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Des großen Dichters letzter Weg
„Cornelius, du hast es versprochen. Ich möchte dich daran erinnern und dich ebenfalls, Neidhardt. Ihr habt Kovacs ebenso persönlich gekannt wie ich und dieses Mausoleum ist ganz und gar nicht in dessen Sinne. Bescheiden hat er gelebt in seinen letzten Lebensjahren und ebenso sollte er zur Ruhe gebettet werden.“ erinnerte Elena Cornelius und Neidhardt an ein Versprechen, das noch immer seiner Einlösung harrte. Wieder einmal hatten sich die drei zusammengefunden um über die aktuelle Situation im Lande zu sprechen und zu klären, wie es weitergehen sollte. Dabei wurde auch heute dieses Reizthema angesprochen
Cornelius richtete seinen Blick nach unten, er wusste nur zu gut, dass Elena die Wahrheit sprach, aber er schwieg, so, als wolle er damit ausdrücken, für diese Entscheidung nicht mehr zuständig zu sein. In Kürze würde er in den Ruhestand treten. Somit schob er Neidhardt die Verantwortung zu. Doch dieser wollte bekanntlich ebenfalls nicht mehr und suchte händeringend nach einer Möglichkeit, sich aus der Affäre zu ziehen.
„Natürlich habe ich ihn gekannt! Aber gemocht habe ich ihn nie! Er mich im Übrigen auch nicht.“ erwiderte Neidhardt ehrlich. „Selbstverständlich durfte das nie in die Öffentlichkeit.
Nach außen wurde der Schein der unverbrüchlichen Freundschaft zwischen mir und Kovacs zelebriert.“
„Genau hier offenbart sich das Grundproblem. Mit solchen Lügen wurde die Bevölkerung eingelullt und ruhiggestellt. Doch man brauchte nur mit offenen Ohren durch die Lande ziehen um festzustellen, dass kaum jemand diesen Unsinn glaubte.“ entgegnete Elena.
„Aber das Volk verehrte Kovacs. Was also sprach dagegen, ihn mit solch einer außergewöhnlichen Geste zu ehren? Ein jeder kann das Mausoleum besuchen, dort Blumen niederlegen und für eine Zeit an der Seite des großen Volksdichters weilen.“ gab Neidhardt zu bedenken.
„Ich habe mich damals aus ähnlichen Gründen dazu entschlossen, den Bau des Mausoleums anzuordnen, auch wenn ich mir durchaus bewusst war, dass es nicht in Kovacs Sinne war. Im Gegensatz zu dir, Neidhardt, habe ich ihn gemocht und er mich!“ schaltete sich nun auch Cornelius ein.
„Also tragt ihr beide die Verantwortung. Und beide solltet ihr in der Lage sein, diese Fehlentscheidung von damals zu revidieren.“ schlug Elena vor.
„Ich weiß nicht Elena! Ein Mausoleum abbrechen, einfach so? Das käme doch einer Grabschändung gleich?“ sorgte sich Cornelius. „Warum lassen wir es nicht so, wie es ist?
Wir könnten die militärischen Wachen abziehen und das ganze Brimborium. Überhaupt alles viel lockerer gestalten. Was meinst du, Neidhardt?“
„Ich hab nichts dagegen. Kovacs und militärische Pomp? Der konnte sich eh nie dafür begeistern!“ stimmte Neidhardt zu.
„Ihr beiden enttäuscht mich wieder einmal. Komisch, bei solchen Fragen präsentiert ihr euch in erstaunlicher Einigkeit. Ich sage das Mausoleum sollte weg, vollständig. Lasst es meine Sorge sein, der Bevölkerung zu verdeutlichen warum das so wichtig ist.“ lehnte Elena den Vorschlag mit Nachdruck ab.
„Es könnte der Eindruck entstehen, dass wir sein Andenken in den Schmutz ziehen, seinen Namen gleichsam eliminieren, wenn wir ihn zu diesem Zeitpunkt aus dem Mausoleum holen.“ warf Neidhardt ein.
„Das sehe ich ganz und gar anders. Wenn wir damit beginnen, seine Ideen zu verwirklichen, in seinem Sinne handeln, dann ehren wir ihn auf die Weise, die seiner am deutlichsten entspricht.
Leider habt ihr das in der Vergangenheit versäumt. Also nicht große Mahnmale aus Beton, sondern Denkmale aus Gedanken müssen wir errichten, somit bringen wir seine Lehre den Menschen nahe.“
Elena stand Kovacs am Ende seines Lebens nahe, wie kaum ein anderer, sie wusste, was sie sagte.
„Und was schlägst du vor, was wir tun sollten!“ wollte Cornelius wissen.
„Passt auf! Es könnte noch einmal so eine Art von Staatsakt für Kovacs geben. Feierlich werden wir seine Gebeine aus dem Mausoleum in einen Trauerzug auf den Klosterfriedhof überführen. Ein symbolischer Akt, der auch die Zeitenwende widerspiegelt in der wir uns befinden. Damit bekunden wir, dass es von nun ab neue Prioritäten, eine neue Offenheit und einen neuen Umgang der Menschen untereinander geben soll. Kovacs wird für einen Tag noch einmal lebendig und mit ihm seine Ideen, Aber diese werden, im Gegensatz zu ihm selbst, dauerhaften Bestand haben. Könnt ihr nachvollziehen auf was ich hinauswill? Er gibt sie uns symbolisch wieder, durch seinen letzten Auftritt.“
„Das ist in der Tat eine gute Idee! Aber wer sollte diesen Staatsakt leiten. Du denkst dabei doch nicht etwa an mich?“ sorgte sich Cornelius.
„Du bist Staatsoberhaupt, dir würde diese Ehre mit Sicherheit gebühren. Aber nein, ich denke dabei nicht an dich. Neidhardt und ich werden gleichberechtigt gemeinsam dem Akt vorstehen.“
„Ich? Wieso ich? Habe ich nicht eben erst in Erinnerung gerufen, dass wir uns im realen Leben nicht besonders nahe standen? Vorhin, da sprachst du von Heuchelei, Elena. Wäre dass nicht eine Heuchelei ganz besonderer Art?“ wies Neidhardt Elenas Ansinnen gleich von sich.
„Nein, ist es nicht! Im Gegenteil! Damit werdet ihr euch endlich versöhnen, auch wenn ihr es nicht mehr persönlich tun könnt. Durch diese Geste wirst du Kovacs Andenken wieder ins rechte Licht rücken. Wer Augen hat zu sehen, wird dies erkennen.“ versuchte Elena Neidhardts Bedenken zu entkräften.
„Als einen sehr positiven Nebeneffekt könnte die Bevölkerung auch euer beider Versöhnung
vermittelt bekommen. Auf die gespannte Lage im Land wird sich das wohltuend auswirken.
glaubte Cornelius zu wissen.
Auch dieser Tatsache war sich Elena nur zu bewusst. Bald würde das alte System durch etwas Neues abgelöst. Aber was genau stand nun bevor? Schwierigkeiten waren geradezu vorprogrammiert. Die angestrebte Akratie befand sich selbst in Akratasien noch in der Probephase. Nun sollten diese Ideen auf ganz Melancholanien ausgeweitet werden. Melancholanien würde einfach an Akratasien angegliedert. Neidhardt hatte das im Inneren längst akzeptiert und war bereit dem Schritt zuzustimmen, auch wenn er sich aus strategischen Gründen in der Öffentlichkeit noch als Skeptiker zu erkennen gab.
Auf diese Weise konnte er mit dazu beitragen, jenes Ende auf eine friedliche Art und Weise einzuleiten. Symbolisch reichte er Elena den Staffelstab, auch wenn diese keine Gelegenheit ausließ, um öffentlich zu bekunden, dass sie in dem neu zu schaffenden Staatswesen keine Funktion übernehmen wollte und lediglich in beratender Weise zur Verfügung stehen wollte.
„Ich kann mich nicht so recht dafür begeistern. Aber gut! Ich werde es mir überlegen. Lasst mich eine Nacht darüber schlafen. Dann werde ich dich meine Antwort wissen lassen.“
„Aber lass dir nicht zu lange Zeit! Wir sollten es so bald als möglich hinter uns bringen.“
drängte Elena zur Eile.
„Aber wir müssen es vorher publik machen, wir können die Menschen in diesem Lande nicht vor die Köpfe stoßen!“
„Du hast Recht, Cornelius! Das bedarf einer gründlichen Vorbereitung. Wir müssen via Medien die Bevölkerung langsam damit vertraut machen. Es könnte dabei der Eindruck erweckt werden, der Wunsch käme direkt aus dem Volk. Genau! Eine Art Volksbefragung. Die Menschen könnten direkt mit darüber entscheiden.“
Ein nicht von der Hand zu weisender Vorschlag.
„Du meinst, du könntest die Menschen glauben lassen, der Vorschlag käme aus ihren Reihen.“
Erwiderte Neidhardt.
„Hm, wenn du es so bezeichnen willst, ja!“
„Elena versteht sich ja nach wie vor gut darin, die Menschen für sich einzunehmen. Das konnte sie schon immer!“ Elena fragte, sich ob Neidhardts Seitenhieb ironisch oder ernst gemeint war. Misstraute er ihr etwa immer noch?
„Du spielst damit auf meine Vergangenheit an? Natürlich, damit hast du sogar Recht. Es ist mir gegeben, Menschen zu beeinflussen. Ich werde, wenn ihr dem zustimmt, schon in den nächsten Tagen unsere Entscheidung in den Medien verkünden. Wir haben jetzt Mitte Januar, Ende des Monats sollte die Überführung von statten gehen.“
„So schnell?“
„Ja, so schnell, Neidhardt!“
Elena war sich der Tatsache bewusst, dass die Zeit davon lief. Neidhardts Position schwand von Tag zu Tag. Ihre eigene dagegen steigerte sich im rasanten Tempo. Das musste sie ausnutzen. Es war nicht auszuschließen, dass konservative Kräfte in der Partei einen Staatsstreich planten, um Elenas Machtzuwachs zu verhindern. Es würde bald eine Übergabe stattfinden, ganz gleich, an wen auch immer. In der Bevölkerung gärte es. Daher drängte die Zeit.
„Also gut, dann melde dich einfach bei mir, wenn du bereit bist! Wir brauchen ja zunächst nur den Sarkophag zu öffnen, die sterblichen Überreste aus dem Mausoleum holen und zu überführen. Was wir mit dem Gebäude machen, braucht jetzt nicht unserer Sorge sein. Ich denke, die Vorbereitungen werden nicht länger als zwei Wochen in Beschlag nehmen.“
bot ihr Neidhardt an.
Sie beendeten das Gespräch, da alle noch reichlich zu tun hatten. Elena verabschiedete sich von beiden und verließ den Palast. Draußen wurde sie von eisigem Wind empfangen. Schon seit Tagen gelang es den Temperaturen nicht, die Null-Grad-Hürde zu überschreiten. Elena mochte diese Zeit nicht. Wenigstens hatte es nicht geschneit. Sie bestieg ihr Auto und setzte sich in Bewegung. Zum Glück war es nicht weit bis zur Abtei .
Ihr Herz war erleichtert. Endlich würde sie den geliebten Freund nach Hause holen, dort, wo er hingehörte. Schon lange quälte sie deshalb das Unbehagen.
Es wurde Zeit, das unwürdige Schauspiel um Kovacs zu beenden.
Was Neidhardt betraf, so vermochte sie noch immer nicht, ihn richtig einzuschätzen. Offensichtlich tobte in seinem Innern noch immer eine harte Auseinandersetzung. Sie waren sich so nahe gekommen in letzter Zeit, aber nach wie vor bereitete es ihm die größten Schwierigkeiten, über seinen Schatten zu springen.
Noch lange würde er an sich arbeiten müssen. Doch genügte Zeit für dafür?
Eigentlich nicht, wenn man das atemberaubenden Tempo der Entwicklung betrachtete.
Alles hing an einem seidenen Faden und drohte bei der kleinsten Fehlentwicklung abzustürzen.
Elena fröstelte, sie bekam das Auto nicht warm. Was war mit ihr, neigte sie doch üblicherweise nicht so leicht zum Frieren. Aber dieser Winter schien es in sich zu haben. Ein Ende war nicht abzusehen.
Erleichterung überkam sie, als sie in die Toreinfahrt der Abtei einbog. Jetzt nur schnell ins Warme. Es war nicht einmal halb Fünf und die Dämmerung hatte schon eingesetzt, typisch Januar eben. Elena freute sich auf einen heißen Kräutertee mit Honig, den sie in dieser Jahreszeit besonders schätzte und auf eine Kuscheleinlage mit Madleen, das würde ihr die richtige Motivation verleihen. Zumindest einen Vorzug hatte die kalte Zeit, man konnte es sich am heimischen Herd gemütlich machen und des öfteren kuscheln. Die dunkle Jahreszeit drängte nicht zur Aktion. Alle kamen zur Ruhe, konnten durchatmen und Kräfte für das Frühjahr sammeln.
Schnell das Auto in die Garage.
Sie fand Madleen in der Küche vor, wo sie gemeinsam mit der kleinen Tessa und Kristin plauderte.
„Prrr, ist das eine Eiseskälte. Ich glaube, die Temperaturen sinken von Tag zu Tag. Am Ende droht uns vielleicht noch eine neue Eiszeit.“ begrüßte Elena die Anwesenden.
„Na, du siehst auch recht durchfroren aus. Komm an die warme Heizung. Ich mach dir einen Tee, der wird dir gut tun.“ Madleen erhob sich und half Elena aus dem dicken Mantel.
Diese kuschelte sich zu Kristin und Tessa an die Heizung.
„Ich kann mich nicht entsinnen, so einen kalten Winter erlebt zu haben. Ob das wohl noch lange so bleibt? Das wäre entsetzlich.“ stöhnte Kristin.
„Ich fürchte, die Kälte wird uns noch eine ganze Weile erhalten bleiben, der Winter hat die Oberhand. Hilft nichts, da müssen wir durch. So viel Aktion wie unbedingt nötig, so viel Gemütlichkeit wie möglich.“ erwiderte Elena.
