Madleen, die Ungekrönte

Je länger sich ein Mensch allein fühlt, desto früher gibt er seinen Lebenswillen auf. Für Dagmar wurde dieses Zitat immer mehr zur traurigen Realität. Hier unten war sie allein. Ihre Peiniger waren ihr einziger Umgang. Der Kontakt zur Außenwelt abgeschnitten. Madleens Besuch hatte Hoffnung in ihr geweckt, doch der lag über eine Woche zurück. Nach drei Tagen Ruhe hatte man sie gestern wieder gefoltert. Stunden hatte sie am Balken gehangen und wurde dabei auch noch von Helgas Tochter gezeichnet. Immer wieder wurde sie in die Höhe gezogen, um recht lange den schmerzverzerrten Ausdruck im Gesicht aufrecht zu halten.

Als Krönung der Demütigung hatten die beiden direkt unter ihr einen Tisch aufgestellt und tranken dort Kaffee, während Dagmars Füße einen halben Meter über den Kaffeetassen baumelten.

 

Hatte Madleen sie vergessen? War das Spiel am Ende doch realer ernst? Einsamkeit hüllte Dagmar wie in einen kalten Mantel, einen Mantel erfüllt von Hoffnungslosigkeit und tiefer Depression.

Um nicht ganz und gar verrückt zu werden und vielleicht ein wenig Erleichterung zu bewirken, ging Dagmar voll in der Rolle der devoten Sklavin auf.

 

Zwei Tage nach der letzten Folter lag sie nach der allmorgendlichen Musterung auf der Pritsche des Arztzimmers und durfte hier ein wenig ruhen, bevor sie zurück in ihre Zelle verbracht wurde.

Die Ärztin betrat den Ruheraum und hielt ihr ein Foto unter die Nase.

 

„Ich denke du kennst die Person auf dem Bild?“ Lautete die konkrete Frage.

Dagmar sah genau hin.

„Ja, dass ist Carmen, eine meiner Mitschwestern. Was ist mit ihr? Komisch! Sie sieht so eigenartig aus. Irgendwie entrückt, nicht ganz bei sich.“

„Ja, entrückt, so könnte man es auch nennen. Sie ist tot!“

 

Dagmar wurde von einem kalten Entsetzen gepackt. Es stach in ihrem Herzen und die Luft schien ihr auszugehen.

„Tot??? Aber wie… was… ist geschehen.“

 

„Ist einfach gestorben, gestern in der Frühe, sie war immer am Morgen mit der Folter dran. Kaum lag sie auf der Streckbank, stellte ich fest, dass sie nicht mehr atmete, ich konnte nur noch den Tod feststellen.“

Die merkwürdige Haltung auf dem Bild lies keinen Zweifel an der Aussage. Man sah den Kopf und den Oberkörper bis unter die Brüste, Oberarme seitlich nach oben weggestreckt. Jetzt erkannte Dagmar das Paar Handflächen, das den Kopf leicht anhob und in Positur rückte. Die Augen geschlossen, den Mund ungewöhnlich zusammengehalten. Man hatte den Gesichtsausdruck eigens für das Foto geformt.

 

Die Haare hatte man ihr straff nach oben gekämmt und zu einem Knoten gebunden.

 

„Ihr habt sie umgebracht! Ihr habt sie zu Tode gefoltert.“ Eine Träne lief über Dagmars Wange, seit ihrem Zusammenbrach war sie sehr nahe ans Wasser gebaut.

 

„Keine voreiligen Schlüsse. Wir hatten mit der Folter noch gar nicht begonnen. Mir kam das alles sehr merkwürdig vor. Ich habe sie umgehend hierhergebracht und gemeinsam mit einer eilends herbeigerufenen Kollegin an Ort und Stelle obduziert.

Nachdem wir zunächst ihren Körper akribisch nach äußeren Verletzungen absuchten, aber keine finden konnten stellten wir bei der Untersuchung der Zunge und der Zähne fest, dass sie auf eine

Kapsel gebissen hatte.   

Meinem Spürsinn folgend untersuchten wir sogleich ihren Mageninhalt und wurden fündig. Ein schnell wirkendes Gift. Sie hat sich selbst umgebracht. Niemand soll behaupten, wir foltern hier einen Menschen zu Tode.

Das Foto haben wir unmittelbar vor der Obduktion aufgenommen.“ Lautete die lapidare Antwort.

 

Dagmar war am Boden zerstört, die nächste Kameradin des Schicksals, die ihr genommen wurde.  Sie wurden weniger, in absehbarer Zeit würde wohl auch sie diesen Weg beschreiten.

Traurige Gewissheit ohne Gnade.

 

„Schade um sie! War ein hübsches Ding. Sportlicher Körperbau, vielleicht etwas mager, aber trotzdem sinnlich. Es ist schade um jede dir hier nicht mehr lebendig rauskommt.“

 

„Ich werde ihr sicher bald folgen.“

„Nun Cassian hat eine besondere Art vorbereitet dich in den Tod zu schicken. Öffentlich und vor laufenden Kameras zur besten Sendezeit. Dein Abgang soll noch lange im kollektiven Gedächtnis haften bleiben.

Er wird derweil schon vorbereitet. Damit noch nicht genug. Du wirst danach in die Aula der Uni gebracht und dein Körper obduziert. Schade, ich hätte dir diese letzte Ehre gern hier unten in aller Stille erwiesen.“

 

„Sehr freundlich von dir.“

„Na gut! Belassen wir es dabei. Wir können es nicht mehr ändern. Du bist noch am Leben. Und noch immer in ganz guter Verfassung, wenn auch deine Kräfte in zunehmendem Maße nachlassen.

„Morgen in aller Frühe kommst du wieder auf den Bock. Die zukünftige Kaiserin wird der Folterung beiwohnen.“

 

Ein Schwall der Hoffung kam über Dagmars geschundener Seele. Madleen würde kommen, sie hatte sie doch nicht vergessen. Kam am Ende noch die Wende, die Befreiung? Dagmar war auf alles gefasst. Sie hatte sich längst aufgegeben. Sie selbst konnte nichts tun, es oblag anderen dem Rad des Schicksals in die Speichen zu greifen.

 

 

Derweil spitzte sich die Lage im Land auf immer dramatischere Weise zu. Weite Teile der Armee befanden sich im Aufstand. Cassians Gigantomanie und Verschwendungssucht hatte die Staatskasse gehörig geplündert.

Schon seit Monaten blieb er den Soldaten den Sold schuldig. Die waren kaum noch bereit ihm zu folgen und eine Einheit nach der anderen kündigte ihm die Gefolgschaft.

Cassian war in seiner Verblendung ein Mensch ohne die geringste Sensibilität für solche Dinge und beantwortete jeden noch so kleinen Widerstand mit unnachgiebiger Härte.

Auch in der Bevölkerung gehrte es. Die Wirtschaft taumelte von einer Rezession zur anderen.

Die Arbeitslosenrate stieg im rasanten Tempo.

 

Immer häufiger kam es zu spontanen Streiks und Demonstrationen, denen mit brachialer Gewalt begegnet wurde. Gewerkschaften nach wie vor verboten, oppositionelle Parteien verboten. Ein System der Bespitzelung überzog das ganze Land.

Die Stimmung kochte. In den letzten Tagen hatte sich die Lage noch einmal deutlich zugespitzt.

Der Grund dafür war Dagmar, die gefürchtete Terroristin von einst avancierte in Windeseile zur Volksheldin.  

 

Die Art wie mit ihr umgegangen wurde, die brutale Weise der Foltermethoden und die Tatsache, dass die Folter öffentlich zur Schau gestellt wurde, brachte nach und nach das Fass zum Überlaufen

Hier wurde eine mutige junge Frau gequält, die dem unbeliebten gefürchteten Diktator die Stirn geboten hatte.

 

Ohne sich dessen bewusst zu sein eroberte Dagmar nach und nach die Herzen der Menschen.

Überall im Lande entstanden spontane Solidaritätsaktionen, die selbstverständlich auf brutale Weise behindert wurden. An den Hauswänden konnte man Graffiti lesen, wie: „Freiheit für Dagmar!“ „Lang lebe Dagmar!“ Oder „Dagmar halte durch- der Tag deiner Befreiung ist nahe!“

Natürlich war das zu einem gehörigen Maß der Tatsache geschuldet, dass es sich bei Dagmar um eine ausgesprochen attraktive junge Frau handelte. Hätte sie das Pech alt, hässlich, oder gar behindert zu sein, wäre ihre Lage mit Sicherheit um einige Grade hoffnungsloser.

 

Aber dieses hübsche, aber gequälte Gesicht ständig präsentiert zu bekommen, war für viele eine Zumutung. Cassian erkannte das und untersagte schließlich umgehend die öffentliche Darstellung ihrer Folter. Doch da war es bereits zu spät.

Im Ausland nahmen die Solidaritätsaktionen ganz andere Dimensionen an. In Deutschland etwa entstanden regelrechte Aktionskomitees die Demonstrationen vorbereiteten und durchführten und vieles andere mehr.

 

Die Schwesternschaft wurde davon tief berührt. Dagmars damaliger Alleingang, ihre radikale Opposition gegen Elena und die damit verbundene Spaltung der Gemeinschaft war vergeben und vergessen. Hier wurde eine der ihren gequält und gedemütigt. Das konnte nicht hingenommen werden. Die Töchter der Freiheit stellten sich geschlossen hinter Dagmar und die bei ihr Verbliebenen.

Fast täglich richtete Königin Colette Appelle und Petitionen an die Regierungen in aller Welt, mit Erfolg. Viele Staats-und Regierungschefs intervenierten und baten den Diktator um Milde.

 

Es versteht sich von selbst, dass solche Resolutionen bei Cassian und dessen Klüngel auf taube Ohren stießen.

Der glaubte noch immer, das Ruder herumreißen zu können. Seine pompöse Hochzeit und die damit verbundenen Glanz- und – Glimmershow sollte wie Opium auf die Bevölkerung wirken.

 

Dagmar selbst bekam in ihrer Isolation von all dem nicht das Geringste mit. Sie musste weiter davon ausgehen, dass sie vergessen war und ihr Schicksal niemanden in der Welt interessierte.   

 

 

 

Schweren Herzens betrat Madleen an diesem Morgen den Aufzug, der in den Keller der Ordensburg und dessen Verließ führte. Ihr Herz klopfte und ihr Puls raste, die Handflächen klebten vor Schweiß.

Sie betätigete den Knopf an der Wand und der Aufzug tat seinen Dienst. In wenigen Augenblicken würde sie wieder der gequälten und verhöhnten Schwester gegenüberstehen, jenem Menschen, dem sie inzwischen eine geradezu mystische Verehrung entgegenbrachte. Dagmar war in ihren Augen eine Märtyrerin der akratasischen Idee.

 

Dagmar wartete, nachdem sie zunächst die allmorgendliche ärztliche Untersuchung hinter sich gebracht hatte, nackt wie immer, im langen, spärlich ausgeleuchteten Flur vor dem Folterkabinett darauf gerufen zu werden. Dunkelheit umhüllte sie, gleich würde sie wieder dem stechenden Licht der auf sie ausgerichteten Scheinwerfer ausgesetzt sein. Würde sie in ihrem Leben jemals wieder die Sonne zu Gesicht bekommen? Sie hatte fast vergessen, wie die aussah.

Gleich würde Helga sie wieder auf den Bock setzen, sie spürte schon jetzt den Schmerz zwischen ihren Beinen.

 

Madleen wartete hinter einer gläsernen Wand, die sie selbst unsichtbar machte, ihr aber den Durchblick direkt auf den Bock gestattete.

 

Die Tür öffnete sich und Dagmar schritt in den Raum, trotz ihrer Nacktheit würdevoll und ehrerbietig, wie eine Amazonenkriegerin vor der entscheidenden Schlacht Ihre Peinigerinnen hatten sie eben doch noch nicht ganz gebrochen.

Als Helga vor ihr erschien nahm Dagmar instinktiv Haltung an. Die Begrüßung.  Helge zwickte ihr wie immer in die Nase, umschritt sie nahm hinter ihr Stellung ein, griff kraftvoll in ihre Pobacken.

 

Dagmar ist euch tausendfach überlegen. Ihr könnt sie nicht brechen, sie ist die Beste von uns Schwestern, Elena in allem ebenbürtig. Ich wünsche dir alle Kraft der Welt meine Tapfere.

Drang es durch Madleens Seele.

 

„Guten Morgen Sweathard, dann wollen wir zur Tat schreiten. Der hohe Besuch wartet schon, ich hoffe du bist dir der Ehre bewusst.“ Begrüßte sie Helga.

„Ich bin mir der Ehre bewusst. Ich hoffe die künftige Kaiserin wird sich an meinem Anblick erfreuen.“

„Gut gesprochen Zuckerschnecke. So, die Arme seitlich nach oben strecken.“

Dagmar gehorchte widerstandslos.

„Die Stange etwas nach unten.“ Rief Helga nach oben. Die Assistentinnen führten den Befehl aus, dann befestigte die Foltermeisterin Dagmars Handgelenke in den Schellen.

„So, nun langsam nach oben ziehen.“

 

Kurz darauf schwebte Dagmar etwa einen Meter über dem Boden. Madleen ballte die Fäuste.

