Leeres Herz trifft auf gequälte Seele

Madleens und Tessas Ankunft, dessen positiver Schub und die damit verbundene Emotion hatten eine wichtige Handlung kurzzeitig in den Hintergrund gedrängt, die aber keinen Aufschub mehr duldete.

Dagmars Heilungsritual musste kurzzeitig verschoben werden. Dafür hatten alle Verständnis, nicht zuletzt Dagmar selbst. Das Elena und Madleen vorübergehend ihre Umgebung vergaßen und sich einer hemmungslosen Liebe hingaben, war nur all zu verständlich, nach der langen Zeit der schmerzlichen Trennung.

Hinzu kam die politische Großwetterlage, hier überschlugen sich derzeit die positiven Nachrichten.

Cassians Sturz und Entmachtung, seine Flucht ins Ausland. Die Machtübernahme einer Übergangsregierung, deren Kontaktaufnahme mit der Exilgemeinde, verbunden mit dem Angebot der Rückkehr in die Heimat und die Bereitschaft über den zukünftigen Status Akratatsiens zu verhandelt, all das musste besprochen und analysiert werden.

Nun galt es rasch Entscheidungen zu fällen. Alle wurden abrupt aus ihrem beschaulichen Exilantendasein gerissen und taumelten, gewissermaßen in einem emotionalen Rausch der neuen Freiheit entgegen.

Was Dagmar betraf waren sie sich kurzzeitig im Zweifel, ob sie deren Heilungsritual nicht so lange verschieben sollten, bis sie wieder in Anarchonopolis waren. Doch die Vorbereitung des erneuten Exodus, diesmal in Richtung Heimat, würde sich womöglich in die Länge ziehen. Es wurde beschlossen, diesen in mehreren Schüben durchzuführen.

Aber Dagmars Gesundheitszustand war ebenso wichtig, ihre körperlichen Beschwerden besserten sich zwar merklich, sie konnte, mit kleinen Einschränkungen, bald wieder voll am Leben der Gemeinschaft teilnehmen. Ihre Psyche jedoch befand sich in einem bedenklichen Zustand.

Dagmar litt, auch wenn sie versuchte ihren Schmerz so gut es ging zu verbergen.

Die Dämonen der jüngsten Vergangenheit wüteten in ihrer gequälten Seele und ließen einen Gesundungsprozess gar nicht erst zustande kommen.

Hier war dringend Hilfe von Außen geboten.

Elena, Betül und Annett beschlossen daher nicht mehr länger zu warten und die Heilungszeremonie noch an ihrem derzeitigen Wohnort abzuhalten.

Schließlich legten sie einen Tag fest, genauer gesagt einen Abend, denn die darauffolgende Nacht sollte als Ruhe-und Genesungsphase mit einbezogen werden.

 

Elena kam jetzt zugute, dass sie sich in der Zeit ihres Exils, in Neidhardts Bunker, intensiv mit alten und neueren Heilungsritualen beschäftigt hatte. Sie nahm dabei nicht nur jede Menge theoretisches Wissen auf, sondern meditierte lange darüber, im Bunker,oder wenn es die Witterung zuließ auch oder vor allem in der freien Natur.

Sie war Ärztin von Beruf und daher mit der Anatomie des menschlichen Körpers sowie der Seele bestens vertraut und sie hatte zudem eine glorreiche Präexistenz, sie war Aradia die legendäre Amazonenkönigin aus der Zeitepoche des Übergangs vom Matriarchat zum zerstörerischen Patriarchat. Sie konnte also aus vielen ergiebigen Wissensquellen schöpfen.

Wer wäre besser geeignet ein solches Heilungszeremoniell zu leiten?

Betül war eine erfahrene Heilerin der muslimischen Sufitradition, ferner hatte auch sie eine medizinische Ausbildung und lange Zeit als Rettungssanitäterin gearbeitet.

Annett schließlich komplettierte die Runde. Sie war gelernte Krankenschwester und Physiotherapeutin, wenn sie diese Berufe auch schon lange nicht mehr ausgeübt hatte. Sie war zudem eine erfahrene Mutter und Großmutter.

 

So als hätte sie es geahnt, hatte Elena in der Zeit ihres Rückzuges ein Heilungsritual ausgearbeitet, das sie jetzt nur auf den entsprechenden aktuellen Fall übertragen musste.

 

Die Durchführung war nicht ohne Risiken, denn die Zeremonie wurde vorher noch nie in der Praxis erprobt. Aus diesem Grund konnte es auch noch nicht eingehend analysiert werden.

Die Gefahr des Scheiterns lag in der Luft. Wirkungslos und ohne Heilerfolg war dabei noch die harmlose Variante. Schlimmstenfalls konnte sie die Wirkung in ihr Gegenteil verkehren und erhebliche körperliche und seelische Beeinträchtigungen zur Folge haben.

  

Elena sprach mehrfach mit Dagmar, um sie über die Gefahr aufzuklären.

„Ich habe mich entschieden Elena, ich werde mich diesem Ritual stellen. Ich habe keine Wahl. Ich kann so nicht weiterleben! Das Trauma lässt mich nicht zur Ruhe kommen. An manchen Tagen geht es und ich kann mich dem Alltag ganz gut stellen. Doch an anderen ist es furchtbar. Die Depression bringt mich zum Wahnsinn. Es ist, als trage ich eine bleierne Rüstung am Leib. Totale Antriebslosigkeit, Angstzustände, tiefe Traurigkeit, ich könnte in diesem Zustand über einen Witz noch weinen. Kaum noch Interesse für irgendwas, alles plätschert an mir vorbei. Eine innere Leere, wie ausgebrannt. Und diese Gefühllosigkeit, Meine Libido ist weg, ich verspüre keine Reize mehr, alles taub, alles wie tot, ich empfinde kaum noch sexuelles Begehren, dabei bin ich so hungrig nach Liebe und Zärtlichkeit.“ Dagmar begann zu weinen.

 

Elena nahm sie in die Arme und streichelte durch ihr blondes Haar.

„Du siehst, ich habe nichts zu verlieren. Nur zu gewinnen. Schlimmer? Was könnte noch schlimmer sein?“

„Du könntest dem Wahnsinn verfallen, dauerhaft wie geistig umnachtet leben. Selbst den Tod kann ich nicht ausschließen.“ Klärte Elena auf.

 

„Der Tod? Was ich derzeit erlebe ist schlimmer als der Tod. Nein den fürchte ich nicht. Wenn er kommt, dann soll es eben so sein. Ich habe ihn ohnehin verdient. Warum darf ich leben und die meisten anderen, die sich mir angeschlossen haben, nicht mehr? Es ist alles meine Schuld. Ich komme da niemals drüber weg.“

„Alles gut! Alles wird gut! Ich werde, nein wir werden unser Bestes geben, um dir zu helfen.

Du musst bald wieder auf dem Posten sein, denn ich brauche dich Dagmar. Wir werden bald in die Heimat zurückkehren, endlich! Endlich wieder daheim, die vertraute Umgebung dort wird dir guttun. Ich brauche dich für meinen Stab. Du sollst mit mir, mit Colette, Gabriela und einigen anderen die Verhandlungen führen, mit den derzeitigen Machthabern. Deine Erfahrung als Kämpferin ist dort von unschätzbarem Wert.“

 

„Ich danke dir für dein Vertrauen Elena. Glaubst du, dass ich dafür die Richtige bin? Ich war eine…Terroristin. Werden die mich anerkennen? Könnte meine Präsens dort nicht unserer Sache schaden?“ Zweifelte Dagmar.

„Die Gefahr besteht natürlich. Aber ich werde darauf bestehen, dich mit ins Boot zu nehmen. Aber darüber denken wir nach, wenn es so weit ist. Jetzt steht erst einmal deine Gesundheit und dein Wohlbefinden im Vordergrund.“

 

„Ich habe absolutes Vertrauen in dich und deine Fähigkeiten Elena und auch in das der beiden anderen. Ich gebe mich in eure Hände. Die Risiken schrecken mich nicht.“

„Wir werden uns nach Kräften bemühen und dich auf unseren Händen tragen, solange bist du wieder gesund bist.“

„Diese Heilungszeremonie, wie muss ich mir die vorstellen? Ich möchte nicht ganz unvorbereitet in die Zeremonie gehen.“ Wollte Dagmar wissen.

„Natürlich nicht! Ich hätte ohnehin mit dir darüber geredet. Das ist der erste Schritt. Vor Beginn der Handlung werde ich alles noch einmal erläutern.

Aber ich kann dir schon mal einiges erklären.  Es handelt sich dabei um eine Art von transpersonaler Therapie. Ich verwende verschiedene Vorlagen, berühmter Therapeuten wie Carl Gustav Jung oder Stanislav Grof. Aber auch ältere aus der Zeit vor der Zeit, wenn du verstehst, was ich damit sagen will?“

 

„Du meinst die der legendären Amazonen? Unsere Urahneninnen?“

„Genau die! Uraltes Wissen, kompensiert mit den Erkenntnissen unserer Zeit. Ich glaube das ist die richtige Mischung.“

„Da bin ich mal gespannt! Du machst mich wirklich neugierig!“

 

„Einen wichtigen Bestandteil nimmt dabei das holotrope Atmen ein. Du hast sicher schon davon gehört?“

„Ja!“

„Diese Atemtherapie ist wie kaum eine andere therapeutische Methode geeignet, Frauen mit schweren sexuellen Traumatisierungen in ihrem Prozess der Ganzwerdung zu unterstützen.

Du bist Opfer schwerer sexualisierter Gewalt. Folter und sexueller Missbrauch lagen bei dir eng beieinander.

Das Holotrope Atmen ist eine intensive Methode der Heilung in Zuständen veränderten Bewusstseins. Es enthält Elemente der Tiefenentspannung, Tiefenatmung, evokative Musik, gezielter Körperarbeit und Einigen anderen. Das Holotrope Atmen führt tief in die erfahrene Verletzung, in die Opfer-Erfahrung und aktiviert gleichzeitig große seelische und körperliche Heilkräfte. Ja, es soll vor allem deine Selbstheilungskräfte aktivieren.“

 

„Ja, ich weiß was du damit sagen willst. Ich bin mir selbst die beste Heilerin.“

„Richtig! Eine bessere gibt es nicht. Nicht um alles in der Welt möchte ich dich in die Hände der Psychiater und Psychotherapeuten geben. Die pumpen dich mit Psychopharmaka voll, oder labern dich mit schlauen Sprüchen zu. Am Ende machen die alles nur noch viel schlimmer. Meine Methode ist wie nicht anders zu erwarten bei diesen „Experten“ umstritten. Nicht weiter verwunderlich, weil sie sich offen dem patriarchalen Denken widersetzt. Alles was dem Patriarchat entgegensteht ist automatisch negativ, dies Logik ist dir ja sicher bewusst!“

„Klar! Damit konnte ich mich eingehend beschäftigen! Vor allem alles was von Frauen erdacht haben ist automatisch negativ.“ Erinnerte sich Dagmar.

 

„Wir werden dich in einen ekstatischen Zustand versetzen Du wirst überwältigt sein und es kommt dir so vor, als seiest du nicht mehr bei Sinnen. Es könnte sein, dass du laut schreist, lachst, mit den Armen um dich schlägst und den Beinen trittst. Es wird wie eine Art Hysterie über dich kommen. Aber das ist nicht ungewöhnlich und vor allen nicht gefährlich. Natürlich nur unter fachgerechter Anleitung.“

„Die habe ich. Bei dir, Betül und Annett fühle ich mich aufgehoben getragen und geborgen:“ Entgegnete Dagmar.

„Ekstase bedeutet: „aus-sich-heraus-treten“, die Begrenzung des personalen Ich zu überschreiten. Es ist die Fähigkeit, die scheinbaren Grenzen von Raum und Zeit zu überschreiten und mit den transpersonalen Ebenen des grenzenlosen Bewusstseins in Verbindung zu sein.“

„Ich bin bereit mich darauf einzulassen.“

„Es gibt ausreichend Zeit für Entspannung und Ruhe. Neben beruhigender Musik gibt es zum Abschluss eine Ganzkörpermassage. Einen langen Ausklang mit viel Sinnlichkeit und Berührung.“

„Ich gebe mich in eure Hände.“

 

„Wir werden bei dem Ritual nackt sein. Hättest du Probleme damit, ich meine nach all den schlimmen Erfahrungen, die du in dieser Hinsicht in jüngster Vergangenheit gesammelt hast?“

Dagmar überlegte kurz.

„Nicht ganz einfach, die Frage. Ich wurde nackt gefoltert. Ich wurde auf diese Weise bloßgestellt. Meine Hilflosigkeit im Kerker wurde dadurch noch einmal gesteigert. Viele demütigende Handlungen wurden an mir vorgenommen. Aber andererseits? Es hat wohl auch dies seine Bedeutung?

„Die Grenzenlosigkeit der Ekstase erfordert alles Äußere loszulassen, aus allen äußeren Bekleidungen herauszutreten. Ekstase erfordert das Opfern äußerer Macht, von Status, Symbolen, Ansehen, Titeln, Wissen. Nur wer völlig nackt ist kann von göttlicher Ekstase ergriffen werden. Rituelle Nacktheit ist ein ekstatisches Element, welches uns aus vielen magisch-mythischen Kulturen und Traditionen überliefert ist.