„Unter diesen Umständen kann man dem Winter durchaus was abgewinnen!“ rief ihr Madleen vom Herd herüber.
„Ich nicht, ich brauch den Sommer, die Wärme, die Sonne. Mich im grünen Gras aalen.
Das wäre jetzt genau das Richtige.“ gab Kristin zu verstehen.
„Kann ich gut verstehen. Du hast auch was zu präsentieren. Und das geht im Winter ausgesprochen schlecht.“ antwortete Madleen.
„Alles zu seiner Zeit! Kommt alles wieder. Jetzt können wir nur abwarten. Seht ihr, diese Zeit sollten wir viel besser nutzen, um uns zu bilden, um zu meditieren, um gute Gespräche zu führen und vor allem Zukunftspläne schmieden. Uns einfach besser kennen lernen. Es kommen ständig neue Leute hinzu. Da kann man leicht den Überblick verlieren. Ja, und natürlich nie das Kuscheln vergessen.“ meinte Elena.
„Da können wir anschließend gleich damit beginnen! Kristin, machst du mit?“ schlug Madleen vor.
„Na, immer doch!“ gab diese zurück.
„Bin ich auch dafür! Keine Frage! Aber mal im Ernst. Das ist mir während der Heimfahrt im Auto ganz spontan in den Sinn gekommen.“ gestand Elena.
Madleen setzte ihr den dampfenden Tee vor und Elena sog den Duft der Kräuterextrakte tief ein und wärmte ihre kalten Hände an der Tasse.
„Nein, es ist doch einfach so. Auf uns kommt, wie es aussieht, eine enorme Verantwortung zu und wir sind nicht im Geringsten darauf vorbereitet. Das macht mir Angst.“
"Klingt gar nicht gut! Wie meinst du das?“ wollte Madleen besorgt wissen.
„Das Gespräch mit Cornelius und Neidhardt hat mir wieder mal deutlich vor Augen geführt, wie nahe wir einer Zeitenwende sind. Ihr müsst alle darauf vorbereitet sein, dass es den Staat, so wie wir ihn derzeit noch kennen, bald nicht mehr geben wird. Etwas Neues steht bevor, es liegt an uns, es zu gestalten!“ erwiderte Elena.
„Aber darauf haben wir doch die ganze Zeit über hingearbeitet. Du hast uns immer wieder ans Herz gelegt, offen für gravierenden Änderungen zu sein. Warum sorgst du dich jetzt?“ entgegnete ihre Partnerin.
„Ich habe mir nicht träumen lassen, dass es einmal so schnell passiert. In der Theorie, da ist alles sehr einfach. Da konstruiert man, macht Pläne, malt sich die neue ideale Welt in den buntesten Farben aus. Wenn es aber dann soweit ist und wir die gewonnen Ideen in die Praxis umsetzen sollen, da hapert es gewaltig. Das kann ganz leicht ins Auge gehen.“
„Aber hier in Akratasien konnten wir das Neue doch schon ausprobieren. Sicher gibt es eine Reihe von Defiziten, aber alles in allem funktioniert unsere Lebensweise gut. Glaubst du, dass der melancholanische Reststaat hiermit seine Probleme hat?“ erkundigte sich Kristin.
„Genauso könnte es eintreten!“ Elena nahm einen großen Schluck heißen Tee und ließ diesen ihre Kehle erwärmen.
„Neidhardt ist nicht zu halten, er hat sich längst mit seiner Niederlage abgefunden. Er wird die Macht weiterreichen an einen anderen. Dann könnte es wieder haarig werden, die gerade gewonnenen Freiheiten sich in Luft auflösen. Woher wollen wir wissen, ob der Nachfolger Neidhardts Reformweg fortsetzt? Und selbst wenn er das tut, wohin wird er uns führen? Zurück in die Demokratie! Wohin sonst, wenn eine Diktatur fällt.“
„Du glaubst, es könnte ein Zurück zu den vorrevolutionären Zuständen geben. Die Privo werden in ihre Privilegien wieder eingesetzt und so weiter. Alles wie gehabt.“Meinte Madleen.
„Zum Beispiel! Was hätten wir damit gewonnen. Ein Unrecht durch ein anderes ersetzt.
Sind das wirkliche Reformen?“
„Also dahin möchte ich auf gar keinen Fall zurück! Das langt mir für das ganze Leben.“ erinnerte sich Kristin.
„Ich auch nicht, Kristin! Seht ihr, wie wichtig unsere akratasische Föderation ist? Es erweist sich heute im nachhinein als richtig, damals den Schritt dieser formellen Staatsgründung vollzogen zu haben. Auch wenn bei uns noch vieles in den Kinderschuhen steckt, konnten wir doch etwas schaffen, etwas alternatives, so völlig konträr zu allen bisherigen politischen Systemen. Wir brauchen nicht bei Null anzufangen. Die Frage ist nur, wird das Netzwerk jetzt schon stark genug sein, an die Stelle des Staates zu treten? Bisher umgibt uns der Staat Melancholanien. Er breitete gleichsam einen Mantel aus über Akratasien, unter dessen Schutz die Föderation wachsen und gedeihen konnte. Gibt es diesen Mantel nicht mehr, was dann?“
„Du hast Recht! Darüber habe ich mir noch gar keine Gedanken gemacht. Wir
verfluchen den Staat als Herrschaftsinstrument. Aber ohne ihn?“ sorgte sich nun auch Madleen.
„Aber das hieße doch mit anderen Worten, dass all jene, die den Staat für unentbehrlich halten und uns dass immer wieder vorhalten, am Ende die Wahrheit sagen? Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr!“ stellte Kristin mir Verwunderung fest.
„Du verstehst mehr als du glaubst Kristin!“ entgegnete ihr Elena! „ Gerade deshalb müssen wir auf der Hut sein. Sie dürfen nicht obsiegen. Es liegt an uns, unter Beweis zu stellen, dass der Staat nicht zu den lebenswichtigen Dingen zählt. Dass die Menschheit Jahrtausende ohne einen solchen auskam und in Zukunft wieder auskommen wird. Das ist der Grund, warum ich der Meinung bin, dass wir viel besser darauf vorbereitet sein sollten.“
„Und was schlägst du uns vor? Was sollen wir tun?“ hakte Kristin nach.
„Uns einfach auf das regieren vorbereiten.“ antwortete Elena prompt.
„ Wir haben eine Königin, eine Kanzlerin, ein Kabinett.“ erwiderte Kristin.
„Selbstverständlich haben wir das. Doch waren unsere Funktionen doch eher symbolischer Art. Akratasien war de facto unabhängig, richtig! Viele Staaten der Welt erkannten diesen Status an. Trotzdem wurden wir gleichzeitig von Melancholanien aus weiter regiert. Eine Doppelherrschaft, die Außenstehende leicht verwirren kann.“ versuchte Elena zu erklären.
„Nicht nur Außenstehende!“ bekannte Madleen.
„Passt auf! Neidhardt schloss die Kommune damals aus dem melancholanischen Territorium aus, er glaubte, uns damit in die Knie zu zwingen. Über Nacht wurden wir zu Gesetzlosen. Freie Hand, um uns, wenn sich eine Gelegenheit ergäbe, vollständig zu vernichten. Doch statt dessen propagierten wir einen neuen Staat, damit rechnete keiner, vor allem nicht mit der schnellen Anerkennung durch das Ausland. Neidhardt hatte sich verkalkuliert. Ein schwerer Fehler. Er hat es mir erst kürzlich in einem Gespräch offenbart. Ihm waren die Hände gebunden. Er musste uns fortan zähneknirschend gewähren lassen, wollte er nicht einen internationalen Konflikt riskieren. Die zeitweilige Abriegelung durch die Grenzanlagen war eine ausgesprochen hilflose Maßnahme, um uns erneut unter Druck zu setzen, aber auch die scheiterte bekanntlich. Mit dieser Abriegelung trug er indirekt zu unserer Stabilität bei, denn wir konnten uns nun frei und ungehindert entfalten, unsere Ideen ausprobieren, während die Regierungsgeschäfte wie gewohnt von Melancholanien ausgeübt wurden. Wir waren die ganze Zeit über ein exterritoriales Gebiet, ohne uns tatsächlich regieren zu müssen, das taten die andern für uns. Natürlich immer in der Hoffnung eines Tages eine Wiedervereinigung in ihrem Sinne durchzusetzen.* Schwierig zugegeben! Doch demnächst wird es anders. Dann ist Schluss mit dem Spiel. Dann müssen wir unter Beweis stellen, dass wir tatsächlich des Regierens fähig sind.“
„Junge, Junge! Eine harte Nuss, da kommt in der Tat einiges auf uns zu!“ stellte Kristin fest.
„Wir werden uns sehr gründlich damit auseinander setzen müssen, solange wir noch die Zeit dafür aufbringen. Es ist richtig! Wenn es sich so verhält, sollten wir schnell damit beginnen.
Aber was ist denn aus dem Gespräch geworden? Haben die deinem Vorschlag endlich zugestimmt?“ wollte Madleen wissen.
„Ja, mit Zähneknirschen haben sich alle beide damit einverstanden erklärt.“ klärte Elena auf.
„Und wie wollt ihr vor gehen? So wie du vorgeschlagen hast?“
„Im Prinzip ja. Ich bin mir über den Ablauf selber noch nicht sicher. ich werde schon in den Folgetagen mit der Planung beginnen. Ich denke, dass wir es noch in diesem Monat durchführen.“ gab Elena zu verstehen.
„Ich hätte den großen Dichter gern persönlich kennen gelernt. Man hört so viel Gutes über ihn.“ wünschte sich Kristin.
„Ja, das hätte ich auch gern.“ bestätigte Madleen.
„Hast du nicht? Da hab ich wohl was falsch verstanden. Ich war immer der Meinung, ihr kanntet euch persönlich.“ wunderte sich Kristin.
„Kovacs starb nur wenige Tage vor Leander. Madleen trat doch erst viel später in mein Leben.
Ich hätte es euch beiden gewünscht. Er war ein ganz phantastischer Mensch, so etwas wie ihn gibt es heute nur noch selten.“ erklärte Elena.
„Ich habe mich nur ganz am Rande mal mit seinen Schriften befasst, da steckt wirklich etwas ganz besonderes darin. Man atmet regelrecht den Geist der Freiheit.“Bekundete Madleen voller Ehrfurcht.
„Ja, ich glaube, es wäre nicht zu vermessen zu behaupten, hier habe ein Prophet gesprochen.
Er weist deutlich auf eine neue Ära, etwas noch nie da Gewesenes. Es ist einfach nur eine Schande, dass seine Lehre so wenig Beachtung gefunden hat unter den damaligen Machtverhältnissen.“ bedauerte Elena.
In der Zwischenzeit hatte draußen ein heftiges Schneetreiben eingesetzt. Die Flocken wirbelten gegen die Fenster und der Sturmwind heulte.
„Nun kommt auch noch Schnee. Jetzt sitzen wir erst mal fest. Wie ich schon sagte, Zeit, in sich zu gehen.“ wiederholte Elena noch mal ihren Vorschlag.
Es klingelte an der Wohnungstür. Madleen öffnete und kam mit Gabriela herein.
„Ach, hier bist du, Kristin. Ich war der Meinung, du seiest in der Stadt unterwegs. Na Gott sei Dank.“
„Warum machst du dir Sorgen? Ich kann schon auf mich aufpassen. Ich bin doch schon lange zurück und als ich bemerkte, dass du nicht zu Hause bist, bin ich noch mal auf einen Sprung hier rüber.“ erklärte sich Kristin.
„Das ist eben echte Liebe, Kristin!“ gab Madleen zu verstehen.
„Die haben eine Unwetterwarnung durchgegeben in den Nachrichten. Ein Sturm mit heftigen Schneeverwehungen. Man sollte die nächsten Tage unbedingt zu Hause bleiben.“ berichtete Gabriela.
„Da hab ich ja die richtige Entscheidung getroffen dass ich heute noch bei Cornelius mit meinem Anliegen war und nicht wie ursprünglich geplant erst morgen.“ stellte Elena fest.
„Womit wir wieder beim Thema wären. Gabriela, du kommst im rechten Augenblick, Frau Historikerin, ich habe eine wichtige Aufgabe für dich.“
„So, da bin ich aber mal gespannt!“ antwortet die Angesprochene.
„Wir zwei setzen uns in den nächsten Tagen,günstigstenfalls gleich morgen zusammen, um uns noch mal gründlich mit Kovacs Schriften zu befassen. Colette sollte als Hüterin von Kovacs Vermächtnis unbedingt dabei sein. Die ist aber in der Eremo, zusammen mit Betül. Mal sehen, wie ich sie dazu bewegen kann, zu uns herunter zu kommen. Bei den schlechten Wettervoraussagen kann sie unmöglich dort oben bleiben. Wir werden Texte für eine Zukunftswerkstatt erarbeiten. Hm, wen könnten wir noch hinzunehmen, Leute vor allem, die sich in Fragen der Philosophie und Theologie auskennen na und in politischen Fragen natürlich?“ bestimmte Elena.
„Darf ich da auch mitmachen? Ich meine, ich kenne mich zwar nicht so damit aus wie ihr, aber ich interessiere mich dafür.“ gab Kristin zu verstehen.
„So? Das ist mir noch gar nicht aufgefallen.“ Wunderte sich Gabriela.
„Natürlich bist du willkommen! So wie jeder, der oder die ihr Interesse bekunden, immerhin ist das ganz in Kovacs Sinne.“ lud Elena ein.
„Wir brauchen noch nicht unbedingt zu hetzen, aber ein wenig Eile ist schon geboten. Denn bis zur Trauerfeier müssen wir etwas zustande bringen.“
„Wann in etwa sollte die stattfinden?“ erkundigte sich Gabriela.
„Ich rechne mit Ende Januar. Das heißt natürlich, wenn uns das Wetter keinen Strich durch die Rechnung macht. Wenn ich so nach draußen blicke.“ mutmaßte Elena.
„Nun mal den Teufel nicht an die Wand, Elena. Wir wollen doch hoffen, dass der Winter nicht so hart und streng bleibt.“ hoffte Madleen.
Der Abend verlief weiter in gemütlichen Bahnen.