„Ich bin mit dir Schwester! Ich sehne den Augenblick herbei, wann ich dich endlich befreien kann.“

Helga griff nach den Füßen, packte die Gelenke und hob die Beine weit nach vorn, dann spreizte sie diese weit auseinander.

„ Nun den Bock darunter schieben.“

Das Gerät kam direkt unter ihr zum Stehen.

„So bist du bereit? Gleich wird`s wehtun! Und etwas herunterlassen.“

Dagmar landete auf ihrem Sitz. Der Schmerz durchfuhr ihren Körper.

„Ah….aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaahhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh…

Klang der Schrei durch den ganzen Raum.

Madlees Entsetzen kannte keine Grenzen. Die Tränen schossen in die Augen und sie presste die Stirn gegen die Wand.

„Oh du meine Schwester, sei stark, sein tapfer, halte durch.“ Sie konnte einfach nicht hinsehen.

Nein! Sie hin, sie ganz genau hin. Es ist deine Schuld, deinetwegen muss Dagmar leiden. Deine Dummheit hat sie heute auf den Bock gesetzt.

Madleen blickte in das schmerzverzerrte Gesicht.

 

„Oh, du sitzt noch nicht ganz richtig, Süße, noch mal kurz nach oben. Und wieder nach unten. Ja, so ist es richtig.“ Konnte man Helga sagen hören.

Dagmar wurde angehoben und erneut auf die Spitze Kante gesetzt. Es war noch entsetzlicher als das erste Mal.

„Aaahhh…..aaaahhhhhhh..aaaaahhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh….

 

„Verzeih mir Schwester. Wie kann ich das jemals wieder gut machen.? Ich möchte bei dir sein, dich umgehend von dort runter holen, dich in die Arme nehmen, in eine Decke hüllen deine Tränen trocknen, dir liebe Worte ins Ohr flüstern, dich streicheln, dich liebkosen, mit zu mir nehmen, deine Wunden versorgen, dich pflegen und verwöhnen….“

 

„Verzeihung Majestät! Ich dachte schon ihr seid gegangen. Wollt ihr kommen und euch an diesem zauberhaften Anblick erfreuen? Ich hoffe es ist alles nach eurem Belieben?“

Holte Helga Madleen aus ihrer Trauer.

„Ähm….ja…ah, gut sehr gut. Ich…ich komme sofort!“ Stammelte Madleen, der es gerade noch gelang die Fassung zu finden.

 

„Ist das ein Anblick, Majestät? Eine Pose, wie wir sie nur selten zu Gesicht bekommen. Die X-Form bringt die Proportionen ihres Körpers voll zur Geltung. Seht euch diese Muskeln an.“

Helga fuhr mit der Handfläche von Dagmars Fußgelenken über die Waden bis hinauf zum Oberschenkel.

Madleen blickte zu Dagmar die ihre Augen verschlossen hatte, der Schweiß begann wieder in Strömen zu fließen, tropfte von der Stirn, von der Nasenspitze, lief über die Wangen, tropfte von ihren Brustwarzen.

 

Helga zwickte ihrer Klientin in die Ferse.

„Ah.ah..“

„Willst du wohl die Augen öffnen Dagmar? Du musst unsere zukünftige Kaiserin ansehen, wenn sie hier erscheint. Entschuldige Madleen, ich weiß auch nicht, warum sie heute so störrisch ist. Sie war schon bedeutend gehorsamer die letzten Tage. Ich glaub ich muss ihr wieder mal ein paar Extralektionen erteilen.“

 

Dagmar öffnete die Augen und blinzelte zu Madleen hinunter. Die Röte der Augen verriet, dass sie weinte.

Madleen kam es so vor als drücke ihr eine eiskalte Faust das Herz zusammen.

„Das.. das übernehme ich. Ich werde mich fortan persönlich ihrer annehmen. Ich bringe sie zur Räson, keine Angst. Sie gehört ab jetzt mir. Du musst dir eine neue Gespielin suchen.“

 

„Wie ihr befehlt! Ist schade, ich hab mich so an sie gewöhnt. Aber ihr habt als Kaiserin natürlich den Vortritt. Hmm, diese Julia ist auch nicht von schlechten Eltern. Ganz anderer Typ, aber absolut topp.“

Madleen biss sich auf die Zunge, alles was sie von sich gab schien irgendeinen Menschen zu schaden. Nun war es Julia. Aber die würde ja ebenfalls fliehen. Somit würde ihre Qual wohl nicht von langer Dauer sein.

 

„Wie ihr seht brauchen wir nicht viel zu machen, Majestät. Sie foltert sich quasi von ganz allein. Ihr gesamtes Gewicht hängt zwischen den Beinen. „

Helga umschritt den Block.

„Möchtet ihr einen Blick von hinten auf den Körper werfen?“

Madleen folgte der Aufforderung.

 

„Wunderbare Proportion auch hier. Seht, die Schulterpartie, die Hüften, die kräftigen Pobacken und die muskulösen Oberschenkel.

„Na mein Herzchen, ich hoffe du hast es weiter gemütlich da oben?“ Helga schlug ihr wieder auf die Pobacken.

 

Madleen hielt es nicht mehr aus. Sie fühlte sich einem Zusammenbruch gefährlich nahe. Das durfte auf keinen Fall geschehen. Sie musste erreichen, eine Weile mit Dagmar allein zu sprechen, um ihr die positiven Neuigkeiten zu vermitteln, die es inzwischen in Fülle zu verkünden gab und ihr letzte Instruktionen für die Flucht zu erteilen.

 

„Ich möchte allein mit ihr sein! Besteht die Möglichkeit zu ihr aufzusteigen, um ihr von Angesicht zu Angesicht zu begegnen?“

„Oh ja, natürlich!“

Helga bewegte den Hocker von der Seite in die Mitte des Raumes.

„Dieser Hocker ist speziell dafür angefertigt. Mit Lehne sogar. Ihr sitzt dort bequem und könnt euch bis auf wenige cm Distanz der Delinquentin nähern. Auge in Auge mit ihr kommunizieren.

Ich verbringe auf diese Weise viel Zeit mit meinen Mädchen. Die gewinnen so viel Vertrauen zu mir.

 

Kann ich mir denken! Und du kannst sie dabei ausgiebig befingern! Dachte sich Madleen voller Wut im Bauch.

„Gut, dann will ich jetzt zu ihr rauf. Hilf mir beim Aufsteigen. Ich möchte für die nächste Zeit ungestört bleiben. Du kannst dich zurückziehen. Wenn ich deine Hilfe brauche, werde ich dich rufen.“

„Wir ihr befehlt, so soll es geschehen!“

 

Madleen kletterte auf den Hocker und befand sich nun Auge in Auge mit der gequälten Schwester wieder.

Als Helga endlich den Raum verlassen und die Tür hinter sich geschlossen hatte versuchte Madleen die Schwestern so gut es ging zu trösten.

Sanft nahm sie deren Gesicht in beide Handflächen und küsste es. Dagmar wurde viel geküsst in jenen Tagen. Doch Madleens Kuss unterschied sich deutlich von jenen mit denen Helga sie bedachte. Es war Liebe, tiefe Freundschaft, echte Zuneigung, dazu Ehrerbietung und großer Respekt vor einer Märtyrerin.

 

„Dagmar liebe Schwester, ich bin bei dir. Alles wird gut. Ich glaube ich brauche dich nicht zu fragen, wie es dir geht.“

„Wie du siehst, es geht mir beschissen. Danke dass du gekommen bist. Du bist der letzte Trost. Ich…ich habe bald….keine Kraft mehr… starke Schmerzen. Verliere …in letzter Zeit immer …häu….häufiger … die Besinnung. Ich …ha…halte nicht mehr lange durch.“

Das Sprechen fiel Dagmar ausgesprochen schwer, sie konnte nur noch flüstern.

 

Madleen holte aus ihrer Umhängetasche ein weiches Tuch und begann ganz behutsam Dagmars Stirn zu betupfen, dann die Wangen, die Nase, den Hals und die Brüste. Dann griff sie nach einer Flasche mit Wasser und gab der Schwestern zu trinken.

„Langsam trinken, Dagmar, damit du dich nicht auch noch verschluckst.“

Sie wischte ihr noch mal den Mund ab und umarmte Dagmar vorsichtig, um sie nicht zusätzlich zu belasten

 

„Dagmar, halte durch, bald bist du frei. Es gibt viel Positives zu berichten. Die Stimmung kippt, das Land triftet ab in Aufruhr, ganze Teile der Armee befinden sich im Aufstand. Cassian hat den Bogen deutlich überspannt, er wird stürzen und das schon in absehbarer Zeit. Doch das Wichtigste: Du bist in den Augen weiter Teile der Bevölkerung eine Heldin. Sie haben Anteil an deinem Schicksal und zwar enorm

Überall Proteste im Land, sie fordern deine Freiheit vom Ausland ganz zu schweigen, dort bist du so etwas wie ein Superstar.

Du bist die Tapferste von uns allen, durch dein Leid hast du die Herzen der Menschen erobert.

Auch ich liebe dich von ganzen Herzen.“

 

„Ich…ich freue…mich das zu hören. War mein Leid doch nicht..ganz umsonst. Aber ich fürchte es ist…zu…spät. Du hast…dich umsonst..bemüht… ich werde es nicht…schaffen. Meine…Kraft ist…ist…ist.. auf..gezehrt.“

 

„Du musst nicht sprechen, wenn es dich zu sehr anstrengt, Dagmar. Ich will versuchen, was ich kann. Du darfst nicht sterben. Es würde mein Herz brechen…“ Madleen musste erneut mit den Tränen kämpfen.

„Du…du wolltest immer sein wie Elena. Du hast es geschafft, du bist eine zweite Elena, nicht durch Anmaßung, nein, es ist dein Recht, du hast dir diese Stellung hart erkämpft, unter Schweiß und Tränen. Du bist Elena in allem ebenbürtig. An ihrer Seite wirst du kämpfen, für Akratasien, für die Freiheit, für eine bessere Welt.“

 

„Ich…ich werde…es..nicht..mehr er…erleben…“

Madleen fiel ihr erneut um den Hals, nun konnte sie ihre Tränen nicht mehr halten.

 

„Halte durch, bitte, bitte, bitte… sei stark, die wunderbare Frau.  Ich hole dich hier raus, die Flucht ist vorbereitet. Ich warte nur noch auf einen günstigen Zeitpunkt. Die sich zuspitzende Lage im Land kommt uns dabei sehr zu Hilfe.“

Madleen hielt die Schwester fest umklammert, Dagmars Schweiß durchdrängte nun auch deren Kleidung.

 

„Ich danke dir Madleen, ich bin…..dir so…unendlich..dankbar dass…dass wir uns noch….ver…versöhnt haben, ich weiß nicht…ob ich die Kraft….für ..die Flucht auf….bringen kann. Du…du ..hast schon jetzt…genug für mich …getan….“

„Oh Dagmar….Dagmar…sag so etwas nicht. Du schaffst es. Du bist stark. Ich werde das hier sofort beenden und versuchen, dir ein paar Tage Ruhe zu verschaffen und richtige ärztliche Pflege, damit du wieder etwas zu Kräften kommst.“

 

 

Madleen küsste die Schwester immerfort, auf den Mund , die Wangen, die Nase, streichelte ihr schweißnasses Haar.

„Dagmar, denk an unser Lied, das Akratasien-Lied, derzeit noch streng verboten. Bald werden wir es wieder singen. Wir zwei gemeinsam, mit all den anderen. Die Worte werden dir Kraft geben.“

Sanft und voller Zärtlichkeit summte Madleen die vertrauten Verse leise in Dagmars Ohr.

 

„Reich der Träume, Reich der Wunder, unser Akratasien

Land des Lebens, Land des Friedens das ist Akratasien

Denk ich an dein Antlitz, deinen Zauber, deine Würde

Überwind ich auch die allergrößte Hürde

 

Land der Freiheit, Land des Lernens ,unser Akratasien

Reich der Liebe, Reich der Hoffnung , das ist Akratasien

Seh ich die rote Sonne sinken über deinem Firmamete

Erinner ich mich all der wunderbaren Temperamente

 

Frei von Armut, Frei von Herrschaft, unser  Akratasien

Glück und Freude sind dir eigen oh mein Akratasien

Nie vergess ich deine Feste, deine Tänze und das bunte Treiben

In deinen Mauern will ich ein Leben lang verbleiben

 

Dagmar Herz wurde ein wenig leichter, sie versuchte leise mitzusingen, natürlich versagte ihr die Stimme, sie summte leicht den Ton. Ein zartes Lächeln bildete sich auf ihren Lippen und die Grübchen in ihren Mundwinkeln kamen zum Vorschein.

„Ein kleines Lächeln konnte ich dir entlocken tapfere Schwester, bald werden wir wieder gemeinsam herzhaft lachen.

Und nun mache ich deiner Kerkermeisterin eine Szene. Dann wirst du umgehend von deiner Qual erlöst.“

Ein letzter Kuss, dann kletterte Madleen von ihrem Sitz und eilte nach draußen. Die Wut in ihr kannte keine Grenzen.

