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Schein oder Sein
Schon Tags darauf begann Elena in den Alltag der Gemeinschaft einzusteigen. Dass sollte in den kommenden Wochen zur Regel werden.
Ihre Devise, sich ausprobieren, dort wo es sich technisch einrichten lies. Keine Arbeit schien unter ihrer Würde. So begann sie zum Beispiel bei der Renovierung eines alten Hauses mitzuhelfen. Robert, Madleens ältester Bruder wollte hier demnächst Einzug halten
Dort wurde, wie häufig, improvisiert was das Zeug hielt.
Die an der Renovierung Beteiligten stauten nicht schlecht, als Elena plötzlich vor ihnen stand, bekleidet mit blauem Arbeitsoverall und groben Schnürstiefeln, ihnen ihre Hilfe anbot.
Da es auch Helfer von außerhalb gab, sprach sich diese Tatsache wie ein Lauffeuer herum.
Elena half bei Abrissarbeiten und versuchte sich ebenso beim verputzen einer Mauer, auch wenn sie sich anfänglich etwas ungeschickt anstellte, lernte sie schnell und taktete sich entsprechend in den Arbeitsalltag ein. Diese Arbeiten stellten für sie kein Novum mehr dar denn immerhin hatte sie ähnliches beim Einzug in das alte Kloster geleistet.
Madleen schmollte am ersten Tag noch, vertrieb sich die Zeit mit Wanderungen durch die vertraute, lange vermisste Gegend. Am 2. Tag stand sie jedoch wie selbstverständlich bereit ihren Teil an der Arbeit ein zu bringen. Dadurch bot sich ihr die Möglichkeit ganztägig mit Elena zusammen zu sein und sie stellte fest, dass ihr die Arbeit Spaß machte.
Mit den Menschen hautnah beisammen, ihre Mühsal mit ihnen teilen, das war es was Elena beabsichtigte und sie stellte fest, dass sie den richtigen Weg dafür gewählt hatte.
Sie durchlief verschiedene Berufe, half in Werkstätten, lernte wie man Fahrräder wieder instand setzte, konnte sich in der Tischlerei mit der Bearbeitung von Holz vertraut machen.
Nicht einmal von der Versorgung der Nutztiere schreckte sie zurück.
Es machte ihr einen Mordsspaß.
In der ganzen Gegend gab es nur ein Topthema, Elena und ihre Art sich in den Arbeitsalltag zu integrieren.
Auch die Zeitungen bekamen Wind davon, so verwunderte es nicht, dass die Kunde davon bis in die Hauptstadt drang.
Cornelius musste schmunzeln, als er von Elenas Tatendrang erfuhr. Das passte genau zu ihr und ihrem Dickschädel. Er liebte sie nach wie vor wie eine Tochter und litt sehr unter der derzeitigen Funkstille zwischen ihnen.
Wenigstens konnte er ihr, soweit er es vermochte, aus der Ferne alle möglichen Hilfeleistungen zukommen lassen. Ein Wort genügte und Elena bekam was sie wünschte, so lauteten seine Anordnungen. Nur selten spielt Elena diese Trumpfkarte aus.
Elena übertrieb es mit der Arbeit nicht und es blieb ihr noch genügend Zeit für andere Dinge. Sie meditierte weiter, verarbeitete so die gewonnenen Erkenntnisse.
Sie notierte alles sorgfältig. In ihrem schönen Kopf reiften bereits die Pläne für gewagte Projekte der Zukunft.
Doch Zukunft, was war das? Wie lies sich dieser Begriff definieren?
Die glorreichste Idee einer besseren Zukunft bleibt bedeutungslos wenn sich diese nicht in das alltägliche Leben integrieren lässt. Die Revolution und ihre Fehlentwicklungen verdeutlichten das auf anschauliche Weise.
Die Menschen wollten jetzt besser leben und sie hatten ein Recht darauf. Hier in der Gegenwart keimte die Saat für die Zukunft.
Das Leben ist ein verlorenes Gut, wenn man nicht gelebt hat, wie man hatte leben wollen.
Das wurde ihr nur all zu schmerzhaft bewusst, wenn sie an Leander dachte und all jene die ihr Leben viel zu früh hatten verlieren müssen.
Für die war es zu spät, aber all jene die in der Gegenwart existierten, sollten eine neue Chance bekommen, konnten neue Erfahrungen sammeln. Die alte Kommune würde wieder mit Leben erfüllt, sobald sie zu Hause war.
Zuhause? Wo befand sich das?
Täglich kommunizierte sie mit Tessa. Zum Glück funktionierte die Verbindung wieder reibungslos. Ihre Tochter fehlte ihr sehr. Sie wünschte sie sich an ihre Seite. Das war schon der einzige Grund warum sie sich nach Hause sehnte denn viel lieber hätte sie ihre Zelte für immer hier aufgeschlagen.
Wenn man sie nach ihrem Befinden befragte, antwortete sie zumeist: „Pudelwohl!“ Eine Aussage die wohl am ehesten ihren derzeitigen Gemütszustand wiederspiegelte.
Sie die ihre Eltern früh verloren hatte, die nie wirklich eine Familie ihr eigen nennen konnte
war integriert in eine echte Großfamilie, in deren Alltagssorgen aber auch in deren Lebensgestaltung.
Sie war aufgenommen, von allen gemocht. Und mit Madleen hatte sie eine Gefährtin und Geliebte gefunden, mit der sie alles teilen konnte.
Kamen sie von der Arbeit, nicht selten beschmutzt mit Schmiere in Gesicht und Haaren, säuberten sie sich gemeinsam unter der Dusche und fanden das urkomisch.
In der Nacht liebten sie sich leidenschaftlich. Das Feuer in ihnen steigerte sich von Nacht zu Nacht. Sie waren sich selbst genug, sie waren eins, mehr bedurfte es nicht mehr.
Immer häufiger jedoch wurde Elenas Dienst als Ärztin in Anspruch genommen, denn auch in diesem Bereich herrschte großer Mangel.
Sie konnte sich gut vorstellen, diese Arbeit auch hier zu leisten. Helfer würde sie in Handumdrehen bekommen.
Die Was-wäre-wenn-Frage senkte sich über ihrem Kopf. Sollte sie tatsächlich bleiben? Fern der großen Politik und den damit verbundenen Sorgen, die so zermürbend, so nerven zerreibend waren.
Die perfekte Definition von Glück, mehr konnte sich ein Mensch nicht wünschen in diesen Krisenzeiten. Perfekt? Zu perfekt! Irgendwo lauerte ein Haken, der sie auf den Boden der Realität zurückbefördern würde, höchst unsanft, wenn sie Pech hatte.
War die Versuchung auch noch so groß, sie konnte, sie durfte hier nicht bleiben. Für Elena gab es keinen Traum vom kleinen privaten Glück.
Ein Ruf war an sie gegangen und dem musste sie folgen.
Der Frühling begann sich voll zu entfalten. Die Erde war mit dem sanften Grün frischen Grases bedeckt, gesprenkelt mit tausenden Frühlingsblumen aller Art.
Es sollte sich schon sehr bald herausstellen, wie trügerisch Elenas Traum vom Glück war.
Die rebellierenden Einheiten nutzten das gute Wetter um eine neue Offensive zu starten.
Sie glaubten zu der Annahme berechtig sich soweit regeneriert zu haben um den gesamten Norden in ihre Gewalt zu bringen.
Die beunruhigenden Nachrichten überschlugen sich. Die lähmende Angst breitete sich wie ein Leichentuch über den gesamten Landstrich aus.
Die Furcht saß tief, das gerade in großer Not wieder aufgebaute, erneut zu verlieren, sich wieder in ein schwarzes Loch der Perspektivlosigkeiten zu verlieren.