Am nächsten Morgen, Elena hatte sich gerade erhoben, schellte bereits das Telefon.
Neidhardt meldete sich:
„Hallo, Elena! Ich wollte dir mitteilen, dass ich meine Entscheidung getroffen habe. Du kannst auf mich zählen bei der Trauerfeier. Ich werde meinen Teil übernehmen.“
„Das ist sehr lieb von dir. Ich danke dir. Vor allem, dass du dich so schnell gemeldet hast.“
dankte Elena.
"Wir müssen demnächst noch mal darüber reden. Heute hätte ich Zeit, aber wenn ich so nach draußen sehe, das sieht nicht erbaulich aus.“
„Auf keinen Fall, Elena! Sicher, ich würde dich auch gerne wieder sehen. Aber in Anbetracht der Witterungsverhältnisse kann ich das nicht verantworten. Da herrscht Chaos auf den Straßen. Bleib, wo du bist. Ich will nicht, dass du dich um meinetwegen in Gefahr bringst! Wir werden das zu gegebener Zeit nachholen.“ lehnte Neidhardt kategorisch ab.
„Danke dir, Neidhardt dass du dich so um mich sorgst.“ Elena musste sich immer wieder von neuem daran gewöhnen, dass sie mit dem ehemaligen Erzfeind nun auf so wunderbare Weise kommunizierte.
„Ach übrigens, wie geht es Cornelius?“
„Den Umständen entsprechend ganz gut, würde ich sagen. Ich war gestern Abend bei ihm, werde ihn gleich noch mal aufsuchen.“ antwortete Neidhardt.
Auch das hätte es noch vor kurzem nicht gegeben.
„Das ist auch sehr lieb von dir. Dann bleiben wir erst mal, wo wir sind. Aber sobald es besser wird, treffen wir uns wieder.“
Somit hatte Elena Neidhardt auch für diese Sache gewonnen, es konnte also nur besser werden.
Unterdessen hatten Schneeverwehungen den Verkehr so gut wie zum Erliegen gebracht. Die ganze Nacht gab es unaufhörlich Neuschnee. Es steiperte von den Dächern. Wer nicht unbedingt nach draußen musste, bleib in den schützenden vier Wänden.
Während sich Elena als Praktikerin erwies, konnte sich Akratasiens Königin vor allem der Theoriebildung widmen. Eine gute Arbeitsteilung, die allen zugute kam.
Colette hatte sich wieder in die Eremo zurückgezogen, auch wenn sie fortan keine richtige Einsiedlerin mehr war, da Betül nicht mehr von ihrer Seite wich.
Wie so oft erhob sie sich früh, um geistig zu arbeiten, am Morgen funktionierte das bei ihr noch am Besten. Die Zweisamkeit tat ihr ausgesprochen gut, vor allem war dies der Tatsache geschuldet, dass ihr Betül alle nur erdenklichen Lasten von den Schultern nahm. Sie führte den Haushalt, half bei der umfangreichen Textverarbeitung und nachts schlüpfte sie zu Colette unter die Decke und wärmte diese mit ihrem weichen geschmeidigen Körper.
Keine leichte Aufgabe für die junge Frau, denn aufgrund dessen, dass es sich bei Colette um eine hoch sensitive Person handelte, musste sie jede Menge hinzulernen. Und das binnen kurzer Zeit.
Wie alle Sensitiven verfügte Colette über eine ausgeprägte subtile Wahrnehmung wie etwa eine viel geschichtete Phantasie, aber auch ein erhöhtes Schmerzempfinden, sie hatte eine hohe Begeisterungsfähigkeit und ihre Interessen waren vielseitig. Ihr Langzeitgedächtnis hoch ausgeprägt, während sich ihr Kurzzeitgedächtnis so gut wie aufzulösen begann.
Colette konnte Befindlichkeiten, Stimmungen und Emotionen anderer Menschen leichter und detaillierter erkennen als gewöhnliche Menschen. Wie bei allen Sensitiven war auch ihr Denken stark intuitiv ausgeprägt und sie dachte stets in größeren Zusammenhängen.
Gewissenhaftigkeit und ein hohes Gerechtigkeitsempfinden waren bei ihr ebenso zu finden wie ein starkes Harmoniebedürfnis. Sie neigte zu einem übermäßigen Perfektionismus. Kunst und Kultur nahm sie intensiv war und fühlte sich von spirituellen Dingen immer stärker angezogen.
Colette erlebte und empfand einfach viel intensiver. Reize wurden von ihr tiefer und detaillierter aufgenommen und gespeichert. Stress, Leistungsdruck und Zeitknappheit waren für sie ein Gräuel und mussten ebenso vermieden werden, wie vieles andere mehr.
Lärm, vor allem monotone Geräusche, trieben sie schlichtweg zum Wahnsinn. Zum Glück war sie in der Eremo davor weitgehend sicher und die Geräusche, die hier vor allem aus der Natur zu ihr drangen, wirkten sich sogar wohltuend aus. Grelles Licht, etwa von Deckenbeleuchtungen, galt es zu vermeiden. Das gleiche traf auf einengende Kleidungstücke zu. Im Prinzip vertrug sie nur Kleidung aus Baumwolle oder weichem Leinen auf ihrem Körper. Stoffe die auf der Haut rieben, wie etwa Wolle verursachten bei ihr einen sofortigen Hautausschlag mit extremem Juckreiz.
Überhaupt musste die Kleidung unkompliziert und leicht an- und ausgezogen werden können.
So konnte etwa ein schwer verschließbarer Reißverschluss bei ihr eine sofortige Panikattacke nach sich ziehen.
Was die Ernährung betraf, hatte Betül auf eine ganze Liste mit Ver- und Geboten zu achten. Den umfangreichen Diätplan musste sie sorgfällig studieren, um hier auch kein Detail zu vergessen. Schon die kleinste Kleinigkeit konnte bei Colette zur Überlebensfrage werden.
Die Speisen musste sie günstigstenfalls lauwarm servieren, durften auf keinen Fall zu heiß gegessen werden, da sich bei Colette sofort die Nasenlöcher schlossen und Atemnot einsetzte, wenn starke Hitze in die Mundhöhlen trat. Ferne musste auf zu scharfe Gewürze verzichtet werden. Keinesfalls durfte das Essen zu stark gesalzen sein, das löste bei Colette Übelkeit bis zum Erbrechen aus.
Alkohol, Koffein und Nikotin sollte sie wenn möglich gänzlich meiden.
Ihr ausgeprägter Geruchssinn machte es ihr unmöglich, längere Zeit in Gegenwart starker Raucher zu verweilen. Der Geruch von kaltem Rauch auf Kleidungsstücken bewirkte bei Colette ein extremes Ekelgefühl. Ekel und Juckreiz bemächtigten sich ihrer ebenso beim Anblick von Schmutz und Staub jedweder Art.
Große Menschenansammlungen musste sie meiden, da ein lautes Durcheinandererzählen bei ihr Kopfschmerzen, Übelkeit und nicht selten Panikattacken verursachte.
Sensitive besitzen eine ausgeprägte Menschenkenntnis und verstehen es ausgezeichnet, unausgesprochene Worte zu verstehen. Colette konnte man nicht belügen, sie durchschaute es sofort, wenn Menschen versuchten sie zu hintergehen, ihr etwas vorzumachen, sich über sie lustig machten oder die Unwahrheit sprachen. Die ganze Art, wie sich Menschen gaben, entschied darüber, ob Colette mit ihnen zurecht kam oder nicht. Menschen mit einem dominierenden Charakter, die gerne befehlen, herrschen oder sich durch übermäßiges Geschwätz in den Vordergrund drängten, um andere auszubooten, kamen bei ihr nicht an. Überhebliche, selbstverliebte Charaktere, die mit ihrem Wissen, ihren Titeln oder ihrem Geld aufschnitten erzeugten bei ihr sofortiges Ekelgefühl. Die Antipathie solchen Personen gegenüber löste bei Colette nicht selten die Totalblockade sämtlicher Sinne aus.
Die Liste ließe sich erweitern. Kurz und bündig: Was Colette dringend zum Überleben benötigte waren Ruhe, Raum, Regelmäßigkeit und Reinheit. Kein Sensitiver ist im Stande längere Zeit ohne diese vier Faktoren auszukommen.
Was Colette hingegen unbedingt vermeiden musste, waren Reizüberflutungen jedweder Art. Diese betrafen sämtliche fünf Sinne. Und dann gab es außerdem noch den sechsten zu berücksichtigen, bei nicht sensitiven Personen entweder gar nicht oder wenn, dann nur fragmentisch ausgeprägt. Bei Sensitiven jedoch so hoch entwickelt, dass oft die letzten Energiereserven verbraucht werden, um die Wahrnehmungen, Eindrücke und Visionen zu verarbeiten.
Colettes schon erwähnter Hang zum Perfektionismus nahm unter Umständen groteske Züge an. Gelang ihr etwas nicht sofort, konnte das in einem Wutanfall enden. Nicht selten feuerte sie wahllos Gegenstände durch den Raum. Das bedeutete für Betül schnell in Deckung zu gehen.
Sehr einschränkend auch Colettes Wetterfühligkeit. Kalte, trübe und verregnete Tage lösen bei den meisten Menschen negative Gefühle aus, doch für Sensitive kann etwa ein plötzlicher Temperatursturz zu erheblichen gesundheitlichen Problemen führen. Wie ein wechselwarmes Reptil reagierte Colette entweder stark positiv oder negativ auf die jeweilige Wetterlage. Extreme Hitze machte ihr ebenso zu schaffen wie die derzeitige frostige Kälte. Eigentlich bräuchte es nur zwei Jahreszeiten zu geben, wie sie stets betonte, den Frühling und den goldenen Herbst.
Ähnlich verhielt es sich bei ihr mit den Tageszeiten, da sie sowohl auf grelles Licht als auf extreme Dunkelheit negativ reagierte, fühlte sich Colette am wohlsten in den Dämmerphasen des Tages. Das betraf sowohl Morgen- als auch Abenddämmerung.
Wie die meisten Sensitiven wünschte sie sich einen Tag ewiger Dämmerung. Ein Umstand, der bei Nicht-Sensitiven meist Kopfschütteln hervorrief.
Colette liebte die Natur, hier fühlte sie sich frei, zentriert und geerdet. Sie verstand es, mit den Elementen zu verschmelzen. Stunden konnte sie hier zubringen. Die Abgeschiedenheit kam ihr sehr entgegen. Andererseits musste sie vorsichtig sein, denn die Natur barg jede Menge Anfechtungen. Ihr Hormonüberschuss und die mit permanenten Reizüberflutungen verbundenen extremen Schweißausbrüche zogen Insekten in Scharen an. Deren Stiche verheilen bei einer sensitiven Person fünfmal so langsam als bei Nichtsensitiven.
Ebenso hoch die Erkältungsgefahr. Colette durfte sich nicht verkühlen, musste darauf achten, vor allem Bauch und Rücken warm zu halten.
Des Weiteren sollte sie Sonnenbäder unbedingt vermeiden. Ihre extrem empfindliche Haut vertrug überhaupt keine Sonne, setzte sie sich der Strahlung aus, drohte schon nach wenigen Minuten ein heftiger Sonnebrand.
Hinzu kamen noch Colettes körperliche Beschwerden, so etwa ihre Schmerzen in Nacken, Rücken und Beinen aufgrund ihres Bandscheibenvorfalles und des eingeklemmten Ischiasnervs in ihrem linken Bein.
Kein Wunder für die häufig anzutreffende schlechte Stimmung. Ein Mensch, der sich Tag für Tag solcher Art Beschwerden ausgesetzt sieht, ist selten ein guter Gesellschafter.
Eine harte Prüfung für eine hübsche junge Frau, die es doch eigentlich nicht nötig hatte, da ihre Auswahlmöglichkeiten in einem erotischen Schlaraffenland wie Anarchonopolis geradezu unbegrenzt schienen.
Doch ihr Ziel hieß durchhalten. Koste es, was es wolle. Und tatsächlich. In den wenigen Tagen, die Betül mit ihr zusammen war, besserte sich Colettes Gesundheitszustand erheblich. Deutlich weniger Schmerzen, zudem wirkte sie ruhiger, konzentrierter und ausgeglichener.
Schließlich verzeichnete sie einen Kreativschub von gigantischem Ausmaß, so dass sie ihre Leistungsfähigkeit in erheblichem Maße steigern konnte.
Die Gesellschaft der jungen Frau tat ihr einfach nur gut.
Nun saß sie hier und hatte den Kopf voller Ideen. Die umfangreiche Post der letzten Tage, von Betül fein säuberlich geordnet und nach Datum und Dringlichkeit sortiert. Was für eine heilsame Hilfe für jemanden, dessen lückenhaftes Kurzzeitgedächtnis kaum noch eine gezielte Beantwortung wichtiger Briefe zuließ. Vor Betüls Eintreffen hatte das endlose Chaos auf ihrem Schreibtisch ihre Motivation, zu arbeiten so gut wie zum Erliegen gebracht. Nun machte es ihr endlich wieder richtig Spaß, kreativ zu sein.
Der Brief, den sie gerade in den Händen hielt, bewegte sie zutiefst, knüpfte er doch in erheblichem Maße an die Erlebnisse der letzten Tage an.
Der Dalai Lama, mit dem sie einen intensiven Briefkontakt pflegte, schrieb ihr, wie er über das Verhältnis der Religionen zu den Menschen dachte. Eine alles umfassende, religionsübergreifende, für alle Menschen verbindliche Ethik brachte er ins Spiel, um so der immer deutlicher zutage tretenden religiös motivierte Gewalt in aller Welt entgegenzuwirken.
Religionen, in deren Namen Gewalt, Unterdrückung, Ausgrenzung und Diskriminierung ausgingen, seien schonungslos anzuprangern, wirkliche Spiritualität mit solchen Dingen unvereinbar. Notfalls müsse man auf die Religionen ganz verzichten. **
Starker Tobak, doch er traf ins Schwarze. Deckte sich das nicht voll mit den Aussagen, die Sheikh Abdul erst vor wenigen Tagen geäußert hatte? War das nicht im Sufi-Denken fest verankert?