 

„Hey, Kerkermeisterin!“

„Bin zu euren Diensten, Majestät!“

„Das will ich hoffen. Was ist denn mit der los? Die ist ja halbtot! Hatte ich nicht befohlen, die Folter auszusetzen, weil Cassian und ich sie in einem tadellosen Zustand brauchen? Du hast eigenmächtig gehandelt und sie zu deinem Vergnügen gefoltert. Ich dulde das nicht. Sie gehört mir. Verstehst du!“

 

„Ja, ja, natürlich! Ich wollte sie nur ein wenig gefügiger machen, um euch zufrieden zu stellen.“

Versuchte sich Helga herauszureden.

 

„Schluss damit! Ich dulde keine Eigenmächtigkeiten mehr. Keine Folter mehr bis zu unserer Hochzeit. Sie hat am Tage der Trauung und Krönung im Triumphzug den weiten Weg neben unserer Limousine zu laufen und im Anschluss auf dem großen Festbankett bis zur Erschöpfung zu tanzen. In der Hochzeitsnacht schließlich soll sie uns beiden gefügig sein. Kannst du mir sagen, wie sie das in diesem erbärmlichen Zustand bewerkstelligen soll?“

 

„Ich..ich bitte um Vergebung, Majestät, daran habe ich nicht gedacht.“

„So nun weißt du es. Hol sie umgehend da runter und sorge dafür, dass sie in den nächsten Tagen Ruhe hat. Du haftest mir persönlich, dass sie am bewussten Tag in guter Verfassung ist.

Ich hoffe ich habe mich deutlich genug ausgedrückt.“

 

„Ja, deutlich, sehr deutlich. Es geschehe, wie ihr befehlt.“

Madleen drohte zu ersticken, sie verließ umgehend den Raum, Luft, sie musste an die Luft.

 

Als Helga in den Folterraum zurückkehrte fand sie Dagmar bewusstlos auf dem Bock vor. Sie hob sie herunter und beförderte sie umgehend in den Sanitätsraum. Es stand nicht gut um die stolze Kriegerin. Würden ein paar Tage Ruhe genügen?

 

Madleen wankte nach draußen. Dort angekommen lehnte sie sich an die Hausmauer und schnappte nach Luft, ein Weinkrampf hatte sich eingestellt und ihr war speiübel.

„Mir ist schlecht…o ist mir schlecht.“ Sie hielt sich die Hand vor dem Mund. Die Tränen liefen in Strömen und sie schluchzte immerfort. Sie hoffte inständig, dass sie niemand beobachtete.

 

Das ganze Ausmaß der Tragödie tat sich vor ihr auf. Dagmar ging es schlecht. Die Tortur hatte fast alle ihre Kraftreserven aufgebraucht. Aber sie musste so viel Kraft und Ausdauer aufbringen, um eine Flucht durchhalten zu können.

„Was kann ich nur tun? Wie kann ich dir helfen Schwester?“ Madleen schlug mit den Fäusten gegen die Betonwand. Sie musste sich etwas einfallen lassen. Aber was?

 

Sie musste mit dem Schlimmste rechnen. Was wenn Dagmar tatsächlich sterben sollte?

Sie würde sich das nie verzeihen.

„Dann will ich auch nicht mehr leben!“

Doch das konnte sie Elena und der kleinen Tessa nicht antun und Larissa nicht, der jungen neuen Liebe in ihrem Leben, die in der Abtei voller Sehnsucht auf sie wartete.

 

Madleen taumelte in das Gebäude der Ordensburg zurück betrat den Aufzug und schwebte gen Obergeschoss, betrat die Privatgemächer. Zum Glück war Cassian nicht anwesend, dessen Gesellschaft konnte sie im Moment am allerwenigsten ertragen.

Just in dem Augenblick als sie das Wohnzimmer betrat und sich zum Fenster bewegte, hörte sie die wuchtige Detonation. Es kam ihr wie ein Erdbeben vor.

Von der gegenüberliegenden Straßenseite konnte sie dichten Rauch aufsteigen sehen, auf der Straße brach Panik aus. Nur unter Anstrengung gelang es ihr die Orientierung zu finden. Das gegenüberliegende Parteibüro der Patriotischen Front war nur noch ein Trümmerhaufen an allen Ecken loderten Flammen. Bald erschall aus allen Richtungen Sirenengeheul.

 

Nach kurzer Zeit wimmelte es nur so von Bewaffneten. Der Anschlag galt Cassian, daran bestand nicht der geringste Zweifel. Doch wer war dafür verantwortlich?

Madleen wurde von Entsetzen gepackt. Hoffendlich keine Sympathisanten aus dem Dunstkreis der Bataillone der Freiheit, die es nach wie vor gab und deren Zahl sich in letzter Zeit natürlich wieder stark erweitert hatte. Sollten die dahinterstecken, würden sie Dagmar dadurch einen Bärendienst erweisen. Die hätte dann noch mehr zu leiden und es war fraglich, ob ihr Madleen dann noch helfen konnte.

 

Bange Augenblicke folgten. Doch schon kurze Zeit später sollte sich die Befürchtung zerstreuen.

Cassian stürmte in die Gemächer.

„Verfluchte Bande! Abschaum! Verbrecherpack! Desserteure allesamt! Wenn ich die zu fassen bekomme lasse ich sie erschießen, umgehend. Es regiert das Standrecht!“

„Cassian, oh mein Gemahl, ich bin so froh dich gesund und aufrecht zu sehen. Die Angst hat mich fast um den Verstand gebracht.“ Begann Madleen ihre Komödie fortzusetzten.

„Ja, ich bin wohlauf! Eigentlich hätte ich in dem Augenblick als die Bombe detonierte im Parteibüro sein wollen. Doch ein Stau im Straßenverkehr hinderte mich daran pünktlich dort zu erscheinen. Es hat so sollen sein. Ja, ein gutes Omen. Es war die Vooooorsehung die mich am Leben erhalten hat.“ Cassian reckte die Arme weit nach oben, während er das Wort Vorsehung aussprach. Er war inzwischen schon so weit dem Leben entrückt, dass er sich als Gottgleich einstufte

 

Verdammter Stau, hätte es dich erwischt, wären wir jetzt alle frei. Ich könnte Dagmar aus dem Kerker holen und mit ihr, mit Larissa und der kleine Tessa umgehend die Flucht antreten.

Dachte sich Madleen und ballte die Fäuste.

Aber immerhin, die Tatsache das es sich nicht um Dagmars Anhänger handelte war schon einmal eine positive Nachricht.

 

„Es waren also Angehörige der Armee, die den Anschlag verübt haben?“ Erkundigte sich Madleen noch einmal, um genauere Gewissheit zu erhalten.

„Ja! Allesamt Verbrecher! Eitle, dumme Offiziere, verbohrt und verblendet. Stehen allesamt mit dem Ausland in Bunde. Aber ich werde euch eine Lektion erteilen. Der Blaue Orden steht geschlossen hinter mir. Schon beginnen die Verhaftungen. Es wird ein Exempel statuiert, wie wir es noch nie erlebten.“

 

Der Diktator lies sich auf einen Plüschsessel fallen und legte den Kopf nach hinten auf die Lehne.

„Erst mal kurz verschnaufen, dann werde ich zur Tat schreiten. Ich muss mich gleich umziehen, in meine Kampfmontur und dann ab. Das wird besonderen Eindruck machen. Wir befinden uns im Krieg Madleen, ich hoffe dir ist das bewusst?“

 

„Oh ist es so schlimm! Ich bin an deiner Seite mein Gemahl. Meine guten Wünsche begleiten dich in den Kampf. Das hat jetzt absoluten Vorrang. Ich sehe es vollkommen ein, wenn wir aufgrund dessen unsere Hochzeit noch einmal verschieben müssen und die Krönung auch.“

„Nein! Wie kommst du denn darauf! Findet alles wie geplant statt. Gerade jetzt! Wir bieten der Bevölkerung jene Zerstreuung derer sie im Moment so dringend bedarf. Das wird  sie ablenken und wieder auf Linie bringen. Ich kenne die gewöhnlichen Menschen ganz genau. Die sind leicht zu beeindrucken.“

 

Madleen sank zu Boden des Sessels nieder und blickte zu Cassian auf wie zu einem Gott.

„Wenn du es für richtig erachtest, bin ich natürlich auch dafür. Alles was du tust, was du entscheidest, werde ich mittragen. Ich steh an deiner Seite, wenn es sein muss, begleite ich dich sogar bis in den Tod.“

Ihre Worte trieften förmlich vor Pathos.

„So ist es recht! Entweder wir leben in Zukunft als Kaiserpaar oder wir sterben, dazwischen gibt es nichts. Wir stehen und fallen gemeinsam.“ Bekundete der Diktator.

 

Cassian atmete noch einmal tief durch, dann schoss er wie von einer Tarantel gestochen in die Höhe.

„Ich muss los! Schon zuviel an Zeit vertrödelt! Komm! Hilf mir drüben beim Umziehen!“

„Ich gehorche! Ich tue alles für dich oh du Retter Melancholaniens!“

Gemeinsam schritten sie zur Tat.

 

Madleen verabschiedete Cassian in der Hoffnung ihn nie wieder zusehen. Wann er sich wieder bei ihr einfinden würde, war ihm im Moment selbst nicht bewusst.

 

Für Dagmar konnte sie im Moment nichts tun. Madleen wollte so schnell es möglich in die Abtei, nach Anarchonopolis Sie machte sich Sorgen um Larissa, die dort weitgehend sich selbst überlassen war.

Dort glaubte sie auch mehr Sicherheit zu finden. Womöglich würde die Ordensburg das nächste  Ziel eines Anschlages? Cassian würde sogar Verständnis dafür zeigen, wenn sie bis zur Hochzeit in den sicheren Mauern der Abtei Zuflucht suchte.

 

Ihr stand eine ständige Fahrbereitschaft zur Verfügung, die ihr eine sichere Passage ermöglichte.  Trotzdem dauerte es aufgrund unzähliger Straßensperren und Menschenaufläufe weitaus länger als sonst bis sie den vertrauten heimischen Boden unter ihren Füßen spüren konnte.

Larissa erwartet sie schon an der Eingangspforte. Die übliche Begrüßung, um den Hals fallen, streicheln, heiße Küsse.

Den Tag verbrachten sie mit profanen Arbeiten eine willkommene Gelegenheit, sich von der Wucht der sich überschlagenden Ereignisse abzusondern.

 

 

Cassian blieb verschwunden. Es hieß er würde in Windeseile durch das Land sausen, um präsent zu sein, zu demonstrieren wie perfekt er alles im Griff hatte. Leichen pflasterten dabei seinen Weg. Überall wo er auch nur den geringsten Widerstand vermutete, schlug er erbarmungslos zu.

 

Madleens Tagesablauf war von steter Hektik erfüllt. Sie wollte die Abwesenheit des Diktators zum einem dafür nutzen, um viel Zeit mit Larissa zu verbringen, andererseits auch so oft es ging zu Dagmar zu gehen. Es ließ sich nicht vermeiden, dass sie ständig zwischen Abtei und Ordensburg hin und her pendelte.

Sie eilte durch die Gänge des Kellerverließes in dessen Labyrinthartigen Gängen sie sich noch immer nicht auskannte und somit auch an diesem Tag verlief.

 

Endlich hatte sie den Zellenblock erreicht und die Tür zu Dagmars Zelle wurde ihr geöffnet.

Die Schwester lag auf der Pritsche, die Decke bis zur Brust gezogen. Sie atmete schwer, es war leicht zu erraten, dass sie Schmerzen hatte.

Als sie Madleen erblickte erhellte sich ihr Gesichtsausdruck zu einem sanften Lächeln.

„Guten Morgen Dagmar! Ich bin so schnell wie ich es einrichten konnte gekommen. Wie geht es dir heute morgen. Haben sie dich in Ruhe gelassen?“

„Ja, keine Folter gestern. Aber die Schmerzen sind da. Die werde ich so schnell nicht wieder los.

War in aller Frühe zur Untersuchung, du weißt schon die bewusste, wie jeden Morgen.“

„Und? Was sagt die Ärztin?“

„Das übliche! Das ich noch in guter Form bin und weiter allen Behandlungen ausgesetzt werden darf.“

„Na, die knöpfe ich mir gleich mal vor! Das sieht ein Blinder, dass du krank bist, dass du an völliger Erschöpfung und Schmerzen leidest. Was ist das denn für eine Ärztin, die unfähig ist eine so einfache Diagnose zu stellen?“ redete sich Madleen in Rage.

 

„Nun, eine die im Dienst eines Systems steht, dass solche Antworten von ihr erwartet. Oder glaubst du im Ernst die ist für die Patienten da?“

„Das werden wir sehen. Ist die noch in der Nähe?“

„Natürlich! Es sind ja noch andere da, die zur Sonderbehandlung antreten müssen.“

Madleen stellte ihren Rucksack ab, dann stemmte sie die Fäuste in die Seiten.

„Hmm, ich gehe gleich! Keine Angst, ich komme wieder, ich habe mir viel Zeit für dich genommen. Aber ich bin so in Wut, dass es mich zu zerreißen droht.“

Dagmar richtete sich leicht auf.

„Aber was willst du ihr denn sagen, ohne Verdacht zu schöpfen?“

Madleen trat zur Dagmar und bette sie sanft zurück auf das Kissen.

