Rosen für den Kardinal

Colette war sichtlich überrascht als sie den Brief öffnete, den ihr Betül an den Frühstückstisch gebracht hatte. Um sicher zu gehen, dass sie keiner Täuschung erlegen war, las sie ihn während sie frühstückte immer wieder von neuem durch.

„Und hast du den Inhalt jetzt wirklich verinnerlicht? Es steht noch immer das Gleiche drin, oder? Du hast den Brief eben zum vierten Mal gelesen:“ Wunderte sich Betül, während sie sich einen Kaffee nachschenkte.

„Natürlich! Ich habe ihn verinnerlicht. Ich musste ihn nur mehrfach lesen, um sicher zu stellen, dass ich keiner Sinnestäuschung erlegen bin. Ja, kein Zweifel, es ist eine Einladung des Erzbischofs von Köln zu einem persönlichen Gespräch.“

„Das worauf du so lange gewartet hast? Ist doch positiv. Und wann kannst du deinen Besuch dort abhalten.“ Erkundigte sich Betül.

„Übermorgen schon!“

„Übermorgen? So schnell geht das? Jetzt auf einmal?“

„Ich bin auch total überrascht. Nachdem ich über ein Jahr lang vergeblich darauf gewartet habe und meine Gesuche in dieser Hinsicht stets unbeantwortet blieben, kommt das mehr als überraschend. Gerade jetzt, wo es am wenigsten passt. Wir sind mitten in den Vorbereitungen für die Rückreise. In vier Tagen soll der erste Schub in Richtung Anarchonopolis starten. Eigentlich sind wir damit voll ausgelastet.“ Stöhnte Colette und raufte sich danach die Haare.

„Dann geh doch einfach nicht hin. Jetzt, da wir ohnehin schon bald die Gastfreundschaft des Kardinals nicht mehr in Anspruch nehmen müssen, hat sich die Sache doch erledigt!“ Meinte Betül.

„Nein, nein! Ich will dorthin! Ich muss da hin gehen. Ich kann diese Geste des guten Willens nicht ignorieren.“

„Na gut! Aber dann beschwer dich nicht, wenn es noch hektischer zugeht, dadurch. Wer soll dich dahin begleiten?“

„Na du zum Beispiel. Du bist meine Frau. Das ist doch selbstverständlich. Des Weiteren Elena natürlich, meine Kanzlerin und kleine Schwester. Die sollte auf jeden Fall dabei sein. Pater Liborius ebenso. Der kann als eine Art Vermittler fungieren. Immerhin ist er Diener der katholischen Kirche, bzw. war er es zumindest die längste Zeit seines Lebens. Wer noch? Lass mich überlegen. Nicht all zuviel. Noch zwei oder drei. Androgyna?“

„Wenn du meinst! Dann nimm sie mit, es sein denn du fürchtest der hochwürdigste Herr Erzbischof könnte die Präsenz zweier genderqueerer Personen überhaupt ertragen.“

„Er wird es ertragen. Wir sind ja nicht ansteckend. Gut, dann also Androgyna. Wir könnten noch Madleen mitnehmen, sie wäre um ein Jahr Kaiserin geworden. Ich denke so was wirkt immer. Ja und Gabriela natürlich, eine so Hochgebildete Intellektuelle im Tross kann nie schaden. Mehr aber auf keinen Fall.“ Beschloss die Königin.

„Ich bin zwar nicht begeistert dort mit hinzugehen, aber wenn du es wünscht ist es für mich keine Frage, ich gehöre an deine Seite.“ Stimmte Betül zu.

„Gut, dann hätten wir das. Ich muss so bald als möglich die anderen in Kenntnis setzen. Wir müssen das Gespräch natürlich vorbereiten. Bei meiner Schusseligkeit ist das dringend erforderlich.“ Erwiderte Colette, nachdem sie an ihrer Kaffeetrasse geschlürft hatte.

 

Im Laufe des Vormittags unterrichtete Betül die anderen Ausgesuchten und wie durch ein Wunder hatten alle Zeit und erklärten sich bereit, die Königin bei ihrer Audienz beim Kardinal zu begleiten.

 

Es war in der Tat eine Überraschung, gerade jetzt, da sich das Exil in Riesenschritten dem Ende näherte doch noch eine Einladung zu einem Treffen zu bekommen. Immer und immer wieder hatte Colette den Kontakt gesucht. Eigentlich nur um sich beim Erzbischof zu bedanken, dafür dass er die in die Flucht getriebenen Heimatlosen in den schwersten Stunden ihrer Existenz aufgenommen und ihnen in den Räumlichkeiten einer katholischen Einrichtung ein vorübergehendes zuhause geschenkt hatte. Auf diese Weise konnten sie zusammenbleiben und ihr gemeinsames Leben fortsetzen. Ein wichtiger Grund dafür, dass die Freiheitstöchter Bestand hatten und die Gemeinschaft nicht auseinanderbrach.

Ironie des Schicksals: Ausgerechnet ein Kardinal, Erzbischof einer der bedeutendsten römisch-katholischen Diözesen der Welt und zudem einer der Wortführer der Konservativen, hatte durch sein Eingreifen wesentlich dazu beigetragen eine durch und durch queere Gemeinschaft zu retten. Eine Gemeinschaft die von Frauen, die vorwiegend lesbisch lebten, ein wesentlicher Teil davon zudem polyamor ausgerichtet, getragen wurde. Eine Gemeinschaft, die eine genderqueere und transidente Königin an ihrer Spitze hatten, einer Freiheitsgöttin huldigten und versuchten ihr Leben nach radikal- basisdemokratischen Grundsätzen auszurichten.

Nein, etwas queereres als die Freiheitstöchter konnte es kaum geben.

Die damalige Entscheidung des Kardinals hatte wie nicht anders zu erwarten, großes Aufsehen erregt. Sein Ansehen in den vielen unterschiedlichen queeren Communitys stieg dadurch beträchtlich. Die Angriffe aus der reaktionären und konservativen Ecke blieben natürlich ebenso wenig aus.

Nicht wenige betrachteten die radikale und kunterbunte Community in den Räumen einer altehrwürdigen katholischen Akademie als Schandfleck, den es so bald als möglich zu beseitigen galt.

Nun war es endlich so weit. Nachdem der Diktator Cassian entmachtet war, konnten die Freiheitstöchter in ihr Heimatland Akratasien zurückkehren. Colette würde nun bald wieder Königin sein. Keine gewöhnliche Königin, eine von so ganz anderer Art, als man sich eine Königin gewöhnlich vorstellt. Nicht nur dass sie erneut das bisher einzige genderqueere und transidente Staatsoberhaupt weltweit wäre. Nein, auch ihre Art zu regieren würde sich wieder erheblich von denen anderer Staatsoberhäupter unterscheiden.

Schlussendlich war die alternde Königin mit einer jungen Frau türkischer Herkunft verheiratet, die altersmäßig ihre Tochter sein könnte.

 

Unter diesen Gesichtspunkten war das Treffen mit dem Kardinal geradezu etwas Revolutionäres.

Colette verbrachte den Tag mit ihren gewohnten Tätigkeiten, dabei stets an die bevorstehende Begegnung denkend.

 

Die Zeit verstrich schnell und schon war der Tag der Zusammenkunft gekommen. Für den heutigen Nachmittag war das Treffen mit dem Kardinal angesetzt.

Colette hatte sich zeitig erhoben, gefrühstückt und sich dann in den kleinen Fitnessraum begeben, schon seit geraumer Zeit betätigte sie sich wieder sportlich, um ihren Körper fit zu halten.

Die zahlreichen Beschwerden, von denen sie gequält wurde, machten ihr das alles andere als leicht. Doch wollte sie sich dadurch nicht entmutigen lassen.

Sie betrat den Raum, in dem sich schon einige andere eingefunden hatte.

Sie konnte und wollte sich nicht mit den jungen Frauen und ihren sportlich-athletischen Körpern messen. Doch wurde sie andererseits auch von Neid befallen, wenn sie auf dies blickte. Keine Frage, ihre besten Jahre hatte sie hinter sich.

Sonja, Kristin und Dagmar begrüßten Colette und freuten sich über deren Gesellschaft.

Sonja, die ehemalige Olympiasiegerin stach mit ihrem muskulösen Körper natürlich deutlich hervor, aber Kristin und Dagmar konnten sich durchaus mit ihr messen.

„Guten Morgen Colette! Schön, dass du wieder da bist! Wir haben dich die letzten Tage vermisst!“ Begrüßte Sonja die Königin.

„Naja, viel zu tun, unsere Heimreise nähert sich in Riesenschritten. Aber Zeit für Körperertüchtigung muss immer sein. So dann wollen wir mal.“

Colette nahm ihre Stellung am Reck ein und war im Begriff nach der Stange zu greifen, als Betül den Raum betrat.

„Du bist hier? Ich dachte es mir schon. Wir haben noch zu tun. Das Treffen heute Nachmittag. Du hast es doch nicht etwa vergessen?“

„Nein natürlich nicht! Gerade deshalb muss ich mich ein wenig sportlich betätigen, mich auflockern, um es auf den Punkt zu bringen. Die Gedanken schwirren mir schon jetzt wie ein Bieneschwarm durch den Kopf.“

Colette griff nach der Stange und versuchte sich in Klimmzügen.

„Nnnnnngggggggrrrrrrrrrr……“

Doch es wollte nicht so recht funktionieren, ihre 85 kg ließen sich nur schwer in die Höhe ziehen.

„Sollen wir dir helfen?“ erkundigte sich Sonja.

„ Nein danke! Ich…ich versuchs noch mal!“

„Nnnnnngggggggrrrrrrrrrrrrrrrr…..“ Es funktionierte wieder nicht.

„Kristin und Dagmar, kommt mal. Wir wollen Unserer Königin ein wenig Erleichterung verschaffen.“ Rief Sonja zu den beiden.

Die drei stellten sich um Colette und wuchteten den Körper einige Male nach oben.

„Und auf, nieder, auf, nieder,auf, nieder und hopp und hopp und hopp….“

„Naja, das ist natürlich leichter, aber es ist geschummelt. Ich muss es aus eigener Kraft schaffen.“

„Wie wär`s mit ein paar Saltos um die Stange herum.“ Wollte Sonja wissen.

„Nein, lieber nicht!“

„Ach komm, du wirst sehen, es wird dir guttun. So schwing das rechte Bein nach vorn und nun aufwärts.“

Mit den Füßen nach oben und dem Kopf nach untern ging es in die Höhe.

