Die letzte Schlacht

Winter in Anarchonopolis. Der Schnee kam früh in diesem Jahr und hüllte das Gelände der Abtei wie in einen weißen Mantel. Die Aktivitäten waren weitgehend in die Innenräume verbannt. Sehnsuchtsvolles Warten auf den Frühling, doch der war jetzt, Anfang Januar noch in weiter Ferne. Das Weihnachtsfest hatten sie hinter sich gebracht, konnten es endlich wieder den heimatlichen Gefilden feiern.

Januar, kalter, finsterer Monat. Die geschlossene Schneedecke hatte den Vorteil, dass es draußen nie richtig dunkel wurde und in den Abend-und-Nachtstunden eine Art Dauerdämmerung herrschte. Es war durchaus möglich sich im Freien zu bewegen,ohne sich in der Nacht zu verirren.

Colette, Neidhardt und Pater Liborius nutzten diesen günstigen Umstand, um des Öfteren ihre Einsiedlerhäuschen aufzusuchen, sich dort auch kurzzeitig aufhielten, die absolute Stille und Abgeschiedenheit genossen, auch um den Preis das sie zunächst die Öfen befeuern mussten und die Wärme sich erst nach einer gewissen Zeit einstellte. Im folgenden Frühjahr sollten hier Heizungen installiert werden, die ein Dauerhaftes Wohnen, unabhängig von Wetter und Jahreszeit ermöglichen sollten.

Das Konventsgebäude war vollständig belegt, ebenso die Nebengelasse.

Die politischen Aktivitäten befanden sich noch in der Weihnachtspause und sollten in Kürze wieder aufgenommen werden.

Elena hielt es für wichtig die freie Zeit und die derzeitige Unmöglichkeit längere Außenaktivitäten zu unternehmen zu nutzen, um gründlich in sich zu gehen. Nicht nur allein, sondern auch gemeinsam mit den anderen z. B. Meditationen durchzuführen, sich tiefer mit der legendären Geschichte der frühzeitlichen Amazonen zu beschäftigen.

Gabriela recherchierte unermüdlich weiter und konnte in der Zwischenzeit umfangreiche Ergebnisse vorweisen.

Historische Forschung war eine Möglichkeit Licht ins Dunkel der Geschichte zu bringen, die mystische Versenkung und die dadurch zu erreichende Verschmelzung der Seelen mit ihren Präexistenzen eine andere.

Vielen der Schwestern war es schon gelungen in der zurückliegenden Zeit ihre Seelen in die Zeit der legendären Amazonen zurückführen, um dort zu Erkenntnissen zu gelangen die Aufklärung versprachen.

Elena lud in diesen Tagen die Schwestern ein sich im großen Meditationsraum im Dachgeschoss des Konventsgebäudes einzufinden und sich über ihre Erfahrungen auszutauschen. Alle waren dabei geladen, jene die schon von ihren Zeitreisen berichten konnten aber auch jene die noch nicht auf der anderen Seite waren. Die noch warteten. Die andere Seite, ein Begriff, der sich in der Zwischenzeit etabliert hatte, wenn sie das alte, das legendäre, das in den Nebeln der Geschichte verborgene Akatasia bezeichneten.

Ein Land fern jeder Vorstellungskraft, ein Land das in den Analen der Geschichtsschreibung nicht vorkam und von dem Historiker behaupteten, es sei das Produkt reiner Phantasie.

Doch viele der Freiheitstöchter wussten es besser, sie waren dort, hatten es mit eigenen Augen gesehen, wenn auch nur in ihren Traumreisen.  Traumreisen, die ihnen real erschienen, so plastisch und vollkommen war die Erinnerung.

Die Verbindung war hergestellt. Nun galt es daran zu arbeiten und zu festigen. Deshalb hatte Elena die Idee einer gemeinsamen Reise der Freiheitstöchter, zumindest derer aus dem inneren Zirkel. Vor allem wollten sie das traurige Ende der legendären Amazonenschwesternschaft ergründen. Noch immer ließ sich nicht in Erfahrung bringen auf welche Weise, die Schwestern damals kollektiv ums Leben kamen. Es gab eine Schlacht eine letzte Schlacht, in deren Verlauf die Amazonenarmee vernichtend geschlagen wurde und in folge dessen die Amazonenföderation für immer unterging.

 

Nach Inannas Tod hatte Aradia die alleinige Verantwortung für die gesamte Föderation, eine Verantwortung die sie allein nicht zu tragen vermochte und unter deren Last sie schließlich zusammenbrach.

Auf Grund dessen begann sie Fehler zu begehen, die ihr früher nie unterlaufen wären. Handelte vorschnell und zum Teil unüberlegt, reagierte zudem ungerecht und oftmals hart gegenüber den Schwestern.

Sie konnte Inannas Tod nie überwinden. Die große Schwester war unersetzlich und fehlte in allen Belangen. Aradia stieg immer weiter hinab in den undurchdringlichen Dschungel der Depression.

Das Ende Akratasias somit vorprogrammiert.

 

Elena versuchte sich schon seit einigen Tagen in Einzelmeditationen auf die große Reise vorzubereiten, zog sich allein zurück. Suchte Abgeschiedenheit. Das alte Waldhaus, das etwas außerhalb der schützenden Klostermauer lag, war derzeit nicht bewohnbar, es sollte im Frühjahr renoviert werden.

Von den Einsiedlerhäuschen standen hingegen noch sieben zur Verfügung. Elena suchte sich eines aus und richtete es her. Natürlich musste sie in dieser Jahreszeit den Ofen anheizen und eine Weile warten bis der Raum ein wenig mit Wärme gefüllt war.

Aber die Stille tat ihr gut und ließ sie tief abtauchen in unergründete Dimensionen.

Madleen war gut versorgt, Larissa stand ihr zur Seite. Elenas zeitweilige Abwesenheit konnte gut ausgeglichen werden.

 

Schließlich sah Elena den Zeitpunkt für die große Zusammenkunft gekommen und eines Abends fanden sich die Schwestern im Dachgeschoss des Konventgebäudes ein um den kollektiven Zeitsprung zu wagen. Auch die anderen hatten sich, so gut sie konnten, darauf vorbereitet.

Weich gepolstert auf den ausliegenden dicken Federkernmatratzen ließen sich die Freiheitstöchter nieder und erwarteten Elenas Anweisungen.

„Schön, dass ihr so zahlreich gekommen seid. Ja, wie ich sehe bekommen wir alle unter. Alle betreffenden Schwestern sind dabei, das ist gut. Wir wollen uns auf die Reise begeben, um die letzte Schlacht zu erleben. Ich weise euch darauf hin, dass es nicht ohne Risiko ist, was wir hier tun. Unsere Körper liegen hier gut, bequem und in Sicherheit. Aber unsere Seelen setzen sich womöglich einem gewaltigen Stress aus. Es kann uns emotional weit nach unten ziehen.

Nicht alle sind dafür geeignet. Ich frage euch deshalb noch einmal. Seid ihr euch dessen bewusst?

Noch ist es Zeit sich auszuklinken. Ihr braucht euch nicht zu schämen, wenn euch eure Gesundheit und eurer Wohlergehen zu wichtiger sind.“

Begrüßte Elena alle.

„Wir wissen was wir tun! Du brauchst dich um uns nicht zu sorgen. Wir haben uns gut überlegt und uns ebenfalls vorbereitet. Wir alle möchten Gewissheit, möchten wissen, wie es mit den legendären Schwestern zu Ende ging. Ich spreche hier im Namen aller Anwesenden Schwestern.“ Erwiderte Alexandra.

„Danke Alexandra. Damit wäre alles gesagt. Ich frage aber noch mal einige für die es besonders riskant werden könnte. Madleen und Kristin, ihr seid schwanger. Fühlt ihr euch wirklich imstande, diesen Tripp zu wagen?“ Forschte Elena weiter.

„Ich bin in Ordnung Elena. Das Kleine in meinem Bauch ebenso. Es ist nur wichtig das sich gut und bequem liege. Larissa ist an meiner Seite und wird über mich wachen. Im Traum und in der Wirklichkeit. Ob sie auch in Trance fällt, ist ja nicht sicher. Aber ganz gleich was auch passiert wir sind verbunden.“ Antwortete Madleen und schmiegte sich in Larissas Arme.

„Ich bin auch ok, Elena. Bei mir ist die Schwangerschaft noch nicht so weit fortgeschritten. Ich fühle mich gut. Ich war erst vor Kurzen mit Gabriela auf der anderen Seite und wir haben es gut überstanden.“ Stimmte auch Kristin zu.

„Apropos, wie geht es dir Gabriela?“ Fragte Elena weiter.

„Mir geht es auch soweit ganz gut. Nun ja, die Beschwerden wie sie immer sind, aber es gibt keinen Grund sich Sorgen zu machen Elena. Ich schaffe das schon.“

„Sehr gut! Dann noch der Hinweis. Madleen,Colette und Dagmar ihr werdet nicht direkt am Geschehen teilnehmen. Madleen du warst Leyla im früheren Leben, Colette du warst Inanna. und du Dagmar Alfula Die waren bei der letzten Schlacht schon tot und daher nicht dabei. Ihr werdet alles nur aus der Ferne wahrnehmen.“

„Nun, das ist beruhigend Elena. Ich kann mich also zurücklehnen und zusehen. Aber was ich zu sehnen bekomme, wird mir alles andere als gefallen. Ich sehe euch sterben, zwar nur im Traum und als eure Präexistenzen, aber das langt schon. Ich werden das auf keinen Fall genießen.“ Gab Colette zu verstehen.

„Ich kann Colette nur beipflichten. Auch mir wird es schwer fallen das alles mit anzusehen. Ich bin euch im Prinzip vorausgegangen und warte auf euch, das ihr nachkommt.“ Fügte Dagmar hinzu.

 

„Annett, du warst in der anderen Welt Galbura, die hat an der Schlacht nicht teilgenommen. Es wird vermutet, dass sie sogar mit dem Leben davongekommen ist als eine der Wenigen und das Wissen um die Amazonenschwesternschaft bewahrt hat. Du wirst eine wichtige Beobachterin sein.“

„Das ehrt mich Elena. Ich werde mich bemühen alles was ich sehe genau zu registrieren. Aber versprechen kann ich natürlich nichts.“ Stimmte Annett zu.

„All die anderen die noch keine Traumreise gemacht haben, für euch gilt Vorsicht. Nicht enttäuscht sein, wenn ihr es nicht schafft. Ihr werdet noch Gelegenheit haben zu lernen. Der Winter ist noch lang. Solltet ihr eintauchen, denkt daran es ist real aber auch wieder nicht. Ich weiß, dass es kompliziert zu erklären ist. Nichts kann euch geschehen, ihr seid sicher hier unter dem Dach der Abtei in Anarchonopolis.“

Versuchte Elena die Neulinge zu warnen.

„Du bist dir auch sicher das uns nicht passieren kann? Ich würde gerne mitkommen und es mit meinen Augen sehen, aber ich muss mich auch um Madleen kümmern. Ich habe ein wenig Angst, bin aber auch neugierig. Ich bin einfach hin- und hergerissen.“ Bekannte Larissa  

„Du musst entscheiden Larissa. Tue einfach das was dir am besten tut. Und was Madleen betrifft, du wirst bei ihr sein, so oder so. Da brauchst du dir keine Gedanken machen.

„Ich fühle mich rundum behütet. Ganz gleich ob du wach bleibst oder mit mir kommst.“ Pflichtet ihr Madleen bei, dann küsste sie Larissa auf den Mund.