 

„Keine Angst! Ich weiß was ich sagen muss, bin inzwischen gut geübt darin, schon seit Tagen lasse ich mir immer wieder was Neues einfallen.“

 

Madleen entschwand und lies Dagmar kurzzeitig allein. Sie traf die Ärztin an und lies ein regelrechtes Donnerwetter über sie ergehen. Im Grunde waren es die gleichen Vorwürfe, die sie auch der Kerkermeisterin gemacht hatte. Eben dass sie Dagmar für die zu erwartenden Feierlichkeiten in bester Verfassung brauchte und so weite rund so fort. Aus diesem Grund forderte sie eine angemessene ärztliche Behandlung in den Folgetagen und das Aussetzen jeder weiteren Folter.

 

Nach etwa 15 min trat sie bei Dagmar ein.

„So der hab ich`s gegeben. Die wird von nun an ihren Dienst an dir tun, wie man es von einer Ärztin erwarten kann.

„Ich hoffe du hast dich nicht zu weit aus dem Fenster gelehnt, so dass die am Ende doch noch Verdacht schöpfen.“ Sorgte sich Dagmar.

„Alles im Rahmen. Ich hab der alles möglich vorgegaukelt. Die glaubt, dass ich dich wieder aufbauen will für die Feierlichkeiten. Auch die Dinge, die ich für dich mitgebracht habe, erfüllen ausschließlich diesem Zweck.“

 

Berichtete Madleen, während sie den Rucksack auspackte. Orangensaft, Obst, Wundsalben, Schmerzmedikamente ein weicheres Kissen für den Kopf, Bücher zum lesen und noch einiges mehr.

„So alles draußen, glaub ich. Der Rucksack gehört selbstverständlich auch dir, den wirst du auf der Flucht gut gebrauchen können. Kleidung, Passierscheine und natürlich auch ausreichend Geld, werde ich euch am Tag der Flucht aushändigen.“

 

„Du bist so gut zu mir Madleen. Ich habe endlich einmal Zeit, dir das in aller Ruhe zu sagen, auf dem Bock konnte ich es nicht, weil ich zu erschöpft war. Du hast schon so viel für mich, für uns getan und riskierst dabei dein eigenes Leben, dabei habe ich dich in der zurückliegenden Zeit so oft beleidigt und tief gekränkt, in aller Öffentlichkeit.“

Madleen kniete sich auf den Boden, nahm Dagmars Kopf vorsichtig in die Hände, streichelte ihre Wangen.

„Ich möchte wiedergutmachen, was ich versaut habe. Da gibt es eine Menge zu tun. Ich.. ich habe dich immer gemocht. Das was du über mich gesagt hast tat mir deshalb so weh, gerade weil ich dich so mochte. Ich bin die Verräterin, du die Heldin des Widerstandes. So derzeit der Stand der Dinge. Wenn du bei den Schwestern angekommen bist, sage ihnen, wie leid mir alles tun. Ich nehme jede Buße auf mich, wenn ich nur wieder dazugehören darf. Die Schwesternschaft ist meine Heimat, mein zuhause, das ich so achtlos weggeworfen habe.“

 

Tränen bildeten sich in Madleens himmelblauen Augen. Tränen sowohl der Verzweiflung als auch der Hoffnung.

„Das werde ich, darauf kannst du dich verlassen. Das hängt natürlich davon ab, ob ich die Flucht bewältigen kann. Ich habe so gut wie keine Kraft mehr in den Gliedern und die Schmerzen dazu.

Bei der heutigen Musterung konnte ich kaum gehen, geschweige dem, die gymnastischen Übungen absolvieren.“  

 

„Auch diese entwürdigenden Untersuchungen wird es nicht mehr geben. Auch dafür habe ich eben gesorgt.“

Madleen bettete Dagmars Kopf vorsichtig auf das neue bequemere Kopfkissen.

 

„Ich muss damit rechnen, dass ich es nicht weit bringe, bei einer eventuellen Flucht. Das sie mich schon kurz nach dem Ausbruch fassen. Oder auch die anderen. Ich weiß nicht, wie es denen geht Ich hoffe das sie die nicht so hart wie mich rangenommen haben.

Aber ab diesem Augenblick schwebst auch du in allergrößter Gefahr, Madleen!“

Madleen ließ sich erneut auf den Boden sinken.

„Das ist mir gleich. Dann sterben wir zusammen Schwester.“

Nun flossen beider Tränen reichlich.

 

Madleen legte ihren Kopf auf die Decke. Nun streichelte Dagmar durch die pechschwarze Lockenmähne der Schwester.

Eine ganze Weile verharrten sie wortlos in dieser Stellung. Die Zeit schien still zu stehen.

Schließlich hob Madleen den Kopf, die stark geröteten Augen machten es derzeit unmöglich die Zelle zu verlassen ohne Verdacht zu schöpfen.

 

„Mir ist zum Heulen elend, Dagmar. Aber ich muss dich jetzt wieder ordentlich ausschimpfen, damit es keine Zweifel gibt. Deshalb bin ich ja offiziell hier, um dich zu demütigen. Ich muss schauspielern, auch wenn ich daran zu ersticken drohe.“

„Alles in Ordnung Madleen! Du kannst anfangen, ich bin bereit!“

Madleen schniefte noch einmal und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen.

Dann griff sie wieder unter Dagmars Schulter und nahm die Schwester in die Arme.

„Gut! Also dann, eins zwei drei….

Du alte Schlampe, du Hure, du Mörderin, du bist eine Schande für unser Land. Cassian ist unser Führer, unser gottgeschenkter Messias, der Friedensbringer, auf den wir so lange haben warten müssen und du wagst es seine Ehre in den Schmutz zu ziehen… da hast du etwas das deine Frechheit bändigen wird…“

Dagmar verstand sofort und stimmte in die Komödie ein.

„Ahhhh….ahhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh…. nein bitte nein, quäle mich nicht mehr, ich bin ja schon still. Ich bin…ich bin…. Neiiiiiin bitte nicht…..aaaaahhhhhhhhhhhhhhhhhhhh

 

Nun mussten beide lachen.

„Hey das war toll. Gut, dass du dich beteiligt hast. Ach, wie gut mir das tut dich, dich, wenn auch nur für kurz, Lachen zu sehen.“
Madleen küsste Dagmar auf den Mund.

„Du bist eine exzellente Schauspielerin Madleen, wirklich exzellent. Auf der Bühne hättest du sicher Karriere gemacht.“

 

„Wir setzen noch einen drauf, damit die da draußen große Ohren bekommen. Also auf!

Ja das tut weh! Oh, wie es mich freut dich so am Boden zu sehen. Ich werde dir die Frechheiten ein für allemal austreiben. Du bist das letzte. Bis zu meiner Hochzeit hast du Ruhe, aber danach bist du dran, dann wirst du gedehnt, bis du den Geist aufgibst.“

Madleen atmete tief ein und aus.

 

„Buaahh, das genügt, mehr kann ich nicht. Aber es hat hoffe ich gesessen. Zum Glück habe ich diesmal keinen Fehler gemacht.“

Madleen platzierte sich auf der schmalen Pritsche, nahm die Schwester in die Arme und wog sie wie ein kleines Mädchen hin und her.

„Einfach nur halten Dagmar. Ich werde mich dann nach einer Weile wieder auf den Weg machen.

Ich komme morgen, sagen wir zur gleichen Zeit. Ich hoffe dir dann schon Näheres berichten zu können. Wir müssen täglich damit rechnen unsere Aktion zu starten. Das ist eine schwierige Situation. Ich bete darum damit nichts geschieht das unseren Plänen zuwider laufen könnte.“

 

Nach einem dicken Abschiedskuss verließ Madleen die Zelle und begab sich wieder in die oben Stockwerke. Cassian war noch immer abwesend.     

Madleen konnte ihre Vorbereitungen für die Flucht fortsetzen.

Kleidung für die drei gefangenen Schwestern zu besorgen war nicht schwer, die hatte sie schon vor Zeiten zusammengestellt., der Jahreszeit entsprechend und auch gut geeignet für eine Reise ins ungewisse.  Auch das benötigte Geld ließ sich leicht organisieren. Cassian geizte nicht mit teuren und auserlesenen Geschenken, ob Schmuck, elegante Kleidung oder sonstige Objekte, die ein Vermögen gekostet hatten. Madleen war es gelungen vieles davon insgeheim zu veräußern.

Einen Teil des Erlöses konnte sie jetzt den Schwestern zukommen lassen.

 

Als weitaus schwieriger erwies sich die Beschaffung der nötigen Passierscheine, die den Flüchtenden ein sicheres Geleit garantieren sollten, zumindest bis sie die Grenze des Landes erreicht hatten.

Es bedurfte mehrerer Anläufe und eines ganz besonderen schauspielerischen Talentes Cassian so weit zu bringen, dass er ihr bedingungslos vertraute und ihr Zutritt zu seinem hermetisch angeschlossenen Arbeitszimmer gestattete. Madleen hatte eine besondere Gelegenheit ausgenutzt und dem Diktator den Geheimcode für die elektronische Sicherung sowohl der Tür, als auch des Schreibtisches zu entlocken.

 

Auf diese Weise konnte sie sich auch einen Einblick in die tatsächliche politische Lage im Land  verschaffen, die sich als bedeutend negativer herausstellte als von Cassian ihr gegenüber offen zugegeben. Melancholanien glich einem Pulverfass unmittelbar vor dessen Detonation.

Der Diktator hatte immer eine ganze Reihe von blanko unterzeichneten Papieren in der Schublade liegen, für jede Gelegenheit einsetzbar.

Alles wessen Madleen bedurfte. Sie brachte mehrere Exemplare an sich und brauchte nur einen entsprechenden Text dort einzusetzen, um den Schwestern eine ungehinderte Bewegungsfreiheit garantieren zu können.

Da sie auf Nummer sichergehen wollte, würde sie die Papiere heute Nachmittag mit in die Abtei nehmen und Larissa bitten, die gewünschten Worte dort zu platzieren.

Wäre das erledigt, konnte die Befreiung der Gefangenen unverzüglich starten. Aber alles hing vom Gesundheitszustand der einzelnen Schwestern ab.

 

Drei Tage später hatte sich die Situation im Lande weiter dramatisch zugespitzt so dass Madleen die Befreiung der leidenden Schwestern nicht mehr weiter auf die lange Bank schieben konnte. Zu groß die Gefahr. Cassian wurde immer unberechenbarer. Er drohte in zunehmender Weise dem Wahnsinn zu verfallen. Er sprach davon, die Gefangenen schnellstmöglich hinzurichten, nicht öffentlich, sondern heimlich und im Verborgenen. Wenig später widerrief er diese Drohung und kehrte zur alten Variante zurück.

Madleen konnte nicht mehr warten. Schnelles Handeln war dringend geboten.

 

Gemeinsam mit Larissa brach sie am Abend des von ihr festgesetzten Tages von der Abtei aus in Richtung Ordensburg auf um die Aktion zu starten. Alles was sie dafür benötigte hatte sie im Gepäck. Auch für Larissa hatte sie einen Passierschein ausgestellt, um sie ungehindert in den Bereich der Kerker zu schmuggeln. Die Lage war günstig. Cassian war nach kurzem Aufenthalt am gestrigen Tag an diesem Morgen erneut aufgebrochen, um eine Rebellion in einer Kaserne unweit der Stadt unter Kontrolle zu bringen, begleitet von seinen Lakaien des Blauen Ordens.

 

Madleen nahm am Steuer der Limousine Platz und startete diese. Larissa eilte ihr nach. Dabei nach Luft schnappend, denn die Bündel, die sie zu schleppten hatte waren nicht gerade leicht.

„Wo bleibst du? Die Zeit drängt. Wir müssen so schnell wie möglich handeln.“  

„Entschuldige!“

Die Geliebte schwang sich auf den Beifahrersitz und ab ging die Post.

 

„Eine solch günstige Gelegenheit bekommen wir so schnell nicht wieder. Die Burg ist bis auf wenige Bewacher kaum besetzt. Die Elitegruppe ist allesamt mit Cassian auf Rebellenjagd. Aber wir müssen uns beeilen, denn die können jederzeit zurückkehren.“ Sprach Madleen, während sie den Wagen hastig durch die zu dieser Zeit wenig belebten Straßen der Hauptstadt steuerten.

„Ich… ich ver…versteh..e, Madleen.“ Gab Larissa in abgehackten Worten zur Antwort. Wie so häufig, wenn sie sehr aufgeregt war, kam sie beim Sprechen ins Stottern. Traumatische Folge ihrer Kindheitserinnerungen, jener Drangsal die sie unter ihrer Stiefmutter zu erleiden hatte.

 

Madleen bemerkte das sofort und versuchte beschwichtigend auf die Geliebte einzuwirken.

„Es wird schon funktionieren. Ich bin voller Zuversicht. Ich habe die Aktion in den zurückliegenden Tagen dutzende Male in meinem Kopf durchgespielt. Bisher sind wir auch noch gut in der Zeit. Cassian hat sich nicht gemeldet. Ich habe ihm vor seiner erneuten hastigen Abreise das Versprechen abgerungen sich vorher telefonisch bei mir zu melden. Er hat zumindest zugesagt.“

 

„Mach dir um…m..meinet willen, k..keine G..gedanken. Ich bin halt aufgeregt. Ist ja, nicht ungewöhnlich, i..in solch e..einer Situation.“

 

Schließlich hatten sie das Gelände der Burg erreicht, entstiegen dem Wagen, entluden diesen und schritten auf die Eingangspforte zu. Die Wachposten salutierten als sie Madleens Antlitz sahen. Niemand würde es wagen, der zukünftigen Gemahlin des Diktators Fragen zu stellen.