Wir alle werden dabei nackt sein, nicht nur du. Darin liegt der Unterschied zu deiner Folter, dort warst du den Folterern in allem ausgeliefert Indem wir alle nackt sind, stellen wir eine Einheit her. Und eine totale Gleichstellung.“

 

„Wenn das so ist, kann ich mich euch ohne Bedenken anvertrauen. Ja, du hast Recht. Diese Nacktheit ist von ganz anderer Natur. Ich werde alles noch einmal durchleben, aber es wird einen glücklichen Ausgang geben. Ein Ausgang getragen von Liebe, Zärtlichkeit, Absolutem Vertrauen, Geschwisterlichkeit und dem Gefühl geheilt zu sein.“

Glaubte Dagmar zu wissen.

„Besser hätte ich es auch nicht ausdrücken können. Ja, auch die Ekstase ist ein wichtiger Bestandteil. Freudvolle ekstatische Schöpferkraft ist die Essenz dessen, was wir Heilkraft nennen. Ohne Ekstasefähigkeit ist Heilkraft kaum möglich. Im Bewusstseinszustand ekstatischer Freude können wir heilen. Wunder bewirken, diese ereignen sich von selbst. Sie sind Teil einer großen ganzheitlichen Heilkraft, die uns alle verbindet. Damit treten wir auch in die Zeitlosigkeit, sind verbunden mit unseren mythischen Seelen, mit denen der Amazonen, des alten legendären Akratasia aus der Bronzezeit.“

„Du meinst Aradia und ihr Gefolge? Jenen Schwestern der Vorzeit deren Reinkarnationen wir sein sollen?“ Hakte Dagmar nach.

 

„Ja, genau die! Auch wenn du nicht daran glauben magst, weil dir das zu spirituell ist und zu mystizistisch, wie du uns früher des Öfteren vorgehalten hast, es wird auch bei dir seine Wirkung nicht verfehlen, auch wenn du nicht daran glaubst.“ Versicherte Elena. Dagmar hatte in ihrer Eigenschaft als radikale Anarchistin alles Spirituelle und Religiöse stets zurückgewiesen.

Elena ahnte zwar, dass sich in Dagmar eine Wandlung vollzogen hatte, doch wie weit die bereits fortgeschritten war, konnte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen.

 

„Das mag für früher gelten, Elena. Ich habe einen Wandlungsprozess durchlaufen. Schon während meiner Zeit im Untergrund. Dort, in der absoluten Abgeschiedenheit und Stille habe auch ich neue Erfahrungen sammeln können. Ich habe begonnen zu meditieren und mich ausführlich mit der Aradia-Legende beschäftig. Ob du es glauben magst oder nicht. Ich habe es geschafft, ich war drüben. Ich war in der anderen Welt, bei den legendären Amazonen.“

„Wirklich? Aber…aber das ist ja großartig. Wenn das stimmt, gibt es noch einen weiteren Punkt, der uns verbindet, und zwar einen ganz bedeutenden. Du hast das Geheimnis von Akratasia entschlüsselt. Damit sind wir für immer aneinandergebunden. In Zeit und Ewigkeit wird uns nichts mehr trennen.“ Begeisterte sich Elena.

 

„Ja, auf der Folter schloss sich der Kreis. In Träumen und Visionen suchten mich die Schwestern aus der grauen Vorzeit immer auf, sprachen mir Mut zu, gaben mir Kraft all das Schlimme durchzustehen. Auch die Tatsache des absoluten Ausgeliefertseins leistete einen nicht ganz unerheblichen Beitrag.“

„Ja, du hast dir diesen Beistand verdient. Sie haben dich anerkannt. Du warst und bist es immer, eine ewige Amazone. Im hier und jetzt, sowie in der der Welt von morgen.“

 

„Elena, ich wollte dir noch danken dafür, dass du mir Annett gebracht hast. Wir verstehen uns prächtig und sind inzwischen dicke Freundinnen. Ihre Anwesenheit tut mir ungeheuer gut. Ich freue mich jedes Mal, wenn sie erscheint.“

„Ja, das habe ich bemerkt. War wohl der richtige Riecher von mir, dass ich gerade sie ausgesucht habe.

Deshalb ist es wichtig, dass sie beim Ritual zugegen ist und mithilft. Ihr könnt euch auf wundersame Weise ergänzen. Annett ist einsam. Ihr Herz ist leer seit dem Tod ihres Mannes, auch sie braucht Gesellschaft. Die findet sie bei uns in der Schwesternschaft zwar zuhauf, aber das ist zuwenig. Sie braucht die Gesellschaft einer richtigen Freundin.“

 

„Das wäre ich gern!“ Stimmte Dagmar zu.

Elena war sehr zufrieden über diese Aussage. Sie hoffte, dass diese Freundschaft in eine ganz bestimmte Richtung gleiten könnte.

„So, ich werde dich jetzt verlassen. Es gibt noch einiges vorzubereiten für heute Abend. Ich muss mit den anderen den genauen Ablauf der Zeremonie durchsprechen. Wir müssen ganz konzentriert an die Sache gehen. Am besten verbringt jede für sich den Nachmittag allein, geht in sich, meditiert oder wie auch immer.“

„Wie ist es bei mir? Sollte ich mich auch zurückziehen in die Stille. Laura und Cathy wollten mich im Laufe des Vormittags aufsuchen.“

 

„Das ist kein Problem! Ich denke es reicht, wenn du dich am späteren Nachmittag ein wenig zurückziehst, dir Ruhe gönnst und entsprechen vorbereitest.“.

Elena verabschiedet sich und verließ das Zimmer. Etwa eine Stunde später traf sie sich dann mit Betül und Annett zu einer letzten Besprechung. Betül kannte solche und ähnliche Zeremonien aus ihrer Tradition und war darin schon etwas routiniert. Annett jedoch stand die Aufregung ins Gesicht geschrieben. Vor allem die Tatsache, dass sie Dagmar sehr nahe- kommen würde, den Intimbereich weit überschreitend, verursachte ihr Herzklopfen.

Sie kam nicht herum sich etwas einzugestehen, auch wenn sie versuchte die Sache noch herunterzuspielen.

Das was sie für Dagmar empfand war weit mehr als nur Freundschaft. Sie hatte sich dem Anschein nach in die wesendlich jüngere und sehr attraktive Frau verliebt.

Sollte sie mit Elena darüber sprachen? War das eine positive oder eher negative Ausgangslage für das Heilungsritual?

 

Annett haderte mich sich. Sie beschloss zu schweigen und den Dingen ihren Lauf zu lassen.

Ja, womöglich bildete sie sich alles nur ein. Eine Schwärmerei womöglich. Sie war eine gestandene Frau. Hatte die 60 erreicht. War mehrfache Mutter und inzwischen Großmutter, schaukelte Enkelkinder auf ihren Knien, sie war Witwe und betrauerte noch immer den Tod ihres Mannes, auch wenn Thorwalds Heimgang schon anderthalb Jahre zurücklag. Ihre Tochter Madleen, ihr so ähnlich aber andererseits auch so verschieden, war zurückgekehrt, war schwanger und würde bald die Hilfe der Mutter benötigen. Und es lagen noch andere Aufgaben vor ihr, dann wenn sie wieder zuhause waren, in Anarchonopolis, nach dessen Mauern sie sich so sehr sehnte.

Doch ihr leeres Herz sehnte sich auch nach Liebe und Wärme, Zärtlichkeit und Nähe, all das gab es nur in der Zweisamkeit.

Gerade in Anrachonopolis würde ihr wieder auf brutalstmögliche Art und Weise vor Augen geführt was sie ein Leben lang hatte entbehren müssen, die Liebe und Gemeinschaft mit einer Frau.

Als sie noch jünger war, konnte sie diese Leere noch ganz gut ausgleichen. Sie war eingebunden in eine Familie, hatte viele Aufgaben, die ihre ganze Aufmerksamkeit erforderten. Da war wenig Zeit für extravagante Ausbrüche. Sie hatte einen Mann an ihrer Seite den sie wirklich liebte und mit dem sie sich eng verbunden fühlte, die beiden waren ein Team.

Schließlich glaubte sie, als sie 30 war, dass noch genügend Zeit vorhanden sei. Da könnte noch was kommen, in ferner Zukunft. Die Traumfrau?  Die musste es doch irgendwo auf der Welt geben?

 

Doch sie kam nicht. Jener Teil ihres Herzens blieb leer ihre, ihre Sehnsucht unerfüllt. Nun war sie 60 wartete noch immer und erkannte die Sinnlosigkeit darin.

Dagmar! Immer wieder ging ihr dieser Name durch den Kopf. Die junge Frau zog sie täglich stärker in den Bann. Seit Laura und Cathy damals vor nicht all zu langer Zeit auf ihrem Hof erschienen und ihre Hilfe brauchten und sich Dagmars Schicksal schon abzuzeichnen begann

waren ihre Wünsche deutlich präsent und begannen zusehend ihre Gedanken zu dominieren.

Warum war Elena ausgerechnet auf sie zugekommen mit der Bitte, sich um Dagmar zu kümmern? Es hätte doch jede andere sein können. Jüngere vor allem, die altersmäßig besser zu Dagmar passten.

Was bezweckte Elena damit?

Elena konnte man nichts vormachen. Die war imstande in jedes Herz zu sehen und dessen Schmerz zu ergründen. Hatte die geliebte Schwiegertochter auch in ihr Herz geblickt und die dortige Leere erkannt?

Hatte sie deshalb Annett für diese einerseits schwierige, wie andererseits auch sinnliche Aufgabe auserkoren?

Fragen über Fragen, die einer Antwort harrten.

 

Annett schluckte den Klos hinunter und begab sich nach der Besprechung in ihre Art Klausur, um sich, in den vor ihr liegenden Stunden, auf das Ritual vorzubereiten. Sie ging nach draußen, das Wetter gestattete einen Spaziergang.

Ein wenig Ablenkung, hoffte sie zumindest. Doch weit gefehlt. Alle paar Minuten sah sie auf die Armbanduhr und sehnte den Moment der Zusammenkunft herbei.

 

Schließlich war es Abend. Der Raum war eigens dafür eingerichtet. Ein großer Raum im Obergeschoss unter dem Dach der Akademie. Er erinnerte ein wenig an den großen Schwesternsaal zuhause in der Abtei, nun ohne Wehmut, denn schon in einigen Tagen würden sie ihn wieder sehen.

Eigentlich ein Durchgangsraum, der zwei Seiten des oberen Stockwerkes verband und ansonsten als Aufenthaltsraum genutzt wurde. Einige Helfer, unter ihren auch ein paar der Volontärinnen, die sich den Schwerstern hier in Deutschland angeschlossen hatten und bald auch mit nach Akratasien ziehen würden hatten den Raum schon am späten Nachmittag hergerichtet. Vor allem die Stühle zur Seite gestellt, gründlich gefegt, ein paar dicke Federkernmatratzen ausgelegt.

Elena hatte gemeinsam mit Betül die Feinheiten bereitgestellt. Frische Schnittblumen in einigen Vasen, bunte Tücher, vor allem in den Regenbogenfarben. Auch die neue Akratasische Fahne Schwarz-Rosa-Grün wurde an der Wand befestigt. Desweitern der Altartisch mit den Symbolen der 4 Elemente. Eine Schale mit Wasser, eine Schale mit Kieselsteinen, von der Natur auf wundersame Weise kreisrund oder oval gefertigt.

Eine brennende Kerze und ein Gefäß für das Verbrennen von Weihrauch, an den vier Ecken aufgestellt. In der Mitte ein großer silberfarbener Kelch als Symbol der Großen Mutter, flankiert von zwei weiteren weißen brennenden Kerzen. Ferner, auch Klangschalen und eine Reihe von Utensilien die beim Ritual selbst benötig wurden. Duftendes Massageöl zum Beispiel oder auch reichlich Wasser zu trinken.   

 

Dagmars Ruhelager war erhöht, in dem sie eine Matratze höher gestapelt hatten. Alles gut und sicher gepolstert, damit es Dagmar so bequem wie möglich hatte. Die drei würden sich um ihre Patientin setzen.

Bei Sonnenuntergang, jetzt im September war das gegen 19 Uhr, holte Elena Dagmar aus ihrem Zimmer ab und führte sie in den großen Raum. Sie konnte sich noch eine Weile umsehen und sich mit der Umgebung vertraut machen, alles auf sich wirken lassen. 

Elena holte eine Kanne mit einem eigens für die Zeremonie zubereiteten Beruhigungstee,

den sie Dagmar in Ruhe trinken ließ.

Nachdem Dagmar ausgetrunken hatte, betteten beide die Schwester auf ihr Lager, setzten sich auf den Boden und warteten.

Annett war noch nicht zugegen, Elena hatte sie darum gebeten erst kurz vor Beginn der Zeremonie zu erscheinen. Sie hatte Annetts große Nervosität bemerkt.

 

Elena und Betül entkleideten erst Dagmar vollständig und dann sich selbst. Währenddessen erschien Annett, schloss, unter heftigem Herzklopfen die Tür und näherte sich den beiden.

„Bin ich zu spät? Flüsterte sie Elena zu.

„Nein, du kommst gerade richtig. Entkleide dich in Ruhe. Dann setzen wir uns noch für zwei drei Minuten. Der Tee beginnt in Dagmar schon seine Wirkung zu entfalten.“

„Sie…sie ist wunderschön!“ Schwärmte Annett, den Blick dabei auf Dagmar gerichtet, die ganz gerade auf dem Rücken lag, die Arme angewinkelt, den Nacken auf einer weichen Schaumstoffrolle liegend, den Kopf leicht nach hinten fallend. Langsam und gleichmäßig hob und senkte sich ihre Brust.