Als Elena eines Nachmittags gemeinsam mit ihrer Gefährtin und deren Eltern bei einer Tasse Kaffee in der alten Bauernküche saß, stürmte Jörg, einer von Madleens Brüdern atemlos durch die Tür.
„Die Rebellen sind auf dem Weg hierher. Sie haben die letzte Bastion der regulären Truppen niedergemacht und bewegen sich direkt in unsere Richtung. Ich schätze die sind gerade mal noch ca. 10 km von hier entfernt. Ständig, mit jeder Minute wird der Abstand kleiner. Jetzt ist alles aus, die ganze Arbeit von Wochen umsonst!“
Erschöpft ließ er sich auf der alten Eckbank neben der Eingangstür nieder.
"Nun mal langsam Jörg! Wer sagt das? In den Nachrichten war kein Wort davon zu hören.“ wunderte sich Thorwald, während er genüsslich an seiner Pfeife zog.
„Ach, die Nachrichten, die Nachrichten! Die lügen doch wie gedrückt. Seit wann können wir uns daran orientieren, was in den öffentlichen Medien verbreitet wird!“ Protestierte Jörg energisch.
„Ich meine doch nur, von wem hast du die Information, oder bist du den Truppen persönlich begegnet?“ Hakte Thorwald nach.
„Gesehen habe ich sie nicht. Ich weiß es von Hagen, der wollte runter nach Pechstadt um Einkäufe zu tätigen. Aber der kam gar nicht bis dorthin. Die Stadt ist schon von den Rebellen besetzt. Ach Mann, was spielt das denn für eine Rolle von wem ich das weiß.“ Jörgs Unmut kannte kein Erbarmen.
„Tja, dann sieht die Sache wohl sehr bedenklich aus, würde ich sagen.“ Entgegnete Thorwald und lehnte sich zurück.
„Bedenklich? Papa ist mal wieder beim untertreiben. Als sie im Spätsommer bei uns zu Gast waren, haben sie eine Spur der Verwüstung hinterlassen, Elena!“ Klagte Annett.
„Kurz bevor ihr bei uns erschienen seit, konnten wir gerade die gröbsten Schäden beseitigen. Ich hoffte, das sie uns wenigstens den Frühling genießen lassen.“
„Könnt ihr denn nichts dagegen tun? Ich meine es muss doch eine Möglichkeit geben sich mit denen zu verständigen?“ Wollte Elena wissen.
„Verständigen? Mit denen gibt es keine Verständigung! Auch die schlaue Elena kann uns da nicht weiterhelfen!“ Fauchte Jörg zurück.
„Schnauze Elena noch einmal an und ich reiße dir die Haare aus ,du Grobian!“ Schrie Madleen ihren Bruder an, nachdem sie sich rückartig erhoben hatte.
„Aber was soll das denn? Benehmt euch mal nicht wie die Kinder! Jörg, ich verbiete dir Elena noch einmal zu beleidigen! Nein, Elena, ich glaube das wäre vergebens. Wir haben die Verständigung gesucht. Aber die lassen nicht mit sich reden. Die besaßen die Frechheit uns vorzuwerfen, Privilegierte zu sein. Von der Regierung auf besondere Art gefördert.
Stell dir das vor. Dabei haben wir von der Regierung schon seit über 2 Jahren keine Hilfe mehr erhalten. Die haben uns längst vergessen.“
„Und kaum sind die Rebellen abgezogen, wirft uns die Regierung vor mit denen unter einer Decke zu stecken.“ Flocht Madleen schnell ein.
„So war das schon zu Zeiten des alten Regimes. Regierungstruppen und Blauer Orden auf der einen Seite, die Radikalrevolutionäre auf der anderen. Du siehst, es hat sich im Prinzip nichts geändert.“
„Wer die Vergangenheit nicht bewältigen kann ist dazu verdammt sie zu wiederholen. Diese Tatsache bestätigt sich immer wieder. Ich muss herausfinden was die Rebellen im Schilde führen. Sie werden Forderungen aufstellen, nehme ich an? Ich werde den Kontakt suchen!“ Bot sich Elena an.
„Stell dir das nicht so einfach vor, die sind gefährlich. Die schrecken vor nichts zurück. Sei lieber vorsichtig.“ Mahnte Thorwald mit Nachdruck.
„Ich versuche es trotzdem. Die kennen mich doch ebenso. Ich denke, hier kann ich meinen Promistatus wirksam einsetze.“ Erwiderte Elena.
Jörg fühlte sich erneut provoziert.
„Natürlich! Die große Elena stellt sich tapfer den Aufständischen entgegen. Mediengerecht, versteht sich. Die erblicken sie und lassen auf der Stelle die Waffen sinken. So einfach ist das. Wie gut ist es doch, für jedes Problem eine Elena zur Hand zu haben.
„Es ist genug Jörg!“ Wies ihn Annett zurecht. „Wir sollten dankbar für Elenas Angebot sein. Womöglich setzt sie ihr Leben aufs Spiel um unsere zu retten“
„Jaja, ich habe verstanden. Offensichtlich bin ich in dieser Runde fehl am Platze.“Mit einem Ruck erhob sich Jörg und verließ den Raum, die Tür hinter sich zu schlagend.
„Welche Laus ist dem denn über die Leber gelaufen?“
Brauste Madleen auf.
„Ich muss mich noch mal für meinen Sohn entschuldigen. Für dieses Benehmen gibt es keine Rechtfertigung. Es ist eben einfach nur so bedrückend, diese Gefühl des Ausgeliefert seins.
Wenn die sich wieder so aufführen, wie beim letzten Mal, dann weiß ich wirklich nicht!“ Versuchte Annett zu beschwichtigen.
„Keine Ursache! Schon vergessen!“ Bog Elena ab. „Wir sollte uns lieber Gedanken machen, was zu tun ist. Kannst du mich irgendwie in die Nähe der Linien bringen, Thorwald?“
„Was denn, heute noch? Ich rate dringend davon ab. Die sind doch erst mal in Pechstadt beschäftigt. Ich glaube nicht dass die noch weiter vorrücken! Antwortete Thorwald.
„Er hat Recht, Elena. Du brauchst dich nicht unnötig in Gefahr zu bringen. Die kommen schon. Auf einen Tag mehr kommt es nun auch nicht an.“ Bestätigte Madleen.
„Na gut, wenn ihr meint. Ich werde die Zeit nutzen um mir noch einiges zu überlegen. Hier muss sich so manches ändern. Die Desinformationspolitik der Regierung stinkt zum Himmel. Das ganze Land sollte erfahren was hier geschieht. Ich muss mich wieder an Cornelius wenden.“
„Ich hatte schon befürchtet, dass du dich vollständig zurückgezogen hast aus allem. Das höre ich jetzt mit großer Genugtuung. Du wirst wieder ein greifen. Die Menschen setzen ihre Hoffnung auf dich.“ Begeisterte sich Annett.
„Nun mach mal langsam Mutter! Elena hat sich doch nie zurückgezogen. Wenn du hättest sehen können, was sie alles geschaffen hat. All jene deren sie in ihrer Not helfen konnte.“ Klärte die Tochter ihre Mutter auf.
„Das ist richtig! Aber ich habe genau genommen nur Pflaster geklebt. Kurzfristig konnte ich helfen ,die Menschen bald aber wieder sich selbst überlassen. Was fehlt ist etwas konkretes, eine Art Hilfe zur Selbsthilfe. Ich war schon einmal bedeutend weiter, damals als die alte Kommune noch existierte, aber ich habe es, bedingt durch viele Schicksalsschläge schleifen lassen. Erst hier bei euch, bekam die alte Idee neue Nahrung. Gleich nach unserer Rückkehr werde ich mich an die Arbeit machen.“
Madleen vernahm das Gehörte mit Angst, denn Elena würde womöglich ein hohes Risiko eingehen, sollte sie sich tatsächlich auf so direkte Art einmischen. Bisher war alles gut verlaufen, keiner aber vermochte zu sagen was als Nächstes geschah.