Auf diese Weise konnten beide ungehindert die heiligen Hallen der Diktatur betreten.

 „Erst mal kurz nach oben in die Privatgemächer. Damit wir keinen Verdacht schöpfen. Dort halten wir uns eine kurze Weile auf bevor wir uns nach unten begeben.“ Flüsterte Madleen, während sie den Aufzug rief.

Oben angekommen eilten beide in die Wohnung. Larissa war das erste Mal in diesem Bereich, der ansonsten hermetisch von der Außenwelt verschlossen war und blickte sich etwas verstört um. All der Prunk, von dem sie umgeben, verstärkte die beängstigende Situation noch..

 

„Setz dich, ruh dich ein wenig aus. Möchtest du etwas trinken?“

Larissa nahm Platz und schüttelte nur den Kopf. Das Grummeln in ihrem Bauch nahm immer deutlicher zu.

„Sagen wir mal 10 min dann ist es so weit, dann fahren wir nach unten.“

 

Banges Warten. Larissa blickte sich noch immer unruhig in den Räumen um.

„Ich..ich bin zum ersten Mal hier in diesen Gemächern. Was wird geschehen, wenn Cassian plötzlich doch erscheint, unangemeldet? Wie erklärst du ihm meine Anwesenheit.“

„Ganz einfach, indem ich ihm die Wahrheit sage, dass du meine Geliebte bist.“ Antwortete Madleen sehr zu Larissas Erstaunen.

 

Larissa wollte etwas erwidern, doch Madleen drängte sie zum Aufbruch.

„Komm lass uns unser Werk vollbringen. Wir sollte nicht mehr unnötig Zeit verstreichen lassen.“

Sie begaben sich in den Flur. Der Aufzug ließ auf sich warten. Endlich konnten sie ihn besteigen und sich in Richtung Keller bewegen.

 

Dort angekommen blickte sich Larissa noch ängstlicher um. Alles in allem ein angsteinflößender Bereich.

Madleen ging voran und schließlich standen sie vor einem Wächter.

„Halt wer da? Zutritt verboten!“

„Das glaube ich kaum. Ich habe hier jederzeit Zutritt und meine Begleiterin ebenso.“ Erwiderte Madleen in herrischer Geste.

„Oh pardon! Ich bitte vielmals um Vergebung Majestät! Die Dunkelheit ist wohl daran Schuld, dass ich euch nicht gleich erkannte.“ Entschuldigte sich der Posten demutsvoll.

 

„Ich möchte die Gefangenen inspizieren und mich über deren Zustand informieren. Zu diesem Zweck werde ich sie in das Folterkabinett führen, um eine Musterung durchzuführen. Im Anschluss nehme ich sie in meine Privatgemächer mit, um sie einer von mir ausgesuchten Gesellschaft vorzustellen. Das wird voraussichtlich die ganze Nacht in Anspruch nehmen. Ich bringe sie morgen in aller Frühe persönlich wieder nach unten.“

 

„Gewiss, gewiss! Wenn mir Majestät folgen möchten:“ Bot der Wachmann umgehend an.

Sichtlich genervt folgen die beiden Frauen durch die Gänge, bis sie sich vor dem Zellenblock wieder fanden. Die elektronische Sicherung wurde frei geschaltet und die Türen öffneten sich  nacheinander.

Neben Dagmar betraten noch Julia und Iris den Gang, alle drei sichtlich angeschlagen und in keiner guten gesundheitlichen Verfassung.

 

Der Wachmann bedeutete ihnen zu folgen und alle anwesenden setzten sich in Bewegung, bis sie die Vorhalle der Folterkammern erreicht hatten.

„Lasst mich jetzt mit den Gefangenen allein!“ Verlangte Madleen.

„Aber Majestät, ich weiß nicht, ob ich euch beipflichten soll. Die sind gefährlich. Die sitzen nicht umsonst hier unten ein.“ Versuchte der Posten eine Warnung.

„Ich weiß was sich tue, ich war mehrmals mit der gefangene Dagmar allein, oft sogar in deren Zelle“ Bestand Madleen auf ihrer Forderung.

 

„Ja, mit einer allein, aber es sind drei, Majestät!“

„Überzeugt euch das hier?“ Madleen präsentierte eine Maschinenpistole, die sie kurzerhand aus ihrem Rucksack zog.

„Ich denke das ist ausreichender Schutz. Und meine Begleiterin ist auch noch da, eine erfahrene Kämpferin.“ Log Madleen, ohne dabei rot zu werden.

„Nun gut! Ich denke, ihr habt mich überzeugt, Majestät. Das ändert natürlich die Situation grundlegend. Ich lasse euch allein. Sollte es aber nichts destotrotz Probleme geben könnt ihr mich umgehend benachrichtigen.“ Stimmte der Wachmann schließlich zu, wenig später lies er die 5 Frauen allein.

 

„So Larissa, du stehst Schmiere, gib acht, dass es keine Lauscher an der Wand gibt.“ Befahl Madleen energisch.

„Alles klar, ich passe gut auf.“ Bestätigte die Angesprochene, eilte zur Tür, spähte kurz in den Gang, kehrt zurück und schloss die Tür ab.

„In Ordnung, die Luft ist rein!“

„Jetzt muss alles in Windeseile geschehen, Schwestern. Hier ist frische Kleidung, sucht euch schnell etwas aus und zieht euch rasch um. Verstaut eure Kerkerkleidung in diese Säcke, nehmt sie mit und entsorgt sie draußen so schnell es geht.“ Lautete Madleens Anweisung.

 

Die drei gehorchten und zogen sich in aller Eile um.

 

„Wie geht es euch? Glaubt ihr, dass ihr genug Kräfte aufwenden könnt, um die Flucht durchzustehen?“ Wollte Madleen wissen. Eine sehr wichtige Frage.

„Nicht gut Madleen! Ich fühle mich total beschissen, die Schmerzen haben zwar etwas nachgelassen, aber wenn ich mich jetzt dieser Belastung aussetze, werde ich sie zu spüren bekommen.“ Bekundete Dagmar. Die anderen beiden stimmte ihr zu.

 

„Wir werden es tun. Wir müssen alle Kräfte aufwenden, die uns geblieben sind. Wir haben keine Wahl.“

 

„Diese Passierscheine werden euch sicheres Geleit gewähren, sie sind mit Cassians persönlicher Unterschrift versehen. Keine Polizei-oder Militärstreife wird sie in Frage stellen.

Und hier auch ausreichend Geld für euch, ihr werdet es brauchen können.“

Madleen teilte alles unter den drei Schwestern auf.

 

„Madleen, du hast jetzt einiges gut bei mir gut, nein bei uns allen. Wir werden dir das nie vergessen.

Ich danke dir von Herzen Schwester.“ Dagmar fiel Madleen um den Hals und küsste diese, die anderen beiden taten es ihr im Anschluss gleich.

„Geht nach Deutschand, nach Köln. Colette und die dortige Exilgemeinde werden euch freudig begrüßen. Dagmar, denke an meine Worte, sage unserer Königin und den Schwestern, das ich folgen werde, schon bald. Sag ihnen, dass ich um Verzeihung bitte für meinen Verrat. Bevor ich komme, muss ich auf meine Weise mit Cassian abrechnen.“

 

„Du kannst dich auf mich verlassen. Ich werde alles berichten, so wie du es dir wünschst.“ Bestätigte Dagmar.

„Los, nun muss alles schnell über die Bühne gehen. Noch mal kurz alles durchdenken. Ich werde euch durch einen geheimen Gang nach draußen geleiten. Nur Cassian und seine engsten Gefolgsleute kennen diesen und ich natürlich. Ich habe ihm dieses Geheimnis erst vor kurzem entlockt. War nicht ganz einfach, aber es hat funktioniert. Dagmar, du bist eine ausgezeichnete Autofahrerin, hier ist der Schlüssel zu meiner Limousine, die parkt direkt vor der Tür und ist voll getankt. Ihr werdet damit eine Weile fahren, bis ihr die Stadt hinter euch gelassen habt. Dann müsst ihr euch leider allein weiter durchschlagen.“ Lautete Madleens präzise Anweisung.

 

„Ich werde es tun Madleen.“ Gab Dagmar zu Antwort.

Dann betraten alle Beteiligten den langen Gang und schritten dem Ausgang entgegen.

„Ich werde bis zum Morgengrauen warten, dann muss ich Alarm schlagen, um nicht selbst in Verdacht zu geraten. Bis dahin müsst ihr schon außer Reichweites sein.“

Schnelle Verabschiedung, ein letzter Kuss, dann setzen sich die 3 Befreiten in Bewegung. Madleen und Larissa sahen ihnen lange Zeit nach, bevor sie sich schnellstens auf den Weg in die oberen Stockwerke der Burg machten.

 

Oben angekommen begann das lange Warten, das beiden wie eine halbe Ewigkeit erschien.

Sie versuchten sich so gut es eben ging die Zeit zu vertreiben, doch das gelang ihnen nicht so recht. Den Fernseher einschalten und den Propagandafunk über sich ergehen lassen. Beide lauschten gespannt, ob es neue Nachrichten gab. Doch nichts, nichts als die altbekannten platten Atitüten über den großen wunderbaren Führer Cassian und seine Gefolgschaft die sich Tag um Tag vergrößerte.

Die Flucht der Schwestern war noch kein Thema.

 

Schließlich nach Stunden der Unruhe glaubte Madleen den Zeitpunkt für gekommen Alarm zu schlagen. Die Schwestern hatten in der Zwischenzeit mit Sicherheit eine gehörige Strecke zurückgelegt.

„So Larissa, es ist Zeit, wir müssen jetzt Alarm geben.“

Sie begann die ganze Wohnung zu verwüsten. Warf Stühle um rollte Teppiche auf, klopfte sogar die Scheibe eines wertvollen Stubenschrankes ein, dass es nur so schepperte.

„Warum tust du das?“ Versuchte Larissa in Erfahrung zu bringen.

„Was für eine Frage? Es muss echt aussehen. So als habe sich hier ein richtiger Kampf ereignet, an dessen Ende die Gefangene geflohen sind.“ Erklärte Madleen, während sie weiterhin wie ein Sturmwind durch die Wohnung fegte.

 

„Es ist zu unser beider Sicherheit, Larissa. Wir dürfen keinen Fehler machen.“

„So nun reicht es aber Madleen. Ich denke ich werde jetzt nach den Wachen rufen.“ Larissa begab sich zur Wohnungstür.

„Halt!“ Rief Madleen hinter ihr her.

„Ein Kleinigkeit noch! Mir ist angst und bange, aber es muss sein. Schlag mich nieder!“

„Ich soll waaaaas?“ Entsetzte sich Larissa.

„Du sollst mich niederschlagen! Hier nimm diesen Stab, Cassians Marschallsstab, ich habe ein dickes Tuch darum gebunden, das dämpft.“

 

„Bist du von Sinnen? Ich glaube es nicht. Nie im Leben schlage ich den Menschen, den ich über alles liebe. Das kommt ganz und gar nicht in Frage.“ Lehnte Larissa mit Entschiedenheit ab.

„Du musst, sonst schöpfen die am Ende doch noch Verdacht. Wir werden es beide büßen müssen. Willst du das riskieren?“

„Aber was ist wenn ich dich an der falschen Stelle treffe, ich habe keine Erfahrung in solchen  Dingen. Wenn du eine ernsthafte Verletzung davonträgst? Nein niemals! Ich tue das nicht. Schlage dir das aus dem Kopf. Ich….ich h…hole .jetzt….die…die Wa…wache.“ Begann Larissa wieder zu stottern.

 

Madleen hinderte die Geliebte am Weitergehen.

„Du musst es tun! Versteh doch! Es ist die einzige Möglichkeit uns zu retten.“

„Nein! Niemals!“ Larissa begann heftig zu weinen.

„Bitte, bitte tue es! Ich flehe dich an!“ Madleen drückte ihr den Stab in die Hand.

Los schlag zu tue es!“ Schrie Madleen aus lauter Kehle.

„Jaaaaaaaa!!!!!

Larissa schloss die Augen und holte aus. Ein Sturzbach bitterer Tränen entlud sich aus ihren Augen.

 

Madleen ging zu Boden. Gerade noch rechtzeitig konnte die Geliebte verhindern, dass ihre Traumfrau auf dem Boden aufschlug.

„Oh Gott! Was …ha…habe .ich…getan? Madleen, meine Liebste, mein ein und alles.

Geistesgegenwärtig rannte sie schließlich zur Tür und rief wie eine Besessene nach den Wachen.

Die waren auch umgehend zur Stelle, fanden die bewusstlose Diktatorenbraut und eine völlig verwirrte Larissa, die kaum imstande schien zu sprechen.

 

„Was geht hier vor?“ Schrie der wachhabende Offizier und schüttelte Larissa dabei aus ganzer Kraft.