Elenas Gesicht erhellte sich zu einem leichten Schmunzeln, als sie Annetts Begeisterung gehört hatte.

 

Die drei nahmen im Schneidersitz Platz, schlossen die Augen und senkten leicht den Kopf.

Auch ihr Atem wurde ruhig und gleichmäßig, die versuchten sich auf ihr Vorhaben zu konzentrieren, sich meditativ zu versenken.

Annett blinzelte zwischendurch immer wieder um einen Blick auf Dagmars wunderschönen, wohlgeformten Körper zu erhaschen. Elena bemerkte es schmunzelte erneut und lies es ihr nach.

 

Langsam, gleichsam in Zeitlupe erhob sich Elena vom Boden, streckte die Arme weit nach oben und atmete dreimal tief durch, gab das vereinbarte Zeichen und die anderen taten es ihr gleich. Im Anschluss nahmen sie um Dagmars Lager Aufstellung.

Annett am Kopfende, Betül an den Füßen und Elena in der Mitte.

Die wenigen Worte, die es dabei zu wechseln gab, wurden im Flüsterton ausgetauscht.

„Annett, du nimmst zunächst Dagmars Kopf in deinen Schoß, Betül du kannst mit der Massage beginnen.“

 

Das Ritual begann zunächst mit verschiedenen Entspannungsübungen. Betül nahm Dagmars Füße in ihren Schoß und begann mit einer Fußreflexzonenmassage, tastet die bewussten Stellen an der Fußsohle ab, dehnte und spreizte sanft die Zehen.

Annett bettete Dagmars Kopf weich, fuhr mit den Handflächen ganz sanft durch deren Haar, die Schläfen hinunter, ließ die Ohrläppchen durch ihre Finger gleiten. Streichelte die Wangen, fuhr mit den Fingern über die Nase. Hielt dann den Kopf einfach in den Handflächen und spendete ihre Körperwärme. Wenig später strich sie auch über den Nacken, Schultern und Oberarme.

 

Elena platzierte sich zur Rechten, fuhr mehrmals mit den Handflächen über Dagmars Bauch, über die Brüste, dann wieder nach unten, griff mit beiden Händen in Dagmars Taille und wog den Körper mehrmals ganz langsam hin und her. Danach legte sie die Handflächen auf den Bauch, atmete tief ein und aus. Ihre Energie floss in leichten Strömen durch ihre Hände in Dagmars Körper.

„Hmmm….hmmmm…hmmmm…“ Stöhnte Dagmar zwischen durch immer wieder ganz leise. Die Prozedur schien ihr ausgesprochen gut zu tun.

Doch auch die Erregung stieg leicht, zunächst kaum wahrnehmbar an. Dagmars Atem wurde stetig schneller.

 

Dagmars Bewusstsein stieg auf in höhere Sphären. Noch bildeten Körper und Seele eine Einheit. Doch schon in absehbarer Zeit würde sich die Seele in einer Art außerkörperlichen

Reise vom Körper loslösen, würde dann langsam, aber sicher in die Ekstase gleiten.

Genaue Konzentration war gefragt, dieser Akt durfte nicht zu schnell von statten gehen, da sonst die Gefahr bestand die Kontrolle über den Körper zu verlieren. Würde der Akt hingegen verzögert, konnte das dazu führen die Wirkung zu verspielen.

Elena achtete genau darauf, dass ihre Anweisungen von den andern beiden befolgt wurden.   

Vor allem Annett musste sie sanft, aber bestimmt immer wieder darauf hinweisen, bei der Sache zu bleiben und nicht all zu früh selbst in Ekstase zu verfallen, angesichts der immensen Leidenschaft, welche sie in Dagmars Nähe empfand.

 

Nach einer Weile war es so weit mit dem holotropen Atmen zu beginnen.

„So, nun ist es an der Zeit deinen Atem zu steigern, zunächst gaaaanz langsam, dann immer schneller. Ich werde die erste Zeit mit dir im Takt atmen, später musst du es alleine tun, es wäre nicht gut, wenn auch ich in Trance falle.“ Flüsterte Elena leise in Dagmars Ohr.

Dagmar tat wie ihr geheißen und beschleunigt ihren Atem.

Am Anfang, solange Elena gemeinsam mit ihr atmete, lief alles in ruhigen ausgewogenen Bahnen.

Ihre Brust hob und senkte sich im Takt und wurde stetig schneller. Schon nach kurzer Zeit bildeten sich die ersten Schweißtropfen auf ihrer Stirn. Annett griff nach einem Leinenlappen und tupfte zärtlich über Stirn, Wangen und Nase.

Dann setzte Elena abrupt aus und Dagmar war nun allein unterwegs. Elena schwankte ein wenig benommen, trank einen Schluck Mineralwasser, entfernte sich den Schweiß aus dem Gesicht, dann hatte sie sich schnell wieder unter Kontrolle.

Betül griff nach Dagmars Fußgelenken und hielt sie fest.

Dagmar begann immer hektischer zu atmen, ihr Rhythmus immer kurzatmiger, dem hecheln eines Hundes ähnlich.

Plötzlich begann sie sich unruhig hin und her zu bewegen, warf den Kopf von einer auf die andere Seite. Annett hatte alle Hände voll zu tun, um ihn festzuhalten.

 

„Ruhig, ganz ruhig Dagmar, alles in Ordnung. Du bist in Sicherheit. Wir sind bei dir, wir lassen dich nicht fallen.“ Flüsterte sie sanft in Dagmars Ohr. Die beruhigt sich auch tatsächlich eine Weile, doch schon nach einiger Zeit begann ihr ganzer Körper heftig zu vibrieren.

Betül fuhr mit den Händen ein Stück nach oben und griff in die Waden und hielt sie fest umschlungen.

Elena schlag ihre Arme um Dagmars Taille und legte ihren Kopf auf deren Bauch.

Annett hielt Dagmars Schultern, drückte den Oberkörper auf die weiche Matratze.

Doch Dagmar wurde immer wilder und heftiger. Nun schien das einzutreten womit Elena gerechnet hatte. Die wilde Frau bahnte sich ihren Weg nach draußen. Alle Energien bündelten sich. Immer heftiger und schneller der Atem.

Der gesamte Unrat der wie ein Müllhaufen auf ihrer gequälten Seele lastete, wurde mit einem Mal nach oben gespült. Auf einmal waren sie wieder da, all die Verletzungen, die Dagmar noch vor gar nicht langer Zeit hatte erdulden müssen.  

Doch jetzt wurde sie zur Täterin, die fürchterliche Rache an ihren Peinigern nahm. Eine geradezu mörderische Wut trat in ihr Bewusstsein und bot ihr die heilsame Möglichkeit diese über intensive Bewegung, Strampeln, Treten, Schlagen, Schreien und Wüten Ausdruck zu verleihen.

„Ahh…..aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaahhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh……..

Aaaaahhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh…….aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaahhhhhhhhhhhhhhhh…“

Sie warf den Kopf blitzschnell hin und her und Speichel lief aus ihrem Mund.

Die anderen hatten alle Hände voll zu tun, um sie zu bändigen. Annett griff fester um Dagmars Schulter und zog sie ein Stück weit nach oben, schlag ihre Arme so fest es nur ging um den Oberkörper.

All die Demütigungen und Entwürdigungen, all die Schmerzen und das Schamgefühl waren präsent und versuchten auf sie einzuschlagen. Doch diesmal gelang es ihr sich zu wehren. Die wilde Amazone in ihr erwachte und stellte sich dem Kampf. Sie sah sich selbst in der traditionellen Amazonenkleidung, mit Schild und Schwert bewaffnet, einer Übermacht furchterregender Krieger gegenüber. Nun wurde sie zu Alfula der verwegenen Amazone aus Aradias Lager. Sie hieb wie eine Furie auf die Anstürmende ein und schlug einen nach dem anderen in die Flucht.

 

Sie warf triumphierend das Schwert weit in die Luft und fing es geschickt genau an dessen Knauf wieder auf. Dann stürmte sie davon, jagte den fliehenden Kriegern hinterher.

Eine ungebändigte Kraft bemächtigte sich ihrer.

Sie lief und lief und wurde immer schneller.

„Aradia, ich komme! Ich komme! Ich hole euch alle raus! Verzeih mir, dass ich dich und alle anderen im Stich gelassen habe.“

Nachdem sie eine ganze Weile gelaufen war, fand sie ich vor der Amazonensiedlung wieder.

Die Fürstenheere hatten diese umstellt. Ein Ausbruch von innen war unmöglich. Hilfe konnte, wenn überhaupt, nur von außen kommen.

Alfula überlegte kurz. Was konnte sie tun? Als einzelne vorstürmen. Was konnte sie erreichen, außer einem ehrenhaften Tod?  Nach einer kurzen Weile wusste sie was zu tun war.

Sie überwand die Fesseln der Angst, stürmte laut schreiend los.

Jijijijijijijijijijijijjiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiihhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh…. Der furchterregende Amazonenschrei.

Die Krieger blickten sich um und erstarrten vor Furcht. Alfula war nicht mehr allein. Hinter hier stürmten mehrere tausend Kriegerinnen mit ebenso ohrenbetäubenden Greischen her und stürzten sich auf die völlig überraschten Soldaten der Fürstenheere.

Alfula focht wie eine Berserkerin. Hieb und stach um sich.

 

„Ahhh…..aaaaaaahhhhhhhhhhhhhhh…..aaaaaahhhhhhhhhhhhhhhhhhhh…….“

„Schnell helft mir. Die Ekstase ist zu heftig. Das habe ich befürchtet. Sie ist drüben. Im legendären Amazonenland der Vorzeit. Schnell Betül, halte sie in der Mitte fest. So fest, wie irgendwie möglich.“ Befahl Elena.

Betül gehorchte augenblicklich. Schlang ihre Arme um Dagmars Unterbauch ,legte sich auf deren Körper um ihn zu beschweren.

„Annett, schnell strecke ihr die Arme weit nach hinten aus und halt sie fest, ganz fest, unter keinen Umständen loslassen. Sie verkrampft sich immer mehr. Sie droht sich auf die Zunge zu beißen.“

Annett streckte Dagmars Arme weit nach hinten. Tränen schossen ihr in die Augen.

Elena hob Dagmars Kopf und versuchte ihn festzuhalten.

„Ahhhhhhhhhhhhh……aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaahhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh……..

Nun versuchte Elena unter großem Kraftaufwand den Mund zu öffnen, was ihr schließlich gelang.

„Schnell Betül, den Beißstab!“

Betül reichte den aus Vollgummi bestehenden Flock, den Elena nun zwischen Dagmars Zähne schob. Die biss augenblicklich darauf. Die Zunge war geschützt, die hätte sie glatt durchgebissen.

Alle drei atmeten auf.

„nnnnnnngggggggggrrrrrrrrrrrrrr……nnnnnnnnnngggggggggrrrrrrrrrrrrr……. Tönte es nun aus Dagmars Mund.

Sie atmete heftig und schwer. Der Schweiß perlte nur so von ihrem Körper. Es war so wie auf der Folter.

Dann beruhigt sie sich.

 

Alfula blickte um sich. Alle Krieger waren verschwunden. Das Schlachtfeld mit deren Leibern bedeckt. Sie rannte zur Siedlung, das Tor öffnete sich und Aradia erschien.

„Alfula, du bist zurück! Du bist wieder gekommen! Du hast uns gerettet. Ohne dich wären wir alle gestorben.“

Aradia fiel Alfula um den Hals. Die umstehenden Amazonen jubelten laut kreischend auf.

Alfula blickte sich um, von den Kriegerinnen, die sich ihr angeschlossen hatten, war nichts mehr zu sehen. Es schien, als hätten die sich in Luft aufgelöst.

„Ich…ich möchte wieder zu euch gehören. Ich bitte dich und die gesamte Gemeinschaft um Verzeihung. Ich handelte ohne Überlegung und brachte damit alle in Gefahr. Ich möchte wieder zu euch gehören.“ Sprach Alfula mit gesenktem Haupt.

Aradia streckte die Arme aus und zog Alfula an sich.

„Du warst es immer und du wirst es immer sein. Eine von uns. Du warst nie draußen. Ich habe gewusst, dass du wieder kommst. Unsere Bindung ist so stark, keine Macht der Welt könnte sie trennen.“ Aradia verabreichte Alfula den Schwesternkuss.

 

„Aber wo sind meine Kämpferinnen, all jene die sich mir anschlossen, als ich auf die Siedlung stürmte? Ich sehe sie nicht mehr!“

„Welche Kämpferinnen? Da ist niemand! Wir haben nur dich gesehen, als du auf die Siedlung stürmtest!“ Entgegnete Aradia.

„Aber ich habe doch nicht allein gegen diese Übermacht gekämpft! Ich verstehe es nicht! Wie kann das sein?“

 

Dagmar begann zu stöhnen und Tränen bildeten sich in ihren Augen.

Nach einer Weile entfernte Elena den Flock, öffnete Dagmars Mund, betastete die Zunge.

„Sie ist nicht verletzt! Aber das war knapp.“

Dagmar befand sich noch immer in tiefer Trance.

Sie begann erneut zu atmen, erst langsam, gleichmäßig, dann schneller, immer schneller, bis sie ihren Rhythmus wieder gefunden hatte.

Eine leichte Entspannung, zunächst, doch die war nicht von langer Dauer.