 

„Nun legt euch bequem auf die weichen Matten, so wie es am günstigsten für euch ist. Es gibt keine vorgeschrieben Lage, es darf euch nur nicht einschränken. Ihr könnt euch gerne an eure Liebste kuscheln, wenn euch das zusätzliche Sicherheit gibt, auch das ist erlaubt.“ Fuhr Elena mit ihren Anweisungen fort. Die zahlreichen Paare setzten Elenas Einladung sogleich um.

„Wir beginnen mit den Atemübungen, ruhig und gleichmäßig atmen, durch die Nase ein, so sie denn frei ist, durch den Mund wieder aus. Lucy wird jetzt gleich die Musikanlage bedienen. Es kommen Klänge, die ich eigens dafür entwickelt habe. Die Musik wird euch gut tun und eure Reise erheblich erleichtern. Eine Endlosschleife. Lucy bitte Musik.“

Lucy tat wie ihr geheißen und nach wenigen Augenblicken wurde der ganze Saal von wohltuenden, exotisch klingenden Tönen durchflutet, deren Energie  sich umgehend auf die Sinne der Anwesenden niederschlugt und ihre Wirkung zu entfalten begannen.

„So, nun sinken wir langsam nieder, bei der einen kommen die Eindrücke früher, bei der anderen später, das hat nichts zu bedeuten. Komm Lucy du wirst an meiner Seite reisen.“

„Wau, cool! Ich bin bereit!“

„Also, ich wünsche euch viel Glück und eine sichere Reise, auf das ihr mir gesund wiederkommt.“

Die Klänge hüllten die ganze Gesellschaft wie in einen undurchdringlichen Nebel. Die Lautsprecher funktionierten in quatro, von allen Seiten. Andächtige Stimmung senkte sich herab. Alle versuchten so konzentriert wie nur irgend möglich zu sein, ohne sich dabei zu verkrampfen, so hatte es ihnen Elena eingeschärft.

 

Die Zeit spielte keine Rolle mehr, sie war außer Kraft gesetzt. Es wurde nun bald eine Art dauerhaftes Jetzt eingeleitet. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft flossen ineinander über und bildeten eine einzigartige Symbiose, eben wie im Traum, nur viel plastischer, viel realer erlebt, so als sei es eine Art von Wirklichkeit.

Schweben, ein sanftes Schweben durch einen dichten Schleier. Dann wurde es schneller, ein Brausen, wie ein Düsenflieger sausten sie nun über die Landschaft, die sich unter ihnen manifestierte. Steppe, weites Land, am Horizont Felsformationen, Hochebene. Wenig Bäume, nur spärlich ragten knochige Einzelexemplare gen Himmel. Der präsentierte sich azurblau, fast wolkenlos. Die Sonne brannte, es war Sommer. Die Hitze hatte die Landschaft ausgedörrt.

Plötzlich Stillstand, abrupt.

 

 

Die Amazonenarmee hatte auf einer Anhöhe Stellung bezogen. Tausende und abertausende waren gekommen und scharten sich hinter Aradia und ihre Kerntruppe. Es ging ums Ganze, nicht weniger als das Überleben der Amazonenföderation stand auf dem Spiel. Leben oder Tod. Oder sollte es besser heißen, ehrenhafter Tod in der Schlacht oder ein elendes Leben in der Sklaverei?

Aradia machte ihren Kriegerinnen Mut, doch sie war in Zweifel, glaubte selbst nicht mehr an einen Sieg.

Sie hatte sich auf das eingelassen, was sie früher stets vermieden hatte. Die offene Feldschlacht. Die Amazonen waren für ihre Guerilliataktik berüchtigt, auf diesem Gebiet waren sie unschlagbar. Den Überraschungsmoment nutzen, aus dem Hinterhalt angreifen, zuschlagen, möglichst viel Unsicherheit beim Gegner verbreiten, dann schnell die Flucht auf sicheres Terrain.

Die vereinigten Fürstenheere, die ihnen da entgegenkamen, waren ihnen zahlenmäßig überlegen, wenn auch nur knapp. Es waren gut ausgebildete Männer, ihnen körperlich überlegen, wenn auch die Amazonen erfahrene Kämpferinnen waren, die es mit jedem Mann aufnehmen konnten. Hier deutete sich das Fiasko schon von vornherein an.

Zudem kämpften sie gegen die Sonne, das würde ihnen zusätzlich zum Nachteil gereichen.

 

Immer bedrohlicher näherten sich die Heere, die in einer Art von Phalanx auf sie zustrebten. An der Spitze die Reiter, die zuerst heranströmen würden.

 

Aradia blickte zum Himmel auf. Die Ruhe vor dem Sturm. Die Göttin, jene die keinen Namen hatte und die sie bisher vor allem bewahrt hatte, würde ihnen dieses Mal nicht schützend zur Seite stehen. Nicht weil sie dazu nicht imstande war, nein weil sie es nicht wollte. Die Wahrheit hatte die Amazonen eingeholt. Ihre Zeit schien abgelaufen, endgültig, ohne Wiederkehr. Die patriarchale Ordnung würde siegen und für lange, unendlich lange Zeit ein Reich der Finsternis begründen, das sich in zahlreichen Schattierungen über die Welt ausbreiten sollte. Frauen würden fortan in Unterdrückung leben müssen, nahezu rechtlos, den Willen der Männer ausgeliefert. Von höherer Bildung ausgeschlossen, gedemütigt und verunglimpft. Degradiert zur Dienstmagd, zum Sexualobjekt, zur Gebärmaschine, die den Männern den Nachwuchs sicherte.

Mit dem Sieg des Patriarchats würde zeitgleich auch die alte egalitäre Ordnung endgültig zu Grabe getragen. Die letzten Überreste der Akratie nach und nach beseitigt. Die Fürstendespotien konnten sich endgültig durchsetzen und alles unter ihr Joch zwingen.

Die Sklaverei würde dann die Grundlage der ökonomischen Ordnung bilden. Wer sich dem widersetzte war des Todes.

 

Diese Schlacht stellte das letzte Aufbäumen dar, den letzten Versuch, die alte Eintracht zu erhalten. Vergeblich.

Kasuba näherte sich und lenkte ihr Pferd an Aradias Seite.

„Es sind zu viele, wir werden sie nicht aufhalten können.“

Aradia senkte den Blick.

„Ich weiß! Aber wir können wenigstens in allen Ehren untergehen. Es ist unsere Letzte Schlacht. Ich bin mir dessen bewusst.

„Hätten wir sie verhindern können?“ Wollte Kasuba wissen.

„Wohl kaum! Entweder heute, oder in absehbarer Zeit, was bedeutet das schon.

Es bestand nicht der geringste Zweifel, dass Aradia bereits mit dem Leben abgeschlossen hatte

„Ich bin bei dir bis zum Ende!“

„Ich danke dir Kasuba, wenn wir getrennt werden, und die Gefahr besteht natürlich, dann sehen wir uns auf der anderen Seite wieder.“

Aradia griff nach Kasubas Hand und drückte sie ganz fest.

 

„Ich danke dir, dass du mir im letzten Abschnitt meines Lebens deine Liebe geschenkt hast.“

Kasuba näherte sich Aradia, drehte deren Kopf ihr zu, dann küsste sie die Königin.

Ajana kam im Galopp geritten, so dass der Staub vom Boden wirbelte.

„Was ist Aradia? Warum greifen wir nicht an? Warum zögerst du? Wir sollten nicht noch längere Zeit verstreichen lassen. Im Moment ist es am günstigsten für den Angriff.“

In der Zwischenzeit war auch Uratha herangaloppiert, die nie von der Seite ihrer Lehrerin und Geliebten wich.

„Wie werden warten! Ich sehe keinen günstigen Augenblick im Moment. Lass sie näher rankommen.“ Widersprach Aradia.

„Ich versteh dich nicht. Du nimmst uns jeden Fluchtweg. Ich habe den Eindruck, du provozierst ja geradezu eine Niederlage.“ Ereiferte sich Ajana.

„Du hast kein Recht so mit mir zu reden. Geh auf deinen Posten und harre dort aus, bis ich das Zeichen gebe.“

„Komm Uratha, wir haben hier nichts mehr verloren.“

In Windeseile entfernten sich Ajana und Uratha und kehrten zu ihrer Stellung zurück

 

Daraya und Gomela warteten dort.

„Und was hat sie gesagt? Wann schlagen wir endlich los?“ Wollte Daraya wissen.

„Wir warten weiter ab, so ihr Befehl.“ Teilte Ajana mit.

„Was? Das kann doch nicht wahr sein. Noch länger warten? Komm lass mich zu ihr gehen!“

Erwiderte Daraya voller Wut im Bauch.

„Zwecklos! Auch du wirst sie nicht überzeugen. Wenn ich es nichts schaffe, dann keine.“ Gab Ajana zu verstehen.

„Ja, jetzt glaube ich es auch! Sie hat abgeschlossen! Aradia will nicht mehr. Der Schmerz üb- er die Verluste, die sie hat erleiden müssen, sitzt wohl zu tief und hat ihren Lebenswillen gebrochen.“ Glaubte Gomela zu wissen.

„Das mag sein! Aber sie steht hier nicht allein. Sie hat die Verantwortung für eine ganze Streitmacht. Sie hat kein Recht für uns zu entscheiden. Wenn sie nicht mehr will, dann soll sie sich in ihr Schwert stürzen.“ Erboste sich Daraya.

„Du bist hart und grausam Daraya. Sie ist unsere Königin, unsere Anführerin, die wir alle lieben und der wir die Treue geschworen haben.“ Wies Gomela ihre Gefährtin zurecht.

„Aradia hat sich verändert, sehr verändert! Sie ist nicht mehr die Alte. Wir können nur noch auf unsere eigenen Schwerter vertrauen.“ Antwortete Ajana.

 

Immer bedrohlicher näherten sich die Fürstenheere. Ihre Helme glänzen in der Sonne und blendeten die Amazonenkriegerinnen.

Als sie eine bestimmte Nähe erreicht hatten, stoppten die Krieger plötzlich abrupt.

Sie pochten mit ihren Schwertern auf ihre Schilde und verursachten damit einen Höllenlärm.

Nach einer Weile ritten einige Reiter von der linken Seite kommend und hielten in Sichtweite zu Aradia.

Grondar der Anführer grinste vor Zufriedenheit über das ganze Gesicht.

„Nun Aradia, so sieht man sich wieder. Ein guter Tag zum Kämpfen, findest du nicht auch?

Und ein guter Tag zum Sterben, würde ich meinen.“ Rief er zu ihr herüber.

„Für wen? Für dich?“ Hielt ihm Aradia entgegen.

„Ich habe nicht vor mein Leben heute zu beenden. Vor mir liegen noch viele Gute Jahre, die ich in Wohlstand genießen werde. Auf dich wartet bestenfalls der Tod. Sollten sie dich lebend in die Hände bekommen, was ich sehr hoffe, weißt du was dir blüht, dir und deinen engsten Vertrauten. Folter bis zum Tod, vorher werden sie dich für eine Weile an mich ausleihen, damit ich meinen an dir Spaß habe.“ Brüstete sich Grondar

„Ich werde niemals in irgendwelche Hände fallen, nicht in die deinen und auch in keine anderen. Wenn es so weit sein sollte weiß ich was ich zu tun habe. Ich bin darauf vorbereitet. Ich fürchte den Tod nicht, er ist das Tor zur ewigen Freiheit. Eine Freiheit wie sie unsere Welt nicht geben kann. Du wirst mir nicht ins Reich der Göttin folgen, der Weg dorthin ist Leuten wie dir versperrt.“

„Pah, was juckt mich das. Was jenseits des Todes ist interessiert mich nicht, der wird noch lange auf sich warten lassen. Gut, genug palavert. Ich biete dir einen Handel. Vor allem deinen Mädchen. Hört zu Amazonen. Sklavinnen wart ihr und Sklavinnen werdet ihr bleiben, aber wir ersparen euch den Tod, wenn ihr euch ergebt und uns Aradia ausliefert. Aradia und ihre engsten Vertrauten. Dann werdet ihr verschont, verkauft und wieder für eure Herren eure Arbeit tun, so wie sich das gehört.  Ich biete es euch nur einmal an. Tut es nicht und ihr werdet alle sterben.“

Grondar hatte kaum ausgesprochen als ihm aus den Reihen der Schwertschwestern ein ohrenbetäubendes Pfeifkonzert entgegenschlug.