„Sie…sie…. Sie …sie…sie ha…haben sie…nieder…geschlagen und sind ge…flohen. Oh Gott ….Mad….leeen…. meine…Kaiserin…“

Von der Aufregung völlig überwältig brach schließlich auch Larissa ohnmächtig zusammen.

 

Madleen erholte sich in den Folgetagen relativ schnell von dem Schlag, den ihr Larissa verpasst hatte, Cassian war Tags darauf zurückgekehrt und hatte das vorgefallene mit versteinerter Miene zur Kenntnis genommen. Zweifel taten sich in ihm auf. Er schien seiner Braut von Tag zu Tag mehr zu misstrauen. Doch ließ er nichts davon erkennen.

Die herbeigerufenen Ärzte untersuchten Madleen genau. Nun offenbarte sich auch das Geheimnis ihrer Schwangerschaft.

Die Tatsache, dass Madleen ihn von ihrem Umstand nicht in Kenntnis gesetzt hatte, wurmte Cassian am meisten. Sie versuchte ihn davon zu überzeugen, dass sie ihn damit am Tag nach der Hochzeit überraschen wollte und es deshalb bisher vorgezogen hatte noch zu schweigen.

 

Doch das schien den misstrauischen Diktator nicht sehr zu überzeugen.

Lange konnte sie ihn nicht mehr hinhalten. Aus diesem Grund betete Madleen, dass die Tage bis zur Krönungshochzeit schnell vergingen, damit sie es endlich hinter sich bringen konnte.

 

 

Larissa war durch diese Aktion in den Focus seiner Aufmerksamkeit gelangt, doch es sollte ihr Schaden nicht sein, vorerst zumindest. Cassian belobigte sie überschwänglich und sie durfte als Lohn nun ständig im Haushalt ein und ausgehen, ganz offiziell. Sie konnte Madleen besuchen, wann immer sie wollte. Cassians Spürsinn durchschaute sogleich in welcher Beziehung sie zu seiner Braut stand. Zum Glück war sie eine Frau. Der Diktator hatte wenig Probleme mit einer weiblichen Geliebten. Ein Mann als Nebenbuhler wäre hingegen des Todes.

 

Larissa fungierte jetzt als Tessas Kindermädchen. Das fanden beide toll, denn sie mochten sich inzwischen sehr.

Die beiden hielten sich vor allem auf dem Gelände der Abtei auf, jenem Ort den Cassian schon seit langem nicht mehr betreten hatte.

Am Tag nach dem Anschlag auf das Büro der Patrioten hatte Cassian Madleens Bitte  zugestimmt, dass sie sich gemeinsam mit Tessa wieder auf dem sicheren Gelände der Abtei aufhalten durfte.

 

Insgeheim hatte Larissa eine weitere Aufgabe übernommen. Schon vor einigen Tagen hatten Offiziere, die sich zu einer Verschwörergruppe gegen Cassian zusammengefunden hatten, Kontakt zu ihr gesucht, da auch sie durch intensive Nachforschungen hinter das Geheimnis ihrer Beziehung zu Cassians Braut gekommen waren. Die Tatsache, dass Madleen dem Anschein nach ihre Traumhochzeit nutzen wollte, um Cassian bis auf die Knochen zu blamieren, kam der Verschwörergruppe sehr gelegen. Erhöhte doch auch dieser Umstand, wie schon die spektakuläre Gefangenbefreiung, die Erfolgschancen, den Diktator rasch zu entmachten, ganz erheblich.

Über Larissa boten die Verschwörer Madleen Hilfe an, vor allem was eine eventuelle Flucht ins Ausland betraf.

 

Von den entflohenen Gefangenen fehlte indes jede Spur. Überall im ganzen Land wurde nach ihnen gefahndet. Vergebens! Madleen dankte für diesen Umstand. Sie hoffte dass sie inzwischen sicher über die Grenze entkommen waren.

 

Die Aktion schien, nach dem derzeitigen Stand der Dinge, ein voller Erfolg. Die Bevölkerung wurde darüber vorerst nicht in Kenntnis gesetzt. Das brachte es aber mit sich das die Wut über

die Behandlung der Gefangene weiter anschwoll und zu eskalieren drohte. Schließlich sah sich Cassian gezwungen die Flucht zu offenbaren, um Druck auszugleichen. Eine Woge der Erleichterung ging durch die Reihen des melancholanischen Volkes. Dagmar war nun umso mehr ihre Heldin des Widerstandes.

Der Diktator beantwortete diesen Umstand, indem er die Repression weiter verstärkte. Jede Sympathiebekundung mit Dagmar oder ihren Mitgeflohenen wurde umgehend mit dem Standrecht beantwortet.

 

„Ich hätte nie gedacht, dass du so einen harten Schlag hast meine kleine Maus. Aber es geht heute wieder ganz gut. Nach drei Tagen im Bett möchte ich mit dir endlich wieder einen Tag gemeinsam verbringen.“ Begrüßte Madleen die Geliebte an diesem Morgen in den inzwischen wieder vollständig hergerichteten Gemächern der Ordensburg.

„Das sagst du mir nun schon das dritte Mal, immer wenn ich bei dir erscheine. Damit spaßt man nicht, du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich darunter gelitten habe. Ich habe den liebsten Menschen angegriffen, der mir je im Leben begegnet ist. Zudem habe ich eine werdende Mutter niedergeschlagen. Was ist, wenn das Kind Schaden davongetragen hat.“ Entgegnete Larissa voller Sorge in der Stimme.

 

„ Alles in Ordnung! Mach dir keine Gedanken. Die Ärzte haben mir versichert, dass das Kind davon nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde. Versuchte Madleen zu beruhigen.

„Wollen wir es hoffen! Ich würde mir das nie verzeihen!“

 

„Naja, wir haben`s überstanden! Ach, ich bin so froh endlich wieder nach Anarchonopolis zu kommen. Die Tage hier kamen mir wie eine Ewigkeit vor.“ Gab Madleen zu verstehen, während sie sich langsam von ihrem Lager erhob.

„Was macht Tessa?“

„Na, die ist zu dieser Zeit in der Schule. Mittag wird sie zurück sein, das weißt du doch.“

Erwiderte Larissa und half der Geliebten beim Aufstehen.

 

„Entschuldige! Bin immer noch ein wenig durcheinander. Der Schlag hat mich dem Anschein nach etwas in meiner Wahrnehmung getrübt.“

„Madleen hör auf, du machst mich….ganz…ganz ner…vös, wenn du so sprichst!“ Stotterte Larissa

„Natürlich! Reden wir nicht mehr drüber. Ist sowieso etwas gefährlich, in dieser Umgebung. Erst mal weg von hier, zur Abtei. Steht der Wagen schon bereit?“

„Alles fix und fertig, wartet nur noch auf die zukünftige Kaiserin.“ Antwortete Larissa und hielt Madleen die Jacke hin.

„Also dann auf! Cassian ist wieder unterwegs. Schon am Morgen aufgebrochen. Mal sehen wo es diesmal einen Aufstand zu schlagen gibt.“

 

Beide schritten durch den Flur, diesmal gemächlichen Schrittes, denn noch bestand kein Grund zur Eile. Dann ging es in den Aufzug und nach unten.

 

Der Chauffeur erwartet sie schon, öffnete die Tür. Ließ die beiden einsteigen, dann rollte die Staatskarosse ihrem Ziel entgegen.

Schweigend oder mit dem Austausch von Belanglosigkeiten, etwa über das Wetter oder ähnliches verbrachten sie die kurze Fahrt. Sie mussten auf der Hut sein, jeder Bedienstete konnte ein Spitzel sein. Cassians Misstrauen steigerte sich von Tag zu Tag.

 

Endlich auf dem Gelände der Abtei angekommen entsteigen sie dem Wagen und waren frei. Frei auch auszusprechen, was sie bewegte. Und da gab es viel zu bereden. Die nächste Fluchtaktion stand schon ins Haus. Diesmal ging es um ihre eigene.

 

„Ja, der Tag der Entscheidung ist nahe. Wir können ihr nicht mehr ausweichen. Nächsten Samstag ist es so weit. Meine Traumhochzeit mit dem Traumgatten. Das sind noch genau 8 Tage. Die Vorbereitung läuft. Ich habe alles genau durchdacht. Das wird noch schwieriger als die Gefangenenbefreiung. Alles kommt auf das Überraschungsmoment an.“ Sprach Madleen, während beide daran gingen sich wieder im Garten zu betätigen.

Larissa behagte dieses Gespräch nicht. Sie hatte noch immer keine Entscheidung getroffen, was ihre eigene mögliche Flucht anging.

 

„Ich habe Angst Madleen, große Angst vor dem was da auf uns zukommt.“ Gestand Larissa offen.

Madleen legte den Rechen beiseite und nahm die Geliebte zärtlich in die Arme.

„Ich weiß, es wird nicht einfach. Ich kann dich gut verstehen. Aber ich habe wirklich alles durchdacht. Es kann im Prinzip nichts schief gehen. Die angespannte Lage in der Bevölkerung kommt uns dabei sehr entgegen. Das Angebot dieser militärischen Verschwörung verleiht dem Ganzen nochmal eine zusätzliche sichere Note “

 

„Ich ….ich vertraue dir ,Madleen.“

„Na siehst du, dann wäre doch alles in Ordnung.“

„Ich fürchte mich weitaus wenige vor der Flucht, als vor dem was danach kommen könnte, wenn du Elena wiederbegegnest.“ Sprach Larissa wieder das heikle Thema an.

„Und ich kann immer wieder nur betonen, dass deine Ängste in dieser Hinsicht unbegründet sind.

Ich liebe Elena und ich liebe dich. Ich werde beides unter einen Hut bringen.

Mach dir deshalb keine Gedanken. Das Leben in Anarchonoppolis wird die sehr gefallen, wenn du dich auch an so manches gewöhnen musst das dir am Anfang wie ein Anachronismus erscheinen wird.

Polyamory ist eine Herausforderung, aber sie ist lebbbar.  Ein Leben zu dritt? Ich kann es mir vorstellen und ich wünsche es mir. Auch du wirst dich mit Elena ausgezeichnet verstehen.“

 

„Ich…ich hoffe es. Aber ganz lassen sich die Zweifel nicht eben doch nicht ausräumen. Ich habe Angst, dass es mir wehtut, wenn ich dich mit Elena zusammen sehe Angst mich zu fühlen wie das fünfte Rad am Wagen.“ Larissa senkte nur den Kopf.

„Schluss jetzt ,mit diesen negativen Gedanken.“ Madleen schloss Larissa in die Arme und drückte sie ganz fest an sich.

„Diese Nacht gehört uns! Ich werde erneut beweisen, wie ernst ich es mit dir meine.“

           

 

Die Tage vor der Hochzeit vergingen wie im Flug. Der betreffende Samstag präsentierte sich als schöner, sonniger Spätsommertag, warm aber nicht heiß, trocken und ein leichtes Lüftchen fächelte angenehme Kühlung zu.

 

Die Braut des Tages hatte sich frühzeitig erhoben, um gefasst und konzentriert in den Tag zu gehen. Tessa hatte sie Larissas Obhut übergeben. Die warteten in der Abtei und sollten später dazu stoßen.

Ihr Fluchtgepäck hatte Madleen in den Räumen der Basilika verstaut, die war leicht zu erreichen, Die Militäreinheit, die zu Unterstützung der Flucht eingeteilt war, würde sie sicher dorthin geleiten und die weitere Flucht gestalten.

Alles musste aber in Windeseile vonstattengehen, jede Minute würde ins Gewicht fallen.

 

Madleen betrat das große Wohnzimmer, dass als Ankleideraum hergerichtet wurde und wo inzwischen einige weibliche Bedienstete auf sie warteten und sich bei ihrem Erscheinen ehrfurchtsvoll verneigten.

Ihre Bekleidung harrte seiner Bestimmung.

Madleen betrachtete diese missmutig und lustlos, so dass es schon fast aufzufallen drohte.

So viel Geld investiert für einen Auftritt, der gerade einmal ein paar Stunden in Anspruch nehmen sollte

 

Das Hochzeitskleid war eine Spezialanfertigung eines der bedeutendsten Modedesigner der Welt und hatte wie nicht anders zu erwarten ein Vermögen gekostet.

Es war genau auf Madleens Maße abgestimmt.**

Das langärmelige bodenlange Kleid bestand aus einem langen weiten Rock, der an eine eng anliegende trägerlose Corsage mit herzförmigen Ausschnitt angesetzt war, beides aus Satin gefertigt, über der Corsage lag ein ebenfalls eng anliegendes, fest mit Rock verbundenes Oberteil das aus durchscheinenden Stoff mit Spitzenapplikationen gearbeitet war, mit langen Ärmeln und V-Ausschnitt                  

 

Der Hauptteil des Kleides war aus elfenbeinfarbenen und weißen Seiden-Gazar genäht.

Die dazugehörige Schleppe maß 2,70m

 

Der lange und weite Rock stellte das Abbild einer sich öffnenden Blume dar, gestaltet mit weiten Falten, die sich nach unten hin öffneten.

Auf einen Schleier verzichtete Madleen ganz bewusst. Lediglich ein goldenes ,mit zahlreichen Brillanten geschmücktes Diadem zierte ihren Kopf.