„Ich wollte mich noch bei euch bedanken!“ Fuhr Elena fort.“Ich weiß nicht ob ich noch die Gelegenheit dazu bekommen werde, aber die letzten Wochen hier, waren die schönsten meines Lebens. Diese Zeit ist kaum mit Gold aufzuwiegen. Gern würde ich meine Zelte für immer bei euch auf schlagen, doch kann ich von der Hauptstadt aus besser agieren. Die folgenden Tage werden zeigen wie ich mich entscheide.“
„Da würdest du mir eine gewaltige Freude bereiten,“schoss es aus Annett hervor. Dich für immer hier zu wissen, wäre ein traumhaftes Geschenk. Du bist uns immer willkommen.“
Elena durchschritt ein Wechselbad der Gefühle. Ihr Gewissen war in Aufruhr. Hier bleiben oder nachhause gehen. Annetts Einladung klang verlockend. Konnte sie denn nicht auch von hier aus aktiv die Politik gestalten? Andererseits wusste sie genau, dass sie in die Hauptstadt gehörte, dort wo die Fäden zu einem großen Ganzen gewoben wurden, dort wo die verantwortlichen Protagonisten zu finden waren und die Schalthebel der Macht lagen.
Und in der Abtei die ihrer Rückkehr entgegen fieberte, war ihr zuhause.
Bis tief in die Nacht lag Elena wach, spürte Madleens sanften Atem auf ihrer Brust, die sich eng an ihre Seite kuschelte. Die zahlreichen Gedanken die ihr Bewusstsein durchliefen verhinderten den nötigen Nachtschlaf. In die Stille der Nacht wird die Intuition geboren, so hatte es Kovacs ihr gelehrt, der seine Inspirationen auch häufig des Nachts empfing.
Würde der morgige Tag eine erneute Bewährungsprobe bringen? Es sah ganz danach aus.
Es schien ihr Schicksal, ihre Bestimmung zu sein, von einer Bewährungsprobe in die nächste zu schlittern.
Morgen würde sie die Gelegenheit finden den Menschen hier, die ihr ein neues Zuhause geschenkt, sie so liebevoll aufgenommen hatten, alles zu vergelten.
Sollte sie versagen, wäre alles umsonst. das wusste sie.
Langsam, ganz langsam überschritt sie die Schwelle und fiel in den Schlaf.
Als Elena erwachte, kündigte die rosa Färbung am östlichen Horizont den baldigen Aufgang der Sonne an.
Madleen lag noch in tiefen Schlummer neben ihr, gleichmäßig hob und senkte sich deren Brust.
Um sie nicht zu wecken, erhob sich Elena ganz leise, griff nach ihrem Morgenmantel um die Nacktheit zu bedecken. Auf leisen Sohlen schlich sie zum Fenster um einen Blick auf den vor wenigen Augenblicken geborenen Tag zu werfen. Sie öffnete das Fenster. In der feuchten Luft lagen die aromatischen Düfte des Morgens.
In diesem Moment ging die Sonne auf und ihre Strahlen schenkten der Welt auf`s Neue das Licht des Lebens.
Wie friedlich diese Welt da draußen war. Warum konnte das nicht so bleiben? Wieso musste die hässliche Fratze des Krieges diesen Frieden mit Brachialgewalt ein jähes Ende bereiten?
Würde am Ende sogar der Tod auf einige warten?
Möglich schien alles, niemand vermochte zu diesem Zeitpunkt einen Blick in die Zukunft zu werfen.
Ihr Blick glitt zu der jungen Frau, die sich gerade auf dem Bett rekelte und dabei ihre nackten Brüste entblößte. Wie wunderschön sie doch gerade jetzt in diesem Augenblick war. Innig und wild hatten sie sich in der zurückliegenden Nacht geliebt. Wie hatten sie das vermocht, im Angesicht der heraufziehenden Gefahr?
Oder war es ihr gerade deshalb möglich? Liebe wird wahrhaftiger, je näher der Tod bevor steht. In diesen Worten verbarg sich Wahrheit.
Liebe und Tod, Freude und entsetzliches Leid. Alles eng mit einander verwoben. So sah das tatsächliche Leben aus. Denn noch lebten sie nicht im Paradies.
Auf der Buche vor dem Fenster stimmte ein Singvogel seinen Morgengesang an.
Es war Zeit das Tagwerk zu beginnen.
Elena ging zu ihrer Gefährtin, zog ihr die Decke vom Leib, strich ihr das schwarze Lockenhaar aus dem Gesicht und küsse sie.
„Zeit zum Aufstehen, meine Schlafmütze. Auf uns wartet ein Tag voller Entscheidungen!“ Flüsterte sie sanft in deren Ohr.
Ohne die Augen zu öffnen knurrte Madleen nur und drehte sich auf die Seite. Darauf hin gab ihr Elena einen kleinen Klaps auf den Po.
Offensichtlich verspürte diese auch heute wenig Neigung die Geborgenheit des weichen Bettes mit der kalten Realität des Tages einzutauschen.
Der gesamte Vormittag verlief ohne weitere Vorkommnisse. Von Soldaten, gleich welcher Partei, nichts zu sehen und zu hören. Eine gespannte lähmende Angst bemächtigte sich aller und lag bleischwer wie ein kalter Mantel über dem kleinen Anwesen.
Elena half heute nur ein wenig bei der Hausarbeit, zog sich dann zur Meditation ins Freie zurück.
Wieder war den Menschen ein schöner sonniger Frühlingstag beschert.
Die alte Eiche übte auf Elena eine magische Anziehungskraft aus. Dort hatte sie in den letzten Wochen oft Ruhe, Erholung und innere Einkehr gefunden. Hellgrün fiel das Sonnenlicht durch die noch jungen Blätter und streichelte mit seiner Wärme Elenas Wangen.
Warum ließ sich dieser Augenblick nicht für alle Zeiten konservieren?
Sie dachte an Tessa. Sie sehnte sich nach ihrer kleinen Tochter, andererseits konnte froh über die Tatsache sein, diese zu Hause in der Sicherheit der Abtei zu wissen.
Kein Laut war zu hören, bis auf das rauschen des Windes in den Eichenzweigen und das gurgeln des vorbei fließenden Bächleins.
Elena musste sich eingestehen, dass sich trotz der angenehmen Ruhe keine Meditation einstellte, zu aufgewühlt schien ihre Seele ob der sich immer bedrohlicher nahenden Gefahr.
Plötzlich vernahm sie Schritte. Madleen näherte sich ihr. Bisher hatte sie Elenas Auszeiten in der Natur stets respektiert. Heute war ein Ausnahmetag.
„Störe ich dich Elena?“
„Nein, nein, du doch nicht! Ich sitze hier einfach nur so rum. Komm setz dich zu mir!“
Madleen nahm am Stamm der alten Eiche, der Schutz und Geborgenheit ausstrahlte, Platz.
„Elena ich habe Angst! Alles ist wieder da. Wie erleichtert ich doch war als ich damals von hier aufbrach. Ein Aufbruch ins Ungewisse, der mich aber letztendlich in deine Nähe führte. Nun bin ich zurück gekehrt. Ich weiß nicht ob ich das alles noch mal durchstehe.“
Elena legte ihren Arm um die Schulter der Geliebten.