Und Kovacs? Hatte der nicht bei jeder nur passenden Gelegenheit davon gesprochen und seine Gedanken in den umfangreichen Werken verewigt, die er Colette hinterlassen hatte?
Das konnte kein Zufall sein. Colette glaubte ebenso wenig wie Kovacs oder die Sufis an Zufälle. Vielmehr ging sie von Zusammenhängen aus. Ein großes Ganzes, von dem alles seinen Anfang nahm, jede Religion oder Spiritualität, jede Philosophie oder Ideologie schöpfte ursprünglich aus dieser Quelle.
Colette verglich die Texte, analysierte immer wieder von neuem, kam aber stets zum gleichen Ergebnis.
Trockene Theorien erschöpfen sich leicht. Es kam auf die Erfahrung an, das eigene Erleben, die Intuition.
Sheikh Abduls Worte hallten unaufhörlich in ihrem Bewusstsein nach.
„Alle Schriften sind neben dem Buch der Natur wie ein Teich neben einem Ozean!“
Ein einfacher Satz, der die Lösung in sich barg.
„Zurück zur Natur!“ Hatte das nicht schon Rousseau gefordert? Hier lief der Strang zusammen. So wie der Seiler einen Strick oder ein Tau aus einer Fülle einzelner Fäden zusammendreht.
Nur im Verein entfalten sie ihre Kraft, nur gemeinsam ergeben sie überhaupt einen Sinn.
Wirft man einem Ertrinkenden ein Dutzend dünner Fäden zu, nützen die ihm wenig, sie werden alle der Reihe nach reißen, sollte er versuchen, sich daran nach oben zu ziehen.
Das Tau allein ist stark genug, um zum Lebensretter zu werden.
Jede Religion bildet für sich allein nur einen Teilaspekt der allumfassenden Wahrheit. Nur im Verein mit den anderen kann sie ihre Mission erfüllen. Keine ist wichtiger oder besser als die andere. So wie auch alle Fäden innerhalb eines Taus gleichrangig sind.
Es gibt in Folge dessen nur eine Religion, den unentwegten Fortschritt in der rechten Richtung, dem Ideal entgegen, durch das der Lebenszweck einer Seele erfüllt ist.
Religion ist nur echt, wenn sie dem Menschen dient, ihn glücklich macht, ihn an der Fülle des Lebens teilhaftig werden lässt.
Und die Religion ist wiederum nur ein Teilaspekt eines großen Ganzen.
Gleichermaßen gilt es für die Philosophie oder politische Anschauungen.
Nur wenn diese dem Interesse der Menschen und darüber hinaus auch aller anderen Lebewesen dienen, sind sie wahrhaftig.
Der Anarchismus, gleichsam Philosophie und politische Anschauung in einem, konnte, bei alle Defiziten, die auch er aufzuweisen hatte, diesem Anspruch am weitesten gerecht werden, da er jedwede Herrschaft in Frage stellt und somit für ein Gleichgewicht der Kräfte sorgt.
Herrschaft dient niemals der Allgemeinheit, sondern immer nur einer kleinen Oligarchie, die sich über andere erhebt und Privilegien einfordert. Privilegien, die wiederum den Stein des Anstoßes bilden für Gewalt, Kriege, Unterdrückung, Ausgrenzung. Der ewige Kreislauf des Verderbens, ihn galt es zu durchbrechen.
Das Klappern von Geschirr riss Colette aus ihren Träumen. Doch es störte nicht, denn damit verband sich etwas Positives. Es kam von Betül, die das Frühstück bereitete. Der Duft frischen Kaffees, natürlich entkoffeiniert, drang in Colettes Nase, gemischt mit dem Geruch frischgebackener Brötchen, die ihre neue Gefährtin gerade aus der Backröhre zog.
Colette fühlte sich rundum wohl, ein schon lange verschüttet geglaubtes Glücksgefühl bemächtigte sich ihrer.
„Zeit zum Frühstück, meine Liebe! Oder störe ich dich bei deiner Arbeit?“
„Deine Störungen sind mir derzeit das Liebste, was ich erfahre! Ich komme!“
Noch ehe sich Colette erheben konnte, war Betül bei ihr und umarmte sie von hinten.
„So fleißig schon am frühen Morgen?“
„Ich möchte Elena und den anderen meine Gedanken vor tragen, wenn wir uns zur Klausur treffen. Die ist für übermorgen angesetzt. Hm, eigentlich habe ich im Moment gar keine rechte Lust auf so viel Gemeinschaft. Wir werden uns auch erst kurz vorher auf den Weg dorthin machen.“ meinte Colette.
„Sollte wir nicht viel lieber schon heute aufbrechen. Laut Wetterbericht soll es noch schlimmer kommen. Eine Sturmwarnung wurde durchgegeben.“ gab Betül zu bedenken.
„Ach, das macht mir nix! Wenn ich nur mit dir zusammen sein darf. Du und meine Ideen und Visionen, ihr seid die Beste Gesellschaft, die ich mir vorstellen kann.“ lehnte Colette ab.
„Ja, wenn du meinst!“
Colette ließ sich am gedeckten Tisch nieder und schenkte sich einen Kaffee ein.
„Findest du es nicht ein wenig zu kalt hier? Obwohl ich den Ofen schon sehr früh anheizte, scheint es noch immer nicht viel wärmer als vorhin.“ Betül rieb sich die Arme.
„Kann ich nicht sagen! Ich empfinde es genau richtig.“ entgegnete Colette.
„Wenn das Wetter sich nicht bessert, wird uns Sheikh Abdul wohl auch noch ne Weile erhalten bleiben, denke ich?“
„Ja. Die haben keine Eile. Stell dir vor, der Sheikh hat den Wunsch geäußert, eine Weile in die Stille zu gehen. Wie es aussieht, möchte er dafür zeitweilig eine der benachbarten Eremitagen bewohnen.“ antwortete Betül, sich erneut die Arme reibend.
„Wirklich? Das wäre ja großartig.“
„Das erleichtert mir die Entscheidung, hier zu bleiben ganz erheblich. Es bleibt ausreichend Zeit, alles in Ruhe zu durchdenken.“
„Ach, es läuft gut im Moment! Richtig gut! Ich bete nur darum, das es eine Weile so bleibt.“
gab Colette zu verstehen.
„Immer noch Angst vor dem, was die Zukunft bringen könnte?“
„Ja, ich werde diese Ängste wohl nie mehr überwinden. Ich sehe eben alles in großen Zusammenhängen, mein Blick geht weit voraus und sieht vieles, das anderen verborgen bleibt.
Das ist sehr vorteilhaft, kann aber auch zu einem gewaltigen Hemmschuh werden, vor allem wenn es Zwischenmenschliches betrifft. Es geht ja nicht nur darum, wie es mit uns weitergeht. Auch die Situation hier im Land treibt mir die Sorgenfalten auf die Stirn. Elena hat vollkommen Recht, wenn sie zur Eile drängt. Wir müssen uns besser vorbereiten. Ach, wäre doch nur Kovacs noch bei uns.“
„Ich habe einiges von ihm gelesen!“ meinte Betül, während sie sich ein Brötchen schmierte.
Er war ein großer Prophet! Ich denke das es nicht allzu ketzerisch klingt, wenn ich ihn so bezeichne. Er wäre der geborene Sufi-Murschid.“
„Hm, Kovacs als Sufi-Meister, das hätte sich der alte Anarchist wohl nie träumen lassen. Aber es stimmt. Seine Lehre war voll von spirituellen Weisheiten. Wir haben es damals nur nicht richtig erfasst. Jetzt auf einmal lichten sich die Schleier und ich sehe auf was er hinaus wollte. Übrigens glaubte auch er an die Ankunft einer Avatarin, wie er es zu nennen pflegte. Er berief sich dabei auf eine uralte Legende, die angeblich bis in die Steinzeit zurückreichen soll. Damals starb die Anführerin einer rebellischen Amazonenschwesternschaft eines gewaltsamen Todes. Ihr Leib starb, ihre Seele aber wurde unsterblich. Wenn sie sich auf einer oberen Plattform manifestiert, breche ein neues Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit an. Ganz ähnlich euren Vorstellungen des Mahdi.
Wenn ich nur wüsste was das bedeutet, Obere Plattform. Ich werde noch dahinter kommen. Ach, könnte er das alles noch erleben. Na wenigstens kommt er demnächst doch noch auf seine Art nach Hause.“
„Du hast ihn sehr geliebt?“
„Ja! Und wie!. Auch wenn es nie eine Beziehung im eigentlichen Sinne war. Bevor ich näher zu ihm dringen konnte, war es zu spät, da machte sein Tod alles zunichte.“
ließ Colette durchblicken
„Er war deine einzige Liebe?“ bohrte Betül weiter.
Colette senkte den Kopf, es versetzte ihr einen Stich ins Herz. Andererseits war sie froh, darüber sprechen zu können.
„Nein! Da gab es noch jemand in der Vergangenheit. Lange bevor ich hierher kam.“
Colette schwieg erneut.
„Es fällt dir schwer, darüber zu reden?“
„Nein! Nein, ich habe keine Probleme mehr damit, auch wenn es lange dauerte, bis ich wieder Boden unter die Füße bekam. Ja, meine Michaela. Sie war eine Kundra so wie ich, es war eine sehr Problem beladene Beziehung.
Sie lebte ein Leben auf der Überholspur, nahm alles mit, was sich ihr bot. Wilde Partys, Alkohol, auch Drogen und sie rauchte wie ein Schlot. Sie unterhielt auch andere Beziehungen neben mir. Das machte mir sehr zu schaffen, trotzdem habe ich sie unendlich gern gehabt.
Wir trennten uns. Doch ich kam nicht von ihr los. Ich versuchte es wieder und wieder. Dann endlich glaubte ich einen Weg gefunden, da ist sie einfach so gestorben. Plötzlich, mit Anfang Vierzig.“
Colette begann zu weinen und schnappte nach Luft. Die Wunden waren eben doch noch nicht verheilt.
Die neue Gefährtin sprang zu ihr und schloss sie einfach in die Arme, wog sie ohne Worte hin und her.
„Verzeih mir, es war nicht meine Absicht, alte Wunden auf zu reißen. Hätte ich gewusst, wie nahe es dir geht, wäre ich nicht so in dich gedrungen.“ entschuldigte sie sich.
„Nein! Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Es war richtig. Keine Sorge, es geht schon wieder. Wenn du bei mir bleibst, ist es dein Recht, über alles informiert zu sein, was mich betrifft. Weißt du, ich komme einfach nicht davon los. Ich habe ihren Tod bis zum heutigen Tag nicht überwunden. Verstehst du jetzt, warum ich solche Verlustängste auch dir gegenüber habe?
Der Tod war immer mein erklärter Feind, er kam mir stets in die Quere und nahm mir all jene, die meinem Herzen am nächsten standen. Angefangen von meinem Lieblingswellensittich in den Kindertagen, bis zu meiner großen Liebe.
Vor anderthalb Jahren starb mein Vater. Ich konnte mich nie mehr mit ihm versöhnen. Alles aus, abgeschnitten. Du kannst nichts mehr nachholen. Endgültig! Ein Leben einfach von einem zum anderen Augenblick ausgelöscht. Wehe dem, der nicht an die Unsterblichkeit der Seele glaubt. Wo könnte der einen Trost finden?
Versprich mir eines! Du musst dich mit deinen Eltern versöhnen, mit all deinen Angehörigen.
Bevor es zu spät ist. Versuche es immer wieder, lass keine Gelegenheit aus, damit es dir nicht am Ende so ergeht wir mir.“
„Ich will es versuchen! Auch wenn es im Moment wohl nicht viel bringt, denn die Fronten sind verhärtet. Aber ich bleibe dran.“ versprach Betül. „Du bist jetzt meine Familie und die anderen auch. Du bist die Königin von Akratasien und ich darf dir dienen. Ich fühle mich reich beschenkt.“
Wieder rieb sich Betül die Arme.
„Aber… du frierst ja!“ Colette griff nach deren Händen. „Ganz kalte Hände! Du fühlst dich nicht wohl?“
„Nein, mir geht es nicht gut! Ich friere entsetzlich!“
„Wir brechen sofort auf, in Richtung Konventsgebäude. Gleich nachdem wir zu Ende gefrühstückt haben. Was bin ich doch für eine Egoistin. Dort haben wir es schön warm und Elena kann gleich nach dir sehen, wenn wir unten sind. Natürlich ist es viel zu kalt hier und womöglich sind wir auch bald eingeschneit. Wir brauchen nicht viel mitzunehmen. Nur die Papiere dürfen wir nicht vergessen, da steckt die Zukunft für uns alle drin.“
Die Räumdienste der Abtei waren zwar permanent im Einsatz, aber sie kamen kaum nach, bei den Mengen an Schnee, die sich in den zurückliegenden Tagen über dem Gelände ausgebreitet hatten. Colette und Betül kamen nur sehr langsam vorwärts und mussten einander stützen. Mindestens 30 cm Neuschnee hatte sich auf den Wegen schon verteilt. In ein paar Stunden würde die Eremo von der Außenwelt abgeriegelt sein.
Der eisige Ostwind, der sich im Gesicht wie Nadelstiche ausnahm, erschwerte das Vorwärtskommen zusätzlich. Erst jetzt fiel Colette auf, wie groß doch das Gelände tatsächlich war.
Unter Aufbringung der letzten Kraftreserven erreichten sie schließlich die Pforte des Konventsgebäudes. Die großen mit Rundbögen gestützten Gänge empfingen sie mit erlösender Wärme. Beide waren so geschafft, dass sie den Aufzug in das vorletzte Geschoss benutzten.
Elena bekam fast einen Schrecken, als sie die beiden durchgefrorenen Gestalten an der Wohnungstüre erblickte.
„Colette, Betül! Endlich! Aber warum seid ihr nicht schon gestern gekommen? Am Abend zeigte sich das Wetter kalt, aber niederschlagsfrei. Stattdessen sucht ihr euch den schlimmsten Sturm seit Tagen aus.“ Elena eilte ihnen entgegen, um sie von ihren Mänteln zu befreien, Kristin, die gerade anwesend war, ging ihr dabei zur Hand.