Eine ganze Reihe von Schwestern trat vor die Kriegerinnen drehten sich um zogen ihre Reiterhosen herunter beugten sich vor und präsentierten ihr nacktes Hinterteil, dabei laut johlend.

„Gut, ich habe verstanden. Damit habt ihr euch selbst zu Tode verurteilt. Diejenigen von euch die mir lebend in die Hände fallen, werden mir ihren Hintern später auf ganz andere Weise präsentieren , auf der Folterbank und ich werde mich an dem Anblick weiden.“

 

Grondar wendete sein Pferd und bedeutete den andern ihm zu folgen. Doch kehrte er noch einmal um.

„Ach, ist zufällig eine Gomela unter euch, die missratene Tochter des Fürsten von Ninive?

Wenn ja soll sie wissen dass ihr Vater bereit ist ein hohes Lösegeld für sie zu zahlen, für ihre Freiheit damit sie zu ihrer Familie zurückkehren kann. Er bat mich ihr das zu sagen weil er selbst zu schamhaft ist für diese Geste.“

„Ich bin hier!“

Gomelan trat vor die Reihen.

„Sage meinen Vater, ich werde keinesfalls diesen Verrat begehen. Ich habe mit seiner Familie nichts mehr zu tun. Das hier ist meine Familie.“

Gomela wies mit der Hand über die versammelten Reihen.

Für sie werde ich kämpfen und für sie werde ich sterben. Und für Daraya, meine große Liebe.“

Sie zog Daraya nach vorn, zog sie an sich und küsste sie.

Die Amazonenkriegerinnen brachen in frenetischen Jubel aus.

„Ich werde es ausrichten!“

Grondar und die seinen verschwanden.

„Wir alle werden kämpfen! Wir werden frei sein, so oder so. Ob in diesem oder im nächsten Leben. Freiheit oder Tod.“ Rief ihm Aradia noch nach.

 

Danach verharrten beide feindlichen Heere zunächst in Wartestellung. Grondar und seine Gefolgsleute versuchten auf diese Weise den Kampfesmut der Amazonenkriegerinnen weiter zu untergraben. Je länger es dauerte, desto zermürbender war die Situation.   

Plötzlich konnten die Schwertschwestern ein lautes Surren am Himmel hören. Schon bald darauf war ihnen die Gefahr bewusst. Hunderte von Pfeilen sausten auf die Amazonen nieder, abgeschossen von den gefürchteten Bogenschützen.

Die ersten wurden getroffen, unter ihnen auch Kasuba, die eine Pfeil direkt in die Brust bekam und sogleich von ihrem Pferd zu Boden stürzte. Aradia blickte mit entsetzen zu der leblos am Boden liegenden. Doch viel  Zeit zur Trauer blieb ihr nicht, denn schon Sekundenbruchteile später fielen die nächsten.

Es gab keine Wahl, sie musste handeln und befahl den Gegenangriff.

Die Reiterinnen der ersten Reihe stürmten vor und stürzten sich in den Kampf mit der gegnerischen Reiterei. Die Überraschung glückte zunächst, denn damit hatten die Befehlshaber der Fürstenarmee nicht gerechnet. Das brachte den Schwertschwestern einen vorübergehenden Vorteil. Sie schlugen sich tapfer durch die Reihen und konnte eine ganze Reihe der gegnerischen Soldaten ausschalten.

 

Doch schon bald wendete sich das Blatt und sie sahen sich von allen Seiten umzingelt. Nun begannen viele weiters Kriegerinnen zu fallen. Tapfer schlugen sich Hatifa und Teleri, die sich einander deckten, doch bald erlahmten ihre Kräfte und sie konnten die Schläge nicht mehr ausreichend parieren und wurden niedergemacht.

 

Hatifas letzte Gedanken waren bei ihren beiden Kindern, den Söhnen Hannuh und Lydo. Wie ein Film sausten die Erinnerungen an ihr vorüber. Wie sie die beiden zur Welt brachte sie nährte, ihnen das Laufen beibrachte. Ihre gemeinsame Flucht in das Lager der Amazonen.

Ihre erste Begegnung mit Inanna und wie sie deren Schülerin und zeitweilige Geliebte wurde. Die wunderschöne Zeit mit ihr, die beste ihres ganzen Lebens. Die Wiederbegegnung mit ihren Kindern, vor nicht allzu langer Zeit.

Die Art wie sie Teleri kennenlernte, ihre Gefährtin und Geliebte der jüngsten Zeit. Alles verdichtete sich in ihrem Bewusstsein und lebte noch einmal für kurze Zeit in ihr auf, bis es dunkel wurde. Sie rief noch nach Teleri, doch die konnte ihr nicht mehr helfen, die stand im Kampf und würde ihr in wenigen Augenblicken auf die andere Seite folgen.

 

In nicht all zu weiter Entfernung erging es Ganymea und Manto nicht anders.

Aradia befahl den Rückzug, sie wollte zumindest so weit als möglich an ihren Schwestern retten, doch der Rückzug stellte sich ebenfalls als fataler Fehler heraus.

Sie ritten wie die Besessenen auf das Hochland zu und versuchten sich in den zerklüfteten Berglandschaften zu verschanzen. Doch die Truppen der Fürstenheere holten sie schnell ein und deren Übermacht war erdrückend.

Gomela und Daraya hielten mit den ihnen anvertrauten Kriegerinnen lange einen Pass, stellten sich dann zum Schluss den heranrückenden in den Weg, kämpften bis zur Erschöpfung und fielen.

Aradia sammelte die verbliebenen, unter ihnen noch Ajana, Uratha, Asye, Effeni und erwartete mit ihnen den endgültigen Todesstoß.

 

Schließlich waren sie wieder von allen Seiten umzingelt. Ajana stürmte mit einigen ihrer Getreuen vor um die heranrückenden abzulenken. Sie bedeutete Aradia zu fliehen. Sie war bereit sich für die Königin, ihre einstige große Liebe zu opfern.

Sie konnte noch einige Soldaten niedermähen, bevor sie selbst von einem Speer durchbohrt wurde und zu Boden sank. Wie eine Furie stürmte Uratha vor, schlug den Angreifer nieder und noch drei weitere, bevor sie sich in einen Speer stürzte, der ihr entgegengehalten wurde.

Es hatte den Anschein, dass sie es provoziert hatte. Ohne ihre Meisterin und Geliebte Ajana  hatte das Leben jeden Sinn verloren.

Asye und Effeni wurden schließlich von Pfeilen getroffen.

Aradia gab ihr Pferd auf und lief, wie eine Besessene über die Pferderücken der Gefallenen bis sie auf der anderen Seite zu Boden sprang und den steilen Hang zum Felsmassiv hinauf lief.

Sie war wie von Sinnen, sie hatte verloren. Die meisten der Schwestern waren gefallen. Die Amazonenarmee gab es nicht mehr. Wenn es überhaupt Überlebende gab, dann nur wenige. Sie hatte jeglichen Überblick über die Schlacht verloren.

Aradia rannte, rannte um ihr Leben, das ihr doch nichts mehr bedeutete. Sie suchte den Schutz des alten Heiligtums, unten in der Ebene, auf der anderen Seite der Schlucht, dort, wo die Göttin, jene die keinen Namen hatte, ihr stets so nahe war. Bevor Aradia starb, wollte sie anklagende ihre Hände erheben, auch in dem Bewusstsein, das es keinen Sinn machte.

 

Grondar und einige seiner Gefolgsleute folgten ihr, zunächst zu Pferd, später zu Fuß, da im zerklüfteten Felsmassiv ein Weiterkommen zu Pferd unmöglich war.

Sie waren ihr dicht auf den Fersen, doch noch gelang es ihr den Vorsprung zu wahren.

Aradia spürte ihren Atem kaum noch so schnell rannte sie. Schließlich kam sie an den kleinen See, der das kleine Heiligtum umschloss, zugänglich nur über einen schmalen Weg.

Aradia warf sich völlig außer Atem vor dem großen wuchtigen Felsen nieder, dessen kleine Höhle im Inneren auch Inannas Grab beherbergte.

Sie war angekommen, nun würde diese Stätte auch zu ihrem Grab.

Doch da war noch etwas in ihr. Sie spürte eine Kraft. Etwas das sich mit letzter Kraft gegen das Unvermeidliche aufzubäumen schien. Sie streckte die Arme in die Höhe und rief so laut sie konnte den Beistand der Göttin an.

„Es ist zu Ende, große Mutter! Wir haben die Schlacht verloren. Wir haben gekämpft mit allen Kräften, die uns zur Verfügung standen, wir haben uns nicht geschont, haben alles gegeben. Und nun? Ist es wirklich vorbei? Warum hast du uns im Stich gelassen? Warum warst du nicht bei uns, als wir deines Bestandes so dringend bedurften? Warum, große Mutter, warum? Sag es mir, sprich zu mir! Gib mir eine Antwort, bevor ich sterbe! In wenigen Augenblicken werden sie hier sein, meine Verfolger. Ich bin am Ende! Ich habe keine Kraft mehr. Ich kann mich nicht mehr verteidigen.“

Aradia sank zu Boden. In ihrer Brust brannte es fürchterlich. Auch die zahlreichen Wunden, die sie sich zugezogen hatte, schmerzten.

Da hörte sie aus der Umgebung schon die Schreie und das Gejohle von Grondar und seinen Leuten, die immer näher zu ihr ausschlossen.

„Warum, große Mutter, warum?“

„Ich bin bei dir alle Tage. Ich war es immer und ich werde es immer sein. Heute hole ich dich zu mir nach Hause und du wirst an meinem Tische sitzen und an meiner Seite leben. Deine Schwester Inanna wartet schon auf dich, um dich willkommen zu heißen, auch Leyla, die dich noch immer so sehr liebt, wirst du dort wieder treffen. Ich hole dich aus dieser Welt, die nun für lange Zeit in große Dunkelheit versinken wird.

Sei ohne Furcht, wenn du jetzt und hier stirbst, wirst du ewig leben.“

 

Aradia vernahm die Worte und sie fühlte auf einmal eine große Kraft in sich. Die Furcht wich tatsächlich und machte einer großen Zufriedenheit Platz.

Ihr Tod würde der Beginn einer neuen Wirklichkeit.

Aradia klammerte sich an den Felsen und küsste das Gestein immerfort, auch als die Verfolger bei ihr eingetroffen waren, lies sie nicht davon ab.

„Hey, wen haben wir denn da. Die stolze Aradia! Ich habe dir doch gesagt, dass wir uns bald wieder sehen. Jetzt habe ich dich, endlich. Jetzt bist du mein. Ich habe dich erobert, du bist meine Kriegsbeute, mit der ich verfahren kann, wie es mir beliebt. Zumindest für eine gewisse Zeit. Denn deine Hinrichtung ist beschlossene Sache.“

Aradia wandte sich zu ihm und sah ihn mit hasserfüllten Blicken an.

