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Zwei Amazonen in Love
Endlich Frühling, Chantal hatte nach dem heftigen Wintereinbruch der letzten Woche fast die Hoffnung aufgegeben. Ende März mochte kein Mensch mehr eine Schneeflocke sehen.
Heftige Stürme fegten über die Stadt . Winter und Frühling rangen in einem erbarmungslosen Kampf um die Vorherrschaft, ein Temperatursturz schien zunächst noch dem Winter in die Hände zu spielen, seit ein paar Tagen aber hatte wohl endgültig der Frühling Oberwasser.
Welche Wohltat, was für ein Gefühl. Erwärmung. Die Temperaturen steigerten sich auf rasante Weise . Das Thermometer zeigte stolze 18 °C. Jetzt konnte Chantal die flauschige Daunensteppjacke gegen eine leichte Lederjacke tauschen. Eine hellblaue Jeans statt der Thermoleggin und Turnschuhe lösten die Winterstiefel ab. Sonne pur. Überall in Köln füllten sich die Parks mit Menschen, die auf ihre Weise den Frühling begrüßen wollten.
Für heute hatte sich Chantal frei genommen. Es war an der Zeit, ihre neue Wirkungsstelle näher in Augenschein zu nehmen. Freitag, das Wochenende lag vor ihr und sie beabsichtigte so viel wie nur eben möglich zu erkunden. Das miese Wetter der letzten zwei Wochen und die Einarbeitung in ihrem neuen Büro hatten den Plan bisher vereitelt.
Der monetanische TV-Sender, für den sie schon länger tätig war, hatte ihr die Stelle als Auslandskorrespondentin verschafft. Lange harrte sie einer solchen Chance, nun sah sie sich am Ziel. Ein wenig Stress am Anfang, aber alles würde sich nach einer bestimmten Zeit eintakten.
Aber nun hatte sie erst einmal frei und wollte das vor ihr liegende Wochenende genießen.
Spontanität bestimmte ihr Handeln. Sie beschloss sich einfach treiben zu lassen. Erst mal in der City abtauchen, durch die Stadt bummeln, dann entscheiden, wo sie länger zu verweilen gedachte.
Ihr Auto ließ sie in der Tiefgarage. Sie verspürte keinerlei Verlangen sich durch den dicken Stadtverkehr zu quälen. Der öffentliche Personen-und Nahverkehr bot genügend Möglichkeiten, sicher und bequem alles zu erreichen was sie zu sehen wünschte.
Mit der Linie 15 ging es in die Innenstadt. Am Rudolfplatz stieg sie aus und schlenderte durch das Hahnentor. Es ging die Mittelstraße entlang bis zur Apostelnkirche, schließlich fand sie sich auf dem Neumarkt wieder. Pulsierendes Leben überall. Chantal musste sich erst langsam wieder daran gewöhnen. Monetaniens Hauptstadt Rauffenstein war bedeutend kleiner als Köln, konnte nicht einmal mit der Hälfte der Einwohner aufwarten. Und Melancholanien, ihr Heimatland? Wie es wohl in der Zwischenzeit aussah? Sie vermochte es nicht zu sagen. Manrovia die Hauptstadt wurde zwar in rasantem Tempo wieder aufgebaut, aber seit dem Ende der Revolution war sie nicht mehr dort gewesen.
Chantal versuchte zu vergessen, wollte sich ganz auf ihr neues Leben konzentrieren. Sie blickte auf eine beachtliche Karriere zurück. Die letzten zwei Jahre waren außerordentlich erfolgreich. Nun strebte sie einem Höhepunkt entgegen.
Melancholanien war Schnee von gestern. Dieses Kapitel hatte sie abgeschlossen. Auch wenn sie mit Elena und den anderen in losem Kontakt stand. Es gab wohl kein Zurück. So wie es auch kein Zurück in das Zuhause der Kindheit geben kann.
Erst einmal war Chantal begeistert von dem Flair der Großstadt und deren Möglichkeiten.
Sich einfach darauf zu bewegen und im entscheidenden Moment zugreifen.
In der Zwischenzeit hatte sie die Schildergasse erreicht und näherte sich der Antoniterkirche.
Die aufgebauten Tische und Stühle luden zum verweilen ein.
Kaum hatte sie sich niedergelassen trällerte ihr Handy.
Hans-Georg, ihr deutscher Kollege meldete sich.
„Hallo Chantal! Wie geht es? Genießt du deinen freien Tag?“
„ Tue ich! Ich genieße in vollen Zügen, würde ich sagen! Gibt es einen Grund für deinen Anruf?“ Wollte sie wissen.