„Huuuuuuch!“

Dann mehrmals um die Stange herum.

„Betül! Beeeeeeetüüüüüül!“

„So nun ist es genug! Lasst sie runter! Aber immerhin, du hast es geschafft Colette!“ Wies Betül die anderen an.

 Colette ließ die Stange etwas zu früh los und landete mit ihrem Allerwertesten auf dem Boden, gut gepolstert durch die extra dicke Matte darunter.

„Autsch!“

„Colette hast du dir wehgetan?“ Wollte Sonja wissen.

„Nein nein! Das Polster hält was es verspricht.“

Betül half Colette beim Aufstehen.

„Na gut! Dann eben nix mit Sport am Morgen. Aber wenn wir wieder in Anarchonopolis leben, bin ich wieder mehrmals wöchentlich in Aktion. „Verkündete Colette selbstsicher.

Sie verabschiedete sich von den anderen und ging mit Betül nach oben. Noch einmal den genauen Ablauf des Treffens konstruieren. Sich akribisch genau vorbereiten.

 

Am frühen Nachmittag war es endlich so weit. Lukas steuerte den Kleinbus durch das Eingangstor der Akademie und setze sich Richtung Köln in Bewegung.

Colette mit Betül, Elena mit Madleen, Gabriela mit Kristin, Ferner noch Lucy, die darauf gedrungen hatte mitzukommen. Weshalb hatte niemand in Erfahrung bringen können.

Elenas Tochter Tessa war ebenfalls und Colettes und Betüls Tochter Aisha.

Kristin würde wieder als Kindermädchen fungieren und die Kleinen während der Audienz betreuen.

Die Fahrt verlief ohne Zwischenfälle und schon bald hatten sie ihr Ziel erreicht.

Das Treffen sollte im Dom beginnen. Colette und ihr Gefolge würden zunächst durch die heiligen Hallen geführt, die sie in der Zwischenzeit zwar längst gesehen hatten, aber das war nicht weiter von Belang. Dann sollte es in der Sakristei zu einer ersten Begegnung mit dem Kardinal kommen.  Sollte das Gespräch einen positiven Verlauf nehmen, würden sie dann in das erzbischöfliche Palais überwechseln und dort weiterreden.

Sollte das Gespräch hingegen in eine negative Richtung tendieren, konnte es in den Hallen des Domes beendet werden.

Das Domkapitel hatte es so verlangt, um das Treffen auf diese Weise noch nach ihren Gutdünken umdeuten zu können, als zufällige Begegnung am Rande oder ähnliches.

Es lag auf der der Hand, dass es den geistlichen Herren schwer im Magen lag.

Die Presse war zwar nicht öffentlich geladen, doch die hatten längst Wind davon bekommen und man konnte davon ausgehen, dass sich Vertreter der Medien an Colette hingen, sobald sie die Akademie verlassen hatte, denn die wurde Tag und Nacht belagert.

Das gleiche traf im Übrigen auch auf den Kardinal zu, der in den letzten Wochen immer mehr in die Schlagzeilen geriet und daher ebenfalls auf Schritt und Tritt von Pressefritzen umgeben war, sobald er sein Haus verließ.

Das Treffen würde also kaum unbemerkt von der Öffentlichkeit über die Bühne gehen.

Colette hatte kaum etwas zu befürchten. Im Gegenteil, ganz gleich wie die Begegnung auch verlief, sie würde davon profitieren.

Ganz im Gegensatz zum Erzbischof, der aufgrund zahlreicher Skandale, in welche die Katholische Kirche verwickelt war, unter enormen Druck stand.

 

Lukas parkte den Kleinbus in erreichbarer Nähe des Domes. Der Rest wurde zu Fuß bewältigt.

Von einer Seitenstraße kommend fanden sie sich auf dem Roncalliplatz wieder und umschritten die Kathedrale bis zum Haupteingang.

Noch eine Weile verharren und das große Gebäude in Augenschein nehmen. Kristin und Lucy würden mit den Kindern draußen warten und sich auf den Bänken in Blickrichtung auf den Dom niederlassen und warten.

Die kleine Aisha war davon nicht sonderlich begeistert und hatte Schwierigkeiten sich von ihrer Mutter Betül zu trennen.

„Was ist denn nur mein Schatz? Es dauert nicht lange, Mama Colette und ich sind gleich wieder da. Du bleibst bei Tante Kristin. Du bist doch sonst auch viel mit ihr zusammen.“

Aisha klammerte sich an Betül fest, so als fürchte sie die Mutter auf Dauer zu verlieren.

Schließlich gelang es Kristin doch sie an sich zu nehmen.

„Tante Tine, Tante Tine, spielen gehen.“ Stammelte sie schließlich. Aisha hatte mit ihren 2 Jahren in der letzen Zeit kräftig aufgeholt was das Sprechen betraf.

„Ja, die Tante Tine geht jetzt mit euch spielen. Kommt wir gehen darüber, unter die Bäume dort, da ist es schön.“ Erwiderte Kristin und setzet sich mit den Kindern in Bewegung.

Colette und ihr Gefolge betraten nun das Innere des berühmten Bauwerkes. Die Königin hatte aufgrund des Windes ein Tuch zu einer Art Turban um den Kopf gebunden.

In der rechten Hand hielt sie den kunstvoll geschnitzten Holzstab, den sie einst überreicht bekam, als ihr von den Freiheitstöchtern die Königinnenwürde angetragen wurde.

Ein Kirchenschweizer, der Colette dem Anschein nach nicht erkannt hatte eilte ihnen im Kirchenschiff entgegen.

„Würde der Herr bitte die Kopfbedeckung abnehmen.“ Lautete seine Anordnung.

Colette drehte sich kurz nach allen Seiten um.

„Nun, wenn sie mich meinen, ich bin kein Herr, ich war nie einer und möchte auch nie einer sein. Der Herr ist doch wohl im Himmel, oder?“

Sie wies mit dem Zeigefinger nach oben.

„Ich bin Colette, Königin von Akratasien und bin hier mit dem Herrn Kardinal zu einem Gespräch verabredet. Würden sie mich ihm bitte melden?“ Beim Aussprechen des Wortes Herr betonte Colette das R ganz besonders.

„Nun, da könnte ja jeder kommen! Nein, nein so geht das nicht. Der hochwürdigste Herr Erzbischof möchte nicht gestört werden, er erwartet hohen Besuch.“ Entgegnete der Kirchediener.

„Richtig und genau den wird er jetzt bekommen!“

Colette lies ihn einfach stehen und bewegte sich auf den hohen Chor zu. Die Sakristei befand sich auf dessen linker Seite. Die anderen folgten.

„He sie, bleiben sie stehen! So geht das nicht!“

Doch die Königin überhörte das Rufen.

Auf halben Weg kam ihr schließlich einer der Domkapitulare entgegen, der allem Anschein nach über ein besseres Gedächtnis verfügte.

„Äh…ja…ähm. Sein sie mir gegrüßt, sie sind also Colette, die….diese… ähm Königin aus Akratasien. Ähm, ich hoffe ich habe den Namen richtig ausgesprochen. Bitte folgen sie mir, seine Eminenz erwartet sie bereits in der Sakristei.“

Er warf einen strengen Blick zum dem Kirchenschweizer, der sich ihnen inzwischen genähert hatte und bedeutete ihm sich zurückzuziehen.

 

Dann öffnete der Domkapitular eine Tür und lies Colette und ihr Gefolge eintreten.

Der Kardinal, gekleidet in sein Schwarzes Ornat mit den purpurroten Knöpfen und Aufschlägen, die ebenso purpurne Schärpe und die gleichfarbige Kippa auf dem Kopf und mit schwerer goldener Kreuzkette behangen, erwartete die Gäste dort. Die Spannung schien ihm ins Gesicht geschrieben, doch er gab sich freundlich und zuvorkommend.

 

Da standen sie sich nun tatsächlich gegenüber. Der Kirchenfürst und die queere anarchistische Königin.

Ein diametraler Gegensatz wie er kaum größer sein konnte. Zwei die sich an gegenüberliegenden Ufern eines Flusses befanden, ein Fluss, über den es keine Brücke gab.

Oder etwa doch?

Der Kardinal, der eine Bilderbuchkarriere aufzuweisen hatte, wie sie so typisch für viele der ranghöchsten Würdenträger der römischen Kirche ist.

Ein Perfektionist ohne Wenn und Aber. Schon in der Schule stets der Beste. Es gab nur Einser, etwas anders kam gar nicht in Frage. Streber vom ersten Hahnenschrei bis zum Sonneuntergang. Das Abitur mit Auszeichnung. Früh hatte er seine Berufung erkannt, es gab für ihn nur diesen Weg. Beim Studium immer nur die Bestleistung. Früh kam er mit der Zentrale im Vatikan in Kontakt.

Nach seiner Priesterweihe ging es steil nach oben. Er sammelte akademische Grand, so wie andere Briefmarken, promovierte in verschiedenen Wissenschaftszweigen. Avancierte bald zum Sekretär von Bischöfen, bevor er, mit Anfang 40 selbst den Hirtenstab in Empfang nehmen konnte. Mit Anfang 50 Kardinal und Erzbischof. An einem Konklave hatte er bereits teilgenommen. Nun konnte er sich durchaus Hoffnung darauf machen beim nächsten den hochbetagten Heiligen Vater in Rom auf dessen Stuhl zu folgen.

Einer der immer in der Öffentlichkeit stand, einer der mit Staatsleuten und Vertretern der höchsten Bevölkerungsschichten verkehrte, so als sei es eine Selbstverständlichkeit.

Einer der immer systemkonform ging und die Welt wie sie war nie in Frage stellte, warum auch. Einer wie er konnte sich mit gutem Gewissen von Gottes Hand getragen und geführt verstehen.

 

Und Colette? Welch ein Gegensatz. Die Verachtete, die frühzeitig Ausgegrenzte, deren Weg mit Dornen und spitzen Steinen reichlich gepflastert war. Eine die es in ihrer Kindheit und Jugend nicht mal wert war Mensch genannt zu werden.

Eine Randexistenz, ein gedemütigtes Wesen für das die Türen stets verschlossen waren.

Brutal und selbstzerstörerisch ihr Weg durchs Leben, hatte sie sich alles mühevoll erkämpfen müssen. Ein Umstand der ihre Gesundheit vorzeitig geschwächt hatte. Ihre Bildung hatte sie sich autodidaktisch erarbeitet, da sie früh als bildungsunfähig eingestuft wurde. Akademische Titel, die den Weg in die Gesellschaft ebnen, hatte sie dem entsprechend nicht vorzuweisen. Erst als sie zu den Freiheitstöchtern stieß, inzwischen 50, schien der Bann gebrochen.