„Colette wie geht es dir? Was ist mit deiner Erkältung? Du musst noch vorsichtig sein!“ fuhr Elena fort.
„Mir geht es ganz gut! Alles soweit überstanden! Kümmere dich um Betül, die scheint es erwischt zu haben.“
Elena wandte sich der neuen Schwester zu und bemerkte schon durch den Blickkontakt, dass sich die junge Frau nicht wohl fühlte.
„Ja, jetzt hast du dir dem Anschein nach was eingefangen!“ Elena tastete Betüls Stirn und Wangen ab.
„Dann stecke ich dich erst mal in die Wanne! Das wird dir gut tun! Du wirst sehen!
Madleeeeen!“
„Jaaaaaa!“
„Kannst du mal bitte Wasser in die Wanne lassen, für ein Erkältungsbad?“
„Ok! Für Colette?“
„Nein, für Betül!“
„Kein Problem!“
Elena geleitet die beiden erst einmal ins große Wohnzimmer. Dann begann sie in der Wohnküche einen Tee zu kochen.
„So, nun macht es euch erst mal gemütlich! Ihr habt mir eine schöne Angst bereitet. Das ist doch kein Wetter für die Eremo!“
„Naja, du kennst mich ja! Ich warte stets bis kurz vor der Angst, bevor ich eine Entscheidung treffe.“ antwortete Colette und blies sich kräftig in die kalten Hände.
„So bist du in der Tat! Jetzt gibt es einen heißen Tee. Für dich, Betül, habe ich ein paar besondere Kräuterextrakte reingetan. Die heilen von innen. Das Bad von außen. Du kannst dir die Tasse mit ins Badezimmer nehmen. Madleen wird sich um dich kümmern.“
Wortlos begab sich die orientalische Schönheit nach nebenan. Ein starker Duft von Kräutern stieg ihr in die Nase und sie musste niesen. Dann entledigte sie sich ihrer Kleidung und ließ sich in die in die dampfende Wanne gleiten.
„Wau, hast du einen tollen Körper.“ Madleen blieb vor Staunen der Mund offen stehen.
„Danke!“
„Ist deine Haut immer so schön bräunlich?“
„Ja, ständig! Ist der arabische Einschlag!“
„Arabisch? Ich dachte du seist Türkin?“ wunderte sich Madleen.
„Bin ich auch! Aber nur zur Hälfte! Mein Vater ist Türke! Meine Mutter Araberin, aus den Irak!“
Madleen bettete Betüls Kopf auf ein weiches Stützkissen und zog deren lange pechschwarzen Haare sanft nach hinten, damit diese nicht ins Wasser glitten.
„Ist das Wasser gut so oder ist es dir zu heiß?“
„Nein ganz richtig! Das gribblet total auf der Haut. Fühlt sich gut an.“ meinte Betül und atmete mehrmals tief durch.
„Richtig! Atme die Dämpfe gut ein. Du wirst sehen, es geht dir gleich viel besser. Elenas Zauberbäder und Zaubertränke haben es in sich, die entfalten oft eine ganz enorme Wirkung.
Ich find es übrigens ganz toll, dass du bei uns bleiben möchtest. Wir alle mögen dich sehr. Vor allem, weil du dich so um Colette kümmerst. Sie ist für uns alle ein ganz wertvoller Mensch. Leider haben es die meisten erst recht spät begriffen.“
„Ich hoffe, dass ich zu ihr durchdringe. Sie hat ständig Angst, ich könnte sie eines Tages verlassen. Nichts liegt mir ferner als das. Ich habe mich entschieden und so soll es bleiben.“
bekannte Betül.
„Bei Colette brauchst du vor allem Geduld. Wenn du richtig mit ihr umzugehen verstehst wird es leicht mit ihr. Dann ist sie total heiter, gelöst und stimmungsvoll. Ich hab sie auch sehr gern. Wie oft hat sie mich schon getröstet, wenn ich einsam war.“ erwiderte Madleen.
„Einsam? Du und einsam? Elena und du, ihr seid als Traumpaar bekannt!“ stellte Betül mit Verwunderung fest.
„Das sind wir auch! Jedenfalls die meiste Zeit! Aber mit Elena ist es nicht immer ganz einfach. Sie gehört eben allen und alle erheben einen Anspruch auf sie. Dann ist da noch die Sache mit dem therapeutischen Beischlaf. Du hörtest sicher schon davon?“
„Ja, ich bin im Bilde!“
„Da kommt es vor, dass ich mich sehr einsam fühle. Vor allem seit Elena noch ihre Beziehung zu Neidhardt pflegt. Da muss ich ganz schön mit mir ringen. Colette war stets der Rettungsanker. Hm, damit ist es nun vorbei!“
„Ach was! Warum denn? Natürlich bleibt sie das auch weiter für dich, Madleen. Dann kommst du eben zu uns beiden, wenn du einsam bist.“ Betüls Angebot klang verlockend.
„Du bist ein echter Schatz!“ Madleen umarmte die Neue Schwester von hinten und verabreichte ihr einen Kuss auf die Wange.
In einem flauschigen Bademantel gehüllt nahm Betül noch das Mittagessen ein. Doch sie war aufgrund des warmen Bades stark ermüdet. Schnell schlüpfte sie unter die Decke in Colettes geräumigem Zimmer und fiel bald darauf in einen heilsamen Schlummer.
Draußen dämmerte es schon, als sich Colette an deren Seite bettete. Sie schloss ihre neue Geliebte in die Arme, streichelte und wärmte sie und versorgte sie mit allem, was sie brauchte.
„Eigentlich kam ich zu dir, um mich um für dich da zu sein. Jetzt musst du mich behüten. Ist schon verrückt, oder?“ meinte Betül.
„Hm, wie es scheint, komme ich von der Kümmererrolle einfach nicht los. Die ist mir auf den Leib geschneidert. Aber es ist eine schöne Aufgabe und sie bekommt mir gut. Außerdem ist es meine verdammte Pflicht und Schuldigkeit. Du hast mich gepflegt, als mich die Erkältung erwischte und zum Dank dafür hab ich dich angesteckt.“ versuchte Colette zu beruhigen.
„Ist zu blöd, dass mir das passieren musste!“
„Ach was! Wir wollen für einander da sein, und gegenseitig tragen, mit all unseren Schwächen und Anfechtungen. Ist dir noch immer kalt?“
„Nein! Ich schwitze jetzt sogar.“
„Das ist gut! Ich glaube, wenn du heute und morgen den Tag über das Bett hütest, wird es morgen Abend schon besser sein. Dann bist du wieder fit, um an der Klausur teilzunehmen.“
„An der Klausur? Du meinst wirklich, ich könnte schon mit dabei sein? Aber ich bin noch gar nicht in die Schwesternschaft aufgenommen?“
„Das ist doch nur noch reine Formsache. Nein, du gehörst dazu. Ich glaube, es wird dir schon mal einen guten Einblick in unser Denken bieten. Es handelt sich übrigens nicht nur um die Schwesternschaft, denn es kommen auch noch einige Männer hinzu.
Das, worum es dabei geht, betrifft alle. Sämtliche Bewohner der Föderation.“
Elena trommelte am Abend des Folgetages alle zusammen, derer sie habhaft werden konnte, um mit ihrer theoretischen Arbeit zu beginnen.
Sie trafen sich zu diesem Zweck wie angekündigt im großen Meditationsraum auf dem Dachboden, da es eine größere Ansammlung werden sollte.
Als erste kam wie verabredet Gabriela, ihr folgten wenig später Alexandra und Kyra.
„Wer kommt denn alles dazu? Wie ich höre, soll es eine außerordentliche Zusammenkunft sein?“ wollte Kyra wissen.
„Na, möglichst viele aus der Schwesternschaft und auch von den Männern erwarte ich einige. Hoffentlich kommen wenigstens die Wichtigsten. Obgleich im Prinzip alle gleichwertig sind. Ihr wißt wie ich das meine. Aber ihr kennt unsere lieben Abteibewohner und Bewohnerinnen.“
„Ja, das ist der Fluch der Freiwilligkeit. Wenn kein muss dahinter steht, denken viele: Auf mich kommt es wohl nicht an. Am Ende erscheint dann nur eine Handvoll.“ befürchtete Kristin.
„Ich will es nicht hoffen. Es ist schon traurig, dass sich solcherlei Treffen auf die Bewohner der Anarchonopolis beschränken. Die übrigen Gebiete der Föderation geht das ebenso an. Aber wie bekommen wir die alle unter. Fragen über Fragen. Genau um solcherlei Dinge soll es bei unserer Besprechung gehen. Wir sind einfach auf nichts vorbereitet.“ bedauerte Elena zutiefst.
„Ich hoffe doch, dass Colette erscheint. Ohne sie bräuchten wir gar nicht erst zu beginnen. Wie geht es ihr überhaupt?“ wollte Gabriela wissen.
„Um Colette brauchst du dich nicht zu sorgen. Die kommt! Sie ist schon im Haus. Es geht ihr bedeutend besser. Das bewirkt der gute Geist an ihrer Seite.“ klärte Elena auf.
„Du meinst Betül? Ich hatte bisher kaum Gelegenheit, sie richtig kennenzulernen. Aber man erzählt sich von ihr nur in den buntesten Farben.“ meinte Alexandra.
„Ich konnte mich schon eingehend mit ihr beschäftigen. Ich sage euch, sie ist ein Segen nicht nur für unsere Colette, nein, für uns alle.“ lobte Madleen.
Sie hatte kaum ausgesprochen, als sich die Tür am Ende der Treppe, die nach unten führte, öffnete, und Colette mit ihrer Gefährtin erschien.
„Sind wir zu spät?“ wollte Colette wissen.
„Keineswegs! Lasst euch nur Zeit. Kein Grund zur Eile. Du siehst ja, welche Massen sich hier oben schon versammelt haben.“ begrüßte Alexandra die Neuankömmlinge.
„Jaja! Das übliche! Ich dachte mir schon so etwas!“ entgegnete Colette noch ganz außer Atem. „Es ist doch für euch in Ordnung, wenn Betül an der Zusammenkunft teilnimmt? In Hinblick auf die Tatsache dass sie noch nicht eingeweiht wurde?“
„Betül ist uns herzlich willkommen. Die meisten brennen sogar darauf, sie näher kennen zulernen.“ antwortet Kristin und sprach damit für alle Anwesenden.
„Gut! Noch mal überlegen! Eigentlich sind alle auf dem Gelände anwesend. Das ist der Vorteil bei so einem Mistwetter. Chantal und Eve kommen etwas später, die sind noch in der Redaktion. Auf die ist immer Verlass. Inga und Sonia wissen Bescheid. Das gleiche gilt für Cassandra und Luisa. Warum die noch nicht da sind, weiß der Teufel. Alexandra und Kyra, wo stecken denn eure Männer?“ versuchte Elena in Erfahrung zu bringen.
„Keine Ahnung! Als wir von daheim aufbrachen, waren sie nicht da. Aber Bescheid wissen die. Naja, wie Männer eben so sind. Ich gehe aber davon aus, dass die demnächst hier eintrudeln.“ gab Kyra zu verstehen.
„Es dauert ne Zeit, um hierher zu gelangen. Es stürmt schon wieder draußen.
Mein Gott, hört das denn nie mehr auf?“ warf Gabriela ein.
„Ich gehe davon aus, dass sich die Schneefälle spätestens im Juni erledigt haben. Aber das Wetter kann man nun wirklich nicht für das Fernbleiben verantwortlich machen, Gabriela. Ich würde es absolut verstehen, wenn die Leute eine kilometerlange Anfahrt hätten. Aber so? Das ist keine Entschuldigung!“ schimpfte Elena.
„Also fangen wir nun an oder sollen wir noch länger warten?“ erkundigte sich Madleen.
„Noch zehn Minuten, keinesfalls länger. Tagen wir zunächst in Minimalbesetzung. Dann dürfen sich die zu spät Gekommenen aber auch nicht beschweren, wenn sie nur die Hälfte mitbekommen.“ lehnte Elena ab.
In der Zwischenzeit hatten sich die Anwesenden schon einmal auf dem Boden platziert. Noch gab es jede Menge Platz.
Da trafen Inga und Sonia ein. Wenig später folgten Ronald und Folko, begleitet von Lars.
„Na wer sagt´s denn. Also, ich denke wir fangen einfach an!“ schlug Elena vor.
Sie wollte gerade ansetzen, als sich die Tür ein weiteres Mal öffnete und Annett mit Valeria den Raum betrat.
„Na Valeria, wo hast du denn deinen Mann gelassen?“ wollte Madleen wissen.
„Ich weiß nicht! Ich habe deinen Bruder heute Vormittag zuletzt gesehen!“ antwortet Valeria wie gewohnt mit leiser Stimme.
„Bitte kein Geblubber mehr! Ich sage, wir fangen an!“ bestimmte Elena.
„Richtig! Sprich mal ein ordentliches Machtwort!“ freute sich Kyra.
„Manchmal ist das bitter nötig. Die Akratie kommt nicht wie ein Zugvogel zu uns geflattert, auch wenn das nicht wenige erwarten.“
Elena zögerte.
„Ja, auf was wartest du? Fang doch einfach an!“ forderte Madleen ihre Gefährtin auf.
„Ich… ich hab plötzlich den Faden verloren! Dieses ganze Gewisper, dieses Trödelei und so weiter und so fort. Ich muss erst mal alles ordnen.“
Elena kramte leise vor sich hin fluchend in ihren Papieren.
„Also, ich habe euch heute zusammengerufen, weil sich in unserem Lande, damit meine ich schon jetzt beide Landesteile, folgenschwere Veränderungen anbahnen. Cornelius wird in etwa einem Monat abtreten. Es sei ihm gegönnt, er ist sehr krank und hat lange genug durchhalten müssen. Normalerweise stünde Neidhardt bereit, sein Erbe anzutreten, davon sind wir bisher ausgegangen. Doch aufgrund gewisser Ereignisse wurde im letzten Herbst eine sanfte Revolution eingeleitet. Die Herrschaft der Staatspartei RRP ist ins Wanken geraten, Auflösungserscheinungen, wohin man auch blickt. Neidhardts Machtapparat verliert fortwährend an Einfluss. Er selbst trägt sich mit dem Gedanken ebenfalls das Handtuch zu werfen…
„Na, das wurde auch langsam Zeit! Ich hoffe, er wirft es soweit von sich, dass er es nicht mehr wiederfindet!“ gab Lukas zum Besten, der gerade mit Kim an seiner Seite die Treppe hinaufschlurfte.