„Einen Grund? Ich wollte einfach deine Stimme hören!“
„Aber die hast du doch erst gestern Abend vernommen!“
„Ja, richtig! Das ist eine halbe Ewigkeit! Ich musste einfach deine Nummer wählen um zu erkunden, ob es dich noch gibt!“ Bekundete er.
„Wie du siehst existiere ich noch und ich erfreue mich bester Gesundheit. Ich hoffe, du bist jetzt beruhigt?“
„Ja und nein! Denn wenn du auflegst muss ich wieder bangen. Dann wird mich die Frage bewegen, wann ich dich endlich wieder zu Gesicht bekomme.“
„Dich scheint es ja mächtig erwischt zu haben!“
„Das kann man wohl sagen!“ Gestand er freimütig.
„Eine ehrliche Antwort! Und was erwartest du von mir?“
„Nun zum Beispiel ob du dir vorstellen könntest, heute Abend mit mir auszugehen?“ Lud er ein. Ein Umstand, der Chantal in Verlegenheit brachte. Hatte sie doch für diesen Freitagabend einen festen Plan. Einen Geheimtipp, dritten Freitag im Monat, da gab es die 30 Karat Frauenparty und da wollte sie unbedingt hin.
„Hm, schwierig, schwierig. Heute Abend ist es nicht sehr günstig. Da bin ich schon verplant.
Tut mir leid!“
„Och, schade! Klingt nicht sehr erbaulich! Kannst du nicht mir zu liebe auf dein anderes Date verzichten?“
„Nein, leider nicht! Ist fest verbucht! Aber morgen, morgen könnte es klappen! Morgen Abend. Na wie wärs!“ Bot Chantal als Ausgleich an, obgleich sie sich nicht sicher war, ob sie das tatsächlich wollte. Es ging ihr darum zu vermeiden, dass er weiter versuchte sie doch noch umzustimmen.
„Morgen? Lass mich überlegen! Ich denke das lässt sich einrichten! Aber du musst mir versprechen dass du nicht wieder abspringst!“
„Versprochen! Morgen habe ich Zeit für dich!“
„Na gut! Dann bis morgen! Ich melde mich wieder um dich an dein Versprechen zu erinnern!“
Hakte Hans-Georg noch einmal nach.
Chantal war froh das Gespräch beenden zu können. Schon die letzten Tage war ihr aufgefallen das ihr Hans-Georg heftige Avancen machte. Es bestand kein Zweifel, der hatte sich verknallt. Bei ihrem Aussehen, bei der Ausstrahlung nicht ungewöhnlich. Chantal war ausgesprochen hübsch. Eine fleischgewordene Barbie-Puppe. Auch wenn sie schon lange versuchte gegen dieses Image anzukämpfen. Aber ihr langes hellblondes geschmeidiges Haar, die tiefblauen Augen der sinnliche Mund und die Traumfigur ließen diesen Vergleich immer wieder von neuem lebendig werden.
Einen Verehrer zu haben schmeichelte ihr. Warum sollte sie sich nicht auf ein Abenteuer ein lassen?
Doch da gab es etwas anderes was nach seinem Recht verlangte.
Elena hatte ihr vor langer Zeit eine Tür geöffnet, die Tür zur Frauenliebe. Seitdem verspürte sie einen ungeheuren Drang nach Liebesromanzen mit Personen des eigenen Geschlechtes. In Monetanien konnte sie sich diesem Verlangen ausgiebig widmen. Sie hoffte nun hier ebenfalls fündig zu werden. Aus diesem Grund musste sie unbedingt auf diese Party heute Abend, die nur einmal im Monat stattfand.
Es dürfte nicht all zu schwierig sein dort sicher anzudocken.
Zunächst genoss sie den schönen Tag. Ihr Blick fiel auf die Menschenmassen die sich beständig zu drängeln und zu schubsen schienen. Sie erhob sich und schloss sich selbst dem Gedränge an. Das führte sie schließlich auf die Hohe Straße und ließ sich einfach in Richtung Dom drängen.
Der war ohnehin nicht zu verfehlen, überragten doch dessen Spitze Türme alles in der Stadt. Einen sicheren Wegweiser gab es nicht.
Unten angekommen schloss sie zunächst ihre Lederjacke bis zum Hals. Hier auf der Domplatte war es immer windig.
Lange betrachtete sie das wuchtige Bauwerk mit ehrfürchtigem Staunen. Was Menschenhand vor so langer Zeit erschaffen hinterließ einen gewaltigen Eindruck. Doch bei dessen Anblick wallten längst vergessen geglaubte Gefühle in ihr auf. Denn auf den Flügeln der Erinnerung wurde sie nach Melancholanien getragen. Die Türme der Basilika der Alten Abtei waren bei weitem nicht so hoch, dafür aber bedeutend älter und an Würde und Erhabenheit konnte diese es allemal mit denen hier aufnehmen.