„Dein Triumph wird von kurzer Dauer sein, Grondar, bald wirst du mir ins Reich der Schatten folgen.  Doch ich werde dort zu neuem Leben erwachen, während du für immer im Dunkel verharren wirst. Im Leben kommt der Tod und im Tod das Leben.“

„Paaah, was juckt mich das. Ich werde meinen Sieg voll auskosten. So ist es vereinbart. Die Macht fällt mir in den Schoß wie eine reife Frucht. Komm her mein Täubchen, ich werde mich an dir laben, wie an einem Stück Fleisch. Ich habe mit den Fürsten einen Handel vereinbart. Sie wären unter Umständen bereit dein Leben zu schonen, zumindest für eine gewisse Zeit, wenn du mein Weib wirst, meine Sklavin, mir zu Diensten, um meine Wünsche zu erfüllen. Du bist dir im Klaren, was ich damit meine?“
Grondar griff nach ihr, Aradia wich zurück, ein letztes Mal konnte sie sich seinem Zugriff entziehen, um ihren Fluch über ihn sprechen zu können.

„Meine letzten Worte treffen dich und deinesgleichen als Fluch. Ich verfluche dich und alle die mit dir gegangen sind. Ihr werdet mir binnen weniger Monde ins Reich des Todes folgen. Du wirst deinen Sieg nicht lange auskosten können. Du und alle die mit dir waren, seid des Todes. Damit nicht genug. Fortan wird allen Gewaltherrscher der Erde ein ähnliches  Schicksal zuteil. Alle Herrscher der Erde werden sich ihres Lebens nicht mehr erfreuend können. Kriege und Gewalt in jedweder Form werden die Welt überziehen. Macht und Herrschaft werden den Menschen nur Unheil bringen. Solange bis die Menschheit ihren Frevel erkannt hat und bereit ist zur sanften Macht der großen Mutter zurückzukehren. Doch bis dahin ist es noch ein langer, unendlich langer Weg. Erst wenn die Tochter der großen Mutter auf der oberen Plattform im gleißenden Licht erscheint, ist das neue, das friedfertige und gerechte Zeitalter eingeleitet. Töte mich Grondar und mache mich unsterblich.“

 

Aradia staunte selbst über ihre Worte. Es schien als habe sie ihr eine große geheime Macht in den Mund gelegt.

Die Angst war vollständig aus ihr gewichen. Schon jetzt war sie unsterblich.

„So? Nun denn, dann lass mich dich unsterblich machen. Aber vorher gehörst du mir, mir ganz allein.“

Erneut langte Grondar nach der Königin. Aradia versuchte erneut sich ihm zu entwinden, doch nun hatte er sie in seiner Gewalt. Sie kämpften miteinander, Aradias letzte Kräfte schwanden dahin.

Grondar versetze ihr einen heftigen Schlag, so dass sie an den Felsen geschleudert wurde und mit dem Kopf aufschlug.

Leblos sank ihr Körper zu Boden

 

Es war vorbei. Die Königin der Freiheit war tot.

So starb die stolze Amazonenkönigin, die aufrechte Kämpferin für die Freiheit, für Gerechtigkeit, für eine Weltordnung in der Harmonie, Verständigung, Eintracht und vor allem Liebe den Ton angaben.

Alle Hoffnungen wurden mit ihr zu Grabe getragen. Der Beginn der dunklen Epoche der Menschheit war eingeleitet. Ein Zustand der Jahrhunderte, ja Jahrtausende Bestand haben sollte.

 

Plötzlich nach einigen Augeblicken kam ein heftiger Sturm auf und brauste wie wild über das Land. Die Blätter wurden von den wenigen Bäumen geweht und die Äste bogen sich. Blitze zuckten nieder und einer schlug direkt neben Grondars Gefolgschaft ein.

Die Männer wurden von Furcht und Schrecken ergriffen.

„Lass uns hier verschwinden Grondar. Du hast ihre Göttin erzürnt. Jetzt wird sie fürchterliche Rache an uns nehmen.“ Rief einer zu ihm herüber.

„Ich fürchte mich nicht vor so ein wenig Wind. Ich trotze der Macht dieser schwächlichen Göttin. Sie ist genauso tot wie Aradia.“ Brüstete sich Grondar, zog sein Schwert und fuchtelte damit in der Luft herum.

Der Sturm nahm an Heftigkeit zu. Die anderen wurden immer stärker von Angst erfüllt und traten die Flucht an.

„Feige Bande.“ Schrie ihnen Grondar nach. „Macht euch in die Hosen wegen so ein wenig Sturm. Ihr wollt Krieger sein. Waschweiber seid ihr. Schert euch zum Teufel.“

Doch plötzlich wurde auch er von tiefer Angst heimgesucht. Die Energie sie sich hier aufbaute konnte er nicht deuten. Er lief weg, blieb kurz danach stehen, drehte sich um. Es war ihm als könne er Aradia auf dem Felsen stehend sehen. Doch das war unmöglich, die war tot. Es schien ihr Geist zu sein, der da nach ihm blickte. Grondar rannte weiter.

Die Angst schnürte ihm die Kehle zu. Er hatte allen Grund zur Furcht. Die Rache würde ihn schon bald erreichen.

 

 

Für Gilgas den Fürsten von Ninive wurden an diesem Tag alle seine Alpträume, die ihn in den

letzten zwei Jahren heimgesucht hatten zur Realität. So wie er es in seinen Träumen stets voraussah, ritt er über das Schlachtfeld mit den unzähligen erschlagenen Amazonenkriegerinnen und suchte dort nach der Leiche seiner Tochter Gomela.

Die Furcht drückte ihm das Herz wie eine kalte Faust zusammen.

Sie lebend zu finden, diese Hoffnung hatte er fast aufgegeben. Die Tochter hatte sich, so wie alle anderen Amazonenkriegerinnen einen Eid geschworen, ihren Gegnern niemals lebend in die Hände zu fallen.

Gilgas ritt und senkte den Blick meist nach unten. Zu furchtbar welches Schreckensbild sich ihm hier bot. Die Leichen der gefallenen Frauen und Mädchen, mit offenen schrecklichen Wunden, weit aufgerissenen Augen, aus denen das Entsetzen zu ihm sprach, offen stehende Münder, die ihm noch aus dem Jenseits ihre Anklage entgegenzuschleudern schienen.

Er war schon eine ganze Weile geritten und war im Begriff sein Pferd zu wenden, um umzukehren, als plötzlich ein leises Wimmern an seine Ohren drang.

Er strebte voller Hast in die Richtung und tatsächlich, es war Gomela. Er kam gerade noch rechtzeitig, um sie noch einmal lebend zu sehen.

Gomela lag mit einer schweren Bauchverletzung am Boden. Daraya neben ihr war bereits tot. Die frühere Prinzessin klammerte sich an deren rechtes Bein.

Gilgas eilte auf die Tochter zu und warf sich neben ihr zu Boden.

„Gomela, meine Tochter, endlich. Ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben. Du lebst!

 Du bist verletzt. Ich werde dich nach Hause bringen. Ich habe vorgesorgt für diesen Fall und dort schon vor Tagen die besten Heilkundigen zusammengerufen derer ich habhaft werden konnte. Oh, meine Tochter, mein kleiner Liebling, ich bringe dich heim und alles wird gut.“

„Vater, ich freue mich dich noch einmal zu sehen, um von dir Abschied zu nehmen. Es ist zu spät, die Verletzung zu schlimm. Ich werde sterben!“ Erwiderte Gomela mit schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck.

„Nein, nein! Es ist nicht zu spät. Los schnell bringt Tragbahren!“ Rief er seinen Leuten zu, die umgehend seinem Befehl Folge leisteten und sich auf die Suche begaben.

Gomela griff nach Gilgas Hand und drückte diese.

„Vater, begreif doch! Es geht zu Ende….ich…ich…will..nicht mehr …leben. Es ist vorbei. Ich werde mit den anderen auf meine letzte Reise gehen. Daraya ist schon dort, sie wartet…auf mich…dort drüben…siehst du Vater…das Tor…das große Tor es öffnete sich. Die Göttin….die…die keinen Namen hat…sie ruft mich bei meinem Namen.“

„Nein! Neiiiiiin! Du darfst nicht sterben! Traaaaagbaaaaahren! Verflucht wo bleibt ihr denn nur?“

„Aaaaaaaaaaa…..“ Stöhnte Gomela laut.

„Gomela, meine Tochter, mein ein und alles, das Ebenbild deiner Mutter die ich so sehr geliebt habe. Du kannst mich nicht allein zurücklassen.“

„Ich…ich..ich…habe gekämpft Vater, ich habe mich bis zum Schluss …ver…verteidigt. Ich habe….ich…habe….“ Das Sprechen fiel ihr immer schwerer.

„Ja, ich weiß, wie tapfer du kämpfen kannst. Ich konnte mich so oft davon überzeugen und habe dich doch nie verstanden. Jetzt tue ich es. Gomela, mein Liebling, hör zu. Deine Brüder sind allesamt Taugenichtse, unwürdig nach mir zu regieren. Ich werde die Thronfolge ändern. Ich werde dich zu meiner Nachfolgerin machen. Ja, schon jetzt wirst du gleichberechtigt an meiner Seite regieren. Du wirst eine wahre Fürstin werden. Dem Land wirst du Frieden, Wohlstand, Gerechtigkeit, Harmonie und Verständigung bringen. All jene Dinge die ich nie vermochte. Du bist eine Tochter auf die jeder Vater mit Stolz blicken kann. Du kannst tun was du willst, ich mache dir keine Vorschriften mehr, wie du leben sollst. Du brauchst auch keinen Mann zu heiraten, wenn du nicht willst. Such dir eine hübsche junge Frau, mit der du dein Nachtlager teilen kannst Alles soll dir gestattet sein.“

„Ich …ich werde sterben Vater…ich werde nie mehr nach…Ninive zurückkehren…ich..

Endlich waren die Träger angekommen und platzierten sich neben der mächtigen Gestalt des Fürsten.

„Na endlich! Warum dauert das so lange? Schnell, jeder Augenblick zählt, bringen wir sie von hier fort!“ Befahl der Fürst mit lauter Stimme.

Die Träger waren im Begriff Gomela vom Boden zu heben.

„Aaaaaaaaaaaaaaaahhhhhhhhhh…. Nein, nein….Daraya, Darayaaaaaaa….“ Schrie Gomela mit letzter Kraft und klammerte sich voller Verzweiflung an die tote Gefährtin und Geliebte.

„Lasst, lasst sie runter…wir müssen…wir müssen…“ Stotterte Gilgas.

„Daraya, ich sehe dich… sie winkt mir zu…bald sind wir wieder vereint und werden uns…nie mehr trennen…. Was ist das Vater, Vater, es wird so dunkel, ich…ich fürchte mich…so…Papa, ich erkenne dich nicht meeeehr….“

Gomelans Kopf kippte zur Seite.

„Neiiiiiiiiiiiin! Neiiiiiiinnn!Gomela Tochter, nein, nein, nicht sterben. Ich bitte dich bleib bei mir. Oh, ihr Götter alle zusammen, bringt sie mir wieder! Bringt sie mir wieeeeeeeeder!“

Gilgas ließ seine massige Gestalt auf den toten Körper seiner Tochter fallen. Nun kannte seine Trauer keine Grenzen mehr.

„Oh meine Tochter, meine wundervolle Tochter. Was habe ich getan? Ich bin mitschuldig an deinem Tod, oh ich Elender. Ich verfluche mich selbst, für mein Verbrechen. Ich verfluche meine Hand, dass sie das Schwert gegen meine eigene Tochter führte. Hört ihr Götter, schickt einen Blitz vom Himmel, damit er mich erschlägt, damit ich meine Strafe bekomme, ich habe sie verdient.   