Colette hatte sich dieses Leben nicht gewählt, vielmehr hatte das Leben sie gewählt. Es war alternativlos.

Und nun war sie Königin, stand an der Spitze eines der ungewöhnlichsten Staatswesen der Welt. Sie, die ewige Nichtexistenz, hatte zu existieren begonnen, war interessant für die Öffentlichkeit und stand im Rampenlicht, ein Umstand, an den sich nur schwerlich gewöhnen konnte. Die Freiheitstöchter, ihre Mädchen, verehrten sie wie eine Mutter. Nun, da sie bekannt und berühmt war, interessierten sich die Menschen auch für die Bücher, die sie schrieb. Späte Anerkennung.

 

„Guten Tag! Ich grüße sie Verehrter Herr Kardinal! Es freut mich, dass wir endlich die Möglichkeit haben uns persönlich kennen zu lernen.“

Begann Colette das Gespräch und ging auf den Kardinal zu.

„Danke! Ganz meinerseits. Auch ich bin erfreut, die Königin von Akratasien persönlich begrüßen zu dürfen:“ Erwiderte der Kardinal den Gruß.

„Darf ich ihnen mein kleines Gefolge vorstellen?“

Colette griff nach Betül und zog sich eng an sich.

„Das ist Betül, meine Frau!“

„Sehr erfreut ihre Bekanntschaft zu machen!“ Der Kardinal reichte Betül die Hand zum Gruß.

„Führen sie auch den Titel Königin?“

„Ich bin die Frau der Königin! Das genügt! Mehr kommt mir nicht zu. Es gibt nur eine Königin von Akratasien!“ Gab Betül selbstsicher zur Antwort. 

Ja, dann wäre Androgyna, meine….meine. Naja Androgyna, die mich tatkräftig unterstützt und mein Leben reicher macht.“

Der Kardinal reichte auch Androgyna die Hand.

„Elena, meine kleine Schwester und bald wieder Kanzlerin von Akratasien.“

Der Kardinal reichte Elena die Hand.

„Madleen, Elenas Frau!“

Der Kardinal ging auch auf Madleen zu.

„Und schließlich Pater Liborius. Einer von den Mönchen, die vor uns die Abtei bewohnten, bevor wir die Gebäude übernahmen und der bei uns geblieben ist.“

„Ich grüße den hochwürdigsten Erzbischof von Köln.“ Sprach Pater Liborius und drückte die Hand des Kardinals.

„Ich habe davon gehört! Nun, ungewöhnlich, aber es ist eine Entscheidung, die es zu akzeptieren gilt.“ Antwortete der Kardinal mit ein wenig Spannung in der Stimme.

Mit Sicherheit kannte er auch die ganze Geschichte um den alten Pater, der nach über 40 Jahren im Kloster nun bei den Freiheitstöchtern lebte und sein spätes Lebensglück gefunden hatte, Vater einer kleinen Tochter war.

„Ja und schließlich Gabriela, unsere Historikerin, die inzwischen mit ihren Theorien über den legendären Amazonenstaat für Aufsehen gesorgt hat.“

Die Begrüßung wurde damit abgeschlossen.

„Setzen sie sich doch! Bitte setzen sie sich:“ Bot der Kardinal schließlich an.

Die kleine Gefolgschaft nahm auf den bereitgestellten Stühlen Platz.

Kurzes Schweigen. Danach ergriff Colette erneut die Initiative.

„Ich wollte ihnen im Namen der Freiheitstöchter und aller weiteren Exilanten meinen Dank aussprechen für ihre freundliche Geste, mit der sie uns in der Zeit unserer schwersten Bedrängnis sehr geholfen haben. Für uns kam es damals einer Erlösung gleich, als sie uns die Räume der Akademie in Bensberg für unser Exil zur Verfügung stellten. Räumlichkeiten, die wir ihnen nun wieder zurück übertragen, besenrein versteht sich, so wie wir sie vorgefunden.

Auf diese Weise war es uns möglich in der schweren Zeit des Exils zusammenzubleiben, wir verstehen uns als große Familie. Ich glaube nicht, dass wir diese Zeit sonst ohne Schäden überstanden hätten. Es war mir stets ein Bedürfnis ihnen das einmal persönlich zu sagen.“

„Ich freue mich, dass ich ihnen und ihrer Gemeinschaft damit helfen konnte. Es hat mich, zugegebener Maßen Überwindung gekostet und es lief nicht ohne Widerstand, aber ich bin froh es durchgesetzt zu haben.“ Antwortete der Kardinal.

„Und nun? Wie ich erfahren konnte, werden sie alsbald in die Heimat zurückkehren?“

„Ja, die Zeit des Exils ist vorüber. Wir brechen schon in wenigen Tagen auf. Dann heißt es adieu Köln. Dank ihrer Hilfe werde ich die Stadt und das gesamte Umfeld stets in guter Erinnerung behalten.“ Entgegnete Colette.

Die anderen schwiegen weiter. Es war Colettes Auftritt, auf den sie sich lange vorbereitet hatte. Elena überlegte, ob sie das Wort ergreifen sollte und ihrerseits ihren Dank aussprechen.

Sie hatte nur kurze Zeit in den Räumen der Akademie verbracht, hatte lange Zeit getrennt von den anderen gelebt und somit die Gastfreundschaft nicht lange in Anspruch nehmen müssen.

Trotzdem fühlte sie sich genötigt zu sprechen.

„Ich habe zwar nicht all zu lange in Bensberg verweilt, aber auch ich möchte meinen Dank aussprechen, dafür dass sie all die anderen so lange beherbergt haben. Ich bin erst vor Kurzen in die Akademie eingezogen und kann sagen, dass es mir gefallen hat. Auf diese Weise war das Exil sehr viel leichter zu ertragen.“

„Elena ist im Prinzip die Initiatorin der Freiheitstöchter, ohne sie gäbe es unsere Gemeinschaft gar nicht. Ich, nun ja, ich konnte auch meinen Teil dazu beitragen, aber später, etwas später dann.“ Versuchte Colette ihre Rolle wieder herunterzuspielen.

 

„Nun, ich habe mich mit der Geschichte ihrer Gemeinschaft eingehend beschäftigt. Ich hielt es für meine Pflicht, mich gründlich zu informieren. Wie ich schon sagte, einfach habe ich mir es nicht gemacht. Ich muss zugeben, dass ich vieles von denen was sie leben und vertreten nicht ganz nachvollziehen kann. Als Diener der heiligen katholischen Kirche kann ich vieles von dem nicht akzeptieren. Aber die Not lässt zusammenrücken. Ich musste weit über meinen Schatten springen und bin froh, dass sie nun bald wieder sicheren Weges in ihre Heimat zurückkehren können.“

Nun war es gesagt. Die wenig geliebten Untermieter würden gehen. Es war nicht schwer zu erraten, dass diese Tatsache dem Kardinal beruhigte und ihm ein Stein vom Herzen fiel.

Wenn er es natürlich vermied, das offen auszusprechen. Wer genug begabt war zwischen den Zeilen zu lesen, konnte die Aussage in diese Richtung deuten.

„Wir verstehen das natürlich, einerseits, andererseits auch wieder nicht. Denn wir haben nichts getan, was in welcher Form auch immer Missfallen verdienen würde. Wir leben, sagen wir es mal so unseren Traum. Und genau das tut die Kirche doch ebenfalls.“ Verteidigte die Königin die Prinzipien der Freiheitstöchter.

„Das ist ihre Meinung, die ich respektiere, aber ich glaube nicht, dass wir das so einfach miteinander vergleichen können.“ Widersprach der Kardinal

Nun war es wohl so weit. Nach kurzer freundlicher Begrüßung prallten die Überzeugungen aufeinander. Eine Tatsache, die Colette stets hatte vermeiden wollen. Sie hatte sich fest vorgenommen, die heißen Eisen bewusst nicht zu thematisieren, doch es ging wohl kein Weg daran vorbei. Zu unterschiedlich waren die Lebenseinstellungen, als dass man diese Themen würde umschiffen können.

Deshalb war Colette froh, als der Kardinal selbst das Gespräch in eine andere Richtung lenkte.

„Sie wohnen also auf dem Gelände einer alten Abtei. Das interessant. Nun, ich kenne ihr Land nicht, aber ich habe mich auch darüber gründlich informiert. Ein altehrwürdiges Gemäuer, Jahrhunderte wurde es von Benediktinern bewohnt. Und nun? Ja seltsame Wege geht das Leben doch so manches Mal.“

„Im Grunde wird das gemeinschaftliche Leben dort fortgesetzt. Im Weitesten Sinne natürlich betrachtet. Aber immerhin es wird fortgesetzt. Deshalb habe ich mich entschlossen dort zu bleiben und zu sehen. Ich bin heute sehr froh über diese Entscheidung. Das hat mir die Augen geöffnete für Wirklichkeiten, die mir bis dahin völlig verschlossen waren.“ Schaltet sich nun Pater Liborius ein, der die Zeit gekommen sah, einzugreifen.

„Nun ja, im weitesten Sinne, das ist wahr, aber wirklich nur im weitesten Sinne.“ Stimmte ihm der Kardinal äußerst bedingt zu.

„Als Klostergemeinschaft würde ich ihre Lebensform nicht betrachten.“

„Nun, wir bewohnen ein Kloster und leben in Gemeinschaft. Das kommt dem schon weit entgegen. Wir leben ein Leben der Liebe, der Harmonie und der Verständigung, das sollte den heiligen Hallen ebenfalls nicht so ganz fremd sein. Konflikte gibt es selbstverständlich, die gehören zum Leben. Aber wir haben Wege gefunden, sie zur Zufriedenheit aller zu lösen.“

Setzte Colette entgegen.

 

„Ich kann mich dem nur anschließen, was unsere Königin hier sagte. Fast mein ganzes Leben habe ich auf dem Gelände der alten Abtei zugebracht. Habe dort Höhen und Tiefen erlebt. Doch nie, zu keiner anderen Zeit war das Leben so ausgeglichen, so harmonisch und weitgehend frei von Konflikten wie heute. Ich bin sehr froh das noch erleben zu dürfen. Spät, aber Gott sei dank noch nicht zu spät.“ Stimmte Pater Liborius zu. Der Kardinal nahm diese Aussage mit ernster Miene zur Kenntnis.