Das Traumgesicht änderte sich, die Umgebung, eine völlig andere.

Dagmar, im Traum nun wieder als Alfula lief weiter, so als könne sie damit die Zeiten hinter sich lassen.

Der Zeitsprung war perfekt, nun befand sie sich dem Anschein nach im Mittelalter. Sie war auf der Flucht, wurde verfolgt, rannte, rannte wie um ihr Leben.

„Du elende Hexe! Du musst brennen. Der Scheiterhaufen wartet schon. Du Buhlin des Satans, bereue deine Sünden, bevor du stirbst.“ Drangen die bedrohlichen Worte an ihr Ohr.

Ja, das Mittelalter, das Finstere wie zu Recht bezeichnet.

Man hatte sie der Hexerei angeklagt. Das Urteil war gefällt, sie sollte sterben, jenen qualvollen Tod im Feuer. Damit ihre Seele gereinigt und zum Himmel fahren konnte, wie zynisch behauptet. Das Patriarchat hatte endgültig gesiegt. Die weibliche Kraft verteufelt und in den Untergrund gedrängt. Schlimmste Exzesse, Dunkelheit senkte sich herab auf die Seelen der Menschheit und es gab kaum ein Entrinnen.

 

Alfula, oder wie auch immer ihr Name in dieser Zeitperiode war, lebte ein gefahrvolles Leben  

Die Amazone, die wilde, freie Frau, die weise, die Heilkundige, die Seherin und Prophetin, abgedrängt in die Wildnis, als verfluchte und ausgestoßene Hexe, lebte sie eine Randexistenz.

Ständig in der Gefahr denunziert zu werden und der Inquisition übergeben, aus deren Fängen es kein Entrinnen gab.

Sie rannte weiter, immer weiter, niemals durfte sie zurückblicken, denn das hatte unweigerlich ihren Tod zur Folge.  Da plötzlich befand sie sich vor einem Abgrund, eine Klippe, darunter, 200 m in der Tiefe eine Meeresbrandung, die schäumende Gischt entlud sich unter ohrenbetäubenden Lärm am Ufer. Der Ozean, weit, tief, unheimlich in seiner schier unendlichen Größe.

Spring, um Himmelswillen, spring, nur so kannst du dein Leben retten. Hörte sie eine Stimme aus ihrem Inneren. Schneller Tod in den Tiefen des Meeres, oder langsames qualvolles Ende auf dem Scheiterhaufen.

Alfula sprang, drang in das Wasser. Alles dunkel, keine Atemluft mehr, das Gefühl zu ersticken. Vorbei, der Tod wartete. Und danach? Ein neues Aufblühen in einer besseren Welt?

 

Dagmar schlug mit den Armen wieder um sich. Ihr Brustkorb hob und senkte sich, doch sie schien dem Erstickungstod nahe. Sie würgte und röchelte verzweifelt nach Atemluft. Der Schweiß floss in Strömen von ihrem Körper.

„Sie droht zu ersticken! Schnell, aufrichten! Annett halt sie fest und hau ihr auf den Rücken.“

Annett folgte Elenas Befehl auf der Stelle.

Elena griff nach Dagmars Kopf und hielt ihn in den Handflächen. Öffnete den Mund und zog an der Zunge.

Im Anschluss trat wieder Beruhigung ein. Annett hielt Dagmar in den Armen und streichelte deren Kopf.

„So, langsam wieder auf das Kissen betten!“ Elena und Annett platzierten Dagmars Oberkörper wieder bequem auf deren Lager.

„Wie…wie lange muss sie noch? Es müsste doch endlich genug sein. Hat sie nicht schon genug gelitten, das arme Mädchen?“ Wollte Annett wissen. Ihr Tonfall verriet Unbehagen.

 

„Das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Sie befindet sich auf einer Reise, auf einer Reise in die Tiefen des Unterbewusstseins. Eine Reise zu sich selbst. Dort gibt es viele Stationen auf dem Weg, die sie zu bewältigen hat. Wir dürfen sie nicht abrupt zurückholen, das hätte noch schlimmere Konsequenzen. So leid es mir tut. Wir müssen den Dingen ihren Lauf lassen.“

Klärte Elena auf.

Dann wandte sie sich zu Annett und flüsterte noch leiser in deren Ohr.

„Ich weiß, wie sehr du sie liebst. Sie hat es bald überstanden, dann wirst du viel Zeit haben ihr deine Wärme und Zärtlichkeit zu schenken.“

Es ging weiter, Dagmars Traumreises setzte sich fort. Sie gelangte noch durch verschiedene Zeitepochen. Kämpfte in der Zeit der Reformation für Toleranz und Freiheit, stand in der Französischen Revolution auf den Barrikaden, focht für Gleichheit und Gerechtigkeit für alle.

Schließlich saß sie als Kommissarin am Tisch der russischen Revolutionäre.

Überall folgte dem Kampf zunächst der Erfolg, der aber in nicht all zu langer Zeit wieder in einer Niederlage mündete. Frustration, Ernüchterung, Verzweiflung. Ein immerwährender Kreislauf sich wiederholender Fakten.

Die ewige Amazone im immerwährenden Kampf gegen Patriarchat und Frauenverachtung.

Endlich, endlich kam sie an in der Gegenwart. Ihre Zeit, ihr eigentlicher Kampf, die schmerzliche Erfahrung der zurückliegenden Wochen. Das Trauma, dass sie lähmte und nicht zur Ruhe kommen ließ.

 

Dagmar erlebte alles noch mal im Zeitraffer. Die militanten Kämpferinnen im Untergrund, die gescheiterte Aktion gegen Cassian, ihre Verhaftung, den Kerker, schließlich die Folter.

Sie sah sich nackt auf dem Bock sitzend, schutzlos ausgeliefert, gedemütigt, bloßgestellt, ein Spielball in den Händen ihrer Peinigerin.

Dagmar begann erneut zu schreien.

„Ahhh…..aaaaaaaaaaahhhhhhhhhhhhhh……aaaaaaaaahhhhhhhhhhhhhhhhh……“

Annett hielt ihren Kopf in den Handflächen und hatte große Mühe die heftigen zuckenden Bewegungen zu dämpfen.

Im Traumgesicht sah sich Dagmar nun, wie sie alle Kräfte zusammennahm. Sie ballt die Fäuste und sprengte die Handschellen. Dann stieg sie von ihrem Folterinstrument und glitt zu Boden, packte ihre Peinigerin hob sie in die Höhe und setze diese auf den Bock.

„Ich wünsche dir einen angenehmen Aufenthalt dort oben. Mach es dir bequem. Na, wie ist es, wenn man sich plötzlich in der Rolle der anderen sieht? Denk in Ruhe über alles nach. Du wirst in deinem Leben niemanden mehr wehtun!“

 

Erhobenen Hauptes verließ Dagmar den Keller, reckte draußen angekommen die Arme in die Höhe. Ein gutes Dutzend Bussarde kreiset hoch am Himmel, ließen Kraft und Energie auf Dagmar niedersinken.

„Du bist frei Dagmar! Jetzt erst bist du tatsächlich frei. Du hast die Läuterung durchlebt und die Prüfung bestanden. Du bist zurückgekehrt zu dem was dir entspricht. Du bist in der Gemeinschaft der Freiheitstöchter angekommen. Eine Aufgabe gibt es noch. Eine schöne Aufgabe. Geh zu dem Menschen, der dich aufrichtig liebt. Dich schon lange liebt, aber sehr lange brauchte, um es zu akzeptieren. Geh! Macht dich auf den Weg! Du wirst bereits erwartet.“ Hörte sie eine auf der einen Seite fremde, aber andererseits tief vertraute Stimme.

 

Plötzlich fand sich Dagmar auf einem Bauernhof wieder in der Abgeschiedenheit der Heidelandschaft des Nordens.

Ein Ort, den sie noch nie betreten hatte, der ihr aber merkwürdig bekannt und vertraut vorkam.

Annetts Heimat und jene von Madleen und ihren Brüdern.

Dagmar spürte grenzenlose Liebe, Wärme, Sanftheit Ein unglaubliches Gefühl der Geborgenheit wie sie es noch nie im Leben hatte spüren dürfen Hier treffe ich den Menschen, der mein Leben grundlegend verändern wird, zum Positiven. Hier finde ich den Halt, den ich so lange suchte und bisher nicht fand.

Dagmar lief über den Hof, es schien kein Mensch daheim zu sein.

„Annett? Wo bist du? Sag mir, wo ich dich finden kann! Ich will zu dir! Nur zu dir! Endlich haben wir uns gefunden! Ich werde dich nie mehr verlassen! Nie mehr verlassen! Nie mehr verlassen!!!“

 

Mit einem heftigen Schütteln erwachte Dagmar. Die ganze Welt schien sich im Kreis zu drehen.

Sie befand sich in einer Art Dämmerzustand, noch nicht richtig wach, aber auch nicht mehr im Schlaf. Alles was um sie geschah, nahm sie nur schemenhaft zur Kenntnis.

Das Einzige was sie verspürte, war, dass es ihr entsetzlich übel war. Sie begann zu würgen.

„Sie muss sich übergeben! Schnell aufrichten, den Oberkörper, Annett! Betül, die Schüssel!“

Betül holte eine medizinische Aluminiumschüssel und hielt sie Dagmar vors Gesicht. Annett hielt sie fest in den Armen.

Dagmar würgte und spukte, der Sabber lief ihr aus Mund und Nase. Der Brechreiz wurde schlimmer und sie hatte heftige Schmerzen im Bauch und der Brust. Sie erbrach sich in mehreren schmerzhaften Schüben, dabei viele Tränen vergießend.

Endlich hatte sie alles draußen.

Sie weinte noch immer. Annett schloss sie fest, aber voller Zärtlichkeit in die Arme, drückte sie an sich und streichelte ihr schweißnasses Haar und die Wangen. Dann nahm sie ein Tuch wischte den Mund ab und putzte Dagmars Nase.

„Ja, jetzt hast du es geschafft! Alles vorbei, meine Tapfere. Alles wird wieder gut. Du hast dich wunderbar geschlagen. Jetzt kommt der schöne und sanfte Teil der Zeremonie.“ Flüsterte Annett Dagmar leise zu.

 

Nach einer Weile platzierten die drei Dagmar vorsichtig zurück auf ihr Lager.

Es folgte eine entspannende Ganzkörpermassage Mit sanften Brührungen fuhren drei paar Handflächen über Dagmars Körper. Dabei wurden wohlriechende Massageöle benutzt.

Betül massierte die Füße, Waden, bis zu den Oberschenkeln, Elena den Bauch und Brustbereich. Annett widmete sich dem Oberkörper, Schultern Arme Nacken und Kopf.

„Hmmmmmmmm…..“ stöhnte Dagmar leise auf. Es schien ihr sehr gut zu bekommen.

Viel Zeit wurde dafür anberaumt. Die drei wechselten auch ihre jeweilige Stellung in regelmäßigen Abständen.

Dazu wurde mittels CD-Player sanfte, beruhigende Musik abgespielt. Fühlen und Hören in Einklang gebracht. Nach dem aufwühlenden Ritual eine Wohltat. Linderung für Leib und Seele.

Die Zeit schien still zu stehen. Alle vier befanden sich außerhalb der irdischen Dimension.

Waren eingetaucht in das überirdische, in der Anderswelt, Elysium, oder wie auch immer man es nennen mochte.

 

Es war weit nach Mitternacht, als Elena es für angebracht hielt nun zum Ende zu kommen.

Das abschließende Therapiegespräch würde im Laufe des Folgetages stattfinden, wenn Dagmar wieder richtig bei Kräften war.

Nun war vor allem Ruhe angesagt. Sie würde Dagmar hier in diesem Raum schlafen lassen, es war nicht günstig sie in ihrem derzeitigen Zustand durch das Haus zu führen.

Elena trat zu Annett.

„Könntest du dir vorstellen, die Nacht bei ihr zu bleiben? An ihrer Seite zu ruhen, einfach um für sie da zu sein?“

„Ja…ja, sehr gerne! Du hast recht, wir dürfen sie jetzt nicht allein lassen. Ja, ich tue es gern, von Herzen!“

Annett beugte sich zu Dagmar und flüsterte ihr leise zu.

„Möchtest du, dass ich die Nacht bei dir verbringe, bei dir bleibe, bis der Morgen graut?“

„Jaaa! Bleib bei mir! Lass mich nicht allein!“

„Komm rutsch mal ein Stückchen, damit wir beide genügend Platz haben!“

Annett bettete sich behutsam an Dagmars Seite, schlang die Arme um deren Oberkörper und zog sie sanft zu sich.

Elena und Betül kleideten sich an und verließen dann ganz leise und ohne weitere Worte den Raum.

Elena ging zu Madleen, um ihre Liebe an sie weiterzugeben.

Betül schlüpfte zu Colette unter die Decke. Sie war noch geladen von den heilsamen Energien, die sie jetzt an die Königin weiterreichen konnte. Colette konnte das aufgrund ihrer zahlreichen Zipperlein gut gebrauchen.

 

Für Annett und Dagmar begann eine Nacht tiefgreifender Veränderungen. Beider Leben würde sich danach schlagartig ändern und in völlig neuen Bahnen verlaufen.

Annett hielt ihr Lebensglück im wahrsten Sinne des Wortes in den Händen.

Dagmar schwebte noch immer in einer Art Überbewusstsein, auch wenn sich ihre Wahrnehmung langsam wieder einstellte. Die Nähe und Wärme der Person neben ihr tat ihr ausgesprochen gut, sie kuschelte sich ganz in Annettes Arme, dabei schnurrend wie ein Kätzchen.