Huhuhuhuhuhuuuuuuuuuuuuuu!“

Gomela würde keine Herrscherin, so wie ihr Vater es wünschte, nein Gomela starb an diesem Tag, zwischen ihren Amazonenschwestern, die ihr eine wahre Familie wurden, an der Seite ihrer große und einzig wirklichen Liebe Daraya.

 

Doch nach Ninive, ihre Heimat kehrte sie zurück, im Triumphzug.

Ihr Vater ließ ihren und Darayas Leichnam sofort im großen Gefolge in seine Stadt bringen.

Dort wurden die Körper gesäubert und für die Ewigkeit hergerichtet.

Gemeinsam wurden sie in einem prächtigen Grabmahl beigesetzt, dass Gilgas eigentlich für sich selbst hatte bauen lassen. Er bewies dadurch zum ersten Mal in seinem Leben wahre Größe. Die Tatsache das er Daraya gleich behandelte und sie direkt an Gomelas Seite beisetzen lies sprach Bände. Die beiden sich liebenden Kriegerinnen waren nun für alle Ewigkeit miteinander vereint.

 

Galbura hatte die Schlacht aus weiter Ferne miterlebt. Die heilkundige Schwester, die ihre aktive Laufbahn als Kämpferin schon vor Zeiten aufgegeben hatte und sich fortan als Heilerin betätigte und dort großes Wissen erlangte und weitergeben konnte wartete vergebens auf die Rückkehr der Schwertschwestern. Sie waren alle gefallen, oder hatten sich selbst den Tod gegeben. Nur wenigen schien die Flucht gelungen und die irrten verletzt in der Gegend herum, starben zumeist unterwegs.

Eine von ihnen, Luella schaffte es sich bis in das Hochplateau durchzuschlagen und zu der Höhle vorzudringen, wo sich Galbura verborgen hielt. Luella war klein, aber mit einem sportlich- muskulösen Körper ausgestattet. Sie hatte sich die Haare kurz geschnitten, damit sie ihr im Kampf nicht in die Quere kamen Die anderen Heilkundigen waren entweder mit in den Kampf gezogen und dort umgekommen, oder schwärmten ebenfalls im Land herum, auf der Suche nach Überlebenden der Schlacht.

 

Luella war schwer verletzt, ein Pfeil hatte sie in den Rücken getroffen. Mit letzter Kraft schaffte sie es bis kurz vor den Eingang der Höhle, dann versagten ihre Kräfte und sie brach besinnungslos zu Boden.

 

Wie durch ein Wunder wurde Galbura darauf aufmerksam, eilte nach draußen und holte die bewusstlose Schwestern nach drinnen, in Sicherheit.

Nun waren ihre Heilkünste in vollem Umfang gefragt. Sie entkleidete die Kriegerin und untersuchte ihren ganzen Körper nach Wunden. Dann begann sie mit der Heilung.

Es stand nicht gut um Luella, der Blutverlust hatte sie stark geschwächt, sie schwebte mehrere Tage und Nächte zwischen Leben und Tod. Sie lag im Fieber, zitterte und halluzinierte.

Galbura wich nicht von ihrer Seite, tupfte Luellas Gesicht und befreite sie vom Schweiß, der in Strömen von ihr lief. Nahm sie in die Arme und wog sie sanft wie ein kleines Kind.

Endlich zeigte die Heilung Wirkung. Luellas Zustand besserte sich zusehend. Die Wunde verheilte. Doch war die Kriegerin noch sehr schwach. Galbura sorgte wieder für die Amazone, die ihr von Tag zu Tag näher als Herz wuchs. Sie fütterte Luella, solange bis sie wieder im Stande war selbständig zu essen, sie badete die Kriegerin und massierte deren Körper und machte mit ihr schließlich die ersten Gehversuchte, bis sie schließlich wieder fast vollständig genesen war.

Die völlige Abgeschiedenheit der Höhle, die intime körperliche Nähe und Galburas hingebungsvolle Zuwendung bewirkten schließlich das beide starke Gefühle füreinander

entwickelten.

Eines Nachts erhob sich Luella von ihrem Lager schritt zu Galburas Schlafstätte, zog ihre Tunika aus und präsentierte ihren sportlich-muskulösen Körper.

„Liebe Galbura, du hast mich vor dem Tod gerettet, mir das Leben neu geschenkt, du hast mich gesund gepflegt mit sanfter Zärtlichkeit. Ich verdanke dir alles. Auf ewig stehe ich in deiner Schuld. Ab diesem Moment bist du meine Meisterin.

Ich werde bei dir sein, bis der Tod uns scheidet. Deine Wege sind meine Wege, dein zuhause ist mein Zuhause, dein Land ist mein Land. Ich werde dir folgen, wohin du auch gehst. Ich werde für dich kämpfen, wenn es erforderlich sein sollte und dir dienen mit allem was ich kann. Ich werde bei dir leben und das Nachtlager mit dir teilen, wenn du das wünschst.“

Galbura verstand sofort schlug die Decke zurück und bedeutete Luella zu ihr zu kommen.

Die schlüpfte unter die Decke und sie begannen sich heftig und leidenschaftlich zu lieben.

Solange bis das Licht des anbrechenden Tages langsam in die Höhle sickerte.

An diesem Tag wurden sie ein Paar. Luella äußerte den Wusch für immer mit Galbura  zusammen zu leben und von ihr die Heilkunst zu erlernen.   

Als sich Luella wieder kräftig genug fühlte brachen sie auf, um in das Land weit hinter den Bergen zu gehen, dort wo die Heilkundigen lebten und uraltes geheimes Wissen hüteten.

Dort würden sie auch das Mysterium des untergegangenen Amazonenstaates wahren und für die Nachwelt bereithalten.

Eine große Aufgabe wartete auf sie.

Der schmerzhafte Verlust der Heimat, der geliebten Schwestern wog schwer und hinterließ eine bleibende Wunde, aber sie hatten sich gefunden und konnten einander Trost spenden.

Für Galbura brach noch einmal ein Frühling an. In der schönen, starken, jungen Frau an ihrer Seite hatte sie Geliebte, Tochter und Schülerin in einer Person, die ihr Leben jeden Tag von Neuen bereichern sollte. Nie wurde Luella untreu. Kein Mann der Welt sollte es schaffen, die beiden zu trennen.

 

 

Der Ausgang der Schlacht brachte für die Fürsten nicht den erwünschten Effekt. Schon bald brach die Allianz wieder auseinander und die alten Fehden meldeten sich zurück. Kriege erschütterten die einzelnen Staaten.

Zudem war die Rache der Freiheitsgöttin erbarmungslos. Für jene die ihre Töchter allem voran Aradia auf so brutale Weise hatten töten lassen, gab es kein Erbarmen.

Schon wenige Monate später folgten alle Verantwortlichen für das Massaker Aradia und den ihren ins Grab.

Grondar sonnte sich zunächst in seinem Erfolg, doch die Fürsten waren nicht gewillt den Emporkömmling weiter an ihrer Seite zu dulden. Er hatte seine Aufgabe erfüllt, es war Zeit für ihn von der Bühne abzutreten.

Eines Morgens fand man seine Leiche in einer Blutlache liegend, durchbohrt mit dutzenden Dolchstichen. Es waren seine eigenen Leute, die ihm den Tod gaben und dafür ihr Blutgeld kassierten.

Lato der Oberpriester wurde Opfer seiner Fresssucht. Bei einem Festgelage in seinem Palast verschluckte er sich so heftig, dass er qualvoll daran erstickte. Umgeben von seiner Festgesellschaft, von denen nicht ein einziger einen Finger rührte, um ihm zu helfen

Enlil von Harran stürzte während einer Jagd von seinem Pferd, dabei verfing sich sein rechter Fuß im Zaumzeug. Das Pferd ging durch und schleifte seinen Reiter meilenweit zu Tode.

Auch alle anderen beteiligten Fürsten ereilte bald ein ähnliches Schicksal. Mit einer Ausnahme.

Gilgas von Ninive wünschte sich den Tod, doch zu ihm kam er nicht. Er wurde mit einem weiterleben bestraft das für ihn schlimmer war als jeder Tod.

Ständig blickte er auf das Grabmahl, dass seine Tochter Gomela in sich barg, jene tapfere Kriegerin, die die größte aller Herrscherinnen hätte werden können, weil sie für Gerechtigkeit, Freiheit, Harmonie und Verständigung eingetreten wäre.  

 

Aradia und die Ihren, die große Innana und all jene die schon vorausgegangen waren würden mit der Zeit in Vergessenheit geraten, weil sie sich nicht in die anbrechende Zeitepoche einfügen ließen.

Geschichte wird von den Siegern geschrieben. Die hatten kein Interesse über die stolzen, tapferen Kriegerinnen zu berichten, über Frauenliebende Frauen, die für Freiheit, Gerechtigkeit kämpften und dem Patriarchat die Stirn boten.

Im wüsten Land der klinisch reinen Vernunft haben Amazonen keine Existenzberechtigung.

Die Historiker verbannten sie kurzerhand ins Reich der Phantasie, in ein Land der Dunkelheit, wo sie eine Schattenexistenz zu führen hatten, bis? Ja bis Elena, Colette und all die anderen sich ihrer großen Vergangenheit bewusst wurden, um die Amazonenschwesternschaft unter modernen Bedingungen ins Leben zurück zu führen.

 

Ein Rauschen, ein heftiger Sturmwind. Aradia, Aradia, wer rief da ihren Namen? War es überhaupt ihr Name? Elena, Elena!  War sie die eine oder die andere. Sie war beides. Zwei Seelen verschmolzen zu einer einzigen Wesendheit.

Ein Flug durch Raum und Zeit.

Plötzlich war es wieder da, das Bewusstsein. Die Energieströme verdichteten sich und die Person begann sich zu manifestieren.

Elena, ich bin Elena! Aber ich bin auch Aradia, ich war es immer und ich wer es immer sein.

Nie war ich etwas anderes.

Elena öffnete die Augen. Sie atmete heftig und ihr Herz raste. Mit den Fingern krallte sie in die weiche Matratze unter ihr.

Sie musste sich sammeln. Langsam, ganz langsam in das vertraute Bewusstsein zurückkehren.

Unruhe im großen Saal, auch die anderen schienen zu erwachen.

Elena versuchte etwas zu rufen, es bedurfte eine gewisse Zeit, bis sie die richtigen Worte fand.

„Was …was ist mit euch? Seid ihr alle zurück? Seid ihr in Ordnung?“  Wie geht es euch? Gebt mir ein kurzes Zeichen!“

Das erste was sie hörte war Colettes Ruf nach ihrer Frau.

„Betül! Beeeeeetüüüüüüül! Was ist los?.....Wo….wo bin ich ?“

„Ruhig, ganz ruhig Colette, alles in Ordnung. Wir sind zu Hause, in unserer Welt, in der Abtei, in Anarchonopolis. Komm ganz langsam wieder zu dir! Ich bin an deiner Seite!“

Versuchte Betül zu beruhigen, die selbst noch mit sich ringen musste, um in die vertraute Wirklichkeit zurückkehren zu können.

Elena hob ihren Kopf kurz an.

Alexandra und Kyra schienen in einer Art Ringkampf zu verharren, so sehr hatten sich deren Beine und Arme miteinander verschlungen.

„Alexandra, lass los, du…du erdrückst mich ja. Komm zu dir! Es ist vorbei! Hörst du nicht, es ist vorbei!“ Rief Kyra.

„Daraya, Daraya, lass mich nicht allein. Ich will nicht ohne dich leben, oh es ist so schrecklich.“ Alexandras Worte verrieten, dass sie die Schwelle noch nicht überschritten hatte.