„Nun, das hört sich gut an, zugegeben. Aber so recht glauben mag ich daran nicht. Konflikte sind doch eher vorprogrammiert, würde ich meinen.“

Colette beobachtete den Kardinal sehr genau. Sie, die Hochsensible konnte niemand täuschen. Sie blickte hinter jede Fassade und erkannte auch in diesem Fall das der Kardinal, nicht das aussprach was er dachte. Sein Denken schien von Zweifeln geplagt, die Selbstsicherheit, die er präsentierte, nur gespielt.

Nach außen vertrat er eine harte kompromisslose Linie, ganz den Lehren und Dogmen der römisch-katholischen Kirche verpflichtet. Doch im Inneren ließ diese Unverbrüchlichkeit

markante Risse erkennen.

Zudem stand er in den letzten Wochen und Monaten unter starkem Beschuss. Da war die Rede von allerhand Skandalen, die sich unter der heiligen Fassade offenbarten.

Dabei stellten die ans Tageslicht gekommenen Finanzskandale noch die harmlosesten Aspekte dar. Über Kleriker etwa, die sich Prunkbauten errichten ließen, sich ich Luxuskarossen herumkutschieren ließen, in goldenen Badewannen plantschten, exklusive Auslandsreisen unternahmen, etc.

Viel schlimmer wogen die Sexskandale. Der Missbrauch von Minderjährigen zum Beispiel und dessen Jahrelange Vertuschung untergruben die Glaubwürdigkeit der Kirche ganz erheblich. Seine Vorgänger hatten ihm in dieser Hinsicht einen Scherbenhaufen hinterlassen, den er nun zu entsorgen hatte.

Priester, die auf der Kanzel gegen alles wetterten, das mit Sexualität zu tun hatte. Von Ehescheidung angefangen, über Empfängnisverhütung, außerehelichen Geschlechtsverkehr, Masturbation bis hin zu den großen Brocken wie etwa Schwule, Lesben, Transgender und allem dem auch nur den Hauch von queer anhaftete, hatten sich an Schutzbefohlenen vergangen, ohne von der Kirche zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Im Gegenteil, die Kirche schützte diese vor den Ermittlungen der Behörden und lies sie weiter gewähren.

Der Kardinal trug als einer der ranghöchsten Bischöfe die indirekte Verantwortung und geriet immer deutlicher in die Schusslinie der Öffentlichkeit. In letzter Zeit häuften sich die Rücktrittsforderungen und es schien als sei er tatsächlich nicht mehr länger zu halten.

Er war sich dessen in aller Konsequenz bewusst.

Die positive Schlagzeile, die ihm sein Asylangebot für die Freiheitstöchter gebracht hatte, war lange schon vergessen.

 

Der Kardinal suchte dem Anschein nach einer Möglichkeit mit Colette allein zu sprechen. Die Anwesenheit der beiden Domkapitulare, behagte ihm überhaupt nicht. Auch Colettes Begleitung schien nicht sonderlich erwünscht.

Colette ahnte es. Doch wie sollte sie sich verhalten? Die anderen hinausschicken? Da musste der Kardinal den ersten Zug setzen.

 Die folgenden Minuten wurden weiter vom Austausch von Freundlichkeiten bestimmt.

Dann endlich setzte der Kardinal ein Zeichen.

„Nun, da wir uns kennen gelernt haben und ein gutes Gespräch hatten, würde ich mit der Königin gerne noch eine Weile unter vier Augen sprechen. Ich hoffe doch es ist ihnen recht?“

„Ja selbstverständlich! So wie es ihnen beliebt!“ Stimmte Colette augenblicklich zu.

Die Domkapitulare hingegen schien von dem Ansinnen nicht begeistert, fügten sich aber dann doch der Anweisung.

Colettes Begleitung nahm diesen Wunsch wiederum mit Erleichterung auf. Es war ihnen am Ende doch nicht sehr geheuer.

 

Draußen vor dem Hauptportal des mächtigen Domes vertrieb sich Kristin mit Lucy und den Kindern derweil die Zeit.

Lucy konnte es nicht lassen mit dem Sicherheitspersonal vor dem Eingang zu stänkern.

Sie begann vor ihnen zu tanzen. Eine Art von Breakdance, vollführte ruckartige Bewegungen, Hüftsprünge, tänzelte auf der Stelle, dann bewegte sie sich wieder vor und zurück, seitlich und im Kreis. Die Sicherheitsleute betrachteten den Vorgang mit Argwohn, griffen aber nicht ein.

„Hey Lucy, was soll das? Lass doch die Leute in Ruhe! Die tun doch auch nur ihre Arbeit?“

Rief Kristin zu ihr herüber.

Lucy hatte ihren Discman auf den Ohren und bekam davon nichts mit.

Doch nach einer Weile schien sie schließlich die Lust zu verlieren. Auch Provozieren mündet irgendwann in Langeweile, wenn die erwartete Reaktion ausbleibt.

 

Lucy verbeugte sich vor den Sicherheitsleuten und eilte dann zu Kristin und den Kindern.

„Was machst du denn? Du musst wohl ständig provozieren?“ Wollte Kristin wissen.

„So bin ich nun mal! Macht unglaublich Spaß. Schade! Die sind gar nicht drauf eingegangen. Haben wohl ihre Order!“

„Dann sei froh! Jetzt, wo es bald in die Heimat zurückgeht, ist Ärger mit den Behörden das Letzte, das wir brauchen können.“

„Klaro! Heimat? Eure Heimat zunächst! Meine Heimat ist im Moment noch Köln!“ Lucys Aussage wunderte Kristin ein wenig.

„So? Ich denke du freust dich auf dein neues Zuhause?“

„Tue ich ja auch! Keine Frage. Aber Abschied nehmen ist immer so eine Sache. Ich lasse hier ja auch ne Menge zurück, viele Freunde und so!“

„ Na, es wird dir bei uns gefallen! Davon bin ich überzeugt! Hey, was ist dass denn? Sie mal die kommen schon wieder raus. Das ging aber schnell.“ Stellte Kristin mit Verwunderung fest.“ Komm wir gehen zu ihnen.“

„Ihr seid schon fertig? So schnell? Aber? Wo ist denn Colette?“ Erkundiget sich Kristin.

„Der Kardinal möchte mit ihr unter vier Augen sprechen. Mir soll es recht sein. Ich hab mich da drinnen ohnehin nicht ganz wohl gefühlt. War ne recht bedrückende Atmosphäre.“ Erwiderte Betül und griff sogleich nach Aisha, die ihr die Arme entgegenstreckte.

„Ich war am Überlegen, ob ich bleiben soll. Colette alleine lassen? Aber ich denke es hat seine Richtigkeit. Die beiden scheinen einen Draht zueinander gefunden zu haben. Da ist ein Vieraugengespräch unumgänglich.“ Fügte Elena hinzu.

„Na am Ende bekehrt der Colette noch. Dann kommt sie zu uns und macht ganz fromme Klosterschwestern aus uns.“ Setzte Lucy an.

Alle lachten. Dann nahmen sie wieder Platz und warteten gespannt auf dass, was der Tag noch an Überraschungen im Gepäck hatte.

 

Die Unterredung zog sich erstaunlicherweise in die Länge. Was hatte das zu bedeuten? Die Kinder begannen langsam, aber sicher quengelig zu werden und hatten als Ablenkung schon einige Portionen Eis konsumiert.

„War vielleicht doch nicht so ein guter Einfall die Kinder mitzunehmen.“ Glaubte Madleen zu wissen.

„Ach, die kommen schon klar damit! Mich würde aber trotzdem brennend interessieren, was die so lange zu besprechen haben. Sollte doch ursprünglich nur ein Höflichkeitsbesuch sein. Danksagung und fertig. Dann ab, jeder in die eigene Welt. Und nun? Ich versteh das einfach nicht.“ Grübelte Betül nach.

„Nun ja! Der Kardinal wird wohl seine Gründe haben. Ich kann mir nicht helfen, aber es schien als habe er Colette nur deshalb eingeladen, um mit ihr ungestört reden zu können, ganz gleich um was es dabei auch geht.“ Glaubte Gabriela zu wissen. Eine Vermutung die nicht einer gewissen Logik zu entbehren schien.

 

In der Tat. Drinnen entfaltete sich eine offene Atmosphäre.

„Wenn sie ihr Leben überdenken, wenn sie die Möglichkeit hätten, noch mal von vorn anzufangen, was würden sie anders machen.“ Lautete die konkrete Anfrage des Kardinals.

Wie konnte Colette darauf reagieren? Wie meinte er das? War dass die Standartfrage? So nach dem Motto, all die Sünden, die ich beging, nun tunlichst vermeiden?

„Die Frage stellt sich nicht. Denn erstens kann ich es nicht, das liegt, wie sie es sicher ausdrücken würden, in Gottes Hand. Zweitens: Nicht ich habe dieses Leben gewählt, das Leben hat mich gewählt. Ich hatte nie eine Wahl. Es kam so wie es kommen musste. Ich wünschte mir, als ich junger war, nichts sehnlicher als ein anderes Leben, ein Leben als „richtige“ Frau. Ich habe darum gebetet, solange bis ich nicht mehr beten konnte, bis ich lernte zu akzeptiere. Mit aller Konsequenz. Der Weg nach oben, wenn wir es mal so ausdrücken wollen, der war steinig und voller Dornen. Dort wo ich heute stehe? Es ist gar nicht mein Verdienst. Ich verdanke alles den Freiheitstöchtern. Die haben mich geformt, die haben die Königin erschaffen, die heute vor ihnen sitzt. Ohne meine Mädchen? Ohne sie gäbe es mich schon lange nicht mehr.“

Der Kardinal überlegte. Was konnte er darauf erwidern, dessen Leben doch so ganz und gar in anderen Bahnen verlaufen war.

„Ich habe sehr wohl gewählt! Sehr genau abgewogen und mich frühzeitig entschieden. Wenn sie so wollen, verlief mein Leben sogar ähnlich. Im Grunde hat auch mich das Leben gewählt. Anders umschrieben, der Ruf Gottes erreichte mich. Ich bin ihm gefolgt, ebenfalls ohne wenn und aber. Es gab auch für mich keinen anderen Weg. Auch wenn ich Gott sei`s gedankt, nicht über spitze Steine laufen musste.“

Mit dem letzten Satz hatte er seine Aussage kaschiert. Beider Lebensweisen miteinander zu vergleichen war Unsinn und das war ihm durchaus bewusst.