„Auch mir ist nicht wohl, aber ich bin sicher das sich alles aufklären lässt. Vertrau mir! Bisher ist noch gar nichts geschehen. Möglicherweise kommen die gar nicht bis hier rauf!“
Vielleicht konnte sie ihre Gefährtin etwas beruhigen. Madleen lehnte sich an sie, gefestigt in tiefes Vertrauen.
Die Stunden verstrichen und nichts geschah.
Die beiden verbrachten den gesamten Nachmittag im Freien.
Langsam schritten die bedien Frauen auf den Hof zu. Es war später Nachmittag Die Dämmerung sickerte über den Himmel, breitete sich über das Land aus wie ein dunkel werdender Fleck.
Es war Zeit zum Abendessen.
Zuerst ganz leise, dann immer deutlicher vernahmen Madleens Ohren das Dröhnen von Motoren aus der Ferne.
Es bestand kein Zweifel, das waren Militärfahrzeuge. Immer bedrohlicher schob sich der Lärm auf das Gehöft vor. Sie kamen also tatsächlich.
„Sie kommen Elena!“ Entfuhr es Madleen.“Für einen Moment glaubte ich tatsächlich dass der Kelch an uns vorüber geht. Aber man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.“
In Windeseile rannte sie ins Haus, ließ Elena zurück, in ihrem Zimmer einen Hauch von Sicherheit suchend.
Annett trat in den Innenhof. „Sie sind da! Hast du den Motorenlärm auch vernommen?“
Nun wurden auch die übrigen Bewohner von Panik ergriffen, auf dem Gelände entstand ein heilloses Durcheinander.
„Bleib nicht wie angewurzelt stehen, komm ins Haus Elena, “ rief ihr Valeria entgegen. „Wir müssen erst abwarten wie sie sich verhalten. Die treffen noch früh genug ein.“
Elena zögerte nicht und folgte. In der Küche saßen auch die anderen Familienangehörigen,
und verharrten in schweigen.
Ihre Geliebte war nicht dabei, wie Elena wenig später bemerkte.
„Wo ist Madleen?“ Wollte sie wissen, obgleich sich die Frage eigentlich von selbst beantwortete.
„Ich nehme an, in eurem Zimmer. Aber das ist egal, denn ganz gleich wo wir uns auch auf halten, finden werden sie uns überall. Am besten wäre es allerdings, wenn wir alle beisammen wären.“ Antwortete Thorwald, dabei unruhig aus dem Fenster blickend.
„Ich werde zu ihr gegen. Ich möchte sie auf keinen Fall alleine lassen.
Beschloss Elena und schickte sich gerade an die Tür zu öffnen, als Thorwald mit lauter Stimme rief.
„Bleib hier Elena, es ist zu spät, sie sind bereits da. Da siehst du, das erste Fahrzeug passiert das Tor.“
Lautes Gemurmel setzte als Folge dieser Nachricht ein.
Immer mehr Fahrzeuge parkten auf dem Hof, bis dieser sich zur Hälfte füllte.
Nur wenig später drang das erste Palaver der Soldaten an ihre Ohren.
Ein Personenjeep war das letzte Fahrzeug, das in den Hof einfuhr.
Die Standarte der Rebellen flatterte am Bug des Jeeps, kein Zweifel, es musste sich um den Kommandanten der Truppe handeln.
Elena zögerte, bewegte sich unruhig hin und her. Sollte sie jetzt schon handeln?
Dort wurden Befehle gerufen. Eine Stimme, wie ein Messer, das durch die Stille des Augenblickes schnitt.
Dann noch einmal, Elena war sich nicht sicher, aber sie glaubte den Klang jener Stimme gut zu kennen.
Zögernd schritt sie zum Fenster und wagte einen Blick auf diese neue Wirklichkeit. Im gleichen Augenblick wandte sich der Anführer um und sie konnte sein Antlitz erblicken.
Sie sah in die Augen eines bekannten Gesichtes. Ohne Zweifel, es handelte sich um ihren alten Kommunarden Ronald. Entsetzen und Erleichterung bemächtigten sich Elenas gleichermaßen.
Sie kannte diesen Mann sehr gut, Alexandras Lebensgefährte. Gründungsmitglieder der Urkommune, damals in der Gartensiedlung am Stausee. Später mit ihr in die Abtei übergesiedelt. Ein Lichtblick, mit ihm würde sie vernünftig reden können.
Wie Leander stammte auch Ronald aus dem Preka-millieu und genau wie dieser hatte er sich in eine gesellschaftlich weit über ihm stehende Frau verliebt. Comtesse Alexandra, aus einer der reichsten Familien des Landes. Doch im Gegensatz zu ihr und Leander war dieser Liebe
ein Happy End vergönnt. Ronald hatte studiert, sich mühevoll nach oben gearbeitet. Wie durch ein Wunder konnte er sogar ein wenig Anerkennung in Alexandras nobler Familie finden.
Er gehörte von Anfang an zu Neidhardts Stab. Seine Fähigkeiten ließen ihm dann auch nach der Revolution schnell in die oberste Ebene aufsteigen, er wurde Neidhardts rechte Hand. Seine Ehe war glücklich, zwei Töchter hatte Alexandra ihm geschenkt.
Warum in aller Welt sah ihn Elena jetzt und hier, bei jenen Verbänden die sich in offener Rebellion zu Neidhardt befanden? Was war geschehen, das er seine sichere Position aufgab? Hatten Revolution und Krieg ihn zu einem Ungeheuer mutieren lassen, ihm dem sonst stets so freundlichen und hilfsbereiten?
Schließlich obsiegte der Mut über den Zweifel und Elena öffnete die Tür.
Langsam, ganz vorsichtig bewegte sie sich auf die Menschenansammlung zu.
Als die Soldaten ihrer ansichtig wurden, gellte ein lautes Pfeifkonzert über den Hof. Der Kommandant hatte ihr Erscheinen noch nicht bemerkt und diskutierte noch mit einigen ,ihr dabei den Rücken zugewandt.
Elena legte ihre Hand auf seine Schulter. Instinktiv griff der nach seiner Pistole und drehte sich um.
„Lass sie stecken Ronald, die wirst du bei mir nicht brauchen!“ Sprach ihn Elena an.
Erschüttert blickte Ronald in Elenas Augen, für einen Moment schien die Zeit zu Eis gefroren.
Doch Elena erschrak aufgrund seines Zustandes. Die humorvolle Fröhlichkeit von einst war aus seinen Augen verschwunden. Eine hässliche Narbe zog sich über sein Gesicht, Graue Strähnen durchzogen sein schwarzes Haar. Elena bemerkte erst jetzt dass er seinen linken Arm in einer Schlinge trug, offensichtlich noch von einer jungen Verletzung her rührend.
„Ich glaube es nicht, Elena? Was machst du denn hier?“
„Das gleiche möchte ich dich auch fragen Ronald, noch dazu in einem so traurigen Zustand.
Was ist mit dir geschehen? Warum hast ausgerechnet du dich dieser Rebellion angeschlossen?“
„Wie meinst du das? Es ist Revolution, noch immer Elena. Sie wurde nie beendet. Ein Kämpfer war ich und ich werde immer einer bleiben! Das ist meine Passion! Für mich gibt es kein anderes Leben!“ Lautete die kurze, knappe Antwort.
„Das sehe ich! Aber ich erinnere mich nicht, früher solche Worte aus deinem Munde vernommen zu haben. Da muss sich schon etwas ganz bewegendes zugetragen haben, dass du dich auf so eine tragische Weise wandeln konntest. Warst du nicht vor nicht all zu langer Zeit
Neidhardts rechte Hand? Jetzt rebellierst du gegen eine Regierung die du einst auf den Schild gehoben hast.“
„Du irrst dich nicht! Aber es gibt Situationen, da sind Entscheidungen gefragt. Entscheidungen von unübersehbarer Tragweite. Revolutionäre sind in dieser Regierung unerwünscht. Das ist der Grund warum ich heute vor dir stehe.