Ihr langes schwarz-gelocktes Haar würde sie offen tragen, darauf hatte sie bestanden. Nichts konnte sie dazu bewegen es nach oben stecken zu lassen.

Ihr Haar selbstverständlich von einem exzellenten Hairstylisten frisiert, der eigens dafür aus Frankreich eingeflogen wurde.

Ihren Hals schmückte ein besonders hochwertiges Fope Panorama Collier, vollständig aus 750ger Weißgold gefertigt und mit Brillanten versetzt.

 

Ferner gehörten noch elegante 30mm lange fingerlose weiße  Brauthandschuhe  dazu, die ihr bis in die Armbeugen reichten.

Die Schuhe waren ebenfalls von edelstem Design.

Es handelte sich um Pumps, die in Italien aus Satin gefertigt wurden in einem hellen beigerosaton und mit Kristall besetzter Verzierung in Form einer Schleife vollendet.

Die seitlichen Cut-outs führten zu einer Fersenpartie, durch die ein elastischer Riemen gefädelt wurde und einem 105 mm hohen Stillettoabsatz.

 

Diesen Plunder würde sie in wenigen Augenblicken auf ihrem Leibe tragen, sie ein einfaches Mädchen vom Lande, dass sie stets zu bleiben gedachte.

Ein Gedankensprung versetzte sie zurück in jene glücklichen Tage ihrer Hochzeit mit Elena.

Welche ein Unterschied, welch ein Gefälle.

Damals als sie bekleidet in ein einfaches rosafarbenes Kleid aus Leinen, barfuß durch das feuchte Moos und das vom Tau getränkte Laub auf dem tags zuvor errichteten Altar zustrebte, wo ihr Elena, ebenfalls barfuß und mit einem leuchtend-grünen Leinenkleid entgegenschritt.

 

Dort wo sie an einem ungewöhnlich warmen Aprilmorgen unter freien Himmel von der erwachenden Natur umgeben, dem zauberhaften Schimmer der tausendfach blühenden Kirschblüten als natürliche Bedachung, ihr selbst entworfenes Hochzeitsritual zelebrierten und sich für die Ewigkeit aneinander banden.***

Das anschließende Fest, mit ausgelassenem Tanz und Spiel bis weit in den Morgen des folgenden Tages.

 

Eine Träne stahl sich unbemerkt aus ihrem Auge. All das sollte der Vergangenheit angehören?

Niemals!

Bald bist du frei Madleen, bald bist du wieder nur du und dir selbst gegenüber verpflichtet, raunte ihr die innere Stimme zu. Das gab ihr Kraft den nun folgenden Momenten in aller Stärke zu ertragen.

„Nun denn lasst uns beginnen. Lasst uns schreiten in den Tag, an dessen Ende ich als Kaiserin über Melancholanien gebieten werde, für immer, für ewig und mich der Historie empfehle.“ Sprach Madleen pathetisch den Anwesenden Dienerinnen zugewandt

Sie streckte die Arme weit nach oben aus.

„Ans Werk, beginnt mit der Maskerade.“

Die Dienerinnen kamen der Aufforderung umgehend nach, sich dabei ihren Reim darauf  machend. Die Gedanken sind bekanntlich frei, wie es in einem schönen alten deutschen Volklied heißt.

 

Sieht so die Reaktion einer Frau am Tage ihrer Traumhochzeit aus?  Reagiert so eine Frau, die am Ende des Tages als  Kaiserin regieren wird?

 

Schon in den letzten Tagen war eine wichtige Entscheidung gefallen. Wer würde als Brautführer fungieren? Madleens Vater Thorwald war tot, einen anderen männlichen Verwandten hatte man nicht aufspüren können. Wer also konnte diese für eine echte patriarchale Eheschließung wichtige Funktion übernehmen?

 

Die Entscheidung fiel auf Engelbert, den knochigen, schon etwas tatterigen, aber nach wie vor stets in der Öffentlichkeit präsenten Ehrenpräsidenten des Blauen Orden.

Schneeweißes glattes, volles Haar, einen ebenso farbigen Spitzbart und goldumrahmte Brille, stützte sich der betagte Honoratior auf einen Stock aus edlem schwarzem Holz, verzierte mit Silbergriff.

Natürlich in Uniform gekleidet. Er stand im zweifelhaften Ruhm, sich dereinst als Cassians Mentor einen Namen gemacht zu haben.

 

Der Alte erschien zum vereinbarten Zeitpunkt in den Gemächern um Madleen abzuholen.und hielt ihr den rechten Arm entgegen. Die Braut warf einen letzten Blick in den großen Wandspiegel.

Dann hakte sie sich bei Engelbert unter und schritt in aller Grazie aus den Gemächern, die Treppe hinab. Alles in Zeitlupe, weder der alternde Engelbert, noch Madleens einengende Kleidung ließen eine schnellere Gangart zu.

 

Gefolgt wurden sie von etwa zwei Dutzend der schönsten jungen Frauen des Landes, Vertreterinnen der superreichen Oberschicht, die als Brautjungfern ihren Dienst versahen. Ob sie wirklich noch Jungfrauen waren bezweifelte Madleen erheblich.

Ihnen voraus gingen schmuck gekleidet, kleine Mädchen, die Blüten erlesener wertvoller Blumen auf den Boden streuend, über die die Braut zu schreiten hatte.

 

In der großen Eingangshalle der Burg angekommen wurde das ganze Gefolge in einer Flut aus Blitzlichtern gebadet. Es flackerte und glimmerte von allen Seiten, gleichsam als entluden sich fünfe heftige Gewitter auf einmal.

Fernseh -und Pressefotografen aus dem In-und Ausland hatten sich eingefunden, um die Bilder dieses Großereignisses in alle Welt zu senden.

 

Sie durschritten schließlich die von einem dutzend Marmorsäulen gesäumte Eingangspforte und schritten die Treppe bis zum Vorplatz hinab.

Dort hatte bereits die achtspännige offene Hochzeitskutsche Stellung bezogen. Gefertigt aus schwarzglänzendem Mahagoniholz eigens für diesen Tag.

Es war ausgesprochen riskant in einer offenen Kutsche zu fahren, doch Cassian hatte darauf bestanden. Madleen würde wohl als Zielscheibe ohnehin nicht in Frage kommen.

 

Tessa, die gemeinsam mit Larissa am Rand gewartet hatte löste sich von deren Hand und lief auf die Kutsche zu. Madleen öffnete die bereits geschlossene Tür und holte das Mädchen zu sich.

Ein hoher Offizier signalisierte Abfahrbereitschaft und schon setzte sich der Tross in Bewegung.

Die Straßen waren mit Menschen gesäumt, alle erhofften einen Blick auf die wunderschöne Braut in der Kutsche zu erhaschen, Neid und Mitleid hielten sich dabei die Waage.

Vereinzelnd wurden Hochrufe hörbar, vor allem auf die Braut. Das es da ganz nebenbei auch noch einen Bräutigam gab schien die Menge vergessen.

 

Doch kaum hatten sie die extrem gesicherte Umfriedung der Ordensburg verlassen und bogen auf die Breite Straße ein, jene Hauptgeschäftsstraße die direkt auf die Kathedrale führte, konnte man die Spannung förmlich knistern hören. Schon bald begann sich die angestaute Wut in einzelnen Scharmützeln zu entladen. Die reichlich versammelten und schwer bewaffneten Sicherheitskräfte begann ihr Werk.

 

„Hoch Madleen!“ Konnte man wieder vernehmen. Das wurde selbstverständlich von den Ordnungshütern akzeptiert. Doch als die ersten ein Hoch auf Elena anstimmten kippte die Stimmung. Hoch Dagmar, Hoch Colette folgten auf dem Fuße. „Lang lebe Akratasien!“ Nun war Schluss mit lustig.

Es setzte eine fürchterliche Prügelorgie ein. Die Sicherheitsleute schlugen wahllos in die Menge, machten selbst vor Frauen, kleinen Kindern und Greisen keinen Halt.

 

Die ersten Akratasieschen Fahnen wurden geschwenkt. Rosa-Grün diagonal, oder sogar die Dagmar-Kreation, Schwarz-Rosa-Grün längsgestreift.

 

Menschen wurden zu Boden getrappelt, auf die am Boden liegenden wurde erbarmungslos eingedroschen, selbst wenn sie sich durch deutliche Handbewegungen zu ergeben schienen.

„Hört auf damit! Sofort aufhören! Sieht so etwa mein Hochzeitszug aus!“ Schrie Madleen, nachdem sie sich in der Kutsche aufgerichtet hatte.

 

„Ihr Bestien, auf Wehrlose einschlagen, da fühlt ihr euch stark! Aufhören! Ich verbiete es!“

Der alte Engelbert zog sie auf den Sitz zurück.

„Um Himmelswillen Majestät! Wir müssen vorsichtig sein. Cassian hat mir eure Sicherheit anvertraut. Es war ein großer Fehler in der offenen Kutsche zu fahren. Ich habe ihn von Anfang an gewarnt.“ Zeterte der Alte wie ein Waschweib.

„Tessa bleib unten. Du darfst dich auf keinen Fall aus der Kutsche beugen! Hast du verstanden!“

Das Mädchen signalisierte Kopf nickend sein Verständnis.

 

„Wenn die Prügelei nicht umgehend ein Ende hat, wird es keine Hochzeit geben. Hast du verstanden. Teile das deinem Herrn und Meister und ehemaligen Schüler mit, auf der Stelle.“

Gab Madleen wutentbrannt zu verstehen.

„Aber Majestät, das ist unmöglich! Ein Eklat von gigantischem Ausmaß. Wir…wir sind gleich da. Seht ihr da ist doch schon der Ort der Zeremonie“ Entgegnete Engelbert und wies auf die sich immer deutlicher nähernde Kirche. Im Anschluss hielt er die Hand nach oben und spielte den Grüßaugust, ganz so als sei er der Bräutigam.

 

Madleen wollte etwas erwidern, doch in dem Moment wurde ein Mann mit einer stark blutenden Kopfwunde gegen die Kutschentür geschleudert.

Tessa schrie total verschreckt auf Madleen hielt die Hand vor dem Mund um ihr entsetzen zu verbergen.

 

„Oh mein Herz, ohhhh. Da sind Zumutungen für eine alten Krieger.“ Jammerte Engelbert.

„Ein prächtiger Geleitschutz seid ihr! Danke vielmals, Tessa ist da bedeutend tapferer. Komm her meine Gute.“ Madleen nahm die Ziehtochter auf ihren Schoß.

„O, bedenkt, ihr dürft das Kleid nicht beschmutzen, Majestät.“

„Ach halt den Mund!“

 

Endlich waren sie auf dem Vorplatz der Kathedrale angelangt, für Besucher weitgehend abgeriegelt. Eine Ehrenwache hatte Stellung bezogen. Die Kutsche kam zum Halten und wenig später öffnete sich die Tür. Engelbert humpelte nach draußen und hielt Madleen augenblicklich den Arm entgegen. Die hakte sich unter und entstieg dem antiken Gefährt. Tessa hüpfte vergnügt einfach hinterher. Larissa bahnte sich ihren weg durch die Absperrung, der Passierschein machte es möglich.

„Komm ich nehm sie dir wieder ab. Bis später dann.“

„Ja bis später mein…“ Liebling wollte sie noch hinzufügen, doch besann sie sich in letzter Sekunde, dass es im Moment kein günstiger Augenblick dafür sei.

 

Die Abordnung schritt nun dem Eingangsportal der Kathedrale entgegen, gesäumt von Soldaten in ihren Paradeuniformen und aufgepflanzten Bajonetten auf den Gewehrläufen. Die Blumenmädchen streuten fleißig weiter ihre Pracht auf den Boden aus geschliffenen Kopfstein.

Schließlich ging es durchs Portal und in diesem dem Moment ertönte die Orgel in voller Lautstärke mit Richard Wagners Hochzeitsmarsch.

Alle Anwesenden im prall gefüllten Kirchenschiff erhoben sich, während Engelbert seine kostbare Ware nach vorne zum Altar dem Bräutigam zuführte.

Der wartete dort bereits, gekleidet in seine beste Galauniform, auch die eigens für diesen Tag geschneidert.

 

Der Diktator ähnelte in dieser Aufmachung stark dem deutschen Reichsmarschall Hermann Göring, aus der Zeit des dritten Reiches. Wenn Cassian auch bei weitem nicht dessen Leibesfülle aufzuweisen hatte.

Madeen schauderte bei dem Anblick.

Am Altar angekommen übergab Engelbert die Braut in die Hände des Bräutigams und trat zur Seite weg.

 

Nun war es soweit, die Zeremonie konnte beginnen. 

Auch Melancholaniens Diktator machte sich nicht viel aus den alteingesessenen Religionen, er hatte schon lange seine eigene kreiert. Als Pate dafür stand ebenfalls eine Person der NS-Zeit, Heinrich Himmler. Eine Religion der Starken. Reichen und Mächtigen, in der Schwache und all jene die sich in diese Kategorie einfügen mussten keinen Platz hatten.

Doch bei einem solch feierlichen Anlass besann sich Cassian seiner Wurzeln und hatte eigens einen katholischen Erzbischof bestellt.