„Alexandra komm zu dir!“ Kyra rüttelte Alexandras Kopf, bis diese schließlich die Augen öffnete.

„Daraya, äh,…Kyra! Oh mein Liebling, du bist nicht tot?“

„Nein Wir leben beide. Wir waren tief drin im Geschehen. Ja, du warst Gomela.“

„Und du Daraya! Antwortete Alexandra. „Wir sind wieder zusammen, nach so unendlich langer Zeit. Niemand wird uns mehr trennen, nicht einmal unsere Männer. Du bist für mich das größte Glück auf Erden.“

Beide küssten sich leidenschaftlich.

 

Auch Dagmar hatte Schwierigkeiten mit der Rückkehr. Sie atmete heftig und schlug mit den Armen um sich.

„Ich bin nicht tot. Ich bin nicht tot Ich lebe! Lasst mich durch! Ich muss zu ihnen, ich muss zu den Schwestern. Ich komme Aradia, ich komme euch zu Hilfe, ich hole euch da raus. Lass mich durch. Was ist das für ein Nebel? Nein, ich bin nicht tot! Ich bin nicht toooooooot!“

Annett hielt ihre Liebst fest in den Armen.

„Daggi, mein Liebling, wach auf. Es ist vorbei. Ja, du lebst, du bist nicht tot! In diesem Leben hast du eine Chance. Komm zurück! Komm zu mir! Ich bin bei dir. Unsere Liebe wird uns retten.“

Dagmar wurde ruhiger und ihr Atem leichter. Dann öffnete sie die Augen.

„Annett? Ja, du bist es! Ohhhhh, wie ist mir schwindelig. Ahhhhhhhhh, ich…ich muss mich wieder finden. Ich habe alles aus der Distanz erlebt. Ich wollte zu den anderen, aber ich konnte nicht. Da war eine Macht die mich daran zu hindern versuchte.“

Sanft streichelte Annett Dagmars Kopf, dann die Brüste, den Bauch.

„Wir sind vereint. Wir sind zurück! In diesem Leben sind wir zusammen!“

 

Elena tastete um sich, bis sie Lucys Hand spürte, griff nach ihr und drückte sie ganz fest.

„Lucy? Bist du da? Bist du in Ordnung?“

„Ich bin ok, Elena! Alles gut! Mach dir um mich keine Gedanken.“

 

Sonia hielt Inga in den Armen und streichelte sie sanft. Die beiden waren etwa zur gleichen Zeit zurück und hatten sich bereits gesammelt.

„Sonia! Meine Kinder….ah..unsere Kinder, ich habe sie zurückgelassen. Ich muss mich doch um sie kümmern.“

„Du hast sie nicht zurückgelassen. Die beiden schlafen friedlich in ihren Betten zu dieser Zeit, in Kürze werden wir wieder zu ihnen gehen.“ Beruhigt Sonia

„Das ist gut! Da bin ich beruhigt. In diesem Leben sind es Mädchen! Wie schön!“

 

Chantal und Eve hatten es besonders schwer zurückzukehren. Sie rollten, ineinander verschlungen, wie ein Bündel auf dem Boden herum, so dass die Matratzen sich aufbäumten.

Es ging ihnen ähnlich wie Alexandra und Kyra, auch sie waren im früheren Leben Unzertrennliche, für die die Situation besonders schlimm zu ertragen war.

„Ajana, Ajana bitte geh nicht, lass mich nicht allein.“

„Eve, komm zu dir. Ich bin nicht mehr Ajana, ich bin Chantal und du bist Eve und nicht Uratha.“

„Nicht Uratha?“ Eve erwachte und schaute voller Zweifel auf die Umgebung, die sich ihr bot.

„Nein, nicht Uratha! Komm in meine Arme. Wir sind zuhause. Ganz ruhig. Lass alles auf dich wirken.“ Chantal schloss Eve in ihre Arme und die beiden verharrten in dieser Stellung.

 

„Ich muss zu Madleen und sehen, wie es ihr geht. Kommst du mit Lucy?“

„OK!“

Elena durchquerte den Raum und eilte auf ihre Frau zu. Madleen hatte es ganz gut überstanden, doch Larissa schien es schlecht zu gehen.

„Alles in Ordnung Madleen? Wie geht es dir?“ Erkundigte sich Elena.

„Mir geht es ganz gut. Hab ja alles nur aus der Distanz beobachtet. Aber Larissa macht mir große Sorgen, sie will und will nicht zu sich kommen. Sie scheint irgendwie gefangen.“

Madleen hielt ihre Geliebte in den Armen und wog sie sanft.

Lucy platzierte sich an Larissas Seite, griff nach deren Hand und drückte sie ganz fest.

„Larissa! Was ist los? Wo bist du?“

„Larissa! Hörst du mich?“

„Aaaaaaaaaaaahhhhhhh…“ Stöhnte Larissa nur leise.

Elena nahm Larissas Kopf in die Handflächen und bewegte ihn hin und her.

„Ich dachte es mir. Bei ungeübten kann das vorkommen, das sie fest sitzen zwischen den Welten. Ich muss sie rausholen. Tut mir leid. Da hilft nur Gewalt.“

Elena holte aus und verpasste Larissa eine heftige Ohrfeige. Plötzlich war sie hellwach, atmete hastig ein und aus und der Schweiß lief von ihrer Stirn. Bald begann sie zu weinen.

„Kümmert euch um sie! Ich muss schnell zu Gabriela.“

„Larissa mein Kleines. Was war denn? War es schlimm auf der anderen Seite? Du bist zurück. Ich bin`s Madleen und da ist auch die Lucy.“

Larissa weinte noch immer, aber sie begann sich langsam zu beruhigen.

„Komm Lucy, wir nehmen Larissa in unsere Mitte und liebkosen sie.“ Schlug Madleen vor.

„Genau! Ich bin dabei. Hey Larissa, was machst du denn für Sachen, hmm?“

Die beiden betteten ihre Liebste zwischen sich und ergossen eine Flut von Zärtlichkeiten über deren Körper.

Elena war unterdessen bei Gabriela und Kristin.

„Und ihr zwei, auch alles in Ordnung bei euch?“

„Mir geht es gut. Ich habe alles gesehen, war schlimm, aber ich bin in Ordnung.“ Erwiderte Kristin.

„Ich bin noch ein wenig benommen, aber langsam kehren die Lebensgeister zurück. Solange Kristin bei mir ist, kann nichts schief gehen.“

„Ich hoffe du hattest einen guten Einblick, den du später für deine Arbeit gut gebrauchen kannst.“ Erkundigte sich Elena.

„Ich denke schon! Ich teile alles mit Kristin, wir sind beide gute Beobachterinnen. Ich kann alles gut verwenden. Es war eine tiefe Einsicht in die Historie.“ Antwortete Gabriela.

„Ich hab alles noch gut auf dem Schirm, Elena. Wir können uns gut ergänzen.“ Fügte Kristin hinzu. 

„Ausgezeichnet! Dann haben wir was in den Händen.“

Elena verließ die beiden und kehrte auf ihren Platz zurück.

„Kommt in aller Ruhe zu euch! Langsam, so wie es für euch das Beste ist. Keine Hast, keine Hektik, wir haben alle Zeit der Welt. Wir werden ausführlich darüber sprechen, aber nicht jetzt. Morgen im Laufe des Tages. Jetzt brauchen wir Ruhe. Ich schlage vor, wir bleiben alle zusammen hier und verbringen den Rest der Nacht gemeinsam.

„Ein guter Vorschlag Elena. Ich bin auf jeden Fall dabei.“ Stimmte Colette zu.

Alle anderen gaben nickend ihre Zustimmung.

Elena ging zu Madleen, Lucy und Larissa zurück.

„Nun, da bin ich wieder. Wir wären zu viert. Geht das? Oder zu zweit?“

„Sagen wir zu zweit. Lucy, ich gebe Larissa in deine Hände. Ich weiß, dass sie bei dir bestens aufgehoben ist. Sprach Madleen zu Lucy.

„Danke dir Madleen. Du kannst dich darauf verlassen, dass ich Larissa auf Rosen bette.“ Entgegnete Lucy voller Freude. Dann nahm sie Larissa behutsam in ihre Arme, wog sie voller Sanftheit in den Schlaf.

„Nun, da wären wir wieder. Dein Kind? Wie geht es deinem Kind.“ Elena strich sanft über Madleens gewölbten Babybauch.

„Ich hoffe es hat nicht all zu viel von der Reise mitbekommen. Obwohl es mit drüben war. Aber ich hab keine Beschwerden. Zumindest verhält es sich ruhig.“

„Dann komm, lass uns weiter träumen, aber hoffentlich schöne süße Träume der Sinnlichkeit.“

Gemeinsam betteten sie sich auf die Matratze unter ihnen. Lucy und Larissa dicht neben ihnen.

So glitten sie in den heilsamen Schlummer, der allen die erhoffte Erholung bringen würde.

 

Alle Beteiligten schliefen bis weit in den Vormittag hinein. Elena hatte alle von ihren jeweiligen Verpflichtungen beurlaubt. Auf diese Weise konnten sie den gesamten Tag nutzen, um sich über die Erlebnisse auszutauschen.

Um es leichter zu gestalten, trafen sie sich zunächst in Kleingruppe, zu viert oder zu fünft. Später wollten sie dann alles gemeinsam auf einem großen Plenum erörtern.

Elena und Madleen gingen in verschiedene Gruppen. Es war wichtig nicht all zu emotional

Anzuhaften.

Elena war besonders neugierig auf das was Annett alias Galbura zu berichten hatte.

Gabriela und Dagmar waren auch dabei. Alle hatten aus verschiedenen Blickrichtungen das Geschehen verfolgt. Demzufolge würden sich ihre Berichte auch unterscheiden.

„Du hattest Recht Elena, ich bin, bzw. Galbura ist mit dem Leben davongekommen. Ich sah alles aus einem sicheren entfernten Blick, es war schlimm, ich sah die Amazonenarmee untergehen. Mein Herz blutete. Ich wollte zu euch, aber eine geheime Kraft hinderte mich daran.“

„Ja, so habe ich es mir gedacht! Was geschah dann? Wie ging es nach der Schlacht weiter?“

Versuchte Elena in Erfahrung zu bringen.

„Ich sah alles quasi wie im Zeitraffer, wie in einem Film an mir vorüberzieht.

Zunächst alles sehr schlimm und tieftraurig. Dann plötzlich kam eine junge Kriegerin zu mir. Sie war schwer verletzt, sie hatte einen Pfeil im Rücken.“ Fuhr Annett mit ihrem Bericht fort.

„Konntest du in Erfahrung bringen wer sie war und womöglich wer sie heute ist?“ Wollte Gabriela wissen.

„Nein, sie nannte sich Luella. Ich kannte sie nur flüchtig. Ich kann euch nicht sagen wer sich hinter ihr verbirgt. Jedenfalls brachte ich sie zu mir in die Höhle, in der ich Unterschlupf gefunden hatte. Ich entkleidete sie und begann sie zu untersuchen. Eine schlimme Verwundung. Ich musste alle meine Heilkünste aufbieten, um sie zu retten. Die ersten Tage stand es nicht gut um sie. Ich harrte an ihrem Lager aus. Dann endlich nach Tagen besserte sich ihr Zustand, langsam ganz langsam setzte die Gesundung ein. Ich pflegte sie weiter, bis sie vollständig genesen war. Stellt euch vor wir fanden zueinander. Wir entwickelten starke Gefühle füreinander. Schließlich wurden wir ein Paar. Ja und das blieben wir, so wie ich es überblicken konnte, bis zu meinem, bzw. natürlich Galburas Tod.