Natürlich betrat sie das Bauwerk, aber in Gedanken blieb sie in Melancholanien.
Auf irgendeine Art und Weise verlangte ihr Inneres plötzlich nach Ruhe und Stille. Doch wo konnte sie diesen Wunsch hier inmitten der City in Erfüllung bringen?
Am Rhein lies sich gut spazieren gehen, so jedenfalls hatte man ihr empfohlen. So beschloss sie kurzerhand dem nachzugehen.
Ab in den U-Bahnhof, nach mehrmaligem Umsteigen gelangte sie schließlich mit der Linie 18 bis an die Mülheimer Brücke. Dort konnte sie sich der Richtigkeit der Empfehlung schnell überzeugen und bewegte sich gemächlichen Schrittes auf das Rheinufer zu.
Die noch immer blattlosen Bäume gestatteten eine gute Sicht in die Ferne. Die Natur in Wartestellung, nicht mehr lange und auch hier würde es an allen Ecken sprießen und sich die Vegetation aus dem Winterschlaf erheben.
Chantal fand direkt am Ufer eine alte verwitterte Holzbank, lies sich dort nieder um den vorbeifahrenden Schiffen nach zu sehen. Wie immer herrschte auf dem Rhein reger Betrieb. Die zumeist voll beladenen Kähne wirbelten die Wasseroberfläche auf, so dass die Wellen beständig dem Ufer zustreben bis sie sich auf dem Kiesbett brachen.
Das wirkte beruhigend auf die Seele. Hinter ihr eilten zahlreiche Spaziergänger vorbei, teils mit Hunden als Begleitung, ebenso wie sie selbst versuchten die die lange vermissten Sonnenstrahlen einzufangen.
Plötzlich vernahm sie ein eigenartiges gurren über sich und als sie ihren Blick gen Himmel richtete konnte sie einen ganze Schwarm Kraniche entdecken der sich, in der Formation einer 1 zielstrebig in Richtung Norden bewegte.
„Gute Reise!“ Rief ihnen Chantal hinterher. Wieder meldete sich Melancholanien und sie erinnerte sich an die Zeit in der Abtei als sie gemeinsam mit den Schwestern auf dem Plateau oberhalb des Konventsgebäudes die Kraniche begrüßte.
Mit den Kranichen kommt der Frühling, so lauteten Elenas Worte damals. Würden die Vögel auch Melancholanien überqueren? Möglich, es schien sich in deren Flugbahn zu befinden.
„Grüßt mir Elena und die anderen!“ Entfuhr es ihr noch, dann legte sich die Sehnsucht wie ein kalter Mantel auf ihr Herz.
Frustriert warf sie einen Kieselstein in Richtung Wasser, gut platziert, so dass dieser dreimal die Wasseroberfläche berührte bevor er in den Fluten versank.
Abschalten wollte sie, stattdessen bohrten sich Erinnerungen ihre Bahn. Warum? Warum jetzt? Nach so langen Zeit?
Chantal erhob sich um sich und schlenderte in Richtung Cranachwäldchen.
Nicht mehr daran denken, die Vergangenheit ruhen lassen, den Blick nach vorne der Zukunft zugewandt. Genau! Das könnte helfen! Doch kaum das Chantal den Gedanken zu Ende bringen konnte wurde sie von einer Fahrradfahrerin überholt. Der hautenge Jogginganzug betonte eine überaus sportliche Figur und kupferrotes Lockenhaar wurden vom Fahrtwind leicht nach hinten gezogen.
Instinktiv hob Chantal den Arm zum Gruss. Wie unsinnig, natürlich was das nicht Elena.
Sie setzte ihren Weg fort. Doch die erwünschte Ruhe und Beschaulichkeit stellte sich nicht mehr ein.
Noch eine Weile wanderte sie so dahin. Sollte sie lieber in die Stadt zurückkehren? Konnte sie dort mehr Ablenkung finden?
Sie machte Kehrt und hielt wieder auf die Mülheimer Brücke zu, bestieg die Stadtbahn und fuhr in Richtung Hauptbahnhof. Mittagszeit, eine Kleinigkeit essen wäre jetzt angebracht. Nach einer kurzen Zeit der Suche fand Chantal ein kleines Restaurant am Gereonswall, es schien sehr gemütlich und sie beschloss zu bleiben, verspeiste eine kleine Pizza. In einer Ecke lief ein Fernseher. 13 Uhr, die Mittagsausgabe der Tagesschau begann.