Mein Gott Elena, dich nach so langer Zeit wieder zu sehen. Ich höre zwar des Öfteren von dir.
Und es wurde gemunkelt dass du dich in dieser Gegend aufhältst, aber ich wollte dem keinen rechten Glauben schenken. Dich jetzt vor mir zu sehen haut mich fast um.“
„Ronald, lass uns zur Sache kommen. Ich möchte dich für diese Menschen hier bitten, die hier zuhause sind und die mir sehr am Herzen liegen. Du wirst ihn nichts tun?
Nicht wahr? Versprichst du mir das, im Zeichen unserer alten Freundschaft.“ Überrumpelte Elena den noch immer überraschten.
„Äh ja äh. Das heißt nein, natürlich nicht! Wie kommst du denn darauf dass ich den Leuten etwas Böses antun könnte? Denkst du inzwischen so schlecht von mir?"
„Du vielleicht nicht. Aber kannst du für deine Leute die Hand ins Feuer ?
Du bist der Kommandant. Gib einen entsprechenden Befehl! Jetzt und hier, ich möchte es mit meinen Ohren hören!“
Ronald verharrte einen Moment in Schweigen, dann wandte er sich an die versammelte Truppe.
„Alles mal herhören!“ Das Gemurmel verstummte auf der Stelle, seine Autorität schien gefestigt. „Ihr verhaltet euch ruhig! Keine Plünderung, keine Übergriffe auf die Anwohner!
So lautet mein Befehl! Habt ihr das verstanden?“
„Jawohl Kommandant!“ Ertönte es schlagartig in einem großen Chor.
„Zuwiderhandlungen werden bestraft, ganz gleich welcher Art sie auch sein mögen. Wer gegen meine Anordnung verstößt bekommt es mit mir zu tun! Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?“
„Jawohl Kommandant!“
Der Befehl war eindeutig, die Menge hatte Respekt.
„Reicht dir das Elena? War es das was du von mir wolltest?“ wandte sich Ronald wieder zu ihr.
„Danke Ronald! So ist es recht! Du hast mich früher nicht enttäuscht du wirst es auch heute nicht tun!“
Währenddessen verfolgte die Familie gespannt das Geschehen auf dem Hof.
„Was siehst du Thorwald? Nun sag schon! Was geht da draußen vor?“ Wollte Annett mit ängstlicher Stimme wissen.
„Die unterhalten sich ganz angeregt! Ich glaube Elena kennt diesen Mann. So zumindest hat es den Anschein. Jetzt hat er einen Befehl erteilt uns in Ruhe zu lassen. Mein Gott…
Sie… sie hat es tatsächlich geschafft. Was für eine Prachtfrau!“
Ein Murren der Erleichterung erfüllte die Küche.
„Das hätte ich nie für möglich gehalten. Was muss Elena doch für einen enormen Eindruck auf die da draußen ausüben, “ Staunte Valeria.
„Sie ist unsere Rettung! Ich habe es gespürt, seit Madleen sie mit auf den Hof gebracht hat.
Mit Elena erfüllt sich unser Schicksal. Ich glaube es wird doch noch alles gut.“ Schwärmte Annett.
Auch draußen entspannte sich die Lage weiter.
„Komm Elena, lass uns ein Stück abseits gehen. Die müssen nicht alles hören was ich zu sagen habe.“ Forderte Ronald auf.
Blutrot versank die Sonne in ihr Wolkennest. Die spärliche Hofbeleuchtung hatte sich eingeschaltet.
„Du hast deine Truppe im Griff! Oder hast du Angst davor das sie dir irgendwann die Gefolgschaft verweigern?“
„Hmmm,man muss auf der Hut sein. Es ist, sagen wir mal, einfach nur Vorsicht. Die Dinge ändern sich so schnell heute. Aus einem Freund kann sehr schnell der schlimmste Feind werden und umgedreht.“
Die beiden gingen ein Stück und ließen sich dann auf einer alten Holzbank nieder.
„Ronald, was ist geschehen? Willst du mir nicht sagen, warum ihr diesen Aufstand, diese verhängnisvolle Rebellion begonnen habt. Ihr müsst euch doch darüber bewusst sein, das euer Ansinnen in Anbetracht des Kräfteverhältnisses, vollkommen aussichtslos ist.“
„Oh, so stark ist die Übermacht mit Nichten. Glaub nur ja nicht, dass wir die einzigen Unzufriedenen sind. Dutzende solcher Verbände gibt es, sie haben die Nordregion fast vollständig unter ihre Kontrolle gebracht. Ich bin mir im Klaren darüber das man in der Hauptstadt keine Silbe davon erfährt. Die Desinformationsstrategie funktioniert ausgezeichnet.
Immer größere Teile der regulären Armee wenden sich von der Partei ab und schließen sich uns an. Und wenn wir stark genug sind werden wir gen Süden marschieren und die Hauptstadt nehmen, dann heißt es adieu Neidhardt….“
Elena konnte das alles nicht mehr ertragen.
„Angreifen, immer wieder Angreifen! Ich will das nicht mehr hören!“ Unterbrach sie den Redefluss. Etwas anderes scheint es für dich gar nicht mehr zu geben? Freund aus alten Tagen, du weichst mir aus. Warum kämpft ihr?“
„Weil es nicht anders geht!“ Sein Tonfall wurde bestimmender. „Die Revolution wurde verraten. Neidhardt hat uns betrogen. Es gibt kein gerechtes Staatswesen, statt seiner eine Diktatur übelster Art. Neidhardts Blut hat sich in Gift verwandelt.“
„Da scheint er aber nicht der einzige zu sein. Ich erkenne dich nicht wieder Ronald. Du stehst ihm in nichts nach. Neidhardt hat uns alle betrogen, das ist aber noch lange kein Grund zu den Waffen zu greifen und das Land das gerade in Begriff war sich von den Wunden des langen Bürgerkriegs zu erholen, erneut in eine Auseinandersetzung zu stürzen. Plündernd und brandschatzend zieht ihr durch die Gegend und tyrannisiert die Zivilbevölkerung. und das nennst du revolutionär?“ Empörte sich Elena.
„Verleumdungen, alles Verleumdungen Elena! Nicht von unserer Seite gingen die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung aus. Das waren die Regierungstruppen. Die haben sich wie die Schweine benommen. Wir streiten für die alten Ideale der Revolution, wir sind der Meinung sie zu verteidigen…“
„Ja selbstverständlich! Es sind immer die anderen!“ Unterbrach Elena.“ Hier stehen wir, die Guten, die Tugendhaften, die moralische Instanz, die nur für hehre Ziele kämpfen. Die anderen sind die Bösen, die durch und durch negativen, die sich abscheulicher Verbrechen schuldig machten. Die muss man stoppen, gleich welcher Mittel man sich dabei bedient.
Genau das wussten die Regierungstruppen über euch zu erzählen, als wir uns auf dem Weg nach hier befanden. Ideale, Ronald? Welche Ideale denn? Ich weiß nicht wovon du sprichst!
Ich kannte einmal einen jungen Mann, voller Ideale, so hochgesteckte, das er glaubte, sich deshalb den Radikalrevolutionären an schließen zu müssen.
Nun kämpft er gegen seine alten Genossen, wieder der Ideale wegen! Das ist doch verrückt!“
Elena unterdrückte ein schluchzen, denn im Inneren ahnte sie, das Ronald dem Wahnsinn
gefährlich nahe schien.