Annett begann sie zu streicheln. Die Gefühle, die sie dabei empfand, waren unbeschreiblich, schon seit Jahren hatte sie nicht mehr eine solche Erregung verspürt. Der junge, attraktive weibliche Körper in ihren Armen ließ sie ihr Alter vollständig vergessen. Eine Ameisenarmee bemächtigte sich ihres Körpers und hatte bald jede Zelle durchdrungen.

Annett konnte nicht mehr an sich halten und küsste Dagmar, immer und immer wieder. Die schien Gefallen daran zu finden und gab sich in entsprechender Weise hin.  

Dagmars Gesundungsprozess brachte es auch mit sich, dass sich ihre Libido wieder einstellte und das in einer nie gekannten Intension.

 

Die kraftvolle Kämpferin, ehrgeizig, furchtlos und von bestimmender Entschlossenheit erfüllt, hatte auch in ihren zahlreichen Beziehungen immer die aktive Rolle bei ihren Gefährtinnen übernommen, etwas anderes kam gar nicht in Frage. Schon als Teenager hatte sie eindeutig die Hosen an. Nun glitt sie in eine völlig neue Rolle, eine Rolle, noch vor Wochen undenkbar, eine Rolle so andersartig, aber auch so verführerisch.

Völlig passiv gab sie sich der wesentlich älteren Frau hin und genoss es in vollen Zügen Stück für Stück genommen zu werden. Die Sanftheit und Zärtlichkeit überwältigte sie.

Annett hingegen, trotz ihres Alters in Frauenbeziehung vollkommen unerfahren, ging in der Rolle der Aktiven auf. Sie, die ihr Leben an der Seite eines Mannes verbracht hatte, eines zwar feinfühligen, aber auch dominierenden Charakters, sah sich in einer noch nie durchlebten Position und sie meisterte sie grandios. Wie Wachs glitt Dagmars Körper durch ihre Hände.

Annett erkannte sich selbst kaum wieder. Sie deckte Dagmars Körper ein mit Küssen, Streicheln, Kitzeln, Liebkosungen, dabei steigerte sie sich und wurde immer heftiger.

Dagmar kam zu sich und ihr Bewusstsein erkannte die Situation. Die beiden vereinigten sich und die Energien durchströmten beider Körper bis zum Exzess. Sie kamen beide mehrfach zum Höhepunkt und sanken im Anschluss wieder, getragen von den Wogen der Liebe zurück auf ihre Ruhelager.  

Schließlich überwältige beide die Müdigkeit. Dagmar schmiegte sich an die Geliebte, so eng, dass es den Anschein hatte, dass sie in Annetts Körper kriechen wollte. Ihr Mund näherte sich Annetts Brustwarzen und sie begann daran zu saugen, sanft und mehr andeutungsweise. Annett schwebte im Glück und konnte ihre Gefühle kaum im Zaume halten.

Auf diese Weise glitten sie ganz langsam in einen heilsamen Schlummer. In ihren Träumen setzten sie ihren Liebesakt fort, noch direkter, noch hemmungsloser, noch leidenschaftlicher. 

Traum und Wirklichkeit waren kaum zu trennen.

 

Beide schliefen bis weit in den Morgen. Für die beiden Frühaufsteher auch das eine ungewöhnliche Situation. Sie hielten sich weiter in den Armen und deckten einander mit Streicheleinheiten ein.

Leise und ganz sachte entfernte sich Annett schließlich doch aus dem Ruhelager, auch wenn sie es nur all zu gern bis weit in den Nachmittag mit Dagmar geteilt hätte.

Im Morgenrock und mit zerzaustem Haar schlich sie über die Flure, um in ihr Zimmer zu gelangen, in der Hoffnung, dass sie dabei Niemand begegnete.

Emotional war sie noch tief aufgeladen, ihre Sinne schwangen sich noch immer in ungeahnten Höhen. Sie hatte ihr Zimmer erreicht und lies sich erschöpft auf einen Sessel fallen. Atmete mehrmals tief ein und aus.

Sie öffnete den Morgenmantel und betrachtet den nackten Körper darunter. Fuhr mit den Handflächen über die Brüste und den Bauch.

Ja, sie hatte alles real erlebt, kein Trugbild, aus dem sie wie schon so oft in ihrem Leben, gleich voller Enttäuschung erwachen würde.

Sie stand auf und ging zum Spiegel im Badezimmer, blickte ungläubig hinein. Sie war noch immer die Gleiche, doch andererseits auch eine völlig veränderte Person.

 

Der Vormittag war weit fortgeschritten, sollte sie noch frühstücken? Annett verspürte keinen Hunger. Den hatte sie auf andere Weise in der zurückliegenden Nacht gestillt, einen alles verschlingenden Lebenshunger.

Sie machte sich im Badezimmer etwas zurecht.    

Das Wetter war gut. Luft! Sie braucht frische Luft. Die vergangene Nacht, ihr dortiger Einsatz und die damit verbundenen Erlebnisse hatten sie erschöpft. Erst mal allein sein, alles innerlich verarbeiten. Nach wie vor fühlte sie sich großartig, vor Glück hätte sie permanent Luftsprünge vollführen können.

Doch da machten sich auch negative Einflüsse bemerkbar. Gewissensbisse meldeten sich zu Wort. Hatte sie recht getan? Hatte sie womöglich die Situation die sich ihr bot ausgenutzt? Dieser wohlgeformte weibliche Körper in seiner Perfektion und Sinnlichkeit war die fleisch- gewordene Versuchung schlechthin, für eine Frau wie Annett, die sich Jahrzehnte nach dieser Art Berührung gesehnt hatte. Die noch halb benommene Dagmar war ihr ausgeliefert, konnte in ihrem Zustand wohl keine einwilligende Entscheidung treffen.

 

Diese Erkenntnis wog schwer auf Annetts Seele. Plötzlich fühlte sie sich unsicher. Was hatte sie getan? Ein Wechselbad der Gefühle bemächtigte sich ihrer. Wie hatte sie sich nur so gehen lassen können. Ihren Wünschen einfach nachgegeben. Sie, die gereifte Frau, von der Haltung und Würde erwartet werden konnte?

 

Dagmar schlief bis fast zum Mittag. Als sie erwachte und Annett nicht neben sich fühlte, stand sie auf machte sich frisch, zog sich an und frühstückte noch ein wenig, auch sie verspürte wenig Appetit. Noch immer etwas durcheinander ging sie zu Elena um mit ihr wie abgesprochen das Therapeutische Nachgespräch zu führen. Alle Erlebnisse des vergangenen Abends und der darauffolgenden Nacht wurden abgesprochen und gründlich analysiert. Elena versuchte vor allem die Traumsequenzen zu deuten. Sie, die darin schon außerordentlich geübt war, staunte über die Tatsache, dass auch Dagmar in die mythologische Welt hatte eintauchen können.

Es bestand kein Zweifel, auch Dagmar war die Reinkarnation einer der legendären Amazonen aus der grauen Vorzeit, das schweißte die zwei Schwestern noch enger zusammen. Und natürlich die Tatsache, dass sie beide Folteropfer waren, in der bedeutend jüngeren Geschichte.

 

Nach Beendigung des Gespräches wollte Dagmar unbedingt zu Annett. Sie suchte diese konnte sie aber lange nicht ausfindig machen. Schließlich beim dritte Versucht, traf sie die Gesuchte in deren Zimmer an.

Annett Gesicht bildete ein sanftes Lächeln als sie Dagmar die Tür öffnete, auch die strahlte über das ganze Gesicht.

„Hallo Dagmar! Wie geht es dir? Hast du das Ritual und alles darum gut verkraftet!“ Lautete Annetts Frage.

„Wunderbar! Einfach nur wunderbar, Annett. Ich bin befreit, ich bin zum Großteil wieder heil, auch wenn ich noch nicht über den Berg bin, wie Elena mir gerade sagte. Ich muss weiter an mir arbeiten. Aber was ich jetzt schon erreicht habe ist enorm.“

Berichtete die Angesprochen voller Begeisterung.

„Das ist phantastisch! Oh, ich freue mich für dich!“ Annett wollte die Jüngere umgehend in die Arme schließen, zögerte aber. Dagmar erkannte das und ging ihrerseits in die Offensive, indem sie Annett um den Hals fiel. Beide drückten sich kräftig und küssten im Anschluss einander.

„Aber komm doch rein Dagmar! Wir brauchen nicht auf dem Flur zu stehen.“ Lud Annett ein. Dagmar folgte und die Tür wurde geschlossen.

Die Erinnerungen der vergangenen Nacht, schwebten allgegenwärtig über beiden und verlangten danach Gesprächsthema zu werden. Annett tänzelte nervös von einem Fuß auf den anderen. Die Aufregung war nicht zu verbergen.

 

„Dagmar, ich….ahm…ich weiß nicht wie ich es sagen soll. Die Nacht. Ja…ich hatte mich einfach nicht mehr unter Kontrolle. Ich mache mir fortwährend Gedanken, darüber ,ob ich dir zu …zu…nahe gekommen bin. Du…du warst in einem Tranceähnlichem Zustand und nicht imstande eine Entscheidung zu treffen. Bitte verzeih…wenn ich dich auf diese Weise berührt habe, dass…..“

Dagmar brach ihr das Wort ab.

„Annett was redest du da? Ich bin gekommen, um mich bei dir zu bedanken! Es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest! Ganz in Gegenteil!“

„Du…bist mir nicht böse? Wirklich nicht?“

 

„Hey! Nein! Was sind das denn für Gedanken?“

Dagmar griff nach Annetts Händen, drückte sie ganz fest und führte sie zu ihrem Gesicht, dann küsste sie die Hände, mehrfach, von allen Seiten, stürmisch, aber trotzdem zärtlich.

„Danke für diese wundervolle Nacht! Ich bin noch ganz benommen, aber in positiver Hinsicht. Ich kann das Gefühl kaum beschreiben, so tief hat es mich aufgewühlt. Selten habe ich mich so geborgen, so getragen, ja so geliebt gefühlt! Du hast vollkommen richtig gehandelt. Dieses Feingefühl, die Zärtlichkeit und Wärme haben mir ungeheuer gutgetan.

Und… ja, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Meine Libido ist wieder da. Das was sie mir auf der Folter genommen haben, habe ich in deinen Armen zurückerhalten. Das werde ich dir nie vergessen.“

Dagmar fiel Annett erneut um den Hals und küsste sie. Küsste sie immerfort. Annett verschlug es fast die Sprache. Nur langsam gelang es ihr sich wieder zu fassen.

 

„Wirklich Dagmar? Das freut mich besonders. Oh ja, wie sehr ich mich freue. Aber Elena und Betül haben im Ritual auch ihren Beitrag zu geleistet. Die waren dort nicht weniger zärtlich zu die als ich.“ Versuchte Annett ihren Anteil herunterzuspielen.

„Natürlich haben sie das und ich bin den beiden ebenso dankbar, für alle Zeit und darüber hinaus. Aber du. Du hast den größten Anteil! Du bist bei mir geblieben die ganze Nacht. Als sich das Gefühl wieder einstellte, lag ich in deinen Armen und es war großartig. Wir sind von nun an auf ewig verbunden.“

Annett traute ihren Ohren kaum. Hatte sich Dagmar etwa ebenso verliebt? In sie? Die fast doppelt so alte?

„Verbunden? Wie meinst du das Dagmar?“ Wagte Annett die alles entscheidende Frage.

„Bist….bist du…etwa auch verliebt?“

„Genau das!“

„In…in…mich?“

„Aber natürlich, was glaubst du denn? Oder ist hier noch eine? Ja, ich liebe dich Annett! Ich spüre es seit wir uns kennen, aber letzte Nacht hat es mich überwältigt!“

„Oh Dagmar!“ Nun fiel Annett der jüngeren um den Hals, zog sie zu sich und badete deren Gesicht in einer Flut von Küssen.

„Du kannst dir nicht vorstellen, wie glücklich mich diese Aussage macht. Ich liebe dich auch, von ganzen Herzen. Aber ich hätte mir nie getraut es dir so offen ins Gesicht zu sagen. Ich danke dir, dass du die Initiative ergriffen hast. Mir fehlte einfach der Mut.

„Aber warum? Warum fehlte dir der Mut?“ Wollte Dagmar wissen, dabei immer noch ihr Lächeln im Gesicht.

Annett senkte den Kopf.

„Ach, sie mich doch an! Was bin ich denn? Eine Alte, eine die das Leben hinter sich hat. Mehrfache Großmutter. Bald werde ich es erneut. Hätte unsere Beziehung eine Zukunft?

Ich werde bald 60, du bist 32, im gleichen Alter wie Madleen. Ja, du könntest meine Tochter sein.“

„Aber ich bin es nicht!“ Erwiderte Dagmar. Dann schlang sie ihre Arme um Annetts Taille und lehnte ihren Kopf an deren Brust.