 

„Ihr habt also das Wissen gemeinsam gehütet? Das Wissen um den Amazonenstaat. Das Wissen um die geheimen Lehren und die matriarchale Ausrichtung?“

Erkundigte sich Gabriela voller Enthusiasmus.

„Ja, genauso! Wir gingen an einen geheimen Ort, dort wo sich noch andere der heilkundigen Amazonenschwestern verborgen hielten. Mit ihnen hüteten und bewahrten wir das alte Wissen. Luella lernte von mir und den anderen und wurde ebenfalls eine Heilkundige.“

Klärte Annett weiter auf.

„Und du weist nicht wer sie sein könnte?“ Hakte Elena noch einmal nach.

„Nein.Leider nein. Dagmar war es jedenfalls nicht!“

„Natürlich nicht! Dagmar du warst im früheren Leben Alfura. Und die starb ja eine Zeitlang vor der Schlacht, auf der Folter.

„Ja, aber auf eine bestimmte Art war auch ich dabei Elena. Ich habe alles gesehen, nicht so klar wie Annett, aber ich konnte den Ablauf rekonstruieren.“ Meldete sich Dagmar zu Wort.

„Es war eine wunderschöne junge Frau, sportlich, mit traumhaft kräftigen Muskeln, so wie ich es mag. Wir liebten uns leidenschaftlich. Es war wunderbar, traumhaft, phantastisch.“

Schwärmte Annett.

„Hey , hey, etwa schöner als ich?“ Fuhr Dagmar dazwischen. Das war natürlich ironisch gemeint.

„Es war ein Traum, Daggi, nur ein Traum. Du bist real und mir von allem immer noch die liebste.“ Annett zog Dagmar zu sich und gab ihr einen dicken Kuss auf die Wange.

„Hmm da müssen wir dranbleiben. Ich werde genaue Aufzeichnungen anfertigen. Kristin wird mir dabei helfen. Ich werde dann alles akribisch genau mit dem vergleichen, worüber wir die letzen Jahre geforscht haben.“ Kündigte Gabriela an.

„Und bei dir Elena? Wie war es bei dir? Ich fürchte nicht sehr erbaulich?“ Forschte Dagmar nach.

„So wie ich es schon seit Jahre vor Augen habe. Es kam alles so wie vermutet.

Aradia starb am alten Heiligtum der Göttin-Mutter.  Grondar hat sie umgebracht. Vor ihrem Tod verfluchte sie ihn und alle Beteiligten. Ja und die folgten ihr binnen eines Jahres in den Tod.“

„Richtig, ausgleichende Gerechtigkeit!“ Sprach Dagmar mit Erleichterung in der Stimme.

 „Mehr noch, Aradias Fluch liegt bis heute, wie ein dunkler Schatten über all jenen, die ihre Autorität missbrauchen um Macht und Herrschaft, Selbstbereicherung und Privilegien daraus abzuleiten versuchen.“

„Also zum Beispiel auch auf Cassian!“ Fragte Dagmar sehr direkt.

„Natürlich auch auf ihm! Gerade auf ihm, denn er hat es gewagt sich mit den Reinkarnationen der legendären Schwertschwestern anzulegen.“ Erwiderte Elena selbstsicher.

„Interessant, sehr interessant. Ich sehe, wir haben in den folgenden Wochen ein gewaltiges Stück Arbeit vor uns. Aber wenn es und gelingt, diese Erkenntnisse präzise in die Historie einzuweben, dann gleicht das am Ende einer Revolution.“ Meinte Gabriela.

„Nun, für Revolutionen bin ich stets zu haben. Also, ich bin bereit. Gebt Bescheid, wenn es so weit ist.“ Frohlockte Dagmar.

 

In einen weiteren kleinen Kreis hatten sich Alexandra, Chantel, Kristin, Androgyna und Inga eingefunden.

Alexandra und Chantal konnten über ähnliche Erlebnisse bereichten, auch bei Inga ging es in diese Richtung.

„Oh, es war sehr traurig! Meine letzten Gedanken galten meinen Kindern. Das heißt natürlich Hatifas Kindern. Ferner der schönen Zeit die Hatifa mit Inanna verbracht hatte, als sie deren Schülerin und zugleich Geliebte war. Wie ein Zeitraffer zogen diese Ereignisse vor meinem Auge vorbei. Aber es lag auch ein Hoffnungsschimmer darüber. Sonia, also Teleri starb unmittelbar nach Hatifa.“

Berichtet Inga noch immer mit Tränen in den Augen.

„Ich habe Kyra, also Daraya länger überlebt und lag mit einer schweren Verwundung danieder, mein Vater, natürlich Gomelas Vater kam zu der sterbenden und konnte sich noch verabschieden und sogar mit ihr versöhnen. Auch das war sehr emotional. Was bemerkenswert ist, Gilgas, also Gomelas Vater hat seine Tochter gemeinsam mit Daraya bestatten lassen. Ist da nicht rührend?“

Gab Alexandra ihren Bericht zum Besten.

„Oh ja, sehr sogar. Bei mir war es nicht so spektakulär. Ich starb schnell durch einen Speer. Natürlich Ajana und nicht ich. Uratha warf sich ins Schlachtengetümmel und hat den Tod gesucht. Sie wollte nicht ohne Ajana weiterleben. Die beiden waren so fest verwurzelt wie…ja wie ich und Eve eben. Ach, das ist so toll, dass wir uns hier, in diesem Leben wieder gefunden haben. „ Schloss sich Chantal an

„Ashe, also Gabriela und ich, dass heißt natürlich Effeni wurden vor ihrem Tod getrennt und suchten einander. Es war fast unmöglich sich zu finden, in all dem Schlachtengetümmel. Endlich standen sie sich gegenüber und wollten sich umarmen, als sie beide zweitgleich von Pfeilen getroffen wurden und tot zu Boden sanken. Es war ihnen nicht möglich zu trauern, aber womöglich war das auch gut so. Auch ich bin froh mit Ashe also Gabriela wiedervereint zu sein.“ Setzte Kristin hinzu.

„Ich hatte zu dem Zeitpunkt keine feste Partnerin, da sich Manto und ich kurz vorher trennten.

Wir kämpften aber in der Nähe und versuchten einander Deckung zu geben, so gut es eben ging. Ich verlor sie auch aus den Augen. Richtig ausgesagt verlor natürlich Ganymea Manto aus den Augen. Ich kann auch nicht sagen was mit ihr geschah. Ganymea hat es dann auch erwischt.“ Meldete sich Androgyna noch zu Wort

Damit hatten alle ihre Berichte vorgebracht.

„Da fällt mir plötzlich etwas ganz Phantastisches ein. Wenn Gilgas von Ninive seine Tochter Gomela und Daraya gemeinsam bestattet hat, da müsste es doch auch noch das Grabmahl geben. Mensch da muss ich unbedingt mit Gabriela darüber reden. Da könnten doch Archäologen Ausgrabungen vornehmen. Das wäre doch der unwiederbringliche Beweis für die Existenz des Amazonenstaates.“ Kam Alexandra plötzlich ein Geistesblitz.

„Ja, genau. Du hast Recht. Sozusagen der in Stein gehauene Beweis für die Echtheit aller Amazonen. Ich werde das sofort versuchen in Erfahrung zu bringen. Das muss publik gemacht werden. Womöglich gibt es schon Ausgrabungen und die werden nur verschwiegen.“

Stimmte ihr Chantal zu.

„Das wäre zu schön, um wahr zu sein. Dieses ständige Herumnörgeln von diesen Pseudohistorikern darüber, dass es gar keinen Amazonenstaat gab, geht mir langsam, aber sicher auf die Nerven.“ Klagte Kristin. „Seit mich Gabriela auf diese Schiene gebracht hat beschäftige ich mich immerfort mit diesen Dingen.“

„Genau, wir sprechen heute noch mit Gabriela darüber. Du kannst sie ja schon vorbereiten Kristin.“ Meinte Alexandra.

„Trotz alledem gibt es noch Dinge, die ich nicht verstehen kann.“ Gab Inga zu.

„Ja und die wären?“ Wollte Chantal wissen.

„Na die Paare. Es ist nicht bei allen identisch. Bei mir ja, Sonia und ich sind wieder zusammen. Bei dir ist es ähnlich Alexandra. Du bist mit Kyra zusammen und du Chantal mit Eve. Du wiederum mit Gabriela Kristin. Aber es gibt Ausnahmen. Hatifa hatte ein sehr leidenschaftliches Verhältnis zu Inanna, das heißt bevor sie Teleri kennen lernte. In diesem Leben hätte ich dann mit Colette etwas. Hätte. Aber es ist nicht.“ Wunderte sich Inga.

„Elena sagt, es ist nicht möglich alles eins zu eins umzusetzen. Es kommt auf die Situation an.“ Erinnerte sich Androgyna.“ Ich bin ein besonderes Beispiel dafür. Bei mir ist es bis heute nicht geklärt, wer nun im alten Leben zu mir gehörte, bzw. zu Ganymea. Innanna oder Manto, oder wer sonst noch? Auch in diesem Leben habe ich noch keine entsprechende gefunden.

Ich hatte mir von diesem Tripp Klärung erhofft, aber leider vergeblich. Muss ich halt weiterforschen.“

„Bei Kasuba ist es wieder anders. Die war mit Inanna fest leiert bis zu deren Tod. In diesem Leben ist sie mit Colette zusammen, es stimmt also wieder. Aber Kasuba war zum Schluss Aradias Lebensgefährtin. Betül ist es mit Elena hingegen nicht. In diesem Leben habe ich eine Beziehung zu Betül aufgebaut, im alten Leben hatten Effini und Kasuba aber nichts miteinander.“ Brachte Kristin ein.

„Hmm, da kann einem ja der Kopf rauchen. Das ist wirklich ausgesprochen kompliziert.“

Stellte Alexandra fest.

„Wir sollten uns da nicht allzu viel Gedanken machen. So wie es jetzt läuft, ist es richtig. Ich denke das ist doch das Wichtigste, oder?“ Merkte Inga an.

„Der Meinung bin ich auch! Seht mal die anderen Grüppchen sind schon fertig. Wir sollten uns eben ebenfalls zu den anderen begeben.“ Schlug Androgyna vor.

Die anderen stimmten zu und sie beendeten die kleine Runde.

 

Nach einer Pause versammelte sich die ganze Schar nun in einer großen Runde zu einer Art Plenum.

Elena versuchte noch einmal zusammen zu fassen was geschehen war. Das unmögliche war eingetreten. Alle Teilnehmerinnen des Rituals hatten die gleiche, oder zumindest ähnliche Erinnerungen. Schon allein diese Tatsache kam einem Wunder gleich.

Das alles konnte kein Zufall sein.

Doch wie sollten sie diese Erkenntnis in der Öffentlichkeit vertreten?

 

„Nachdem wir uns in Kleingruppen ausgetauscht haben, wollen wir nun alles zusammenbringen, als eine Art Reflexion, bevor wir uns wieder dem Alltag zuwenden.

Wir alle waren auf der anderen Seite, waren Zeuginnen wie die legendäre Amazonenarmee vernichtet wurde, wenn auch nur im Geiste und aus sicherer Distanz.

Nun beginnt für uns die Kleinarbeit, wie ein Puzzlespiel muss nun alles zusammengesetzt werden, damit es stimmig ist und sich nicht widerspricht. Unsere Kritiker stehen bereit und warten nur darauf, dass wir Fehler machen.

Wir müssen jeden Schritt gut überdenken und genau abwägen, wann wir welche Details in die Öffentlichkeit bringen.

In der wissenschaftlichen Forschung, bestimmt die Rationalisierung das Geschehen. Der Mensch interpretiert sich die Ereignisse so, dass sie ins eigene System passen. Dies tun nicht nur Einzelpersonen, sondern es geschieht auch innerhalb der großen religiösen, politischen und wissenschaftlichen Systeme.