Der hielt erst einmal eine kurze pathetische Rede der Begrüßung,

Dann wurden die Kronen herbeigeschafft und der Menge unter lauten Jubel präsentiert. Natürlich Spezialanfertigungen. Cassians Krone bewies einmal mehr wie sehr ihn seine Gigantomanie schon den Sinn für jegliche Wirklichkeit geraubt hatte, sie glich einer mittelalterlichen Tiara. So wie sie die Päpste in früheren Zeiten zu tragen pflegten.

 

Die Katholische Kirche hatte zunächst dagegen protestiert, doch zum Schluss eingelenkt, nachdem einige kleine, kaum wahrnehmbare Korrekturen daran vorgenommen wurden.

Madleens Krone war entsprechen kleiner, in der Form aber fast identisch.

Madleens Puls raste. Nun ging kein Weg daran vorbei, sie musste handeln, wollte dieser Farce so bald als möglich ein Ende bereiten.

Die Eheschließung durfte auf keinen Fall vollzogen werden. Sie war noch immer mit Elena verheiratet, daran fühlte sie sich gebunden, ein Leben lang, wollte sie ihr und nur ihr die Treue halten. 

 

Der Ritus der Trauung begann mit den einleitenden Worten. Nachdem Cassian sein Ja-Wort laut und deutlich verkündet hatte war es an Madleen, es ihm gleichzutun.

Mit freundlicher Geste wandte sich der Bischof an die Braut.

„Willst du Madleen, den hier anwesenden Cassian zu deinem Ehemann nehmen, ihn lieben und ehren, in guten und in schlechten Tagen, bis das der Tod euch scheidet.“

Die entscheidende Frage. Nun gab es kein Entrinnen mehr. Madleen sammelte alle Kräfte.

„NEIN! NIEMALS! Unter keinen Umständen werde ich deine Frau!“

Eisige Stille senkte sich herab. Kein Laut war zu hören, man hätte eine Stecknadel zu Boden fallen hören können. Der Schock ging durch alle Reihen und erreichte auch noch die letzten, die sich stehend am Eingang drängten.

 

Die so eben gesprochenen Worte waren so unwirklich, so unwahrscheinlich, dass sie gar nicht ausgesprochen waren. Doch , sie waren es und nach den Schocksekunden breitete sich ein Raunen des Entsetzens durch die Reihen.

„Ähmm….ähmmm… wie kann ich das verstehen…“ Stammelte der Bischof voller Unglauben.

„So wie ich es gesagt habe!“ Antwortete Madleen, dann bäumte sich alles in ihr auf und sie überschüttete Cassian mit einem Shitstrom ohne gleichen.

 

„Du Ungeheuer, die Teufel, ich werde mich dir nie wieder beugen. Ich hasse dich mit jeder Faser meines Lebens, doch viel mehr hasse ich mich selbst, dass ich jemals auf dich hereingefallen bin.

Sie griff nach seiner Krone, die in erreichbarer Nähe aufgestellt war und hielt sie ihm entgegen.

„Hier hast du deine Krone! Benutze sie als Nachttopf, sauf deine eigene Pisse daraus.“

Sie warf sie mit einem lauten krachen und scheppern zu Boden.

Dann spuckte sie ihm ins Gesicht.

„Das ist ein Zeichen der abgrundtiefen Verachtung:“

Dann holte sie aus und verpasst ihm eine schallende Ohrfeige.

„Für das was du Dagmar und den andern angetan hast!“

 

Sie drehte sich um, den Blick auf die Versammelten gerichtet, die noch immer wie versteinert in den Bänken verharrten.

Madleen reckte die Arme nach oben.

„Ich trage die schönste und edelste Krone, die es gibt. Die Krone der Freiheit, die Krone der Selbstachtung, die Krone der Liebe. Ich habe sie dereinst verspielt, nun trachte ich danach sie wieder zu erlangen.“

Madleen rannte los, die Schleppe flatterte in langen Wellen hinter ihr.

„Elena, ich komme! Ich komme! Ich komme! Ich komme zurück zu dir!“

 

Schließlich hatte sie das Portal hinter sich. Draußen reckte sie erneut die Arme weit nach oben.

„Ich bin hindurch! Ich bin hindurch!****

 

Dann verlief alles wie im Zeitraffer.

Zwei Offiziere rannte auf sie zu, nahmen sie in die Mitte und machte sich mit ihr davon, bestiegen einen großen geräumigen Armeejeep und setzen zur Fahrt an.

„Larissa!!!.Tessa!!! Oh, wie glücklich bin ich euch wiederzusehen Aber was um Himmelswillen hat das zu bedeuten?“ Rief Madleen aus.

„Keine Sorge Madleen, es sind Leute von der Untergrundgruppe der oppositionellen Streitkräfte, die Cassian schon bald zum Teufel jagen wollen. Vorher wollen sie dir und Tessa zur Flucht verhelfen.

 

Das Auto raste in voller Geschwindigkeit bergauf, auf das Plateau. auf dessen Rücken die Abtei thronte

Dort wurden sie schon von weiteren Verschwörern in Empfang genommen.

„Ich … ich muss mich umziehen, so schnell es geht. So kann ich doch unmöglich fliehen. Weg mit diesem Zeug.“ Madleen begann sich das mondäne Hochzeitskleid vom Leib zu reißen.

Dann zog sie sich die Khakifarbene Out-Door-Kleidung über.

Schnell war das wenige Gepäck, dass sie für die Flucht bereitet hatte, herbeigeholt.

 

Ein Offizier erschien.

„ Wir wären dann soweit, wir können wenn ihr wollt starten.“

„Wo…wo ist Tessa?“ Erkundigte ich Madleen mit sorgenvollen Blicken.

„Hier ist sie, wir haben die ganze Zeit auf sie aufgepasst.“ Ein Soldat führte die Kleine zu Madleen, dann wurde das Auto bereitgefahren.

Gerade als Madleen im Begriff war darauf zu zugehen, peitschten Schüsse über das Gelände.

Eine Schwadron des Blauen Ordens hatte das Feuer auf die versammelten Soldaten eröffnet.

 

„Ein Hinterhalt! Schnell das Auto um die Kurve, damit es nicht getroffen wird!“ Befahl der Offizier.

„Madleen und Tessa, schnell in das Konventgebäude, dort zunächst verweilen, bis wir die Situation unter Kontrolle gebracht haben.“

„Larissa! Wo steckst du?“ Rief Madleen voller Verzweiflung.

„Ich bin hier!“

Von einigen Soldaten begleitet rannten sie durch zur Pforte bis sie die schützenden Mauern

um sich hatten.

Draußen begann eine fürchterliche Schießerei.

 

Nach einer Weile drangen die ersten Ordenskrieger in das Gebäude vor. Madleen ,Larissa und Tessa flohen, begleitet von einem halben Dutzend Soldaten durch den Kreuzgang. Das komplizierte Labyrinth kam ihnen jetzt zugute. Doch dann näherten sich Cassians Schergen.

Es wurde immer bedrohlicher, dabei war das Fluchtauto inzwischen gut erreichbar.

„Madleen, jede Sekunde zählt, wenn ihr erst im gepanzerten Wagen seid, kann euch nichts mehr geschehen. Ich werde sie ablenken und aufhalten, mich ihnen ergeben. Bringt nicht viel aber ein klein wenig Zeit gewonnen.“ Schlug Larissa vor.

 

„Bist du wahnsinnig! Die werden sich töten!“

„Nicht wenn ich mich ergebe!“

 

„Nein!!!!! Das lasse ich nicht zu. Wir fliehen gemeinsam oder gar nicht. Du gehörst zu mir!“

„ Nein! Du gehörst zu Elena! Ihr beide seid füreinander bestimmt. Ich habe mich damit abgefunden. Rettet Akratasien! Kämpft Seite an Seite.

Ich werde mich für euch opfern. Bitte nimm mein Opfer an. Du warst die Liebe meines Lebens Madleen. Die Zeit mit dir war die schönste die ich je erlebt habe. Ich werde dich nie vergessen, was auch immer geschieht. Mein Herz bleibt immer bei dir!“

 

„Um Himmelswillen wir müssen hier weg. Los raus hier!“ Mahnte der Offizier, Tessa wurde schon in den Kugelsicheren LKW verstaut.

„Nein! Larissa! Ich lasse dich nicht hier! Das kannst du mir nicht antun. Ich liebe dich! Nie und nimmer darfst du dich für mich opfern“ Schrie Madleen. Der Offizier riss sie nach draußen und ehe sie sich versah befand sie sich im Auto.

„Nein!!!!! Neiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiin!“

Larissa hatte die Tür verschlossen und den Riegel vorgeschoben. Ein kurzes Aufhalten, nicht mehr. Dann erschien sie noch mal am Fenster und hob unter Tränen die Hand zum Abschied.

 

„Leb wohl Madleen! Leb wohl meine Liebe, mein Leben, werde glücklich mit Elena, ich wünsche es euch von Herzen. Ich opfere mich gern für euch und eure Liebe.“

 

Das Auto brauste davon, Madleen erlitt einen Weinkrampf und schluchzte wie ein kleines Mädchen.

Doch die Flucht gelang. Auf der anderen Seite des Berges erreichten sie sicheres Terrain. Noch waren nicht alle verfügbaren Einheiten des Blauen Ordens alarmiert. Bis dies geschah würden Madleen und Tessa außer Reichweite sein.

 

Die Tür öffnete sich und die Verdutzten Ordenskrieger fanden nur Larissa vor.

„Wo sind die anderen?“ Lautet die Frage des Anführers.

„Sie…sie..sind..weg…haben mich hier zu…rück….gelassen. „ Begann Larissa wieder zu stottern.  

„Nun gut! Ab mit ihr! Cassian wird eine ganze Reihe Fragen an dich haben. Wir werden schon erfahren was hier geschehen ist. Alles durchsuchen, das ganze Gelände. Die können doch nicht einfach so verschwinden.“

Larissa wurde abgeführt. Nun war sie dem Diktator auf Gedeih und Verderb ausgeliefert und konnte nur auf dessen Gnade hoffen.

 

Ihr Opfer wäre nicht vonnöten gewesen. Sie hatte sich freiwillig dafür entschieden, da sie die Situation nicht richtig einzuschätzen vermochte.

Sie war ein Mädchen vom Lande, aus einfachen Verhältnissen stammend, die Philosophie der Töchter der Freiheit war für sie ein Buch mit sieben Siegeln.

Die polyamore Welt von Anarchonopolis und die bunte Vielfalt was die dortigen Liebesbeziehungen betraf, war ihr nicht vertraut.

 

Deshalb glaubte sie das es ihr das Herz brechen würde Elena und Madleen bald wieder vereint zu sehen.   Madleen war der erste Mensch in ihrem Leben der ihr wahre Liebe und zärtliche Zuneigung schenkte, gepaart mit tiefer Freundschaft und Anerkennung. Sie liebte Madleen einfach zu sehr und wollte deshalb das Risiko unter keinen Umständen eingehen. Dann doch eher der Tod. Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende.

 

Madleens Flucht verlief unterdessen weitgehend problemlos. Bis zum Abend hatten sie ein gehöriges Stück Weg zurückgelegt. Schließlich passierten sie die Grenze zum Nachbarland Monetanien. Der militärische Begleitschutz musste sich zurückziehen. Madleen und Tessa waren ab diesem Moment auf sich gestellt.

 

Sie quartierten sich in einen gemütlichen rustikalen Landgasthof in den Bergen nahe der Grenze ein. Hier wollte sie zunächst für ein paar Tage verweilen, um sich auf die vor ihnen liegende Reise vorzubereiten. Madleen hatte seelisch einiges zu verarbeiten. Der Verlust Larissas traf sie bis ins Mark, infolgedessen drohte sie in eine Depression zu fallen, ständig musste sie mit den Tränen kämpfen. Welche Gefahr sah sich die zurückgeblieben Geliebte ausgesetzt? Würde Cassian sich an ihr rächen?

 

Wie konnte sie selbst, belastet mit diesem Trauma, zu Elena zurückkehren? Wie würde unter diesen negativen Umständen das lang ersehnte Wiedersehen erfolgen? Sie verspürte plötzlich große Angst vor dem Moment den Schwestern, vor allem natürlich Elena oder auch Colette gegenüberzutreten. Immerhin hatte sie die Gemeinschaft verraten und somit die Krise weitgehend mit verursacht. War Vergebung unter diesen Umständen noch möglich?

Madleen brauchte einfach ein paar Tage, um zu sich selbst zu finden.

Geldreserven hatte sie sich in ausreichendem Maße verschafft, um eine solche Auszeit zu finanzieren.

Einen Erzverbrecher wie Cassian zu beklauen, war für ihr schon fast eine Ehrensache.

 

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** Vorlage für Madleens Brautkleid ist das Hochzeitskleid von Kate Herzogin von Winsor der Gemahlin Prinz Williams von England

 

 

*** Siehe Teil 2 (Anarchonopolis)  Kapitel 27    Die Kirschblütenhochzeit

 

**** Ich bin hindurch! -- Historisch nicht belegbare Aussage von Martin Luther vor dem Reichstag zu Worms im Jahre 1521, nachdem der Reformator sich hartnäckig geweigert hatte vor Kaiser, Fürsten und Geistlichkeit seine Schriften zu widerrufen