene Anführerin, zeichnet sich schon jetzt durch eine hohe Intelligenz und schnelle Auffassungsgabe aus. Auch in Schönheit und Anmut würde sie ihrer Mutter folgen.

Ob Aisha einmal das Zeug hatte Colette als Königin zu folgen, konnte zu dieser Zeit noch niemand sagen. Alle hofften es. Alle wünschten sich eine Aisha die die Schönheit ihrer Mutter Betül mit der natürlichen Autorität ihrer Väterin Colette verbinden konnte.

Auch die Töchter der anderen Schwestern waren schon jetzt für ihre Aufgaben bestimmt.

Wie sich der kleine Daniel in diese rein von Frauen bestimmte Gesellschaft einbringen würde, konnte keine mit Bestimmtheit sagen. Wie könnte seine Rolle in einer Schwesternschaft aussehen? Würde er trotzdem seinen Platz hier finden? Wenn ja wo, als was?

Noch lag die Zukunft vor ihnen und die möglichen Konflikte in weiter Ferne.

 

In diesem Sommer zog auch Betüls alter Sufimeister Sheikh Abdul in die Gemeinschaft, nahm seine Wohnung in einer der Einsiedlerhäuschen und konnte durch seine Weisheit vielen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Weitere spirituelle Meister aus anderen Religionen folgten ihm und bereicherten ebenfalls nur durch ihre Anwesenheit das Geschehen. Eine einzigartige Wohngemeinschaft der erlauchten Geister war im Entstehen, die ihresgleichen auf der Welt suchte und bald weltweites Interesse auf sich lenkte.

 

Das Eichhörnchen und ihre Frau Olivia zwischen ihnen lebte erwies sich als weise Entscheidung. In Handumdrehen hatte das einfache Baummädchen die Herzen der großen philosophischen und spirituellen Meister erobert und wurde von ihnen als gleichwertiges Mitglied akzeptiert. Sie sollte bald schon zu einer neuen Attraktion von Anachonopolis und zu einer weltweiten Berühmtheit werden, die von hier aus Aktionen zum Schutze der Umwelt auf der ganzen Welt plante und durchführte.

 

Anarchonopolis war im Begriff sich endgültig als Zentrum eines neuen Geistes und eines neuen Lebensstils zu etablieren und Anerkennung zu finden.

Jedes Jahr würden tausende aus allen Teilen der Welt an diesen Ort pilgern um sich Inspirationen für ihr Leben zu holen, den Geist der Freiheit zu atmen und sich in einem neuen Lebensstil zu probieren.   

 

Irgendwann im Laufe des Jahres ging die Regierungsgewalt voll in die Hände der Freiheitstöchter über, dies geschah langsam, Schritt für Schritt, in Ruhe und Bedächtigkeit.

Niemanden schien es zu stören, dass die neue Regierung nicht aus einer Wahl hervorging, sondern einfach nur da war. Die Zeit war einfach gekommen um solche neuen Formen auszuprobieren. Es bewahrheitete sich wieder einmal der Grundsatz, dass man einer Entwicklung niemals vorgreifen kann.

Was genau daraus entstehen würde, war nicht vorhersehbar. Sie beschlossen einfach der Entwicklung ihren Lauf zu lassen.

Elena führte die Regierungsgeschäfte in Zusammenarbeit mit den anderen als Kanzlerin und niemand machte ihr dieses Amt streitig. Stand sie einmal nicht zur Verfügung schlüpfe einfach eine andere in die Funktion und es lief weiter wie bisher.

Personen waren immer ersetzbar. Natürliche Autoritäten jedoch nicht. Es spielte keine Rolle wer genau sie verkörperte.

Eine natürliche Autorität wird erworben, sie wächst und gedeiht langsam bis zur Vollendung.  Sie konnte nicht einfach an die nachfolgende Generation vererbt werden. Auch war es nicht möglich sie durch eine Wahl zu erlangen.

Sie fand ihre konkrete Verwirklichung in der aktuellen anarchistischen Monarchie. Ob und inwieweit sie Bestand haben konnte, würde die Zeit offenbaren.

Die Bevölkerung schien in ihrer übergroßen Mehrheit davon überzeugt und unterstütze diese neue, auf ungewöhnliche Art zustande gekommene Regierungsform.

 

Hier nun sollte sich vorerst der Kreis schließen, der vor unendlich langer Zeit im Reich der legendären Amazonenkriegerinnen geöffnet wurde. Geöffnet, aber niemals vollständig gebrochen, da ihr Licht die Jahrhunderte und Jahrtausende hindurch strahlte, auch in deren dunkelsten Epochen.

 

Die Zeiten kommen und gehen. Die Entwicklung geht weiter, immer weiter. Stillstand kann nie von langer Dauer sein. So würden auch die Freiheitstöchter darauf achten müssen, dass sie immer der jeweiligen Situation gerecht, dachten und handelten um auf diese Weise in der fernen Zukunft das Heft in die Hände der nachfolgenden Generation weiter reichen zu können.