Der Ruf Gottes an einen angehenden Priester unterscheidet sich deutlich von jenem an eine Transfrau. So es diesen überhaupt geben konnte. Denn nach den offiziellen Aussagen der Kirche waren die ja von Gott verworfen, ihr Leben sündhaft und für eine dauerhaft gelebte Sünde konnte es keinen Segen geben. Eine Todsünde, die ewige Verdammnis zur Folge hatte.

„Und sie glauben, dass wir das vergleichen können? Das halte ich, mit Verlaub gesagt doch etwas weit hergeholt.“ Tat die Königin offen ihr Missfallen kund.

„Warum nicht?“

„Weil es eben nicht den Tatsachen entspricht. Gut, sie sind Katholik. Ihre Kirche gewährt zumindest noch den Akt der Gnade und Umkehr, wenn der auch wirklichkeitsfremd ist. Die Calvinisten sind da bedeutend brutaler, wenn sie behaupten, Gott habe in seiner Allmacht bestimmte Menschen ausgesucht um selig zu werden, schon jetzt, in diesem Leben und erst recht in der Ewigkeit. Andere hingegen verworfen, für alle Zeit. Die können sich strecken, biegen und sich brechen lassen. Sie werden nie der Seligkeit teilhaftig werden.**“

„Da stimme ich ihnen zu. Wir lehnen diese Aussage entschieden ab. Aber was meinen sie damit, wenn sie unsere Lehre als wirklichkeitsfremd betrachten. Die Gnade ist jedem Menschen gewährt, nach dessen Umkehr.“

„Umkehr? Umkehr zu was?“

„Umkehr zu einem wahrhaften Leben. Einem Leben, das sich an Jesus Christus ausrichtet. Jeder kann das. Allein das Wollen ist entscheidend. Auf Christus ausgerichtet heißt, der Sünde keinen Raum mehr bietet.“

„Verwechseln sie da nicht Wollen mit Können? Wir alle leben so wie es uns die Natur auferlegt hat. Keiner kann durch sein Willen seiner Natur entkommen.“

Colette spürte, wie sich in ihrem Inneren Widerstand zusammenbraute. Sie wollte kein Streitgespräch mit dem Kardinal, deshalb war sie nicht seiner Einladung gefolgt. In der Regel war es sinnlos mit Fundamentalisten kontroverse Themen zu diskutieren. Vergebene Liebesmühe. So auch in diesem Fall. Doch warum hatte er sie eingeladen? Um ihr die Dogmen der Kirche um die Ohren zu hauen und das sündhafte Leben anzuprangern, das seiner Meinung nach in Anarchonopolis geführt wurde?

 

„Die Lehre der Kirche ist eindeutig. Danach ist Sünde Auflehnung gegen die Natur. Die Natur ist richtig und eindeutig. Erst die Sünde verfälscht sie. Die Sünde ist Abkehr von der göttlichen Ordnung.“

Colette sah sich in die Enge getrieben. Brach sie das Gespräch jetzt ab, kam dass einer Flucht gleich und sie hatte ihm den Sieg gleichsam auf einem silbernen Tablett serviert. Ließ sie sich hingegen auf eine Diskussion ein, würde sie die Kürzere ziehen, denn Fundamentalisten haben immer Recht. Sie sind so sehr von sich, ihrer Meinung und ihrer Sendung überzeugt, dass auch die stichhaltigsten Argumente nicht mehr treffen.

So oder so. Colette sah sich als Verliererin. Eine Eigenschaft die sie ein ganzes Leben begleitet hatte. Sie begann zu bereuen, dass sie der Einladung nachgekommen war und suchte nur noch nach einer Möglichkeit mit einem blauen Auge davon zu kommen.

Sie setzte gerade an um etwas zu sagen, da kam ihr der Kardinal zuvor.

„Aber ich habe sie nicht eingeladen, um mit ihnen über Dogmen zu disputieren. Es gibt die Meinung der Kirche, die ich nach außen zu vertreten habe. Das ist meine Aufgabe, dafür stehe ich hier. Als Verteidiger des Glaubens. Doch da gibt es auch noch eine private Meinung, die ich als Mensch vertrete. Nicht öffentlich natürlich. Versteht sich!“

„Versteht sich!“ Pflichtete ihm Colette bei.

Was war das? Eine Wendung? Der Versuch eine Brücke zu bauen? Colette rätselte. Sie durfte ihre Unsicherheit aber um keinen Preis erkennen lassen.

„Ich habe sie eingeladen, um mit ihnen über eine Vision zu sprechen, die ich hatte, Eine Vision, die mich schließlich dazu veranlasste, ihnen und ihrer Gemeinschaft in den Räumlichkeiten der Kirche Asyl zu gewähren.“

Colette horchte auf. Hoppla! Was wollte er ihr damit sagen?

„Nun, sie machen mich neugierig. Eine Vision? Ich bin, wenn ich es mal so sagen darf, Expertin auf diesem Gebiet. Ich selbst, Elena und viele weitere Freiheitstöchter werden von Visionen heimgesucht, schon seit geraumer Zeit. Sie weisen uns gleichsam den Weg, wenn wir in einer Sachgasse stecken, geben uns Kraft unseren Weg fortzusetzen und erinnern uns an unsere Mission.“

Die Königin fühlte sich schlagartig befreit, nun war sie in ihrem Element.

 

„Nun gerade deshalb habe ich sie kommen lassen. Visionen, Erscheinungen etc., das sind Dinge, über die der Mensch nicht mit jedem x-beliebigen sprechen mag. Auch hierzu macht unsere Kirche eindeutige Aussagen. Denken wir nur an die vielen Marienerscheinungen.*** Die Kirche bezeichnet sie als Privatoffenbarungen an die jeweilige empfangende Person, nicht ausschlaggebend für die Lehre und das Handeln der Kirche.“

„Also mit anderen Worten ausgedrückt: Die heilige Gottesmutter Maria erscheint einer Person, teilt ihr mit, dass die Lehren und Aussagen der Kirche seit fast 2000 Jahren falsch sind. Etwa dass Jesus etwas ganz anderes im Sinne hatte als eine Kirche zu gründen, eine Kirche, die  z..B. durch Kreuzzüge, Inquisition etc. viel Schuld auf sich geladen hat. Diese Vision ist nicht ausschlaggebend für das weitere Handeln und die Kirche macht weiter wie bisher?“ Wollte Colette wissen.

„So überspitzt würde ich es nicht ausdrücken, aber es geht in diese Richtung. Die heilige Gottesmutter würde aber niemals etwas verkünden, das sich im Widerspruch zu den Dogmen der Kirche befindet.“

Nun hatte der Kardinal Colette unbewusst einen Ball zugespielt.

„Also das bedeutet, dass sich dieser Gott nach dem zu richten hat, was die Kirche für richtig erachtet? Dieser Gott ist demzufolge ein Instrument der Kirche und hat sich ihm zu fügen?“

Der Kardinal erkannte die Gefahr und versuchte gegenzusteuern.

„Christus hat die Kirche gestiftet, damit sie Gottes Wort verkündet. Gottes Wort ist die Kirche. Gottes Wort und die Kirche sind eins. Aus diesem Grund könnte Gott niemals Offenbarungen zulassen, die seiner Kirche zuwiderlaufen.“

„Aber heißt es nicht, dass der heilige Geist, oder die heilige Geistin, da weht, wo sie will. Also auch außerhalb der Kirche?“

„Das halte ich für unwahrscheinlich. Der heilige Geist durchdringt die Kirche, der heilige Geist und die Kirche sind eins. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass der heilige Geist außerhalb der Kirche wirken sollte“ Lautete die Antwort des Kardinals

„Und wenn er es dennoch tut?“

„Dann ist es nicht der heilige Geist.“

„Woher wollen sie das wissen?“

„Die Kirche ist im Besitz der absoluten Wahrheit. Sie besitzt die Gabe der Unterscheidung, sie ist in der Lage zu klären, welche Botschaften tatsächlich von Gott inspiriert sind, also eine Eingebung des heiligen Geistes sind und bei welchen es sich um Täuschungen handelt.“

Der Kardinal schien unschlagbar in seiner Argumentation. Doch auch Colette hatte ihr Pulver noch nicht ganz verschossen.

„Armer Gott! Wissen sie woran mich ihr Gott erinnert? Oder der besser der heilige Geist?

An einen Adler, den man vom Himmel holt, ihm die Flügel stutzt und in einen Hühnerstall sperrt. Damit er sich nicht mehr so frei von Winde treiben lassen kann und nicht mehr landen wo er will und wo es ihm Spaß macht.“

Der Kardinal lachte.

„Ein origineller Vergleich. Aber die Richtung stimmt. Es ist die Aufgabe der Kirche, den heiligen Geist quasi zu kanalisieren, ihn in eine ganz bestimmte Richtung zu lenken. Nur sehr wenigen Menschen ist es gegeben die Gabe des heiligen Geistes tatsächlich zu empfangen und in der rechten Weise zu deuten. Nur die dafür prädestinierten Autoritäten haben die Möglichkeit das zu tun Wo kämen wir hin, wenn jeder nach seinem Gutdünken einfach so den heiligen Geist in sich aufnehmen könnte.“

„Also weht der heilige Geist, oder die heilige Geistin eben doch nicht da wo er oder sie will.“

Hakte Colette nach.

„Der heilige Geist weht dort, wo Kirche ist. Kirche und heiliger Geist sind eins und sie werden es immer sein.“

 

Schon wieder hatten sie sich verhakt. Warum kam der Kardinal nicht einfach auf dem Punkt?

War um sagte er das Colette nicht einfach?

„Da kann nur ich froh über die Tatsache sein, dass sich unsere Freiheitsgöttin nicht hat einfangen lassen. Von Niemanden. Deren Geistin weht nach wie vor wo sie will, wann sie will, und entscheidet wen sie mit ihrer Kraft inspirieren will. Unabhängig davon, ob die Person nun akademisch gebildet oder als bildungsfern eingestuft wird. Sie bedarf dazu keiner Institution, die ihr eine Wegweisung gibt.

Nun gut, sei`s drum. Es hat mich gefreut ihre Bekanntschaft zu machen. Nochmals Dank für ihre freundliche Aufnahme in der Zeit des schweren Exils, im Namen der ganzen Gemeinschaft.

Ich denke aber, es ist besser, wenn wir uns verabschieden.“

Colette erhob sich und machte Anstalten den Raum zu verlassen. Sie hatte zwar nichts anderes erwartet, trotzdem war sie von einer gewissen Enttäuschung erfüllt.