Das Unpassende, das System aus dem Gleichgewicht Bringende, wird als nicht vorhanden erklärt. Eine solche Handlung entspricht aber noch nicht einer im besten Sinne wissenschaftlichen Handlung, sondern eher einem magischen Abwehrzauber, der sich mit einem wissenschaftlichen Gebaren tarnt. Ein wirklich objektives Denken ist dagegen bestimmt von dem Bemühen um ein Erkennen und Verstehen des eigenen Wesens und der Welt so wie sie ist.

Dazu gehört die Bereitschaft, Einstellungen und Vorstellungen zu hinterfragen, sie mit den Erfahrungen anderer Menschen zu vergleichen, zu überprüfen, anzupassen und zu erweitern.“

 

Elenas Aussage traf auf breite Zustimmung. Trotzdem waren sich alle der Tatsache bewusst, wie schwierig es sein würde gegen die hohen Mauern der Göttin der Vernunft anzukämpfen.

Sich eine Ideologie zusammenzubasteln, dieser Vorwurf traf die Freiheitstöchter stets und ständig, wenn sie ihre Thesen nach außen vertraten. Die Tatsache, dass es ihre Gegner und Kritiker ebenso taten, wurde hingegen völlig ausgeblendet.

„Das ist alles richtig Elena. Aber die Meinungsmacher sind uns nun mal weit überlegen. Sie sind bereit starke Geschütze aufzufahren, wenn es darum geht, ihre männlich-patriarchale Hegemonie in der Forschung zu verteidigen. Männer, sowie Frauen, die das Patriarchat unterstützen und sich ihm unterworfen haben, weil sie sich Vorsteile davon versprechen, werden niemals zugeben, dass sie einem Irrtum erlegen sind.“

Entgegnete Colette.

„Wir müssen unsere Erkenntnis vorerst noch unter Verschluss halten. Wir dürfen nicht all zu früh damit nach außen treten. Wir benötigen nach wie vor stichhaltige Beweise dafür. Wenn wir mit unseren Traumzeitreisen daherkommen, werden sie uns der Lächerlichkeit preisgeben, so wie sie das in der Vergangenheit des Öfteren taten. Wir bräuchten Beweise. Wenn es nur ein kleiner wäre, etwas Handfestes. Etwas dass sie nicht so einfach von Tisch wischen können.“ Meinet Gabriela.

Jetzt sah Alexandra die Gelegenheit ihre These einzubringen.

„Wir haben in der kleinen Gruppe schon darüber gesprochen. Gomela die Prinzessin, die mit den Amazonen ritt und focht, starb in der Schlacht. Doch ihr Vater lies ihr und ihrer Gefährtin Daraya ein mächtiges Grabmahl errichten. Mir kam die Überlegung, dass es ja noch vorhanden sein müsste, wenn auch nur in Fragmenten, als Ruine oder so. Vielleicht könnte das ein Ansatz sein?“   

„Sehr guter Einwand Alexandra, gut dass du das einbringst. Ich habe mir da auch schon Gedanken gemacht. Es ist gut möglich, dass Archäologen schon Ausgrabungen unternahmen und fündig wurden. Natürlich hüten sie eventuelle Entdeckungen wie ihren Augapfel, um nur ja nicht der vorherrschenden Ideologie ins Gehege zu kommen. Ich werde auf dem Gebiet nachforschen.“ Erwiderte Gabriela.

„Ich werde dich unterstützen, gründliche Recherchen anstellen und die Pressemitteilungen durchforsten. Das kommt zwar der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen gleich, aber es geht ja um eine wichtige Sache. Zum Glück haben wir jetzt im Winter ausreichend Zeit dafür.“ Bot Chantal sogleich an.

„Wenn die tatsächlich so etwas Bahnbrechendes herausgefunden haben, können wir gewiss sein, dass sie es unter dem Mantel der Verschwiegenheit verbergen.“ Glaubte Colette zu wissen. „Der Beweis für die Existenz eines Amazonenstaates und darüber hinaus einer noch tiefer in der Vergangenheit liegenden matriarchal-egalitären Gesellschaftsordnung wäre gleichbedeutend mit der Entdeckung eines Jumbojets, der 200 Jahre vor den Brüdern White** geflogen wäre.“

„Das ist der Grund dafür, dass ihr alles unter dem Mantel der Verschwiegenheit haltet und mit niemanden über die Erlebnisse eurer Traumreise sprecht.“ Gebot Elena noch einmal mit Nachdruck.

„Mit niemanden? Du meist, wir sollten noch nicht mal unseren Männern etwas davon sagen.“ Wollte Kyra wissen.

„Natürlich können es die Schwestern ihren Männern mitteilen, soweit sie welche haben. So viele von uns sind das zum Glück nicht. Aber auch die sollten selbstverständlich nichts nach außen bringen. Mit außen meine ich die Mauern von Anarchonopolis.“ Schärfte Elena nochmals ein.

„Das trifft auch für dich zu Lucy. Keine Aufschneiderei.“

„Na, wo denkst du hin? Ich doch nicht. Ich bin verschwiegen, wie ein Grab.“ Gab Lucy zu verstehen.

„Elena, wäre es nicht an der Zeit jetzt über die Kontaktaufnahme zu sprechen, die vor etwa einer Woche bei uns eingegangen ist.“ Rief Gabriela ins Gedächtnis.

„Kontaktaufnahme? Welche Kontaktaufnahme? Davon wissen wir ja gar nichts!“ Staunte Kyra.

„Wir hätten euch rechtzeitig in Kenntnis davon gesetzt. Sie kommt zur passenden Zeit und sie kommt aus der Gegend, die wir im Allgemeinen mit dem legendären Amazonenstaat in Verbindung bringen.“

„Du meinst damit aus dem Hochland von Anatolien? Oder zumindest die Richtung?“

 „Die Richtung stimmt Chantal, nur etwas weiter östlich. Der Staat Rojava, der dort vor einiger Zeit entstanden ist und ganz ähnliche Ziele verfolgt wie wir. Auch dort haben Frauen ganz wichtige Rollen übernommen. Dort wurde sogar eigens eine Art neuer Ideologie, oder Philosophie entwickelt. Die sogenannte Jineologie***. Ihr habt mit Sicherheit schon davon gehört.“ Überbrachte Elena die Botschaft.

„Ja, natürlich. Ich beschäftige mich seit geraumer Zeit damit. Hochinteressant. Sind so eine Art von Seelenverwandten würde ich sagen. Und die wollen in Kontakt zu uns treten?“

Wollte Dagmar voller Erstaunen wissen.

„Ja, sie möchten uns besuchen kommen und haben auch uns zu einem Besuch eingeladen.“

Klärte Elena weiter auf.

„Na, dass ist doch großartig! Wir sollten da aber schnellstens darauf eingehen!“ Schlug Alexandra vor.

„Das werden wir bestimmt. Aber das muss gründlich vorbereitet werden. Es ist nicht ohne Risiko. Dort unten herrscht seit viele Jahren ein erbitterter Krieg.“ Mahnte Gabriela zur Vorsicht.

„Deshalb werden wir sie zunächst zu uns kommen lassen. Dann können wir in Ruhe unsere Ansichten austauschen. Ja, es tut einfach nur gut zu wissen, dass wir mit unseren Theorien nicht allein dastehen.“ Fügte Colette hinzu.

„ Ja, etwa zeitgleich zu uns haben sich dort ähnliche Ansichten entwickelt. Unabhängig voneinander, das ist wichtig zu betonen. Und was noch sehr interessant für uns ist. Das Gebiet dort um Rojava könnte durchaus historisches Amazonenland sein. Genau lässt es sich nicht mehr lokalisieren. Es soll sich etwa in der Gegend rund um das Schwarze Meer befunden haben. Das ist zwar ein sehr großer Radius Aber immer hin ein lokaler Anhaltspunkt. Warum also nicht dort wo jetzt Rojava besteht.“ Gab Gabriela noch zu bedenken.

„Also, setzen wir unseren Weg weiter fort. Nun mit der Aussicht auf namhafte Verbündete.

Ich freue mich auf diese Aussicht. Heute jedenfalls haben wir ein Stück hinzulernen können.

Versuchen wir alle, jede für sich, in den folgenden Wochen noch ein Stück tiefer zu dringen.

Tauscht euch weiter über eure Erlebnisse aus. Jedes Detail, wenn es uns auch noch so unbedeutend erscheint, kann wichtig sein. Wenn euch etwas nicht einleuchtet, kommt zu mir, oder zu Gabriela.“ Sprach Elena und es klang schon wie ein Schlusswort.

Die weitere Entwicklung würde auch davon abhängen, wie intensiv sich die einzelnen mit der Problematik beschäftigen würden.

 

Das wichtigste Fazit aber. Akratasien stand nicht allein. Es gab andere, ähnliche Experimente überall auf der Welt. Das konnte kein Zufall sein.  Das lief vielmehr nach einem Plan. Ein Plan dessen Entwurf schon Generationen vor ihnen entworfen wurde.

Die Zeit drängte, denn überall auf der Welt kündigten sich Verwerfungen größeren Ausmaßes an. Kriege, Wirtschaftskrisen, Katastrophen, Klimawandel, Seuchen und Epidemien.

Es hatte den Anschein, dass Mutter Erde der Menschen überdrüssig war und das aus guten und berechtigten Gründen.

Es galt gegenzusteuern.  Die Katastrophenuhr zeigte schon lange fünf Minuten vor zwölf.

       

 

 

 

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** Den Brüder Willbur und Orville Wright gelang am 17 Dezember 1903 in der Kleinstadt  

     Kitty Hawk im Bundesstaat North Carolina der erste Flug mit einem motorisierten

      Flugzeug. Dieses Datum wird im Allgemeinen als der Beginn der

     professionellen Luftfahrt betrachtet.

 

 

 

*** Jineologie- Wissenschaft der Frauen, bekannt auch als Kurdischer Feminismus geht auf

       Abdullah Öcalan (geb 1949) zurück, den umstrittenen Führer der Kurdischen Arbeiter-

       Partei (PKK). Öcalan wurde 1999 zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteil. In der Haft

       hatte er einen Art Erleuchtung. Die Hinwendung zum radikalen Feminismus. Öcalan

       Vertritt seither die These, dass eine Befreiung der Menschheit von Ausbeutung, Unter-

       drückung und Herrschaft nur gelingen kann, wenn zeitgleich die Befreiung der Frau von

       der Herrschaft des Mannes erfolgt. Diese These ist nicht neu und wird in Kreisen des

       radikalen und revolutionären Feminismus schon lange vertreten. Doch interessant ist das

       Öcalan sich als Anhänger der Matriarchatstheorie outete. Er glaubt daran, dass es in der

       Zeit vor ca.10000-5000 Jahren eine matriarchale egalitäre Zivilisation auf dem Gebiet

       der heutigen Türkei gab, hoch entwickelt, ohne Herrschaftsstrukturen und weitegehend

       von Frauen bestimmt. Zahlreiche Siedlungen aus dieser Zeitepoche, wie z. B. das von

       der UNESCO zum Weltkulturerbe erhobene Catal Hüyük wurden bereits ausgegraben.

 

       Der Begriff Jineologie ist abgeleitet von dem kurdischen Wort Jin für Frau und Jiyan

       das Leben bedeutet.

       Natürlich müssen wir die besonderen regionalen, kulturellen und politischen Be-

       dingungen in Rojava berücksichtigen. Davon losgelöst könnte Jineologie durchaus zu

       der revolutionären Weltanschauung des 21. Jahrhunderts werden.