„So haben wir es gern, zu spät kommen und den großen Rand. Setzt dich und halt die Klappe, Lukas, sonst fahre ich mit dir Schlitten.“ bekundete Elena ihren Unmut.
„Au, eine Schlittenfahrt mit Elena, das wird sicher cool!“ Wortlos richtete Elena ihren Blick in Richtung Lukas, dieser wusste, was das zu bedeuten hatte und zog es vor, den Mund zu halten.
„Mist, jetzt bin ich wieder aus dem Konzept! Äh ... ja... äh. Also, es ist damit zu rechnen, dass es ein Machtvakuum gibt. Das kann für uns außerordentlich gefährlich werden. Hardliner könnten das ausnutzen, um erneut eine Diktatur zu installieren. Dann hätten wir alles verloren, was wir uns in den letzten Wochen so mühsam aufgebaut.“
„Ja, Elena, das wissen wir doch. Du stößt uns doch ständig mit der Nase drauf.“ unterbrach Alexandra den Redefluss.
„Das tue ich aus gutem Grund, aber leider ohne nennenswerten Erfolg. Leute, versteht ihr nicht? Es liegt an uns, demnächst eine Regierung zu bilden, entweder ganz allein oder zumindest in Koalitionen. Dann müssen wir wirklich ran. Das ist kein Vergleich zu dem, was wir derzeit in der Föderation unter einer Regierung verstehen. Ich habe es mir bis vor kurzem auch noch ganz einfach vorgestellt. Unseren Lebensstil auf ganz Melancholanien, bzw dann Ex-Melancholanien übertragen und fertig ist die Akratie. Nein, so einfach läuft das nicht. Wir haben geschlafen, wir sind mitnichten vorbereitet.“
„ Was schlägst du vor, was wir tun sollten?“ wollte Gabriela wissen.
„Zunächst erst mal in uns gehen!“
„In uns gehen?“
In der Zwischenzeit waren auch Chantal und Eve eingetroffen und ließen sich an Elenas Seite nieder. Ein Umstand, den Elena freudig begrüßte, denn Chantal war eine der wenigen, die der Problematik mit dem nötigen Ernst begegnete. Etwas, das sie bei vielen andern vermisste.
„Ich denke, Elena geht davon aus, dass wir ein tragfähiges Konzept für die Zukunft benötigen.
Nennen wir es ruhig Regierungsprogramm. Aber darüber hinaus sollten wir weiterdenken und unsere Ordnung auf ein weltanschauliches Fundament setzen.“ brachte sich Chantal gleich mit ein.
„Genau, Chantal! Das ist das Stichwort. Und das müssen wir uns dringend erarbeiten.“ stimmte Elena zu.
„Und das muss heute Abend sein?“ zweifelte Kyra an der Machbarkeit.
„Heute Abend oder die Folgetage. Wir können es uns nicht leisten, diese Problematik in einem fort zu vertagen.“ entgegnete Elena.
Colette, die es bisher vorgezogen hatte, zu schweigen, glaubte, dass es nun an der Zeit sei, sich zu Wort zu melden.
„Welcher Weltanschauung folgen wir? Es gibt eine Reihe von Entwürfen, die uns Kovacs hinterlassen hat. Ich lege Wert auf den Begriff Entwürfe. Es war zunächst reine Theorie. Wir haben vor Zeiten den Aufbruch gewagt, um diese Theorie mit Leben zu erfüllen. Noch im vorrevolutionären Melancholanien, konnten in den turbulenten Zeiten der Revolution durchhalten, bis zum heutigen Tag. Was gab uns die Kraft dazu? Was glaubt ihr?“
Colette blickte in die Runde. Schweigen. Achselzucken.
„Seht ihr! Ich wisst es nicht. Ist es schon so lange her, das ihr den Enthusiasmus von damals komplett vergessen habt?“
„Wir brachen auf, um etwas Neues zu schaffen. Ein Experiment, dessen Ausgang damals völlig im Dunkel lag. Im Grunde waren wir aus heutiger Sicht betrachtet ein wenig naiv. Aber in der Zwischenzeit liegt ein gutes Ergebnis vor uns, das sich bei allen Defiziten, durchaus sehen lassen kann...“ meinte Ronald zu wissen.
„Etwas Neues! Ja, das ist wohl eine treffsichere Bezeichnung. Im Grunde wussten wir kaum, auf was wir uns einließen. Es gab nur eine Idee und der folgten wir. Und da gab es jene, die vorangingen. Neben Kovacs war es vor allem Elena, deren Gesellschaft wir alle suchten. Sie erleichterte uns das Durchhalten in erheblichem Maße. Auf Elenas Kraft war stets Verlass. Ihre Ausstrahlung, ihr Organisationstalent, ihre Beziehungen, ihre Energie führten uns durch so manchen Sturm. Und nicht zuletzt ihre finanziellen Reserven. Wer ermöglichte denn den Kauf der Abtei, die uns schon solange in ihren schützenden Mauern ein sicheres Zuhause bietet? Überlegt! Was hätten wir denn ohne diesen Ort vermocht? In dessen Abgeschiedenheit konnte sich das Neue, das Unbekannte entfalten. Der Weg war frei in Richtung Anarchonopolis und schließlich wurde Akratasien geboren.“ fuhr Colette weiter fort.
„Wir haben es tatsächlich geschaffen, jenes unbekannte Neue, das uns vorschwebte. Das ist wirklich ein guter Grund, mit Stolz auf das Erreichte zurückzublicken. Es ist nicht mehr nur reine Theorie. Wir haben die Idee in die Praxis geleitet. Wir stehen nicht mit leeren Händen da. Nein, wir haben etwas, auf das wir bauen können.“ erwiderte Gabriela mit Stolz in der Stimme.
„Was sich daraus entwickelt? Keiner vermag das in diesem Moment zu sagen.“
„Gabriela hat Recht! Wir können mit Genugtuung auf das bisher Geschaffene zurückblicken... Wir haben Kovacs Visionen gut umgesetzt.“ stimmte Alexandra zu.
„Und da bist du dir sicher?“ zweifelte Colette.
„Ja, natürlich! Warum nicht?“
„Ich bin mir gar nicht mehr sicher und das schon seit geraumer Zeit. Am Anfang, als wir noch ein kleiner Haufen waren, unten am Stausee in der Laubenpiepersiedlung, als alles noch gut überschaubar war, konnte man das durchaus noch so bezeichnen. Nachdem wir in die Abtei umzogen und sich das Gelände füllte, später gar die anderen Gebiete anschlossen, da glitt uns eines nach dem andern aus den Händen.“ brachte es Colette nun auf den Punkt.
„Das ist aber doch normal. Die Geschichte ist voll von guten Ansätzen und dem was daraus wurde. Ich denke, das lässt sich nicht vermeiden. Das wird hier nicht anders sein. Wir sind gezwungen Kompromisse einzugehen, wenn wir etwas erreichen wollen.“ schaltete sich Folko ein.
„Ich hege die gleichen Bedenken wie Colette. Und hier liegt unser wunder Punkt. Schon lange zeigen sich Fehlentwicklungen, wohin wir auch blicken. Leider bin ich nicht ganz unschuldig daran. Ich trage hier die Verantwortung und habe einfach zu viel durchgehen lassen. Akratie bedeutet eben nicht: 1. Es gibt kein Gesetz! Und 2. auch daran muss sich keiner halten! Aber viele denken so. Vor allem die Neuzuzüge der letzten Zeit bereiten mir Kopfschmerzen. Wir müssen erst unseren eigene Stall aufräumen bevor wir den Schritt nach draußen über die Grenzen wagen können. Das ist es, was euch Colette sagen will!“ stärkte Elena der Königin den Rücken.
In der Zwischenzeit hatte sich der Raum gut gefüllt. Immer mehr waren eingetroffen, was natürlich auch für ständige Unruhe sorgte.
„Niemand bezweifelt, dass es Missstände gibt. Auch ich habe immer wieder so manches auszusetzen. Aber sagt uns der Einfachheit halber doch, was ihr im Konkreten zu beanstanden habt. Dann wird es für uns alle leichter, mit dem aufzuräumen.“ bemerkte Ronald.
„Etwas Neues wollten wir schaffen, wie du dich vorhin erinnert hast, Ronald.“ fuhr Colette fort.
„Es ist uns gelungen! Aber nicht für alle. Wenn ich in den Raum blicke, sehe ich viele glückliche Gesichter. Menschen, die ihr Leben in der Tat erneuerten und somit zu Recht zufrieden zurückblicken. Unsere Maxime lautete stets: Es darf keine Verlierer geben! Doch gibt es hier erhebliche Defizite. Stattdessen produziert Anarchonopolius seit geraumer Zeit Verlierer am laufenden Band. Resignation macht sich breit bei nicht wenigen und Ernüchterung.
Wir wollten die Unterschiede überwinden, die uns Menschen von einander trennen. Doch beginnt sich seit langem schon wieder eine Elite herauszubilden, die einen Sonderstatus für sich in Anspruch nimmt. Das ist ganz und gar nicht in Kovacs Sinne.“
„Das ist sicher richtig! Aber so ist es nun mal. Wir können es nicht verhindern. Es hat immer elitäre Strukturen gegeben. Es gibt Menschen, die mit Führungsaufgaben betraut werden, weil sie eben die Fähigkeit dazu mitbringen.“ entgegnete Folko.
„Jetzt spricht der ehemalige Vizegroßmeister!“ erinnerte Colette diesen an seine Vergangenheit.
„Du brauchst mich nicht an mein Vorleben zu erinnern. Ich weiß, was ich war, ich weiß aber auch, was ich jetzt bin. Man muss einfach unterscheiden zwischen einer positiven und einer negativen Elite. Ich sehe in der Schwesternschaft eine hervorragende Leitungsebene. Sie hat Führungsaufgaben übernommen und setzt diese positiv zum Wohle aller Bewohner ein. Das kann sie auch in einem vereinigten Melancholanien/Akratasien tun.
Wir alle blicken mit Achtung auf zu den Schwestern. Das ist doch kein Vergleich zu den finsteren Machenschaften des damaligen Blauen Ordens.“
Viele signalisierten kopfnickend ihre Zustimmung.
„Du bist unsere Königin, Colette! Du stehst an der Spitze der Schwesternschaft. Die Menschen mögen dich, so wie sie Elena mögen. Was könnte daran falsch sein?“ wollte Kristin wissen.
„Solange es sich um symbolische Funktionen handelt, nichts. Aber ihr habt Elenas Warnung gehört. In Zukunft werden wir tatsächliche Regierende sein.
Wollt ihr meine Zukunftsprognose? Ich will sie euch sagen. Wisst ihr was geschieht, wenn Neidhardt von der Bühne getreten ist? Nicht lange und wir kehren zu den alten vorrevolutionären Zuständen zurück. Es wird sich eine neue Privoelite bilden, teils aus ihren alten Angehörigen, zum anderen werden Neuaufsteiger hinzurücken. Alter und Neuer Adel vereint. Die Preka kommen wieder, denn wer sollte die an fallenden Arbeiten übernehmen? Die schuften wieder im Akkord, bis sie aus den Latschen kippen. Und dann wird es wieder die Aussortierten geben, die die keiner mehr braucht, all jene, die überflüssig sind, die Nichtexistenzen, die neuen Paria.“
„Genau das fürchte ich auch! Auch Neidhardt äußerte sich erst kürzlich besorgt in diese Richtung! Das ist der Grund, warum ich euch hierher beordert habe. Damit wir gemeinsam überlegen, was zu tun ist um diese düstere Prognose zu verhindern!“ schloss sich Elena an.
„Indem wir endlich bei uns selbst an fangen! Wer die Welt verbessern will muss zunächst in seinem Herzen aufräumen. Erinnert euch der Worte des Sufi-Sheikh: Überwindet das falsche Ego. Und? Haben wir es überwunden? Wir haben nicht einmal damit angefangen.“ begann sich Colette zu entrüsten.
„Dekadenz macht sich breit. Da sind sie wieder, die Wohlhabenden und Schönen, die auf Kosten anderer leben und sich hier ihren Traum erfüllen konnten, ein Leben ganz der Muße und den schönen Künsten zugewandt. Und da sind die anderen, die nur ihre Arbeitskraft ein bringen können, weil sie nichts anderes besitzen. Auch die wollen leben, auch die haben Wünsche und möchten sich Träume erfüllen.“
Instinktiv griff Betül nach Colettes Hand und drückte diese. Colette fühlte sich stark und ausgeglichen. Ihr Akku wurde geladen. Eine innere Stimme schien ihr zuzurufen. `Du bist nicht allein! Nun gibt es einen Schutzengel, der an deiner Seite wacht und deine Seele streichelt, wenn sie sich einsam fühlt oder wenn ihr die Energie zu versiegen droht.`
„Ich verstehe dich nicht, Colette. Das Kabinett hat doch vor wenigen Tagen eine einheitliche Arbeitszeitregelung für alle beschlossen. Wir konnten einen Missstand beseitigen, von nun an ist für mehr Gerechtigkeit gesorgt. Was sollen wir denn noch tun?“ widersprach Gabriela.
„Gesetze kann man ändern! Aber es geht hier nicht um Gesetze sondern um Gefühle, die wir in uns tragen. Und die können wir nicht per Dekret vom einen zum anderen Augenblick auslöschen und durch andere ersetzen. Ich habe die schlimmen Auswüchse nicht vergessen, die sich hier ereigneten. Die Arbeit ist eine Sache, aber die Frage danach, geliebt zu werden oder nicht, eine andere, viel schwerwiegendere. Lieblosigkeit ist keine Ordnungswidrigkeit, sie ist ein Verbrechen. Es gibt Menschen, die daran zugrunde gehen. Oder habt ihr Edgar vergessen, um nur eines der krassesten Beispiele zu nennen? Ihr habt ihn verrecken lassen wie einen Hund. Er wusste keinen anderen Ausweg mehr als seine Selbstauslöschung. Während er einsam und verlassen aus dem Leben schied, haben andere sich vergnügt, gefeiert und getanzt.“
Das saß! Eisiges Schweigen! Einige begannen zu weinen. Das schlechte Gewissen trat offen zutage.