 

„Zerbrich dir nicht den Kopf darüber. Mir ist schon klar, dass das problematisch ist. Es ist nicht die gewöhnliche Form von Beziehung, die wir uns vorstellen. Sie ist außergewöhnlich. Wir sind aber auch zwei außergewöhnliche Menschen, oder?“

„Findest du?“

„Ja! Natürlich! Pass auf, bald werden wir wieder in Anarchonopolis leben, dort wo das Ungewöhnliche, das Unkonventionelle, das queere die Norm bildet. Wir werden uns einreihen in die lange Liste von außergewöhnlichen Lebensgemeinschaften. Blick dich doch um! Wir sind umgeben von lauter unkonventionellen Beziehungen, ganz gleich ob queer, polyamor, ob soziale oder intellektuelle Gegensätze und eben auch große Altersunterschiede. Generationsübergreifende Liebe, wie es genannt wird.“

„Ja, natürlich hast du Recht! So habe ich es bisher noch gar nicht betrachtet. Ich habe diese Beziehungen erlebt, stand aber immer etwas abseits davon. Ich hätte mir nie träumen lassen dass ich selbst einmal Teil einer solchen Beziehung sein könnte!“

 

„Da bist du nicht allein! Auch ich habe früher vieles kritisiert und in Frage gestellt, weil es mir bürgerlich, abgehoben, realitätsfern erschien. Elenas Schickeria nannte ich den inneren Zirkel von Anarchonopolis. Damals war ich eben sehr verkopft und vielleicht auch etwas überheblich auch was Liebesbeziehungen betraf. Wahrscheinlich hat sich deshalb keine sehr lange bei mir gehalten.“

Gestand Dagmar, während sie mit dem Zeigefinger in Annetts Decollete kitzelte.

„Ich hatte noch nie eine Beziehung mit einer Frau. Nicht das ich mit meinem Mann unglücklich gewesen wäre. Nein, es war eine sehr harmonische Beziehung. Wir haben uns gut verstanden. Er war immer sehr lieb und gut zu mir. Fast nie fiel ein böses Wort. Aber meine tiefe Sehnsucht nach einem weichen, weiblichen Körper, nach einer Gefährtin und Geliebten, mit der ich meine geheimsten Wünsche ausleben könnte, blieb unerfüllt.“

 

„Nun geht sie in Erfüllung!“ Dagmar nahm Annetts Kopf in beide Handflächen und küsste diesen.

„Wir haben uns gesucht und gefunden. Auch wenn die Umstände etwas dramatisch und brutal waren, zumindest was mich betrifft. Mein Leidensweg hatte einen Sinn, er hat mich zu dir geführt, direkt in deine Arme.“

„Ja schon! Das ist alles wunderbar! Ich freue mich auch riesig darüber. Aber was willst du auf Dauer mit so einer alten Schachtel wie mir. Du, die du noch jung bist, voller Leben, attraktiv und anziehend. Du könntest jede haben.“ Meinte Annett, sich wieder dem Zweifel überlassend.

„Ich will aber nicht jede! Nicht mehr! Früher ja, da war kein Rock vor mir sicher.“

Dagmar blickte sich mehrmals im Raum um.

„Komisch! Ich sehe nirgends eine alte Schachtel im Zimmer. Was ich sehe, das ist eine wahnsinnig attraktive ältere Dame, die mir alles bieten kann, was ich wirklich brauche.

Ja, du bist keine 30 mehr und auch keine 40. Du bist eine gestandene Frau, die ungeheuer anziehend auf mich wirkt.“

Dagmar presste ihren Unterleib auf Annett und schaukelte dabei hin und her, so als ob sie schon wieder nach einer Vereinigung lechzte.

Annetts errötete wie ein Teenager bei dem ersten Rendezvous.

„Dein wunderschönes Haar, früher war es einmal tiefschwarz?“

„Ja, lange ist es her. Wenn du wissen willst, wie ich einmal ausgesehen habe, dann blicke einfach Madleen ins Gesicht.“ Erwiderte Annett.

„Das glaube ich! Aber ich blicke auf dich. Dein Haar nimmt nun immer mehr die silbergraue Farbe an und die ist einzigartig schön. Wie heißt es doch? Silber ist wertvoller als Kohle? Oder so ähnlich? Ich find es total sexy, das und noch vieles andere an dir.“ Fuhr Dagmar mit ihren Komplimenten fort.

„Und die kleinen Fältchen im Gesicht? Na und? Die passen zu dir, sind dein Eigen. Du hast sie dir in den Jahren erworben.“

„Ja, wenn du es so betrachtest. Da mag was dran sein. Ich käme nie auf die Idee mich glätten zu lassen, oder mein Haar wieder schwarz zu färben. Auf diese Weise werde ich meine Jugend nie zurückerlangen. Aber du, du kannst sie mir aufs Neue schenken, auf eine andere, eine wunderbare Weise. Durch deine Liebe werde ich wieder jung, strahlend schön und attraktiv, so wie früher, wenn auch nur im Geiste.“

 

„Genau das! Nun, ich wäre nicht abgeneigt, wenn der gestrigen Nacht eine Fortsetzung folgt.

Und dieses Mal werde ich im vollen Bewusstsein dabei sein.“ Bot Dagmar unmissverständlich an.  

„Ja! Ja, ich will es! Ich will es aus ganzem Herzen!“ Das Glücksgefühl eroberte binnen weniger Augenblicke Annetts Herz und ergriff von ihrem ganze Körper Besitz.

 

Dagmar verabschiedete sich mit einem dicken Kuss und ihrem so typischen schelmischen Lächeln von der neuen Geliebten. In wenigen Minuten schon wurde ihr Einsatz gefordert.

Elena hatte sie nun endgültig in ihren neuen Stab berufen. Es gab viel zu tun. Es galt die Rückreise vorzubereiten, des Weiteren musste über das Angebot der neuen Machthaber in Akratasien beraten werden. Es würde mit großer Wahrscheinlichkeit zähe Verhandlungen geben. Auch die Übergangsregierung bestand zum größten Teil aus Leuten, die mit der Akratie, der anarchistischen Monarchie, oder ähnlichen gesellschaftlichen Modellen nicht viel am Hut hatten. Sie waren allesamt Gegner Cassians und des finsteren Blauen Ordens. Doch was die Gestaltung der Zukunft Akratasiens betraf, gingen die Meinungen weit auseinander.

 

Unter Umständen wären die Militärmachthaber bereit Colette als Staatsoberhaupt zu akzeptieren, aber was die Zusammensetzung der zukünftigen Regierung betraf, bestand erheblicher Verhandlungsbedarf.  Es würde wieder in eine lange Übergangsperiode münden, mit wenig Aktionen und dafür mehr Aussitzen.

Selbst der künftige Staatsname war noch nicht festgelegt. Akratasien oder Melancholanien?

Das war hier die Frage, deren Ausgang im Ungewissen lag.

Aber immerhin, sie würden die Verhandlungen auf heimatlichen Boden führen, von Anarchonopolis aus, ihrem Zuhause, auf das alle schon voller Sehnsucht warteten. Und es würde auf Augenhöhe verhandeln, mit den neuen Machthabern. Die Zeit der Demütigung war nun ein für alle Mal zu Ende.

Neben Elena und Dagmar hatten sich Madleen, Colette, Gabriela, Alexandra, Betül, Chantal und Inga eingefunden. Der innere Kreis war nicht vollständig, aber die Abwesenden waren vor allem damit beschäftigt, die Abreise des ersten Schubes vorzubereiten.

„Dagmar fühlst du dich auch wirklich in der Lage unserer Besprechung beizuwohnen? Nach all der Erlebnissen der zurückliegenden 24 Stunden.“ Versuchte Elena in Erfahrung zu bringen.

„Ja! Mach dir keine Gedanken Ich bin ok. Alles ist gut!“ Bekundete Dagmar.

„Gut, dann lasst uns überlegen. Das Angebot der neuen Machthaber ist klar und unmissverständlich. Nach eingehender Prüfung bin ich zu der Erkenntnis gelangt, dass wir darauf eingehen können.“

„Hattest du Zweifel daran?“ Wollte Gabriela wissen.

„Ja, bei diesen Militärtypen kann man nicht vorsichtig genug sein.“

„Inwiefern?“ Erkundigte sich Alexandra.

„Es könnte sein, dass die beabsichtigen, sich nur mit unserer Anwesenheit zu schmücken, ihre Toleranz gezielt zur Schau stellen wollen. Wir aber dann in Wahrheit nichts zu sagen haben werden.“ Glaubte Elena zu wissen.

„Das ist einleuchtend. Sie bieten mir zwar an Staatsoberhaupt zu werden, aber ich bin auf die Funktion einer Schattenkönigin reduziert. Ich hätte keinen wirklichen Einfluss. Ich gab denen eindeutig zu verstehen, dass ich ihrem Angebot nur unter der Bedingung zustimmen werde, wenn gleichzeitig Elena mit einer wichtigen Funktion betrau wird.“ Meldete sich Colette zu Wort.

Alle bekundeten nickend ihre Zustimmung.

 

„Madleen? Bist du anwesend?“ Elena stieß ihre Frau zart in die Seite.

„Wie? Äh…ja…äh! Natürlich, natürlich, ich bin da! Wo sollte ich denn sein?“

„Körperlich bist du da! Aber deine Seele schwingt irgendwo da draußen.“

„Entschuldige!“

Madleen war in der Tat nicht ganz bei der Sache. Ihre Gedanken waren erfüllt von der Sehnsucht nach Larissa und der Überlegung, wie sie die mit Elena unter einen Hut bringen konnte.

„Auch du wirst daheim wieder eine wichtige Funktion innehaben. Du kannst dir schon denken welche. Die Hüterin und Verwalterin von Anarchonopolis. Das wird dir liegen. Das was du schon einmal getan hast. Natürlich müssen wir auf deinen Umstand achten. Du bekommst Helferinnen und Helfer.“ Schlug Elena vor.

„Ich mache das gern wieder! Hab mich schon eingefuchst in die Materie. Ja, wenn das Kind kommt, müssen wir überlegen.“ Stimmte Madleen zu.

 

„Chantal, auch du wirst natürlich deine alte Funktion wieder aufnehmen. Als Verantwortliche für die Öffentlichkeitsarbeit.“

„Stets zu Diensten Elena! Ich bin bereit. Natürlich müssen wir mit den Militärs die Details abklären. Ich werde ausschließlich verlautbaren was unsere tatsächliche Meinung ist und nicht das was die sich darunter vorstellen.“ Bekundete die Angesprochene ihre Bereitschaft.

„Gabriela, bei dir bin ich mir noch im Unklaren. Ich wollte dich aus der Schusslinie nehmen. Deine Gesundheit ist mir heilig. Wichtig ist, dass du dich ganz auf die Forschungsarbeit konzentrierst. Eine ganz entscheidende Aufgabe. Du wirst gewissermaßen unsere Chefideologin, wenn ich diesen Begriff einmal verwenden darf. Deine Forschungen auf dem Gebiet Matriarchat und Amazonenstaat sind inzwischen auf vielfältige Art anerkannt. Schreibe doch einfach noch ein weiteres Buch darüber.“

„Das will ich gerne tun! Ich strebe kein Regierungsamt an, da hast du vollkommen Recht, meine Forschungsarbeit ist mir ans Herz gewachsen. Ich habe starke Unterstützung durch Kristin, die hat viel gelernt und steht mir in allem zur Seite, naja und Klaus natürlich, der hilft auch, wo er nur kann, das muss ich der Fairness halber sagen.“ Antwortete Gabriela.

 

„Wer hätte das gedacht, unsere Kristin, als Forscherin, das ist großartig. Flocht Colette ein.

„Ja, ich bin mächtig stolz auf sie. Die beste Schülerin die ich je hatte.“ Gab Gabriela zu verstehen.

Elena fuhr in ihrer Aufgabenverteilung fort.

„Du Inga könntest dich in der Außenpolitik einbringen. In deiner Eigenschaft als ehemalige Olympiasiegerin bist du sehr bekannt und populär, das wird dir und uns vom Vorteil sein. Könntest du dir das vorstellen?“

„Dein Angebot überrascht mich, Elena. Es kommt so plötzlich. Ich weiß nicht, ob ich dazu wirklich in der Lage bin. Aber ich kann es auf jeden Fall versuchen. Ich werde mein Bestes geben. Natürlich geht das nicht ohne Unterstützung von Seiten der Schwestern.“

„Die wirst du auf jeden Fall bekommen!“ Sicherte ihr Colette zu.

„Dagmar, dein Einsatz ist nicht ganz unumstritten. Aber du wirst ganz vorne dabei sein. Mit mir gemeinsam auf einer Ebene stehen. Wir werden in Zukunft alles genau abwägen und im Verbund handelt. Wir brauchen eine politische Organisation, eine Partei oder ähnliches, ich denke so etwas wie unsere alte Akratasische Allianz. Die müssen wir wieder beleben. Was hältst du davon deren Vorsitzende zu werden, erst mal provisorisch, dann später auch ganz konkret in Folge eine Wahl.“

„Dein Angebot ehrt mich! Ich danke dir für dein Vertrauen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das funktionieren wird. Ihr wisst was ich war, was ich getan habe. Es könnte viel Kritik auslösen.

Aber ich nehme an. Ich werde mich so bald als möglich an die Arbeit machen eine entsprechende Organisation aufzubauen, mit deiner Hilfe Elena.   

„Sehr gut! Dann hätten wir erst mal die wichtigen Aufgaben verteilt. Ach ja Alexandra, du wirst natürlich deinen Posten wieder einnehmen. In der Kulturabteilung, dass brauchen wir besonders. Du wirst auch ein Programm ausarbeiten, gemeinsam mit vielen anderen. Über alle weiteren Funktionen sprechen wir bei unserer nächsten Zusammenkunft.“

„Ich bin zur Stelle Elena!“ Erwiderte Alexandra.