Die üblichen Nachrichten auch aus dem Ausland, zumeist ausgesprochen negativer Natur.
Kriege immer wieder Kriege. Ob Syrien und Irak, ob in der Ukraine oder auf dem afrikanischen Kontinent. Schrecken, Terror, Leid und Elend wohin das Auge blickte.
Chantal hing an den Lippen der Sprecherin, es war immerhin eine Berufskollegin.
„Liebe Zuschauer, widersprüchliches können wir auch aus Melancholanien vermelden. Wir erinnern uns, jene Rebellen, die dem Diktator Neidhardt die Stirn boten, beendeten vor etwa 9 Monaten ihre Rebellion und deren Anführer suchten um Asyl auf dem exterritorialem Gelände der libertären Kommune nach. Jene Kommune, die von der geheimnisumwitterten Elena angeführt wird und sich auf dem Gelände einer ehemaligen Abtei befindet. Wieder einmal sind deren Bewohner in arger Bedrängnis denn das Neidhardt-Regime begann vor einigen Tagen wieder verstärkt mit Provokationen und beendet damit eine lange Periode relativer Ruhe. Meine Damen und Herren wir haben eine Leitung zu unserem Reporter Harry Hastig. Der befindet sich vor der Eingangspforte zur Abtei.
Lieber Harry welche Stimmungsbilder lassen sich ein fangen? Was könnte der Grund für diese Provokationen sein?"
„Nun es ist nicht einfach zu recherchieren.“ Begann der Reporter seine Ausführungen.
„Seit Tagen schon befinden sich Militäreinheiten rund um das gesamte Abteigelände und Personen die Zutritt wünschen werden scharfen Kontrollen unterworfen. Neidhardt Verhalten entbehrt zunächst jeglicher Logik, denn immerhin konnte Elena vor einem knappen Jahr durch ihr Intervenieren dem Regime indirekt den Rücken stärken indem sie die Rebellen überredete ihren Aufstand abzubrechen. Melancholaniens starker Mann hätte also keinen Grund zornig auf Elena zu sein. Doch wir erinnern uns der eigenartigen Klausel die Elena der melancholanischen Regierung damals abtrotzte und die darin besteht dass nicht nur Personen das Recht zukäme sich jederzeit der Kommune anzuschließen. Sondern auch Immobilien, Grundstücke, ja ganze Dörfer und Stadtteile war es auf einmal gestattet jederzeit ihren Beitritt zu bekunden und somit den Grund und Boden der Kommune erheblich zu erweitern. Davon wurde seit jenen Tagen reichlich Gebrauch gemacht. Neidhardt fürchtet sicher nicht zu Unrecht, dass ihm dadurch immer weitere Teile des melancholanischen Staatsgebietes verloren gehen. Er muss ein schreiten sonst droht ihm der Gesichtsverlust.
Über das Innenleben der Kommunen konnten wir nichts in Erfahrung bringen. Neidhardt hat eine strenge Informationsperre angeordnet.
Nachrichten über die Gemeinschaft zu verbreiten wird hart bestraft. Auch für unser Team ist es sehr schwierig zu recherchieren. Wir wollten natürlich herausfinden, ob etwas dran ist an der Behauptung, Elena beabsichtige hier in Bälde eine Art Amazonenstaat zu errichten. Entspricht das den Tatsachen oder ist es ins Reich der Phantasie zu verweisen. Fakt ist jedoch und davon konnten wir uns überzeugen, das die Frauen hier das Heft in der Hand zu haben scheinen.“
„Das ist in der Tat revolutionär! Was könnte Neidhardt im Schilde führen? Ist Elenas Gemeinschaft in Gefahr?" Wollte die Moderatorin weiter wissen.
„Tja die Lage ist gespannt. Wir müssen folgendes beachten. Elena erfreut sich im ganzen Land einer ungeheuren Popularität, die Menschen haben sie ja noch als beliebte TV-Moderatorin in Erinnerung, aus den Zeiten vor der Revolution. Der Diktator kann in aller Öffentlichkeit nicht einfach gegen sie vor gehen, es gäbe einen Aufschrei ohnegleichen.
Schon Elenas Ausstrahlung spricht Bände, sie versteht es die Massen zu begeistern. Sie wirkt wie ein Magnet. Elena ist eine Frau die Männerherzen zum rasen bringt.“
„Und Frauenherzen!“ Unterbrach die Moderatorin.
„Ja selbstverständlich auch Frauenherzen,“ Korrigierte sich der Reporter selbst.