„Also Leute, ich verstehe langsam überhaupt nichts mehr.“ schaltet sich Ronald etwas ungehalten ein.
„Elena, erklär uns doch bitte noch einmal, warum wir hier sind? Hier werden zwei Sachverhalte vermischt. Wollten wir uns nicht über ein tragfähiges Regierungskonzept verständigen? Stattdessen sprechen wir über Gefühle, zwischenmenschliches und Missstände hier in Anarchonopolis.
Natürlich ist das auch wichtig! Aber können wir das nicht zu einem späteren Zeitpunkt klären? Vor allem kommt es doch darauf an einen Plan zu entwerfen, wie es nach Neidhardts Abdankung weitergehen soll! Dafür bleibt uns nur sehr wenig Zeit!“
„Ich kann mich Ronald nur anschließen! Darum sollte es jetzt vorrangig gehen. Damit will ich das andere keineswegs abwerten. Auch darüber müssen wir uns verständigen. Colette hat das richtig eingeschätzt. Aber die Frage der zukünftigen Regierung ist einfach zu wichtig, als dass wir sie vertagen könnten.“ stimmte Folko seinem Vorredner zu.
„Colette ist unsere Königin! Was sie uns sagen will hat Hand und Fuß, als ihre Kanzlerin stehe ich an ihrer Seite.“ fuhr Elena dazwischen.
„Beide Sachverhalte sind gleich wichtig, denn sie bedingen einander. Nur wenn wir unsere libertären, matriarchalen Ansichten und Vorstellungen festigen und zum Leitmotivunseres Handels erklären, werden wir imstande sein, eine zukünftige Regierung erfolgreich zu führen. Lassen wir aber jetzt schon zuviel an Kompromissen zu, könnte uns das als Schwäche ausgelegt werden. Die anderen, mit denen wir notgedrungen zusammenarbeiten müssen, könnten versucht sein, uns über den Tisch zu ziehen. Das werden wir verhindern.
Aus diesem Grund hat Colette vollkommen Recht. Unsere Gemeinschaft darf nach Außen keine all zu großen Defizite erkennen lassen. Wir wollen die Akratie, wir wollen das Matriarchat. Diese beiden Aspekte sind nicht verhandelbar. Aber sie müssen zunächst hier in den Mauern der Abtei erfolgreich praktiziert werden, wollen wir als starke Verhandlungspartner in den Ring steigen.“
„Es gibt nicht wenige, die die Überzeugung vertreten, dass Matriarchat und Akratie nicht vereinbar seien. Die gehen davon aus, das Matriarchat eine von Frauen dominierte Gesellschaft sei. Die Männerherrschaft würde einfach durch eine Frauendominanz ersetzt. Akratie hingegen bedeute fern jeglicher Herrschaft. Folglich sei es ein Antagonismus. Was ich damit andeuten will, ist einfach nur, dass unsere Kritiker alles in die Waagschale werfen werden, was sich dafür eignet, unsere Vorstellungen zu diskreditieren.“ meinte Chantal.
„Wenn wir denen aber ein lebendiges positives Beispiel präsentieren, würden wir ihnen von Anfang an den Wind aus den Segeln nehmen.
Aus diesem Grund unterstütze auch ich Colettes Kritik an den derzeitigen Zuständen hier.“
„Nach langer Abwesenheit lebe ich erst wieder seit einigen Wochen hier. Die ersten Tage nach unserer Rückkehr ist es mir gar nicht aufgefallen. Wir vier lebten auf einer Wolke, alles war so schön. Das Gefühl, wieder zu Hause zu sein und dann die neue Art der Beziehungen. Ich war blind für die Realität, die mich umgab. Ich wollte die Wahrheit nicht akzeptieren. Aber ich muss gestehen, dass Colette den Durchblick hat. Wenn ich den Vergleich zu früher ziehe, stelle ich auf einmal viele negative Veränderungen fest. Es ist nicht mehr die Gemeinschaft, die ich kannte und liebte. Colette, ich stehe an deiner Seite.“ bekannte nun auch Kyra.
„Ich danke euch allen! Ich spüre, dass ihr es ehrlich meint. Ein übersteigertes Glücksgefühl hat schon so manchen die Realität vergessen lassen.
Die Tatsache, dass ihr es jetzt begreift, ist der erste Schritt in Richtung Besserung.“ dankte Colette
„Wir werden parallel an beiden Sachverhalten arbeiten.“ schlug Elena nun vor.
Es bedarf einer Zeit des Übergangs, dabei müssen wir so viel an Zeit herausschinden wie nur eben möglich. Cornelius und Neidhardt hoffen, dass ich an ihre Stelle rücke. Ich habe den beiden mehr als einmal eine Absage erteilt. Ich werde als Beraterin gerne zur Verfügung stehen, aber die Verantwortung kann ich nicht übernehmen.“
Der Raum wurde von einem Gemurmel durchzogen. Auch hier konnten viele diese Absage nicht nachvollziehen. Sie hofften auf Elena als die starke Frontfrau, bereit, sich mit vollem Einsatz in die Herausforderung zu stürzen.
„Schon gut! Ich revidiere meine Aussage. Ich stehe derzeit nicht zur Verfügung. Ich möchte aus dem eben von Colette und anderen genannten Gründen vorerst im Hintergrund arbeiten, um die Akratie besser planen zu können. Rufen wir schon jetzt die herrschaftslose Gesellschaft aus, könnte das in einem Chaos enden. Dann liefern wir unseren Gegnern jene Munition, mit der sie später auf uns schießen.“
„Dann aber benötigen wir so eine Art Übergangsregierung. Wer aber sollte sie führen?“ gab Gabriela zu bedenken.
„Es müsste mir gelingen, Neidhardt dazu zu überreden doch noch für eine Weile auszuharren und Cornelius Posten wie geplant zu übernehmen. Solange bis wir stark genug sind. Aber ich habe meine Zweifel, ob das Volk ihn noch so lange akzeptieren wird.
Oder wir müssten eine andere Person finden. Aber woher nehmen, wenn nicht stehlen?“
erwiderte Elena.
„Ich glaube wir haben so eine Person unter uns.“ meinte Ronald zu wissen.
Es gibt einen wie geschaffen für so eine Funktion und das ist Lars.“
„Was???? Sag mal, du hast sie wohl nicht mehr alle?“ fiel der Angesprochene aus allen Wolken.
„Wie… wie kommt du denn auf diese abstruse Idee? Das kann sich dabei wohl nur um ein Scherz handeln.“
„Keineswegs! Ich habe das gut durchdacht. Lars, du warst Neidhardts Stellvertreter und zum Schluss sogar sein designierter Nachfolger. Was also liegt näher diese Bestimmung in die Tat umzusetzen? Du könntest eine solche Funktion des Übergangs ausführen, natürlich unter völlig anderen Voraussetzungen als ursprünglich von Neidhardt vorgesehen. Ich glaube, dir wäre die Zustimmung aus beiden Landesteilen sicher.“
„Kommt überhaupt nicht in Frage! Selbstverständlich sind die Voraussetzungen heute nicht vergleichbar mit denen etwa zur Zeit der Grenzsicherung. Ich darf dich daran erinnern, dass ich Neidhardt als Parteichef ablösen sollte. Ein Regierungsamt oder gar Staatsoberhaupt stand zu keiner Zeit zur Debatte. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Ich bin doch nicht lebensmüde. Nein, schlag dir das aus dem Kopf.“ lehnte Lars kategorisch ab.
Wieder war aus einigen Teilen des Raumes ein Gewisper zu vernehmen.
Elena ließ sich das Gehörte durch ihren Kopf gehen. Ronalds Vorschlag entbehrte nicht einer gewissen Logik. Notfalls würde man darauf zurückgreifen können. Es war auf jeden Fall besser als gar nichts.
Es schloss sich eine lebhafte Diskussion an. Ronalds Vorschlag hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Das Für und Wider wurde ausgewogen. Doch eine Einigung schien weit entfernt.
Derweil nahm der Schneesturm an Heftigkeit zu. Kristin erhob sich und schritt zum Fenster. Womöglich wurde sie gerade von einem Anflug an Langeweile heimgesucht.
Vor dem Fenster tänzelten die Schneeflocken ihren Reigen, man konnte kaum zwei, drei Meter weit blicken.
„Mich würde mal interessieren, wie viel Schnee in der Zwischenzeit gefallen ist. Wenn das da draußen so weiter geht, werden hier bald nur noch die Dächer aus dem weißen Mist ragen.
Da sind wir nur noch mit Schippen beschäftigt.“ gab Kristin zum Besten.
„Wenn wir eine Pause brauchen, können wir gerne unterbrechen. Wir haben noch genügend Zeit.“ bot Elena an.
„Ach, lass uns doch weitermachen. Jetzt, da es so interessant wird. Wir brauchen das alles ja nicht so förmlich an gehen. Wir können auch gerne im Liegen weiter unsere hochgeistigen Gespräche führen.“ schlug Alexandra vor, danach steckte sie sich weit auf dem mit flauschigen Teppichen ausgelegten Boden aus.
„Wie ihr wollt. Ich hätte jetzt aber Appetit auf einen warmen Tee. Erklärt sich jemand bereit, uns einen zu kochen?“ bekannte Elena.
„Ja, ich kann das übernehmen.“ fand sich Valeria bereit. Sie beteiligte sich höchst selten an solcher Art Gesprächen. Sie mochte es nicht, sich auf diese Art dar zu stellen.
Viel lieber verrichtete sie ihre Arbeit in aller Stille, ohne großes Aufheben.
„Genau, und ich werde dir dabei zur Hand gehen!“ Kristin erhob sich schwungvoll vom Boden und folgte.
Nach der Pause wurde weiterdiskutiert, doch wie so häufig, war das Ergebnis alles andere als zufrieden stellend. In Detailfragen konnte keine Einigung erzielt werden.
Wer das Land führen sollte, stand nach wie vor in den Sternen. Elena versprach sich weiter darum zu bemühen, Neidhardt zu überreden, Cornelius zunächst als Staatsoberhaupt zu beerben, stets bereit, den Platz zu räumen, wenn sich ein Nachfolger finden ließ. Die Regierungsgeschäfte sollte ein paritätisch besetztes Komitee aus den Vertretern beider Landesteile ausüben.
Welche Rolle Elena oder Colette künftig zugedacht war, sollte später erörtert werden. Elena konnte sich kaum aus der Affäre ziehen. Sie würde auch weiter im Fokus der Betrachter bleiben. Alle erwarteten von ihr, dass sie aktiv an vorderster Front ihren Teil beisteuerte.
Colette gab unmissverständlich zu verstehen, dass ihr Regierungsgeschäfte ganz und gar nicht lagen. Sie gedachte in Anarchonopolis zu bleiben als eine wie auch immer geartete spirituelle Mittlerin und Meisterin.
„Ich werde weiter für euch da sein, wann immer ihr meiner Hilfe bedürft. Meine Kräfte kehren wieder. Die Krise überwunden. So, wie ich jetzt mein Leben gestalte, kann ich am besten für die Allgemeinheit wirken. Regieren, Verwalten, Geschäfte führen, Befehle erteilen sind meine Sache nicht. Das können andere aus unseren Reihen bedeutend besser. Lasst mich eure Heilerin sein, eure Seherin, aber auch Prophetin und Mahnerin. Ich werde stets ein wachsames Auge auf alles werfen, euch immer wieder daran erinnern weshalb wir damals aufbrachen zu neuen Ufern und worin unsere Mission bestand und besteht. Seid wachsam, habt ein offenes Ohr, auch wenn es manchmal unangenehm ist, was ich euch zu sagen habe.
Ich besitze die Gabe, tiefer zu blicken und möchte sie zum Nutzen aller verwenden.
Mir ist schon lange bewusst, dass Elena über ähnliche Fähigkeiten verfügt, nur dass sie bei ihr ganz anders in Erscheinung treten. Ich weiß auch, dass Elena ebenso denkt wie ich, wenn es um die Machtfrage geht. Auch sie möchte sich zurückziehen. Gemeinsam möchte ich mit ihr und einigen andern hinter den schützenden Mauern der Abtei unsere Fähigkeiten vervollkommnen, vereinen um so segensreich nach außen zu wirken. Es gibt noch jede Menge an Leid und Unglück überall auf der Welt. Es wartet darauf, von uns in die Zange genommen zu werden.“
Was Elenas Rolle betraf, konnte das nur ein frommer Wunsch bleiben. Aber Colette sprach die Wahrheit. Auch Elena sehnte sich nach Rückzug, nach Ruhe, Stille, Kontemplation. Würde es ihr gelingen, sich diesen Traum zu erfüllen?
Gemeinsam mit Elena, ferner mit Madleen und Betül und noch einigen anderen wollte Colette ein kontemplatives Leben führen, ähnlich dessen, was sie einst begannen, in jenen Tagen, da der Dichter Kovacs noch unter ihnen weilte.
Doch war ein solcher Traum realistisch im Angesicht dessen, wie sich die ganze Welt um sie herum gebärdete?
Die Wochen vergingen langsam, der kalte Winter lag wie ein eiserner Panzer über dem Land und den Seelen der Menschen.
Für kurze Zeit, etwa Ende Januar, keimte Hoffnung auf. Geschneit hatte es schon seit geraumer Zeit nicht mehr und vor zwei Tagen hatte sogar Tauwetter eingesetzt. Noch lag der Frühling in weiter Ferne, aber die kurze frostfreie Periode kam zur rechten Zeit.
Nun konnte die aufgrund des kalten Wetters lang ausgesetzte Umbettung des Dichters stattfinden.
Elena fürchtete sich vor diesem Tag, denn es würden wieder Emotionen freigesetzt, die schon lange im Unterbewusstsein vergraben lagen. Aber es ging kein Weg daran vorbei.