„Dann hätten wir alles!“

 

„Nein Elena! Ein glitzekleine Kleinigkeit hast du vergessen!“ Schaltete sich Colette wieder ein.

„Deine zukünftige Rolle! Darüber hast du nicht ein Wort verloren Aber dieser Punkt ist von entscheidender Wichtigkeit.“

„Na, dass ist doch wohl klar, was sie tut! Sie wird wieder unsere Kanzlerin. Darüber brauchen wir doch nicht zu diskutieren.“ Glaubte Alexandra zu wissen.

„Nun, da wäre ich mir gar nicht so sicher!“ Entgegnete Elena.

„Meine Rolle steht noch nicht fest. Denkt daran was wir besprochen haben. Dezentralisierung, alles im Kollektiv, im Team erarbeiten. Ich will keinen Elena-Kult, so wie früher. Ihr habt ja gesehen, wohin das führt. Ich werde da sein, wenn ich gerufen werde.“ 

 

„Einverstanden! Dann rufe ich dich! Sobald ich als Staatoberhaupt eingesetzt bin, werde ich dich mit der Bildung einer Regierung beauftragen!“ Verkündete Colette siegessicher.

„Dann müssen wir die Macht erst mal erobert haben, müssen Wahlen gewinnen. Das haben wir in der zurückliegenden Zeit gründlich verlernt. Wir müssen Überzeugungsarbeit leisten, das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewinnen, das wird ein hartes Stück Arbeit.

Noch sitzen die Militärs auf dem Sessel und den werden die nicht so mirnix dirnix räumen.“

Elena versuchte ihre Rolle herunterzuspielen, doch das kaufte ihr keine der Anwesenden ab.

Elena war einfach da und das genügte schon. Sie hatte längst ihre Leitungsfunktion wieder aufgenommen kaum, dass sie erschienen war. Keine und Keiner würde ihr die streitig machen.

Alle waren sich der Tatsache bewusst, dass die Gemeinschaft nur mit Elena an der Spitze wirklich funktionieren konnte.

 

 

Am frühen Abend hatten sie ihre Beratung abgeschlossen und begaben sich in ihre Behausungen.

Dagmar weilte kurz auf ihrem Zimmer, dass sie nun allein bewohnte, nachdem Elena verständlicherweise zu Madleen gezogen war.

Lange hielt sie es dort nicht aus. Es zog sie zurück zu Annett. Das innere Feuer loderte noch immer voller Kraft. Die Erinnerung der vergangenen Nacht noch immer präsent.

 

„Und? Habt ihre eure Beratung zufrieden stellend geführt?“ Begrüßte Annett Dagmar als sie bei ihr erschien.

„Naja, es war ein guter Einstieg. Viel konnten wir nicht klären. Morgen geht es in die nächste Runde. Aber der Anfang ist gesetzt. Elena ist wieder ganz die Alte. Hat uns gleich mit Funktionen betraut.“

„Ja, das kann ich mir vorstellen! Sie beteuert zwar immer, dass sich viel ändern muss und sie nicht mehr so eine dominierende Rolle spielen möchte, aber sie kann es nicht! Sie ist die geborene Anführerin und das ist gut so, gut für uns alle.“ Meinte Annett darauf.

„Wir werden sie unterstützen! Sie möchte mich voll mit einbinden in ihre Arbeit, sie mit mir teilen, wie sie sagt. Ich kann mir zwar noch nicht richtig vorstellen, was sie damit meint, aber ich bin bereit, wenn ich gebraucht werde.“ Kläret Dagmar auf.

„Mit welcher Art von Arbeit hat sie dich eingedeckt?“ Wollte Annett wissen.

„Ich soll die Akratasische Allinaz wiederbeleben, ihr auf meine Weise neues Leben einhauchen. Als kommissarische Vorsitzende. Viel ist davon nicht übriggeblieben. Cassian hat ganze Arbeit geleistet. Aber ich werde es versuchen, sobald wir zu hause sind.“

„Du schaffst das! Ich glaube, es ist die richtige Aufgabe für dich. Das kommt zur rechten Zeit.

Ach ja, zuhause! Ich kann es noch immer nicht recht glauben, dass wir wieder in der alten Abtei leben werden.“ Erwiderte Annett mit einem Seufzer in der Stimme.

„Ich auch nicht! Wenn ich daran denke unter welchen Umständen ich Anarchonoplis damals verlassen habe. Ich hatte mich mit der Tatsache abgefunden, dass sich es nie wieder betreten werde, ganz gleich unter welchen Umständen. Und nun? Ich soll nach vorn, ganz nach vorn!

Alle haben mir meinen Alleingang verziehen. Ich habe Angst, Annett! An meinen Händen klebt Blut und es gelingt mir nicht es abzuwaschen. Ich glaub ich komm da niemals drüber weg.“ Meldeten sich die Gewissensbisse zurück. In regelmäßigen Abständen kam es über Dagmar. Auch das Ritual hatte an dieser Tatsache nicht viel ändern können.

 

Annett ließ sich zu Dagmar auf die Bettkante nieder, legte ihren Arm um die Jüngere und strich ihr sanft durch das Haar.

„Ich weiß! Du musst noch viel an dich arbeiten. Aber ich bin bei dir! Ich halte dich! Ich lasse dich nicht allein! Du bist stark! Du wirst die Dämonen der Vergangenheit besiegen, auch wenn das noch viel Zeit in Anspruch nehmen wird. Meine Daggi!“

Annett küsste Dagmar auf die Wange.

Diesen Spitznamen hatte Annett der neuen Geliebten auserkoren. Er strahlte eine besonders liebevolle Zuneigung aus. Noch vor gar nicht allzu langer Zeit hätte Dagmar ausgesprochen wütend reagiert, wenn sie jemand auf diese Weise angeredet hätte. Doch nicht bei Annett, im Gegenteil, sie mochte diesen Kosenamen, ausgesprochen aus deren Mund, sehr. Auch die anderen Titel die Annett zuweilen gebrauchte. Etwa mein Mädchen, oder meine Tapfere Kriegerin, oder einfach nur meine Tapfere.  All das drückte Würde, Anerkennung und Achtung aus. Auch mein Schatz ging in diese Richtung. Niemals aber mein Schätzchen. Das war ein himmelweiter Unterschied. Der lag, wie viele andere auch, im Folterkeller verborgen.

 

Dagmar hatte sich vorgenommen mit Annett über ihre dortigen Erlebnisse zu sprechen. Sie wollte dieses dunkle Kapitel mit der Frau an ihrer Seite teilen. Noch kannte nur Elena die fürchterlichen Details.

 

Dagmar suchte nach einem geeigneten Zeitpunkt für ihre Offenbarungen. Noch schien der nicht gekommen. Die Nacht lag vor ihnen, eine noch heißere Liebesnacht als die Vorherige?

Es lief in diese Richtung. Beide wünschten es sich von Herzen.

Sie machten es sich auf dem Bett bequem, sahen sich zunächst die Spätnachrichten an. Auch Akratasien wurde dabei angesprochen. Nichts wesendlich Neues. Die neuen Machthaber festigten ihre Position weiter. Von Cassian fehlte jede Spur. Es wurde weiter vermutet, dass er sich im Ausland aufhielt. Spekulationen wiesen in Richtung Nahen Osten. Er würde sich wohl wieder als Söldnerführer anbieten. Von irgendetwas musste der Mensch ja leben und da er nie in seinem Leben einen ordentlichen Beruf ausgeübt hatte, war diese Lösung wohl die einzig Gangbare.

 

Annett und Dagmar ließen noch ein paar Minuten das langweilige Programm über sich ergehen. Dann erhob sich Dagmar plötzlich stieg aus dem Bett und begann sich langsam auszukleiden, dabei Annett zugewandt.

Die betätigte die Austaste der Fernbedienung und betrachtet den Vorgang mit großer Erwartung.   

Dagmar löste den BH und ließ ihren volle Brüst schaukeln, schließlich streifte die den Slip nach unten weg und stand entblößt vor dem Bett.

„Es verschlägt mir den Atem, wie kann eine Frau einen so perfekten Körper besitzen?“

Begeisterte sich Annett.

 

„Er gehört dir! Dir allein!“

Annett erhob sich und nahm vor Dagmar Aufstellung.

Dagmar tänzelte auf den Zehenballen vor der Frau, die sie sich erkoren.

Annett fuhr langsam mit dem Zeigefinger über Dagmars Nase, den Mund das Kinn. Dann ließ sie die Handflächen über die Brüste gleiten.

Schließlich begann auch sich Annett langsam auszukleiden. Nun standen sie einander gegenüber, wie sie geschaffen waren, schlossen ganz langsam, gleichsam in Zeitlupe die Arme umeinander. Ihre Lippen trafen aufeinander und es folgte ein Leidenschaftlicher Kuss. Sie fuhren einander durch die Haare. Die Brüste rieben aneinander Annett fühlte sich wie elektrisiert. Der Strom glitt durch ihren ganzen Körper und bündelte sich in ihrem Schoß.

Nach einer Weile ließen sie sich auf das Bett fallen, schlangen Arme und Beine noch enger um einander.

Sie vereinigten sich auf ihre Weise, ließen nichts aus. Ihre Körper verschmolzen miteinander.

Beide überwältigten die Partnerin mit Liebkosungen. Dass sie dabei ins Schwitzen kamen, störte sie nicht.

Nun also war Dagmar freiwillig zu Annett gekommen. Die Ältere brauchte sich nicht mehr den Gewissensbissen auszuliefern.

Nach dem Liebesakt lagen beide eng beieinander. An Schlaf war nicht zu denken, zu aufgewühlt die Gemüter.

 

„Dagmar!“

„Ja!“

„Warum bist du mir nicht vor 30 Jahren über den Weg gelaufen!“

„Hmmm, das hätte ich nur schwer zu Stande gebracht. Vor 30 Jahren? Lass mich überlegen. Da war ich gerade dabei, auf ganz dünnen, ungeschickten Beinchen meine ersten Gehversuche zu unternehmen, nachdem ich dem Grabbelalter entwachsen. Du hättest nicht all zuviel mit mir anfangen können.“

„Vor 30 Jahren brachte ich meinerseits Madleen das Laufen bei. Die stellte sich zunächst etwas ungeschickt an, lernte aber später schnell. Ach, mensch, ich hätte dich gern dabei beobachtet, wie du das Laufen lernst, Daggi. Mal für ne Stunde in die Vergangenheit beamen, dich als kleines Mädchen erleben, aber mit dem Bewusstsein im Kopf was für eine prächtige attraktive Frau einmal aus dir wird.“

„Ja, das können wir nur auf den Flügeln der Phantasie erreichen. Wir können das Rad der Zeit nicht zurückdrehen. Aber jetzt sind wir zusammen und liegen beieinander. Und es ist wunderschön.“ Dagmar ließ sich auf die Decke fallen und legte in anmutiger Geste, den Handrücken auf die Stirn, dann winkelte sie das linke Bein an und stellte den Fuß auf.

„Du! Du bist wunderschön!“ Annett rollte sich auf den Bauch dicht neben Dagmar und ließ ihre Füße in der Luft baumeln. Dann fuhr ihrer Handfläche sanft über Dagmars Bauch und kitzelte dann deren Bauchnabel mit dem Zeigefinger.

„Du auch Annett! Du auch!“

„Ich fühle mich wieder jung. Richtig jung! So verliebt war ich seit Jahrzehnten nicht mehr

Und das verdanke ich alles dir! Ja, die Liebe ist die beste Verjüngungskur, die es gibt.“

Annett ließ sich zunächst auf die Decke fallen, stützte sich aber dann ab, richtete sich auf und sah zu Dagmar hinunter.

 

„Ich hätte nie gedacht, dass mich eine Frau so aus der Fassung bringen kann.“

Sie beugte sich über Dagmar, ließ ihre Handflächen über deren Bauch gleiten, bis sie zu den Brüsten kamen, die schaukelte sie einen Moment.

Nun richtete sich auch Dagmar auf und die beiden umarmten wieder einander.

Annetts Blick fiel auf Dagmars Tätowierung, die fast den gesamten rechten Oberarm einnahm.

Eine weitere zierte Dagmars Rücken direkt zwischen den Schulterblättern.

„Ich versuche noch immer die Symbole zu enträtseln. Nun eines erkenne ich selbstverständlich sofort, die Labrys auf dem Arm ist kaum zu übersehen. Darunter? Hmmmm… sieht wie ein keltisches Muster aus.“ Wollte Annett wissen.

„Ja! Da liegst du gar nicht so falsch. In weiser Voraussicht habe ich bei meinem immer- währenden Körperschmuck darauf geachtet, dass er Symbole trägt, die dauerhaft für mich von Bedeutung sein könnten. Es sind alte matriarchale Symbole. Ich hätte mir nie träumen lassen, wie wichtig die einmal für mich werden könnten. Neuzeitliche politische Zeichen und Symbole kommen und gehen, diese aber sind ewig. Die werden jetzt Programm.“

 

„Hey, am Fußgelenk hast du auch noch einige. Hmm … Sterne, die brauchst du kaum zu deuten.“

Annett hob Dagmars eleganten Fuß in die Höhe und begann ihn sanft zu massieren. Drehte das Fußgelenk, knetete die Fußsohle und dehnte die Zehen.

„Hmmmm…..“ Stöhnte Dagmar leise auf.

„Gefällt dir dass?“ Wollte Annett wissen.