Schweigen! Sie harten der Dinge die noch kommen sollte, sahen sich an und schienen sich gegenseitig fragende Blicke zu zuwerfen.
Doch so kamen sie nicht weiter. Elena musste versuchen dem Gespräch die Schärfe zu nehmen.
„Was ist denn überhaupt mit deiner Familie?“ Durchbrach sie das frostige Schweigen.
„Was soll mit ihnen sein sein?“ Wunderte sich Ronald.
„Geh doch einfach nach Hause! Du hast Menschen die dich lieben. Alexandra und die Kinder. Ist das nicht ein Grund umzukehren und diesem Lebensweg ein für alle mal zu entsagen?“
Ohne es zu wissen, hatte Elena bei ihrem Gesprächspartner eine kaum verheilte Wunde geöffnet.
„Alexandra? Wir sind schon seit geraumer Zeit nicht mehr zusammen. Es kriselte schon seit jenem Tag als ich sie mit zu mir nahm, damals, nach Leanders Tod, als du deinen Zusammenbruch hattest. Ich hätte sie nie dazu überreden dürfen, ihr eigentliches Zuhause ist und bleibt die Schwesternschaft, das hat sie mir mehr als einmal vorgehalten. Nun, es ging eine ganze Weile gut, nachdem ich die Karriereleiter nach oben stieg. Als dann die Zwillinge geboren wurden, lag sogar für eine gewisse Zeit eine Wende in unserer Beziehung in greifbarer Nähe . Hoffnung keimte in mir. Doch das Glück währte nicht lange. Als es während der großen Säuberung zum endgültigen Zerwürfnis mit Neidhardt kam, lies sie mich einfach im Stich, nahm die Zwillinge und setzte sich ab. Ich hätte ihr ganzes Leben zerstört, warf sie mir vor, ihre Heimat genommen. Damit kann sie ja nur die alte Abtei meinen.
Sie lebt jetzt bei ihren Eltern, wie ich in Erfahrung bringen konnte. Wir haben keinen Kontakt zu einander.
. Die Ideale blieben, das ist das einzige was ich noch besitze. Du siehst, viel habe ich nicht mehr zu verlieren! Willst du mir das wenige auch noch nehmen?“
Elena schwieg verwirrt. Zu ungeheuerlich was sie da zu hören bekam.
Alexandra war nicht mehr mit Ronald zusammen. Warum in aller Welt hatte die sich nicht vertrauensvoll an sie gewandt und war in die Abtei zurückgekehrt, dort wo ihr zuhause war?
Fragen über Fragen.
Also noch ein Sorgenkind mehr um deretwillen sie sich Gedanken machen musste.
Eine ihrer dringlichsten Aufgaben würde also darin bestehen, die verlorenen Schwestern wieder zu finden, aufzusammeln und nach Hause zu bringen.
„Aber wie kam es dann zum Bruch mit Neidhardt?“ Wagte sie zu fragen nachdem sie die Fassung wieder erlangt hatte.
„Eine lange, eine komplizierte Geschichte.“
„Wir haben genügend Zeit. Erzähl sie mir einfach. Wie soll ich mir sonst ein objektives Bild von allem machen?“
Es schien Ronald Überwindung zu kosten über diese Dinge zu reden, seine Reaktion verriet das. Doch dann fasst er Mut.
„Am Anfang lief alles Bestens. Neidhardt ließ einige Hilfprojekte starten. Der Wiederaufbau der Gesellschaft setzte ein, Hoffnungen keimten in mir auf. Hoffnung darauf das er die alte vereinbarte Räteordnung wieder in Kraft setzt, so wie er es versprach nach seiner Machtübernahme. Doch das war ein Irrtum. Ein fataler. Was erleben wir statt dessen? Gleichschaltung pur.Lange hielt ich mich zurück. Ich hatte eine Frau, eine Familie, Verantwortung. Doch mit der großen Säuberung begannen meinen Ideale zu schmelzen wie Eis im Frühling. Nun war das Maß voll. Ich versuchte am Anfang noch meine Position dafür zu nutzen um mäßigend einzuwirken, setzte auch eine Zeitlang meine Hoffnung auf Cornelius, doch der hielt sich lange bedeckt. Als er sich dann wieder zu Wort meldete war es für mich zu spät, da hatte ich Neidhardt längst schon den Fehdehandschuh vor die Füße geworfen. Ich schloss mich den Rebellen an und die machten mich schon bald zu einem ihrer Kommandanten.
Aber warum erzähl ich dir das? Du bist doch im Bilde über die schleichende Übernahme, oder Neidhardisierung wie es in Oppositionskreisen genannt wird.“
„Wie dir sicher bekannt ist habe ich viele Monate in geistiger Umnachtung zugebracht, also wesentliches verschlafen,kenne also die unmittelbare Nachrevolutionszeit nur vom hören sagen. Ich muss mir mein Bild erst langsam konstruieren. Du hast also wie viele andere mit Neidhardt gebrochen und versucht deinen eigenen Weg zu gehen! Das ehrt dich. Damit hast du vieles in deinem Leben wett gemacht!“
Elena rang nach Worten doch die stockten auf ihren Lippen. Wieder einmal saß ein tief Verwundeter neben ihr und sie vermochte kaum zu helfen.
Sie legte einfach ihren Arm auf seine rechte Schulter. Für einen Moment bedurfte es keiner Worte.
„Verzeih mir! Ich wollte keine alten Wunden erneut zum bluten bringen. Ich hatte von deinem Schicksal keine Ahnung. Wie viel Leid wird dieser unsinnige Kampf noch bringen? Ich weiß es nicht! Ich weiß nur eins: Das Land braucht Frieden! Es muss eine Lösung gefunden werden!“
„Die suche ich auch. Das Ergebnis hast du kennen gelernt. Gib dir nicht der Illusion hin. Ein Frieden ohne Gerechtigkeit ist nur ein halber. Schneller als du denkst werden neue Gräben gezogen.“
Das sich Elena nicht damit abfinden konnte leuchtete ihm ein, dafür kannte er sie noch zu gut.
„Hast du denn nie den Versuch unternommen Alexandra wieder zu gewinnen?“ Bog sie in eine andere Richtung.
„Wie denn? Sie verweigert jegliche Kontaktaufnahme seit jenen Tagen. Du machst mir wirklich Spaß!“
„Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg! Nichts ist unmöglich, wenn man sich nur dementsprechend bemüht. Es war nicht gut sie allein zu lassen. Aber es ist noch nicht zu spät.
Wenn du willst, werde ich dir auch dabei helfen. Alexandra ist meine Freundin. Und eine Schwester.“
„Das ist nett von dir, aber da wirst du ebensolchen Schiffbruch erleiden wie ich. Sie lässt gar niemanden mehr an sich ran.“ Wiegelte Ronald ab.
„Du solltest mich kennen. Für mich gibt es keinen Unmöglichkeiten. Ich sehe schon den Wulst an ungelösten Problemen auf mich zukommen. Ich werde Alexandra finden und sie dir wiedergeben. Und was die Politik betrifft, da wird von nun an wieder mit mir zu rechnen sein.