Das Datum war festgesetzt. Alle bangten darum, dass das Wetter auch weiter mitspielte. Wie bestellt konnte sich ausgerechnet an diesem Tag die Sonne erstmalig voll entfalten, wenn ihre Kraft auch noch nicht ausreichte, um einen spürbaren Wärmeschub zu erzeugen. In dickere Mäntel eingepackt schritten Elena, Madleen, Colette und weitere Kommunardinnen zum Mausoleum. Schon von weitem erkannte sie, dass eine Ehrenwache aufgezogen war und ein Spalier bildete. Problemlos konnten Elena und ihre Freunde passieren.
„Ach wenn das alles nur schon vorüber wäre, dieser ganze militärische Firlefanz, ich mag ihn nicht, Kovacs mochte ihn nicht, die meisten anderen auch nicht. Aber trotzdem müssen wir das über uns ergehen lassen. Naja, ich habe zugestimmt, somit trifft mich die gleiche Schuld.“ schimpfte Elena vor sich her.
Am Fuße des Mahnmahles wurden sie von Cornelius, Neidhardt und den übrigen Regierungsvertretern erwartet.
„Sei mir gegrüßt, Elena. Dann wollen wir es hinter uns bringen. Erweisen wir unserem Freund die letzte Ehre.“ begrüßte Cornelius Elena und die anderen.
„Ich bin froh dich wiederzusehen, Elena!“ nahm sie Neidhardt wie immer wortkarg in Empfang. Seine wahren Gefühle verstand er auch heute meisterhaft hinter seinem geistigen Schutzpanzer zu verbergen.
„Ich freue mich ebenfalls euch wieder zu sehen, auch wenn es ein trauriger Anlass ist.“ erwiderte Elena kurz und knapp.
„Der Sarg ist bereits entnommen. Die Ehrenwache wird ihn in wenigen Augenblicken nach unten bringen.“ Cornelius deutete mit der Hand nach oben. In der Tat erschien die Abordnung im Eingang des Mausoleums. Langsam schritten diese nach unten. Schließlich wurde der Sarg auf eine Lafette gestellt und festgemacht.
„Wer möchte direkt neben dem Sarg Aufstellung nehmen? Ich kann es nicht, das hält meine Gesundheit nicht aus. Ich werde es vor ziehen euch mit dem Wagen zu folgen“ Bot Cornelius an.
„Das verstehe ich sehr gut. Wärst du bereit Colette an deiner Seite zu platzieren, sie ist unsere Königin!“ Fragte Elena.
„Aber selbstverständlich! Es wird mir eine Ehre sein.“ erwiderte Cornelius.
„Elena, du warst seine beste Freundin, dir gebührt die Ehre, dem großen Dichter auf seiner letzten Fahrt ganz nahe zu sein.“ schlug nun Neidhardt vor.
Elena schluckte. Das ging ihr sehr nahe, aber Neidhardt sprach die Wahrheit und sie nahm das Angebot an, bestieg die Lafette und nahm neben dem Sarg Aufstellung. Sie berührte den Deckel, so als können sie dem Freund ein letztes Adieu sagen.
„Neidhardt, ich möchte, dass du auf der anderen Seite stehst. Erweise ihm zum letzten Mal die Ehre. Ich weiß, dass ihr euch nicht mochtet, aber diese Geste wird alles, was zwischen euch stand, verwischen. Versöhne dich jetzt mit ihm.“ forderte Elena Neidhardt auf.
Dieser war zunächst geschockt, doch ging er schließlich ohne Widerrede darauf ein und nahm auf der gegenüberliegenden Seite das Sarges seinen Platz ein.
Gemeinsam bedeckten sie Kovacs Sarg mit den Fahnen Melancholaniens und Akratasiens.
Wenig später setzte sich der Trauerzug in Bewegung.
Gezogen wurde die Lafette von einem großen Jeep. Zu beiden Seiten flankiert von der Ehrenwache in Galauniform und mit aufgepflanztem Bajonett am Gewehr.
Gleich dahinter fuhr die Staatslimousine mit Cornelius, Colette und Betül. Colette hatte darauf bestanden, ihren Engel an der Seite zu haben. Dahinter liefen all jene, die Kovacs noch persönlich kannten.
Der Tross bog auf die Hauptstraße ein. Die Straßen waren von Menschen gesäumt, es herrschte eine beklemmende Stille. Ein kalter Wind wehte ihnen entgegen, den auch die Strahlen der Sonne nicht zu bändigen vermochten.
Alles verlief im Schritttempo, das brachte es mit sich, dass der Zug nur langsam vorwärts kam.
Das gab Elena genügend Zeit all die vielen Augenblicke, die sie mit ihrem Freund teilen konnte, noch einmal Revue passieren zu lassen. Dass ihr dabei die Tränen in die Augen stiegen, ließ sich kaum vermeiden. Alles kam noch einmal hoch, all das längst überwunden geglaubte Leid der Vergangenheit. Aber endlich würde Kovacs die Ruhestätte finden, die seiner angemessen war und nur darauf kam es an. Ein unrühmliches Kapitel in der Geschichte Melancholaniens ging damit unwiederbringlich zu Ende.
Kovacs kehrte heim. In Akratasien war sein Zuhause. Hier, wo sein Geist lebendig war, sollten auch seine Gebeine ruhen.
Plötzlich warf jemand aus der schweigenden Menge ein Blumengebinde auf den Trauerwagen. Kurz darauf folgte ein weiteres, dann noch eins, schließlich ergoss sich ein wahrer Blumenregen über die Lafette.
Auf einmal stimmte einer Kovacs Lied an, jenes Lied das sie so häufig gesungen hatten, damals als sie noch in den kleinen Hütten am See lebten, gemeinsam mit Kovacs, mit Leander und den anderen aus dem Kreis der Urkommune. Jenes Lied, das dann später zur Hymne des gemeinsamen friedlichen Kampfes wurde und nach der Revolution verboten wurde, weil dessen Inhalt sich so ganz und gar nicht mit den Ideen der neuen Machthaber vereinbaren ließ.
Jetzt war es aus, nun konnte Elena die Tränen nicht mehr halten. Laut schluchzend hielt sie sich die Augen zu.
Plötzlich spürte sie, wie Neidhardt seine Hand auf die ihre legte und diese ganz fest drückte. Sie hielten ihre Hände eine Weile über den sterblichen Überresten des großen Denkers. Neidhardt repräsentierte das alte Regime, das sich nun langsam anschickte, die Bühne der Geschichte zu verlassen und Elena das Neue, Akratasien mit Namen. Beides vereint für kurze Zeit an der Quelle, am Ursprung.
Die ganze Menschenmenge hatte in der Zwischenzeit in den Gesang eingestimmt, ein Chor aus tausenden Stimmen geleitete den kleinen bescheidenen Dichter auf seiner letzten Fahrt.
Ein fast mystisch anmutender Augenblick.
So erreichten sie schließlich ihr Ziel, die große Pforte, den Eingang zur Abtei, Anarchonopolis. Auf dem Klosterfriedhof, dort, wo bereits Leander und die vielen anderen ihre letzte Ruhe gefunden hatten, sollte nun auch Kovacs beigesetzt werden.
An der frisch ausgeschachteten Grabstätte wartete bereits eine weitere Ehrenwache.
Der Zug hielt vor der Pforte. Colette entstieg der Staatskarosse und begab sich zum Eingang.
Mit ihrem Holzstab, den sie zur Gründung Akratasiens überreicht bekommen hatte und der ihr als eine Art Zepter diente, klopfte sie dreimal laut an die mit Kupfer beschlagenen Eichenholztür.
Darauf hin öffnete sich die Pforte von innen.
„Kovacs, alter Freund und unserer aller Lehrer. Willkommen zurück. Willkommen in der Heimat.“ sprach Colette, auf ein Zeichen ertönte über Lautsprecher das Largo von Georg Friedrich Händel. Die Lafette mit dem Sarg nebst Elena und Neidhardt passierte den Eingang zum Klosterhof. Direkt vor der Basilika hielten sie an.
Neidhardt geleitete Elena von der Lafette, danach holten Soldaten den Sarg herunter und nahmen Aufstellung. Neidhardt war im Begriff beiseite zu treten. Der letzte Akt sollte nur noch den engsten Freunden vorbehalten sein. Doch Elena bestand darauf, dass er bis zum Schluss dabei blieb, erst das würde die Versöhnung komplettieren.
Die Soldaten stellten den Sarg auf die Erde und traten weg. Als Sargträger fungierten nun all jene, die von Anfang an mit ihm zusammen waren.
An der Grabstelle angekommen wurde der Sarg erneut abgestellt. Elena legte ihre rechte Hand auf den Deckel und kniete nieder.
„Leb wohl, mein alter Freund! Jetzt erst erhältst du wirklich deine Letzte Ruhe. Lange hast du darauf warten müssen. Hier gehörst du her. Was würde ich darum geben, wenn du sehen könntest, was sich hier verwirklicht hat. Dein Traum ist in Erfüllung gegangen. Die Akratie lebt und kommt in Riesenschritten auf uns zu. Ohne dein Wirken hätten wir heute nichts dergleichen vorzuweisen. Du hast uns zu dem gemacht, was wir sind. Du bist der Begründer einer neuen Philosophie. Wir werden dich nie vergessen, dich nicht und all die anderen hier, die dir nun Gesellschaft leisten werden bis in alle Ewigkeit. Aber ich spüre, du bist hier, du bist nie wirklich gestorben, du lebst weiter in den Herzen derer, die mit dir gelebt und gearbeitet haben, die dich liebten und verehrten. Wo du auch immer bist, du kannst mit Stolz auf dein Werk blicken. Wir werden es weiterführen, weiter entwickeln, immer wieder von neuem beginnen. Nicht müde werden im immerwährenden Kampf. Ich muss weinen, ich schäme mich meiner Tränen nicht. Aber ich weiß, du würdest gar nicht wollen, dass wir traurig sind. Dir würde es viel eher gefallen, wenn wir fröhlich und glücklich sind im Angesicht dessen, was wir geschaffen haben. Und genau das wollen wir auch tun, denn damit ehren wir dich am allerauthentischsten.“
Elena trat zur Seite, der Sarg wurde in das Loch hinab gelassen, das Grab mit einer schlichten Platte bedeckt. Darauf waren nur der Name eingraviert und als Zeichen seiner Zunft eine Schreibfeder.
Elena legte ein Blumengebinde nieder. Dann konnten die vielen anderen dem alten Kämpfer auf ihre Art die letzte Ehre erweisen. Neidhardt salutierte am Grab, dann trat er wortlos ab.
Begleitet von Betül trat Colette schweigend an die Grabstätte, schließlich küßte sie ihre Handfläche und berührte mit dieser die Grabplatte unter ihr. Eine Geste, die wohl keiner weiteren Worte bedarf.
Elena schritt durch die Reihen, schließlich fand sie sich vor Leanders Grab wieder. Das Herz schmerzte aufgrund der vielen Erinnerungen.
„Jetzt seid ihr wieder vereint, Leander, dein alter Freund ist nun bei dir. Jetzt habe ich euch beide ganz in meiner Nähe. Ihr seid nicht tot, ihr lebt!“
Madleen kämpfte sich durch die Menschenmenge und konnte schließlich zu Elena durchdringen. Wortlos hakte sie sich bei ihr unter und sie traten den Heimweg zum Konventsgebäude an. Nur eine Weile Ruhe, bevor es weiter ging. Denn es sollte noch einen kleinen Empfang geben, dem sich Elena schwerlich entziehen konnte.
Es war unmöglich, die gesamte Bevölkerung mit einzubeziehen, aber wenigstens die alten Gefährten von einst wollten noch einmal beisammen sein und von den alten Zeiten reden.
Noch bis zum Abend kondolierten die Menschen weiter, die Zahl der Besucher an der Grabstätte wollte bis zum Dunkelwerden nicht abreißen. Daran änderten auch die Kälte und der wieder einsetzende Schneefall nichts.
Colette hielt sich tapfer. Zwar hatte auch sie ständig mit den Tränen zu kämpfen, aber die Emotionen nagten weit weniger heftig in ihr als zunächst befürchtet. Dafür weinte Betül um so mehr, sie trauerte um einen Mann, der ihr persönlich nie begegnet war. Schnell war ihr ins Bewusstsein gedrungen, um wen es sich dabei handelte. Sie betrachtete Kovacs mit den Augen ihrer Sufi-Tradition. Für sie war der Dichter ein Murschid, ein großer spiritueller Meister. Die säkularen Anarchisten Akratasiens würden diesen Titel vehement zurückweisen, für sie stellte Kovacs den Wegweiser in eine Zukunft dar, in der Religionen nach Möglichkeit überhaupt keine Rolle mehr spielen sollten.
So unterschiedlich die Betrachtungsweisen für eine einzige Person, die selbst nicht mehr zur Verfügung stand, um für Aufklärung zu sorgen.
Doch allen gemeinsam lag die Erkenntnis zugrunde ,dass es sich bei Kovacs einfach um einen guten Menschen mit einem großen Herzen und einem grandiosen Weitblick handelte. Der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich alle einigen konnten.
Elena hatte sich nach dem Trubel frühzeitig zu Bett begeben. Aufgewühlt, wie sie war, konnte sie lange keinen Schlaf finden. Nachdem es ihr dann doch noch gelang, begegnete ihr Kovacs im Traum, um sich mit seiner ihm eigenen Art für das Vollbrachte zu bedanken.
*Auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion gibt es mindestens ein Dutzend merkwürdiger Staatsgebilde, die offiziell nicht existieren, aber trotzdem vorhanden sind. De facto unabhängig, werden sie meist von Moskau fernregiert. (Beispiel Transnistrien, besser bekannt unter dem Namen Dnjestr-Republik in Moldawien)
** Buch: „Ethik ist wichtiger als Religion” von 2015. In einem Interview mit dem Journalisten Franz Alt entwirft der Dalai Lama eine neue säkulare Ethik als Basis für ein friedliches Jahrhundert. Nicht Religionen werden die Antwort geben, sondern die Verwurzelung des Menschen in einer alle Unterschiede überwindenden Ethik.