 

„Aber wir haben den wesentlichen Punkt noch gar nicht angeschnitten.“ Rief der Kardinal in die Erinnerung zurück.

„Wenn sie von der Freiheitsgöttin sprechen, da meinen sie doch jene Anarchaphilia, oder wie sie sie zu nennen pflegen:“

Diese Aussage setzte Colette ins Staunen. Der Kardinal sprach den Namen offen aus. Er hatte sich dem Anschein danach damit auseinandergesetzt.

„Sie erstaunen mich. Sie sprechen von Anarchaphilia?“

„Nun ja, sagen wir mal so, ich habe vor Zeiten Bekanntschaft mit ihr gemacht.“

„Das haut mich ehrlich gesagt um. Ich muss mich setzen.“

„Ich bitte darum!“

Colette ließ sich wieder auf dem bequemen Sessel nieder. Gespannt wartet sie nun, was ihr der Kardinal zu offenbaren hatte.

 

„Es war zu jener Zeit, als ihre Gruppe ins Exil getrieben wurde und in Köln ankam. Sie waren heimatlos, vertreiben, Flüchtlinge ohne richtiges Obdach. Sie kamen in improvisierten Notunterkünften unter. Kurz nachdem sie ankamen, hatte ich während eines Traumes eine Vision.“ Begann der Kardinal.

„Wer hätte das für möglich gehalten, ein Kardinal mit Visionen, das ich das noch erleben darf.“ Die Ironie in Colettes Stimme war nicht zu überhören.

„Ja es geschehen noch Zeichen und Wunder, selbst in unserer Zeit.“ Fuhr der Kardinal fort.

„Es handelte sich um einen Klartraum, aus diesem Grund kann ich mich noch gut an die Details erinnern. Ich ging durch einen Wald spazieren, eine ganze Weile. Plötzlich kam ich an eine Lichtung. Ich hörte Stimmen, da schritt ich auf den freien Platz zu. Auf einer auf dem Boden ausgebreiteten Decke hatten Jesus und ihre Göttin Anarchaphilia Platz genommen und veranstalteten ein Picknick. Gekleidet waren sie ausgesprochen salopp. In helle Jeans und weiße T-Shirt, beide barfuss und beider langen Haar wehten im Wind. Sie waren in ein anregendes Gespräch vertieft. Ich stand eine Weile wie regungslos. Konnte kaum glauben, was meine Augen dort zu sehen bekamen. Sie lachten und scherzten und schien sich gut zu verstehen. Sie tauschten sich aus und es hatte den Anschein, dass sie in zahlreichen Punkten einer Meinung waren. Plötzlich, nach einer ganzen Weile, blickte Jesus zu mir und sprach mich an.

„Warum lässt dich das Schicksal deiner queeren Schwestern und Brüder so kalt. Warum verfolgst du sie mit deinen Worten und verleumdest sie immer wieder?“

Ich war geschockt. Ich musste mich sammeln und fragte: Was könnte ich tun, um zu beweisen, dass dein Tadel ungerechtfertigt ist. Sage mir was ich machen soll!“

Jesus blickte zunächst zu Anarchaphilia, sie nickten sich zu. Dann wandte er seinen Blick wieder zu mir und sprach.

„Setze ein Zeichen! Anarchaphilias Kinder sind auf der Flucht und wissen nicht wohin. Gewähre ihnen Obdach. Nutze deine Macht, deinen Einfluss und deine zahlreichen Möglichkeiten, um Gutes zu bewirken. Gleiche damit ein wenig jene Frevel aus, dessen sich  die Kirche, die vorgibt in meinem Namen zu sprechen, Jahrhunderte an meinen queeren Schwestern und Brüdern hat zu Schulden kommen lassen. Wenn du das vollbracht hast, laden wir, Anarchaphilia und ich, dich ein bei uns deinen Platz einzunehmen.“

Ich wollte noch etwas erwidern, doch in diesem Moment verschwand die Vision und ich blieb allein zurück.“

Colette konnte kaum glauben was sie soeben gehört hatte. Zu unwahrscheinlich klang das in ihren Ohren. Aber es musste etwas dran sein, denn weshalb sonst hatte der Kardinal damals die Akademie in Bensberg umgehend zur Verfügung gestellt

 

„Ich muss zugeben, dass mich ihre Offenbarung in Erstaunen versetzt. Damit hätte ich nicht gerechnet. Und wie bewerten sie das Erlebnis. Als Privatoffenbarung nehme ich doch stark an? Oder ist es am Ende gar eine Täuschung des Teufels? Aber warum hätten sie dann die Anweisung in die Tat umgesetzt?“ Wunderte sich Colette.

„Da haben sie Recht. Vom Teufel kommt sie mit Sicherheit nicht, denn das Gefühl was ich empfand als Jesus zu mir sprach ist unbeschreiblich. Es hat mich dazu gebracht sofort und ohne Zögern zu handeln. Eine Privatoffenbarung, ja, natürlich. Ich habe bisher noch mit keinem Menschen darüber gesprochen, nicht mit meinen engsten Vertrauten, nicht einmal meinem Beichtvater, den ich ansonsten alles anvertraue.“

„Aber warum in aller Welt sagen sie es mir?“

„Weil ich glaube, dass sie es richtig zu deuten verstehen!“

„Danke für ihr Vertrauen. Es ehrt mich. Ja wirklich! Sie werten damit unsere Lebensweise auf. Ein Leben das sich der Vermittlung von Liebe, Harmonie und Verständigung verschrieben hat. Ein Leben, das nach neuen Möglichkeiten sucht, diese auch zu verwirklichen gedenkt.

Ein Leben, das in die Zukunft weißt.“ Dankte Colette zum wiederholten Male.

 

„Als Privatmann ja, natürlich, aber niemals Kraft meines Amtes. Dazu bin ich nicht bestellt.

Als Vertreter der Kirche muss ich ihre Lebensweise entschieden verurteilen, da sie der Lehre der Kirche und dem Naturrecht widerspricht. Ich könnte ihnen niemals meinen Segen erteilen, so gut und richtig ich ihre Arbeit und ihr Leben als Privatmann auch finden möge.“

Colette senkte den Blick, sie erkannt das Dilemma, das sich dahinter verbarg.

„Im Reich der Freiheitsgöttin Anarchaphilia kennt man diesen Zwiespalt nicht. In ihrem Dienst können alle Menschen frei äußern was sie denken und fühlen. Und sie dürfen auch ohne wenn und aber danach leben. Ich danke auf Knien für die Tatsache, dass sie mich Vor Zeiten in ihren Dienst genommen hat.“

„Auch wir dürfen frei äußern was wir denken und fühlen, soweit sind wir inzwischen auch. Aber leben dürfen wir das was die Kirche für geboten hält. Eine etwas andere Art von Freiheit, aber eben doch eine Freiheit.“

„Eine katholische Freiheit?“ Colettes Frage klang provozierend.

„Sie sagen es! Die einzige Art von Freiheit, die gestattet ist. Nach den Lehren der Kirche die einzige Freiheit die frei macht und nicht zur Sünde verführt.“

„Und was sagt der Privatmann?“

„Der hält sich zurück, aus Gründen der Pietät. Im Moment ist der Sturm um meine Person schon groß genug. Ich würde ihm dadurch nur noch mehr an Nahrung verschaffen.“

„Und sie glauben nicht, dass es für sie ein Befreiungsschlag wäre?“

Der Kardinal überlegte. Zum ersten Mal schien er seinen Zweifeln freien Lauf zu lassen.

 

„Befreiungsschlag? Ich denke dafür ist es zu spät. Das Schiff, das sich Kirche nennt, ist in einen starken Sturm geraten, im Begriff sich zum Orkan zu entwickeln. Das Schiff hat Leck geschlagen und wir wissen nicht, wo es stranden wird.“

„Wo sollte ein Schiff anders stranden als an Land. Dort wo es festen Boden unter den Füßen gibt, ein Land der Zukunft, das vor unseren Augen entstehen könnte. Ein Land der Freiheit, indem es der Lüge nicht mehr bedarf. Ein Land, indem es nur eine Wahrheit gibt, die reine Wahrheit, keine aus Notlügen und Halbwahrheiten zusammen gebastelte.“

„Zu schön, um wahr zu sein!“ Bedauerte der Kardinal

„Nein, ganz und gar nicht. Wenn Leute wie wir daran arbeiten, kann es einmal zur Wirklichkeit werden. Jeder von uns, von seinem Platze aus. Anarchaphilia will eine Welt des Friedens, der Freiheit, der Harmonie und Verständigung auf Erden, ein schwerer ein dornenreicher Weg mit vielen Hindernissen und Rückschlägen. Wir in Akratasien haben es gerade auf schmerzvolle Art erleben müssen. Wollte nicht Jesus ebenfalls eine solche Welt?

„Jesus wollte das Reich Gottes auf Erden, doch stattdessen kam die Kirche!“

Ein heißes Eisen, für solche Aussagen wurden nicht wenige in der Vergangenheit zu Ketzern erklärt****

„Nun eine Aussage, die ihre Kirche nicht gerne hört.“

„Aber eine die aussagekräftig ist. Es kommt darauf an wie wir sie deuten und verstehen. Es muss sich dabei nicht notgedrungen um Ketzerei handeln. Sie kann auch dahin gehend verstanden werden, dass die Zeit für das Reich Gottes auf Erden noch nicht gekommen ist und wir die Kirche brauchen, um uns darauf gründlich vorzubereiten.“ Versuchte der Kardinal seiner Aussage die Schärfe zu nehmen.“

„Ich würde sie wörtlich nehmen! Es ist so wie es ist. Ihre Kirche hat in den zurückliegenden Jahrhunderten wenig für den Aufbau des Reiches Gottes auf Erden getan.“ Gab Colette unmissverständlich zu verstehen.

„Ich stimme ihnen zu, als Privatmann. In meiner Eigenschaft als Diener der Kirche muss ich ihre Meinung als zu pauschal zurückweisen. Selbstverständlich hat es schwere Verfehlungen gegeben, im Mittelalter und auch noch darüber hinaus. Da gibt es gar nichts zu entschuldigen.

Aber es waren die Menschen, die gesündigt haben, nicht die Kirche an sich.“

 

Die altbekannte Entschuldigung, die sich längst abgenutzt hatte und der niemand mehr Glauben schenken wollte. Es waren immer einzelne die verfehlt handelten, die sich schuldig gemacht hatten, eben der Sünde verfielen. Doch das System Kirche strahlte in jungfräulicher Reinheit.