„Übernimm dich nicht Elena! Sei vorsichtig! Ganz andere Voraussetzungen damals. Die marktkonforme Demokratie ließ Schlupflöcher und Nischen zu. Auf diese Weise konnten sich Alternativen entwickeln. Neidhardts Sozialdiktatur ist von ganz anderer Art, die kontrollieren alles, womöglich bald die Gedanken, wenn das so weiter geht. Eine Subkultur? Undenkbar!“
„Du hast Cornelius vergessen. Er ist der Schlüssel zu allem. Ich habe noch immer Einfluss auf ihn, auch wenn derzeit noch immer Funkstille zwischen uns herrscht. Er würde seine schützende Hand über mich und meine Projekte halten, wenn ich ihn darum bitte, bzw. bitten lasse, denn wir reden nicht persönlich mit einander. Ihn plagt das schlechten Gewissen, du weißt, wegen der Sache mit Leander und dem Mausoleum damals. Er versucht es auf seine Art wieder gut zu machen und ich brauche ihn nur von Zeit zu Zeit daran zu erinnern.“ Entgegnete Elena und heckte dabei schon ihren nächsten Plan aus.
Es schien tatsächlich möglich, wenn sie nur ihre Trümpfe richtig ausspielte. Der Schlüssel lag darin das sie alles daran setzen musste Cornelius von Neidhardt Einflüssen fernzuhalten.
„Gib auf Ronald! Lass ab von diesem Kampf, er hat bisher kein einziges Problem gelöst, dafür umso mehr Leid geschaffen.“
„Du machst es dir einfach! Was soll ich denn deiner Meinung nach tun? Einfach die Waffen fallen lassen, nach hause gehen und sagen: So, das wars Neidhardt, hier bin ich wieder! War halt nicht so gemeint mir dem Aufstand, Schwamm drüber und zur Tagesordnung übergehen? So einfach ist das? Der lässt mich an die Wand stellen. Das ist es. Nein, es gibt kein Zurück mehr ins bürgerliche Leben, ins Kollektiv, wie auch immer.
Kämpfen oder untergehen, so lautet die Devise!“ Klärte sie Ronald auf. Sie musste sich eingestehen dass er die Wahrheit sprach, wer anderes erwartete war einfach nur naiv.
Für Neidhardt gab es keine Vergebung. In Ungnade gefallen dass bedeutete Unperson, ausgeschalten, vernichtet.
Wie konnte sie ihm so einen Vorschlag unterbreiten?
„Du hast Recht Ronald! Und das ist es was mich traurig macht. Es war dumm von mir dir so einen Vorschlag zu unterbreiten. Aber glaube mir, ich werde nicht eher ruhen, bis ich auch dafür eine Lösung gefunden habe.“
„Ich erkenne dich wieder! Immer noch die Alte,so wie früher. Auch damals warst du stets davon überzeugt für jedes Problemchen eine Lösung aus dem Hut zu zaubern und niemand vermochte dich von dieser Idee abzubringen.“ Erinnerte sich Ronald.
In der Zwischenzeit hatte die Dunkelheit den Tag vertrieben und ein prächtiger Sternenhimmel entfaltet seine Pracht.
„Was ist denn mit deinem Arm Ronald, darüber haben wir noch gar nicht gesprochen?“
„Ach nichts von Bedeutung!“ Versuchte Ronald sein Problem herunter zuspielen.
" Wenn es nichts ist warum trägst du ihn dann in einer Schlinge?“
„Es ist eine alte Verletzung, schon mehrere Monate her. Seitdem kann ich ihn nur noch bedingt gebrauchen. Mach dir aber deswegen keine Gedanken.“
„Tue ich aber! Wenn du willst sehe ich ihn mir an, Du scheinst vergessen zu haben, dass ich Ärztin bin. Ich kann dir helfen, wenn du mich lässt. So etwas sollte man niemals auf die leichte Schulter nehmen.“
„Also meinetwegen, wenn es dich beruhig, kannst du morgen gerne mal einen Blick drauf werfen.“ Gab Ronald schließlich nach, so als ob er ihr damit einen Gefallen täte.
„Ja, es beruhigt mich, stell dir vor. Das sieht dir ähnlich, vor lauter Politik und Revolution
Treibst du Schindluder mit deiner Gesundheit. Das wäre also noch eine Angelegenheit bei der du meine Hilfe brauchst.“
„Da bin ich ja ein rechter Glückspilz, das ich hier auf dich gestoßen bin.
Mich trieb stets das Schicksal. Bisher hat es sich meist negativ zu Wort gemeldet, es wird Zeit auch mal dessen positive Seite auszukosten.“
Das Gespräch wurde auf diese Weise immer persönlicher. Elena tat es gut. Sie vertraute darauf, dass sich alles zum Guten wenden könnte. Sie kannte Ronald recht gut. Er würde zu seinem Versprechen stehen.
Erst als es ihr fröstelte beendeten sie die Unterhaltung.
Elena verabschiedete sich von Ronald und wünschte gute Nacht. Morgen wollten sie an das Begonnene anknüpfen.
Dann eilte sie über den Hof zum Haus zurück. Die meisten warteten dort immer noch voller Ungeduld. Um so erfreulicher, was sie dann zu hören bekamen.
„Alles in Ordnung! Es besteht keine Gefahr mehr. Der Kommandant hat mir zugesichert, das es keine Übergriffe geben wird!“ Beruhigte Elena während sie die Tür hinter sich schloss.
„Oh Elena, das ist eine gute Nachricht. Dich hat in der Tat der Himmel geschickt. Was hätten wir nur ohne dich gemacht!“ Begeisterte sich Annett.
Elena schwieg, konnte darauf nicht die richtigen Worte finden.
„Kennst du diesen Mann denn so gut?“ Wollte Valeria wissen.
„Ja, auch wenn ich ihn schon lange nicht mehr gesehen habe. Ronald ist ein alter Freund von mir, er lebte eine ganze Zeit in der alten Abtei und war mit Alexandra einer meiner Schwestern zusammen, gehörte somit zur Urkommune. Dass wird uns auf jeden Fall zugute kommen. Er hat noch einiges gut bei mir, nun kann er seine Schuld begleichen. Wenn er ein Versprechen gibt dann wird er es auch einlösen.“
„Und da bist du dir ganz sicher? Hat er seine Leute im Griff?“ Aus Thorwalds Worten sprach noch immer das Misstrauen.
„Natürlich sollten wir nicht zu leichtsinnig sein. Vorsicht ist immer geboten, aber ich denke es wird alles gut.“
„Wie lange die zu bleiben gedenken hat er dir nicht zufällig gesagt?“ erkundigte sich Thorwald weiter.
„Nein dazu ist es nicht mehr gekommen. Aber ich werde ihn morgen wieder sehen und ihn gleich darauf ansprechen.“
Langsam löste sich die Spannung bei den meisten. Aber im Hinterkopf wartete bei allen noch das Misstrauen.
„Sagt mal, ist Madleen in der Zwischenzeit aufgetaucht?“ Jetzt erst bemerkte Elena dass ihre Gefährtin noch immer abwesend war.
„Vor etwa einer halben Stunde war sie mal kurz hier unten. Als sie aber erfuhr das du noch immer draußen bist ist sie sogleich wieder verschwunden.“ Erinnerte sich Annett.
„Ich werde gleich zu ihr gehen, ihr entschuldigt mich sicher.“
Elena hatte es eilig die Gefährtin zu sehen, alle hatten dafür Verständnis. Die machte sich auf den Weg durch den kalten Flur, die Treppe rauf und fand die Geliebte auf dem Bett sitzend, sich im Fernsehen die neuesten Nachrichten an sehen.
„Die wissen natürlich wieder mal von nichts zu berichten, das ist typisch.“ Begrüßte sie Madleen recht gefasst.
„Was kann man von denen schon anderes erwarten. Aber es gibt gute Nachricht von unten.