„Jaaa, sehr sogar!“

„Gut dann nehme ich gleich noch den anderen drang.“

 Annett fuhr nun mir dem linken Fuß fort und lutsche zum Schluss an den mit blauem Nagellack verziehen Zehen.

„Aaaaaaaaaahhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh……“

„Erregt dich das so stark?“

„Und wieeeeeee!“

Dagmar drückte den Kopf ins Kissen und krallte mit den Fingern in die Matratze.

Schnell war Annett wieder über ihr und der Liebesakt begann von neuen. Diesmal bis weit in die frühen Morgenstunden.

 

Der Morgen kam. Zu früh. Das Aufstehen viel beiden ausgesprochen schwer.

Obgleich die Duschkabine sehr eng war, duschten sie gemeinsam, seiften einander ein, spülten sich ab, wuschen sich gegenseitig die Haare, trockneten Haare und Körper schließlich gemeinsam.

Es war ein Fest, eine gelungene Fortsetzung der zurückliegenden Nacht.

„Und? Geht es wieder zur Besprechung heute Morgen?“ erkundigte sich Annett.

„Ja, gleich nach dem Frühstück. Ja, langsam kommen wir der Heimat immer näher und dem was dort auf uns wartet.“ Erwiderte Dagmar.

„Und du?  Wie vertreibst du dir die Zeit, bis wir uns wieder sehen?“

„Na, ich muss mal sehen. Ist gar nicht so leicht. Ich denke ich werde versuchen mich irgend wie nützlich zu machen. Ja, das ist gut. Es gibt doch ne Menge vorzubereiten, für unseren Aufbruch. Ich weiß noch immer nicht, wann und mit welchem Schub ich fahre. Wir sehen uns wieder heute Abend? Fortsetzung?“ Schmunzelte Annett dabei.

„Natürlich! Ich freu mich schon drauf. Wau! Ich bin doch ebenso verliebt wie du! Ist zwar ein wenig eng hier, aber egal. Wenn wir wieder in der Abtei sind, haben wir bedeutend mehr Platz zur Verfügung.“ Träumte Dagmar.

„Ich freue mich natürlich, dass es zurückgeht. Aber andererseits…“

„Andererseits? Was?“

„Ich hab ein wenig Angst! Weißt du, ihr werdet dort sehr beschäftigt sein, das zeichnet sich jetzt schon ab. Es gibt ne Menge zu erledigen. Ich werde auch dort meine Rolle wieder finden müssen. Dann auch die Frage wie wir dort wohnen? Ich weiß nicht, ob ich wieder zu Elena und Madleen ziehen soll. Glaube nicht, dass das eine gute Idee wäre. Ich zoffe mich dann nur wieder mit Madleen, vor allem wenn erstmal das Kind auf der Welt ist. Aber allein? Ich weiß nicht.

Und du? Wo und wie wirst du dort leben?“

„Gute Frage! Hab ich ehrlich gesagt noch gar nicht drüber nachgedacht.“ Gestand Dagmar.

„Gut, dass du mich daran erinnerst! Da muss ich mir gleich was überlegen.“

 

Sie frühstückten gemeinsam, dann trennten sich ihre Wege für ein paar Stunden.

Annett sehnte den Abend herbei, Dagmar erging es nicht viel anders. Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben. Diese Feststellung traf hier voll ins Schwarze. Erst zwei Tage war Annett mit Dagmar richtig zusammen. Und schon jetzt konnte sie sich kaum noch vorstellen wie es einmal ohne deren Nähe war.

Während Dagmar sich mit den anderen vom Inneren Kreis traf und die aktuelle Tagespolitik besprach. Sich weiterhin auf die anstehenden Verhandlungen mit dem Militärmachthabern in der Heimat verständigte, verbrachte Annett den frühen Nachmittag mit ihrer Tochter. Madleen hatte zunächst an der Besprechung teilgenommen, sich aber dann zurückgezogen da sie sich ein wenig unwohl fühlte.

Annett berichtete der Tochter voller Freude über ihre Beziehung zu Dagmar. Madleen fiel aus allen Wolken, als sie die Botschaft vernahm, aber in positiver Hinsicht, sie freute sich mit ihrer Mutter.

 

Am späteren Nachmittag, die Besprechung war gerade zu Ende, liefen sich Dagmar und Madleen auf dem weitläufigen Flur über den Weg.

„Geht es dir besser Madleen?“ Erkundigte sich Dagmar.

„Ja, war nur vorübergehend. Bin öfters etwas schwindelig, hängt mit meinem derzeitigen Umstand zusammen.“

„Da bin ich beruhigt.“

„Dagmar, wie ich höre bist du seit ganz kurzer Zeit mit meiner Mutter zusammen?  Hey, da bin ich platt!“

„Ja, das ist richtig! Ich…ich wollte ohnehin mir dir darüber reden.“ Dagmar senkte, während sie sprach, verlegen den Blick zu Boden.

„Wäre das ein Problem für dich?“

„Nein! Nein! Ganz im Gegenteil! Ich war überrascht es zu hören. Meine Mutter hat mich gerade davon in Kenntnis gesetzt. Ist schon ein Ding, würde ich sagen, aber ein Schönes. Ich freue mich für euch beide.“

„Wirklich! Puuuh, da bin ich beruhigt. Da fällt mir ein Stein vom Herzen. Ich habe mir so meine Gedanken gemacht. Es ist einfach passiert. Es kam über uns, über uns beide. Mehr noch grübelt Annett darüber nach. Du weißt schon. Du und ich, wir sind im gleichen Alter.“

„Ich habe kein Problem damit. Ich stehe voll hinter euch!“

„Das tut gut, Madleen! Deine Meinung dazu war mir außerordentlich wichtig. Das vereinfacht die Tatsache um ein Vielfaches.“

„Ja, liebt euch! Genießt die junge Liebe in vollen Zügen, ich wünsche es euch von Herzen. Also meine Mutter habe ich selten so fröhlich, so locker, so voller Lebenskraft gesehen. Die ist in den letzten zwei Tagen richtig aufgeblüht. Total aus dem Häuschen, sage ich dir. Seit Vaters Tod lebte sie sehr in sich gekehrt, wirkte depressiv, ja fast lebensüberdrüssig. Du hast ihr neues Lebensglück geschenkt. Ja, dann gehörst du jetzt richtig zu unserer Familie. Willkommen!“

Die beiden fielen sich in die Arme und drückten sich.

 

„Was sind wir denn jetzt füreinander? Schwestern? Nun das sind wir ohnehin schon lange.

Hey, dann bin ich jetzt deine Stieftochter? Ist das nicht ulkig?“

Stellte Madleen fest.

„Naja, wenn du es so siehst, stimmt das schon. Aber im weitesten Sinne.“

„Also eines sage ich dir! Stiefmama werde ich mit Sicherheit nicht zu dir sagen!“ Meinte Madleen.

Beide lachten.    

 

Annett war sichtlich erleichtert, als Dagmar am Abend bei ihr an der Tür klopfte. Sie konnte es gar nicht erwarten, die junge Geliebte wieder in die Arme zu schließen.

„Endlich! Ich konnte es kaum noch ertragen, so ohne dich. Ich bin schon voller Erwartung.“

„Mir geht es ähnlich. Aber bevor wir uns der Liebe widmen, habe ich dir etwas mitzuteilen.“

Gab Dagmar zu verstehen.

„So? Das klingt so förmlich! Was ist denn passiert!“

„Du hast mich heute früh auf eine Idee gebracht. Das war vollkommen richtig, denn um ein Haar wäre ich zu spät gekommen.“

„Zu spät? Wobei denn? Nun sag schon!“

„Also pass auf!“

Dagmar nahm auf dem Doppelbett Platz und bedeutete Annett es ihr gleich zu tun.

„Es betrifft den Wohnraum! Ich habe mit Elena darüber gesprochen. Wenn wir wieder daheim sind, werden natürlich die Wohnungen neu vergeben. Viele werden wieder in ihre alten Behausungen ziehen. Madleen steht in Kontakt zu Larissa, die dort im Moment fast ganz allein die Stellung hält. Wie durch ein Wunder sind die Wohnräume unversehrt und können ab sofort wieder genutzt werden.“ Berichtete Dagmar voller Enthusiasmus.

„Das ist eine gute Nachricht! Das ist wunderbar!“

„Aber wo werden wir leben?“

„Wie ich schon sagte! Darüber habe ich mir noch keinen Kopf gemacht.“ Gestand Annett erneut.

„Aber ich meine Liebe! Sag mal, was würdest du dazu sagen, wenn wir zusammenziehen. In eine gemeinsame Wohnung? Im Konventsgebäude, dem Haupthaus. Im obersten Stock, da ist noch was zu vergeben. Ich kam gerade noch rechtzeitig um unseren Anspruch geltend zu machen. Es versteht sich von selbst, dass der Wohnbereich im Konventsgebäude besonders begehrt ist. Viele wollen möglichst in der Nähe des Inneren Zirkel leben.

Direkt über der Wohnung von Elena und Madleen. Es ist eine Drei-Zimmer-Wohnung. Na? Was sagst du dazu?“

„Ich….ich… bin sprachlos! Du…du willst mit mir wohnen? Zusammenleben? Wie ein richtiges Paar?“

„Ja! Das sind wir doch, oder?“

„Du meinst wirklich richtig zusammen, so mit einem….mit einem…..“

„Mit einem gemeinsamen Schlafzimmer, das wolltest du doch sagen? Selbstverständlich! Was dachtest du denn? Und mit einem schönen breiten Doppelbett für die kuscheligen Abende und die heißen Nächte.“

„Oh Dagmar!“ Annett fiel der Geliebten um den Hals, Tränen bildeten sich in ihren Augen.

„Du meinst das wirklich ernst, du willst mir keinen Bären aufbinden? Oh, ich bin so froh, dass du die Initiative ergriffen hast. Ich hätte mich niemals getraut so einen Vorschlag zu unterbreiten. Du weißt doch, die alte Schachtel und ihre junge….“

Dagmar schnitt ihr das Wort ab.

„Ich kenne deine Bedenken. Deshalb lag es an mir den ersten Schritt zu tun. Die Wohnung hat drei Zimmer, eins für uns beide als gemeinsames Schlafzimmer. Dann noch zwei weitere. Ich würde sagen jede von uns nimmt eins für sich und hat somit die Möglichkeit des Rückzuges, wenn wir mal allein mit uns selbst sein wollen. Das brauchen wir.“

„Richtig! Ein guter Vorschlag! Das könnte gut funktionieren. Du brauchst auf jeden Fall die Möglichkeit für dich zu sein, wenn du bei deinen wichtigen Arbeiten bist, in deiner neuen Funktion. Ich werde dich in allem unterstützen. Ach, und den Haushalt kannst du bedenkenlos mir überlassen. Ich schaff das schon, ist doch nicht viel. Du sollst dich ganz deinen neuen Aufgaben widmen können.“

 

Annettes Begeisterung war grenzenlos. Sie stand am Beginn eines völlig neuen Lebens.  Ihr Leben würde noch einmal in Fahrt geraten und nicht wie bisher im Stillstand verharren. Sie würde Dagmar umsorgen, verwöhnen, mit allen Mitteln, die ihr zur Verfügung standen.

„Dann bist du also einverstanden?“ Wollte Dagmar wissen.

„Einverstanden? Ich kann meine Begeisterung kaum im Zaume halten. Ich…ich bin der glücklichste Mensch auf dieser Welt. Mit dir zusammen sein, jeden Tag. Gut, wenn du auch viel unterwegs sein wirst. Im Land herumreisen, womöglich im Ausland? Wer weiß? Aber meine Gedanken begleiten dich und meine guten Wünsche, wohin es dich auch verschlägt.“

„Nun die erste Zeit werde ich bestimmt nicht allzu weit entfernt von dir sein. Ein paar Stockwerke tiefer. In Parterre, dort wo wir die Büroräume haben, bzw. wieder einrichten werden. Es gibt zunächst viel theoretische Arbeit zu verrichten, das kann sich Wochen, womöglich Monate hinziehen. Zeit genug für uns beide, um uns wirklich zu finden.“

 

Dagmar schmiegte sich eng an Annett, die legte ihren Arm um die Geliebte.

„Ja, wir müssen uns natürlich richtig kennen lernen. Einander beschnuppern. Prüfen, wie der Alltag funktioniert, wenn wir erst mal aufeinander hocken. Dann wenn der erste Rausch verflogen. Oh, ich hoffe der wird uns noch sehr lange erhalten bleiben. 

„Das hoffe ich auch! Hmmm, ich möchte dich ergründen, jede Faser deines Körpers, bis ich dich in und auswendig kenne.“

 

Der Grundstein war gelegt. Der Grundstein für eine weitere Beziehung, die Grenzen sprengte und für die Anarchonopolis so bekannt war.

Annett und Dagmar, sie würden sich einreihen in die Riege der bestehenden generationsübergreifenden Beziehungen. Ob sie gelang, dafür gab es freilich keine Garantie.

Aber der Boden, auf dem sie wachsen und gedeihen konnte war so entgegenkommend, wie sonst nirgends auf der Welt. Eine Gemeinschaft, frei von patriarchalem Besitzstandsdenken, Herrschaftsgebahren, Ausgrenzungen und Diskriminierungen.  Eine Gesellschaft, die nach Möglichkeit die Produktion von Verlierern und Abgehängten vermeiden wollte.

Die erste Chance war gescheitert. Nun bekamen sie die Zweite, es lag in ihren Händen, ob ihnen dieses Mal mehr Glück beschieden wäre.