Ein System, dass jene Verfehlung aber erst ermöglich hatte.

„Ich kann mich mit dieser Sichtweise ganz und gar nicht anfreunden. Aber ich will auch nicht dagegensprechen. Täte ich es würden wir noch morgen früh hier sitzen und uns die Argumente um die Ohren hauen.“ Versuchte Colette die Debatte zu beenden. Sie fühlte sich etwas müde und hatte keine Lust mehr auf eine kontroverse Diskussion, obgleich es ihr andererseits auch Spaß gemacht hatte.

„Nun das möchte ich auch nicht. Wir leben beide nach unseren Prinzipien und ich denke das ist gut so. Das kann ich sogar als Träger eines geistlichen Amtes unterschreiben. Die Begegnung mit ihnen hat mir einiges an Erkenntnis gebracht. Ja, auch ein Kardinal kann gelegentlich noch hinzulernen und das ohne Gesichtsverlust.“

„Ich danke ihnen, dass sie das so betrachten! Und was gedenken sie zu tun? Ich meine in Bezug auf die von ihnen beschriebe Vision?“

„ Ist diese Frage an den Privatmann oder den Kardinal gerichtet?“

„An beide würde ich sagen! Ich bin es nicht gewohnt Menschen in zwei Hälften zu trennen und mit jeweils nur einer zu sprechen.“ Bekundete Colette mit Nachdruck.

„Nun, zunächst werde ich weitermachen wie bisher. Es gibt noch keinen Grund etwas zu ändern. Die Zeit wird entscheiden, was geschieht, sollte denn tatsächlich Bedarf dafür sein.“

Lautete die kurze und knappe Antwort des Kardinals.

„Dann will ich hoffen, dass zur rechten Zeit ein rechter Bedarf dafür besteht.“

 

Die Königin erhob sich von ihrem Sessel und streckte ihre Glieder. Der Blick auf die Uhr gab ihr zu verstehen, dass sie mit dem Gespräch weit mehr Zeit zugebracht hatte als ursprünglich geplant.

„Nun denn! Ich verabschiede mich. In wenigen Tagen werden wir in unsere Heimat zurückkehren. Wir werden uns wohl nie mehr begegnen. Bedauerlich! Denn ich fand das Gespräch sehr aufschlussreich.“

„Ich bedanke mich ebenso. Wenn sie es auch nicht recht glauben mögen, sie haben mir durchaus geholfen. Dieses Gespräch war für mich sehr hilfreich. Ich wünsche ihnen und ihrer Gemeinschaft eine gute Rückkehr in die alte Heimat. Ich werde sie noch nach draußen begleiten.“

Die beiden verließen die Sakristei und gingen durch den hohen Chor uns schritten dann das Kirchenschiff hindurch, bis sie sich dem Ausgang näherten.

 

Den Vertretern der Medien war dieses Auseinandertreffen der grundverschiedenen Charaktere nicht entgangen. Wie die Presse davon Wind bekommen hatte, konnte nie in Erfahrung gebracht werden.

Als sie durch das Portal auf den Domplatz traten wurden sie in einem Meer von Blitzlichtern gebadet.

Die beiden reichten sich zum Abschied die Hände Zum Gruß.

Colette hielt die Hand des Kardinals, ging mit dem rechten Bein in die Knie und küsste den Bischofsring.

Die Kameras blitzten am laufenden Band. Noch mehr als etwas geschah, mit dem wohl niemand gerechnet hatte.

Plötzlich ging auch der Kardinal in die Knie und küsste seinerseits der König die Hand. Die anwesenden Domkapitulare betrachteten das Schauspiel mit Fassungslosigkeit. Ein Sakrileg.

Die Pressleute hingegen spendeten frenetischen Beifall.

 

Unter den Vertretern der Medien war auch der rasende Reporter des Deutschen Fernsehens Harry Hastig. Wie immer stets zur Stelle, wenn es etwas über Colette, Elena oder die anderen Freiheitstöchter zu berichten gab.

 

„Meine Damen und Herren an den Bildschirmen. Ja und erneut gibt es etwas von Colette der Königin im Exil, die nun bald wieder in ihre Heimat aufbrechen wird zu berichten.

Ich bin froh dass ich noch rechtzeitig von ihrem Treffen mit dem Kardinal erfahren habe. Es wurde erst kurzfristig bekannt gegeben und sollte ursprünglich geheim bleiben.

Colette hat uns auch heute überrascht. Zumindest was die Geste betriff, von der wir uns soeben überzeugen konnten. Was zwischen den Beiden besprochen wurde, wissen wir nicht. Das wird wohl ein Geheimnis bleiben. Aber die Tatsache, dass es überhaupt zu diesem Treffen gekommen ist, ist schon revolutionär.

Die katholische Kirche steckt in einer schweren Krise, sie verliert ständig an Glaubwürdigkeit, ist in Skandale verwickelt. Nie gab es so viele Austritte wie heute. Der Kardinal hat mit seiner damaligen Entscheidung, Colette und die Schwesternschaft der Freiheitstöchter in einer katholischen Einrichtung Asyl zu gewähren für viel Furore gesorgt

Im positiven als auch im negativen Sinne. Negativ natürlich vor allem bei den konservativen, den ewig gestrigen.

Eine Aufwertung erfuhr der Kardinal damals bei den Aufgeschlossenen, bei jenen die in der heutigen Zeit angekommen sind. Das kam ihm zugute, damals. Heute steht er mit dem Rücken zur Wand. Es gibt nicht wenige die seinen Rücktritt fordern. Kann er aus dieser Begegnung Kapital schlagen? Wir wissen es nicht. Kann die Kirche überhaupt noch einmal glaubwürdig erscheinen, nach allem was geschehen ist? Wir wissen es nicht.

Wir wissen nur eins. Colette und die ihren haben heute wieder einmal einen moralischen Sieg errungen.

Wir wünschen ihr eine gute Heimreise.“

 

Colette war froh dem Medienrummel entkommen zu sein. Schnell bewegte sich die kleine Gruppe durch die Gassen und ereichten schließlich den geparkten Kleinbus. Dort hatte Lukas die ganze Zeit startbereit ausgeharrt.

Ohne große Worte bestieg die Königin das Gefährt und nach ihr auch die anderen. Lukas startete und begann sich durch den Stadtverkehr zu kämpfen. Es dauerte seine Zeit bis sie die Innenstadt hinter sich gelassen hatten.

Colette musste das Gespräch erst einmal verdauen. Sie fühlte sich müde, abgespannt und auch etwas genervt.

Schon lange hatte sie nicht mehr auf eine solch kontroverse Weise diskutieren müssen. Als Königin blieb ihr das inzwischen erspart. Da gab es jüngere, die ihr das abnehmen konnten.

Sie führten ihr unkonventionelles Leben. Bald wären sie wieder in der Heimat und weitgehend allem enthoben. Warum sein Leben überhaupt mit solchen wenig sinnvollen Diskussionen vergeuden? Trotzdem schien dem allen ein Sinn innezuwohnen. Colette würde sich der Suche danach sehr bald widmen, auch wenn ihr Aufgrund des bevorstehenden Umzuges wenig Zeit dafür blieb. 

 

Die folgenden Tage vergingen ohne besondere Vorkommnisse. Alles war in hektischer Betriebsamkeit, denn die ersten sollten schon bald aufbrechen.

Mit einem Boten kam ein Paket. Absender das erzbischöfliche Ordinariat. Colette öffnete es voller Erwartung, was den Inhalt betraf.

Da hielt sie plötzlich einen kostbaren Abendmahlskelch in ihren Händen. Ein paar Worte der Erklärung. Da sie dem Kreuzzeichen nicht sonderlich zugeneigt war. Es war immerhin ein furchtbares Mordwerkzeug, sollte sie daher der Kelch, an das Gespräch erinnern. Der Kelch, ein deutlich positiveres Zeichen. Der Kelch der Leben spendet, ein uraltes Symbol. Viel älter als alle patriarchalen Religionen.

Colette freute sich darüber. Er würde in ihrem Arbeitszimmer einen Ehrenplatz erhalten.

Doch das brachte sie in Verlegenheit. Denn nun wäre sie am Zug ein gleichwertiges Geschenk auszusuchen. Was in aller Welt konnte man einem Kardinal schenken?

Diese Frage ließ sich nicht leicht beantworten. Blumen? Ja, sicher, stets ein positives Symbol, Rosen, ja die verfehlten ihre Wirkung nie. Rote Rosen, nein zu aufdringlich. Am liebsten wären Colette Rosen in den Farben rosa-grün, der Nationalflagge Akratasiens, doch die gab es nicht. Sie entschied sich für weiße Rosen. Selten, aber immerhin vorhanden. Sie klapperten alle möglichen Blumengeschäfte ab, bis sie fündig wurden.

Doch Blumen würden rasch verwelken. Da kam der Königin die Idee, die Vase gleich mitzuliefern. Das bleibende Symbol, dem Kelch nicht unähnlich.

Colette und Elena suchten das Teil aus. Ebenso wie der Kelch war die Vase ein Symbol des Lebens da sie mit Wasser gefüllt wurde. Wasser, aus dem Leben entspringt, ohne Wasser kein Leben.

Colette trennte sich nicht gern davon, es war ein Stück, handgefertigt aus Kreta, natürlich kein 3000 Jahre altes Original, aber ein Unikat, das Produkt einer Künstlerin, die den Freiheitstöchtern sehr verbunden war. Verziert mit Ornamenten die alte matriarchale Mythen und Legenden der minoischen Kultur darstellten.

Ob der Kardinal damit etwas anfangen konnte war nicht gewiss. Nach seiner Vorstellung stellten die Abbildungen ketzerische Symbole dar, die mit den Lehren der Kirche unvereinbar waren. Doch wie konnte etwas ketzerisch sein, das viele Jahrhunderte, wenn nicht gar Jahrtausende vor dem Entstehen seiner eigenen Ideologie bestanden hatte? Ferner war die Kirche dafür bekannt viele Kunstschätze aus vorchristlicher Zeit zu sammeln und war damit keineswegs zimperlich. 

Das Geschenk war bereitet und eins Morgens, einen Tag bevor sich der erste Schub von Rückkehrern in Richtung Heimat auf den Weg machte, überbrachte Lukas persönlich das Blumenbouquet nebst Vase in das erzbischöfliche Palais.

Damit war die Angelegenheit besiegelt.