Stell dir vor, ich kenne den Kommandanten, Ronald, der von dem ich dir erst kürzlich erzählt habe. Das ist für uns ein Glücksfall. Mit dem komme ich gut zurecht. Er hat mir versichert, das er seine Leute im Zaum halten wird.“
" Dann wollen wir nur hoffen dass er Wort hält. Weißt du,ich habe kein sonderliches Vertrauen in Uniformen!“
„Ich auch nicht, aber es ist zumindest ein Hoffnungsschimmer. Eine totale Garantie gibt es freilich nie.“
In den Nachrichten wurden wieder einmal die großen Erfolge der Neidhardt-Administration gefeiert. Alles sah perfekt aus, so als gäbe es nicht den geringsten Konflikt im Lande. Das Volk glaubt jede Lüge, wenn sie nur gut verpackt rüber kommt.
„Einen Abendspaziergang lassen wir wohl lieber ausfallen, oder?“ Erkundigte sich Madleen.
„Ja, ich würde ein wenig vorsichtig sein, zumindest heute noch. Wir wollen die Soldaten nicht unnötig provozieren. Morgen könnte es schon wieder besser aussehen.“
Bekräftigte Elena deren Vermutung.
„Was wird wohl Tessa gerade tun? Ob sie immer noch so artig ist?“ Lenkte Madleen ab.
„Denke ich schon, bei Klaus und Gabriela ist sie gut aufgehoben, aber vermissen tue ich sie natürlich.“
„Sag mal Elena, denkst du, das ich einmal ein Kind zur Welt bringen könnte?“ Fuhr es plötzlich aus Madleen.
„Wie kommst du denn darauf?“ Wollte eine sichtlich erstaunte Elena wissen.
„Ach ist mir eben nur einfach so durch den Kopf gegangen. Darum mache ich mir schon seit geraumer Zeit Gedanken. Ist blöd von mir nicht?“
„Nein, nein, natürlich nicht. Es ist eine Selbstverständlichkeit das sich eine junge Frau ein Kind wünscht. Warum sollte das bei dir anders sein. Wen du eins möchtest, warum nicht?
Dafür ist auf jeden Fall Platz. Das Problem liegt lediglich darin dass ich dir keines schenken kann, so sehr ich mich auch anstrenge!“
Alle beide mussten lachen. Das löste ein wenig die trübe Stimmung
„Das ist schade. Aber die Natur ist nun mal so wie sie ist.“ Stellte Madleen mit Bedauern fest.
" Dafür brauchst du einen Mann. Das lässt sich nicht ändern. Hast du denn etwa einen im Auge?“
„Nein! Ich habe überhaupt kein Bedürfnis. Du bist es die mein Leben ausfüllt. Im Moment brauche ich keine anderweitige Ergänzung. Im Grunde überhaupt nicht mehr, wenn ich es recht überlege. Ich hätte wie du handeln sollen. Bevor du in mein Leben tratst, ein Kind zur Welt bringen, das wir jetzt gemeinsam mit Tessa auf ziehen könnten.“
„Hm, das lässt sich aber nicht mehr rückgängig machen. Geschehen ist geschehen.
Da wirst du wohl oder übel mit einem Mann ins Bettchen steigen müssen, wenn du deinen Wunsch aufrecht erhalten möchtest.“
Elena legte sich zu Madleen auf das Bett und schmiegte sich dicht an ihre Gefährtin. Ihre Nähe erregte sie wie immer. Das Gefühl, ihre Geliebte, wenn auch nur zeitweilig an einen Mann abtreten zu müssen beunruhigte sie. Sie waren sich selbst genug und bedurften keiner Ergänzung durch dritte oder vierte. Sie lebten eine offene Beziehung ohne Zwang und Druck und der Kontakt zu anderen Frauen hatte nie zu Konflikten geführt. Ein Mann jedoch konnte zu einer echten Herausforderung werden.
Der Abend schritt voran und mündete in die Nacht, alles kam zur Ruhe, auch von Hof waren keine Laute zu vernehmen. Alles schien unter Kontrolle.
Nachdem sie eine Kleinigkeit gegessen hatten streiften sie begierig ihre Kleider ab.
War es das Gespräch von eben? Womöglich! Oder vielleicht die Angst vor dem was der folgende Tag bringen mochte? Auch das schien nicht ausgeschlossen.
Elena begann das Objekt der Begierde mit einer ausgiebigen Massage an der Schulterpartie und den Extremitäten zu verwöhnen um am Ende mit den Fingerspitzen über deren Wirbelsäule zu tänzeln. Ihr Rücken bog sich, wand sich wie eine Schlange. Strahlend schaute Madleen die Angebetete an.
„Wie hast du das gemacht? Puuah, das war toll, weiter so, immer weiter.“
Elena begann sich unterdessen an ihr herab zu küssen, das machte sie wild und hemmungslos.
Sie waren wie tanzende Planeten, die im Sonnensystem kreisten und um sich selbst, unaufhörlich. Das Universum tat sich auf und lächelte ihnen zu.
Sie ließen ihr Becken kreisen und wirbelten im Raum, zeitlos, kopflos, ewig.
Diesen Augenblick einfach nur festhalten, sich fallen lassen, die Welt um sie herum versank im Nebel der Bedeutungslosigkeit.
All den Ballast des Tages hinter sich lassen, in diesem Moment der Vereinigung.
Elena nahm ihre Geliebte in ihre Umarmung, liebkoste deren warmen Schoß.
Sie bemerkte deren Hand zwischen ihren Beinen, ließ sich fallen, ihr ganzer Körper zitterte vor Erregung. Irgendwann in dieser Nacht trieb sie auf einer Welle von Orgasmen, die in einen Gewaltigen Urknall mündeten. Ihrem Gegenüber schien es ebenso zu gehen.
Elena drückte Madleen fester an sich, sie krallten sich ineinander. Ihrer beiden Körper schienen zu einem zu verschmelzen. Nie wieder loslassen, für alle Ewigkeit vereint sein.
Dann lagen sie beieinander, Liebkosung, Zärtlichkeiten ohne Ende. Selbst ihre Seelen schienen in einander gefangen zu sein. Niemand vermochte sie zu trennen. Undenkbar unaussprechlich wäre jetzt der Wunsch nach Sex mit einer anderen Person. Zwei die sich gefunden hatten für alle Zeit, womöglich noch darüber hinaus.
Aus den Laken stiegen honigsüße, sinnenschwere Düfte empor. Elena wog den Mund der Gefährtin an ihre Hüfte, ließ deren Lippen ihren Bauch umrunden. Sie küßte ihren Hals, das Kinn, versenkte ihre Zunge in Madleens Mund. In ihren Augen tanzte eine Gier, die über ihre Hände in den ganzen Körper strömte.
„Elena, mache bitte, dass diese Nacht nie vorübergeht!“
„Sie wird enden, leider, unsere Liebe aber nie, das verspreche ich dir!“
„Ich gäbe sonst etwas dafür wenn ich nach so einer Nacht die Feststellung machte, dass da etwas wächst in meinem Bauch!“
„Unsere Liebe wächst, von Tag zu Tag. Das ist es was uns ausmacht!
Unsere Seelen haben schon unendlich viele Kinder hervorgebracht. Das muss uns genügen.“
„Genügt mir aber trotzdem nicht!“ knurrte Madleen und vergrub ihr Gesicht tief in Elenas roter Lockenmähne.
Irgendwann schlief Madleen in den Armen ihrer Meisterin. Diese streichelte noch lange deren Haar, Brust, Bauch und was sie sonst noch so erfassen konnte
Zufriedenheit erfüllte sie. Der Augenblick zählte, Negatives trat zurück.
Optimistisch blickte sie in den vor ihr liegenden Tag. Ihre positiven Gefühle hatten sie bisher nur ganz selten im Stich gelassen, so würde es wohl auch dieses Mal geschehen.
Sie ahnte nicht wie falsch sie mit dieser Vermutung lag.