 

Niemand rechnete ernsthaft damit dass sich doch noch eine Wirkung entfalten konnte.

Doch einige Wochen später, die Exilgemeinde war längst vollständig in ihrer alten Heimat angekommen und hatte sich wieder eingelebt, geschah im fernen Köln ein Wunder.

 

Während eines großen Pontifikalamtes im Dom, sollte der Kardinal eine radikale und von der Öffentlichkeit viel beachtete Wende vollziehen.

Die Messe verlief zunächst nach vorgegeben Format und ohne Zwischenfälle. Doch nachdem der Kardinal seinen Segen erteilt hatte, schritt er plötzlich, gekleidet in sein prächtiges Ornat, noch einmal zum Altar.

Er nahm den Bischofsstab hob in die Höhe und legte diesen dann auf den Altar ab. Im Anschluss nahm er die Mitra vom Kopf und platzierte sie ebenfalls auf den Altar. Durch die Reihen der Gottesdienstbesucher ging ein Raunen, zunächst leise und sanft, dann immer lauter und heftiger.

Der Kardinal legte seine Kreuzkette ab und zog sich den Bischofsring vom Finger.

Dann setzte er zu einer Ansprache an.

„Liebe Gemeinde, mit dieser Geste entsage ich ganz offen und feierlich meinem Amt als Erzbischof und Kardinal. Ich will es nicht mehr. Es hat mir keine Freude gebracht., mir nicht und all den mir Anvertrauten ebenso wenig. Deshalb trete ich mit sofortiger Wirkung von allen Ämtern zurück.“

Das Geraune wurde immer heftiger. Viele Anwesend begannen sich, laut gestikulierend, zu Wort zu melden.

Andere waren total geschockt und begriffen lange nicht was hier gespielt wurde.

„ Aber warum? Warum Erzbischof von Köln tust du das? Erkläre es uns!“

Verlangte ein älterer, gut gekleideter und seriös wirkender Herr aus der ersten Bankreihe.

„Ich will es versuchen! Seht ihr, ich habe mein ganzes Leben versucht meinen Gott in der rechten Weise zu dienen. Nein, anders ausgedrückt, meiner Kirche zu dienen. Ich habe beides gleichgesetzt und dabei das Wesentliche außer Acht gelassen. Gottes grenzenlos Liebe, zu allen Menschen, ja zu all seine Schöpfung schlechthin. Ich stellte die Dogmen und Lehren der Kirche über alles. Wollte sie verteidigen ohne wenn und aber. Ich glaubte damit Gottes Willen zu erfüllen. Ich hing an den Buchstaben, doch wir alle wissen, Buchstaben töten, wenn wir nicht verstehen in der echten Weise mit ihnen umzugehen. Ich stieg in der Hierarchie der Kirche immer weiter nach oben. Ich sah mich dadurch in meinem Handeln bestätigt. Gott hatte es meiner Meinung so gefügt und belohnte mich für meine Treue zur Kirche.

Doch ich übersah dabei die Welt um mich herum. Da waren die großen Veränderungen in der Welt, mit neuen Herausforderungen, Anfechtungen, aber auch Chancen. Ich übersah noch viel mehr die Veränderungen in der Kirche, Veränderungen die nach Reformen schrieen. Ich tat sie ab, schob sie zur Seite, betrachtet sie gar als Häresie. Ich war blind für Exzesse, die innerhalb der Kirche geschahen. Versuchte Verfehlungen unter den Teppich zu kehren, statt mich ihnen zu stellen und sie aufzuarbeiten. Das ist meine Schuld, meine Schuld, meine übergroße Schuld.“

Der Kardinal schlug sich, während er sprach, dreimal mit der Hand vor die Brust.

„ Doch es gibt noch Zeichen und Wunder, auch heute, auch in dieser Zeit. Mir begegnete, wie soll ich es ausdrücken, der heilige Franziskus. Eigentlich war es eine heilige Franziska, in einem neuen, modernen Gewande und mit Überzeugungen die im Hier und Jetzt, in unserer Zeit verankert sind. Diese Person holte mich in die Wirklichkeit zurück, sie war der Anstoß dafür, dass ich jenen Zweifeln nachgab, die schon seit geraumer Zeit in mir schlummerten.

Meine Augen öffneten sich und ich sah die Dinge wie sie wirklich sind und nicht so wir ich versuchte sie mir vorzustellen.

Das ich diesen Akt heute hier vollziehen kann, verdanke ich dieser Begegnung. Ohne hätte ich mich zu diesem Schritt nie durchringen können. Ich lege mein altes Leben in Gottes Hände und empfange ein Neues, ein geläutertes Leben. Ein Leben in Eintracht mit mir selbst.

 

Ich werde fortan wirken, als einfacher Seelsorger, auf welche Art wird sich noch erweisen.

Ich möchte den Armen, an den Rand gedrängten, den Ausgestoßenen zur Seite stehen.

Mein Priesteramt werde ich beibehalten. Das habe ich entschieden. Auf diese Weise kann ich mich besser einbringen. Die Menschen schauen nun mal auf zu Ämtern zu Würden, zu geistlichen Autoritäten. Aber es wird nicht mehr so bestimmend sein. Ich werde gleichsam zu einer Art Sozialarbeiter, der auch noch Priester ist.

Ich kann euch alle, die ihr hier versammelt seid nur bitten für mich zu beten. Fürbitte zu halten für den Schritt, den ich jetzt tue. Euch hier, euch zu Hause an den Bildschirmen. Darüber hinaus alle die zur Gemeinde gehören.

Seid nicht traurig, das sich euch allein lasse. Ich verlasse euch nicht wirklich. Ich bin da, ich bin präsent, nur in einer anderen Funktion. Ihr könnte zu mir kommen, wenn ihr einen Rat braucht, ich will ihn gerne geben. Habt Verständnis für diesen Schritt, ich habe ihn mir nicht leicht gemacht. Ich habe Tage, ja Wochen mit mir gerungen. Nun stehe ich hier und kann nicht anders. Gott helfe mir! Amen.****   

 

Das Raunen in den Kirchenbänken wurde immer lauter und heftiger.

Viele schüttelten nur ungläubig ihre Köpfe. Das konnte doch unmöglich real sein!

Einige verließen empört den Dom und drängten nach draußen. Aber es gab auch nicht wenige die Beifall spendeten und somit ihre Zustimmung bekundeten.

Im Grunde war die Meinung zweigeteilt, repräsentierte so die Ansichten die auch im Alltag aufeinander trafen.

 

Der Kardinal entschwand in einem unauffälligen Moment in Richtung Sakristei. Es stand ihm nicht nach Erklärungen vor laufenden Kameras, die sich sicher bald einfinden würden. Er hatte sich erklärt. Das reichte.

Die folgenden Wochen würde er abtauchen, sich unsichtbar machen, vor der Öffentlichkeit. Wenn Gras über die Sache gewachsen war, wollte er sich seien neuen Aufgaben stellen.

So hatte er es geplant, ob die auch so eintraf, stand in den Sternen, oder lag in Gottes Hand, wer er es ausdrücken würde.

 

Die Königin von Akratasien erfuhr von dem Geschehnis erst am Folgetag. Auch sie war zunächst fassungslos, aber vor allem gerührt. Hatte ihr Gespräch mit ihm wirklich die letzten Zweifel ausgeräumt und ihm diesen Schritt tun lassen?  Colette konnte das gar nicht glauben, doch es schien der Wahrheit zu entsprechen. Gerne hätte sie ihm dafür gedankt und gratuliert.

Sie ließ ihm ihre Grüße übermitteln.

Die Freiheitstöchter waren wieder in der alten Heimat und vor ihnen lagen wichtige Aufgaben die volle Konzentration erforderten, Auch für sie ein Art von Neubeginn.

Sehr gerne hätte Colette den Kontakt aufrechterhalten, doch der schien gebrochen. Beider Welten lagen trotz alledem noch weit entfernt voneinander. Aber immerhin eine Brücke war gebaut. Sie zu überschreiten war und blieb ein Wagnis.

 

 

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Vorbild für den Kardinal ist natürlich der derzeitige (2022) umstrittene Kölner Amtsinhaber

Rainer-Maria Woelki (geb. 1956) der als konservativ geltende Theologe ist in zahlreiche

Affären verstrickt, u.a. um die vielen durch Geistliche begangenen Missbrauchsfälle an

Minderjährigen, die soll er vertuscht und darüber falsche Aussagen gemacht haben

Anfang 2022 wurde er durch den Papst für mehrere Monate beurlaubt und durfte sein Amt nicht ausüben. Der Druck auf ihn ist groß, es mehren sich Rücktrittsforderungen

 

 

 

 

** Grundlage ist die so genannte Prädestinationstheologie, deren eifriger Verfechter der

     Schweizer Reformator Johann Calvin (1509-1554) war, danach hat Gott das Schicksal

     des Menschen vorherbestimmt. Insbesondere geht es dabei um die Erwählung einzelner

     Seelen entweder zum ewigen Leben oder zur ewigen Verdammnis. Das Heil erlangt nur

     wer von Gott im Voraus dazu bestimmt wurde. Wer hingegen zur ewigen Verdammnis

     bestimmt wurde hat keine Möglichkeit dieser zu entgehen

 

 

 

*** ganz privat waren Marienerscheinung doch nicht immer, eine der berühmtesten im Jahre

       1858 in Lourdes wurde meisterhaft von der Kirche für ihre Zwecke missbraucht.

       Maria soll dem Bauernmädchen Bernadette Soubirous mehrfach erschienen sein, sie soll

       sich dem Mädchen mit den Worten“Ich bin die unbefleckte Empfängnis“ vorgestellt

       Haben. Das kam zur rechten Zeit, denn vier Jahre zuvor hatte Papst Pius IX. das

       Dogma von der Unbefleckten Empfängnis erlassen, dass zum Teil heftige Kontroversen

       innerhalb wie außerhalb der Kirche ausgelöst hatte

 

 

 

****Jesus wollte das Reich Gottes auf Erden-gekommen ist die Kirche

       Zitat des französischen Theologen Alfred Loisy(1857-1940 ) der wurden im Jahre 1908

       von Papst Pius X. exkommuniziert

       Loisy gilt als Erzketzer des Modernismus

 

 

 

***** Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir! Amen.- Zitat von Martin Luther

          der diese Worte vor dem Reichtag zu Worms im Jahre 1521 vor Kaiser, Fürsten und

          Geistlichkeit gesprochen haben soll. Dafür gibt es allerdings keine Belege