„Des Weiteren dürfen wir nicht außer Acht lassen dass der alte Cornelius noch immer Präsident Melancholanien ist. Sicher, ein eher repräsentatives Amt ohne weitgehende Vollmachten, aber gegen ihn kann Neidhardt nichts ausrichten. Melancholaniens greises Staatsoberhaupt hält seine Hände auch weiterhin schützend über die Kommune. Es heißt Cornelius habe seinen Wunsch noch immer nicht aufgegeben, Elena als seine Nachfolgerin zu gewinnen.
„Danke Harry für die kurze Einschätzung! Liebe Zuschauer uns erreichen auch Bilder, leider ohne Ton. Hier sehen wir Elena im Gespräch mit Besuchern an der Pforte. Mehr können wir ihnen im Moment nicht bieten!“
Mehr war für Chantal auch gar nicht nötig denn als sie Elenas hübsches Gesicht erblickte war die Folge ein heftiger Stich in ihrem Herzen. Wehmut, Sehnsucht, Heimweh Ihre Hand verkrampfte sich derart dass ihr die Gabel auf dem Boden fiel.
Das war einfach zu viel.
Chantal beendete ihr Mittagsmahl und strebte wieder dem pulsierenden Leben in der City zu.
So sehr sie sich auch bemühte, sie konnte die Gedanken nicht in eine andere Richtung lenken.
Die Vergangenheit hatte sie wohl endgültig eingeholt.
In das Heimweh mischten sich erhebliche Schuldkomplexe. Immerhin hatte Chantal ihre Gefährtin im Stich gelassen, sie und die kleine zusammengeschrumpfte Gemeinschaft in der Abtei und dass in einer absoluten Krisenzeit, da man ihrer Hilfe so dringend bedurfte.
Hätte Colette nicht die Initiative ergriffen und auf eigene Faust weitergemach wäre die Kommune auseinander gebrochen und niemand täte sich ihrer heute noch erinnern.
Chantal resignierte, ein Schamgefühl ohne gleich bemächtigte sich ihrer. Hatte es eine besondere Bewandtnis das ihr das ausgerechnet hier ins Bewusstsein trat?
Würde sie die Traude aufbringen heimzukehren? Sie konnte nicht davon ausgehen, dass jene die damals die Stellung hielten bei ihrem Anblick in Freudentaumel ausbrachen, sie mit offenen Armen wieder bei sich aufnahmen. Feige hatte sie damals gehandelt, dafür musste sie heute büßen.
"Geschieht mir ganz recht! Ich habe einfach versagt!“ Sprach sie zu sich selbst, während sie sich durch das Gewühle am Hauptbahnhof drängte um die S-Bahn zu erreichen. Plötzlich verspürte sie kaum noch Lust zu bummeln, sie wollte einfach nur nach Hause. Immerhin war es bereits Nachmittag. Sie freute sich auf die Party am Abend, vielleicht ein paar nette Leute kennen lernen? Hier könnte sie sich womöglich ein wenig Ablenkung verschaffen, so hoffte sie.
In ihrer schönen Ferienwohnung in der Bonner Straße wo sie vorübergehend untergebracht war bis sie eine geeignete Wohnung gefunden hatte ruhte sie ein wenig aus, streckte sich auf ihrem Bett und nickte ein. Im Traum befand sie sich in der Abtei, sah sich Elena gegenüber flachste und alberte mit ihr herum und liebte sie ganz einfach. Von wem oder was sollte sie auch sonst träumen. Als sie erwachte spürte sie Tränen in den Augen.
Der Abend kam, Zeit zum ausgehen. Sonderlich stylen wollte sich Chantal nicht, denn erstens hatte sie das nicht nötig und zweitens wurde ihr versichert dass es auf der 30 Karat Party sehr salopp zuging. Ganz in schwarz dass schien ihr angebracht. Die hautenge Lederleggin saß wie angegossen, dazu das schwarze Sweatshirt mit den dreiviertel Ärmeln und den V-Ausschnitt. Und ihre Jeansweste. Pumps oder Turnschuhe? Sie entschied sich für letztere. Die blühend weißen Sneaker standen ihr ausgezeichnet. Sie hoffte das es trocken blieb heut`Nacht, denn ein Regenguss würde ihr die nagelneuen Schuhe mit Sicherheit versauen.
Ihre lange hellblonde Mähne steckte sie gekonnte nach oben zusammen.
Zum Schluss die Lederjacke überstreifen, noch immer war die Kälte präsent, es war sogar mit leichtem Nachtfrost zu rechnen, so der Wetterbericht. Immerhin war erst März und nicht August.
Dann ging es ab auf die Straße.
Wieder griff sie auf öffentliche Verkehrsmittel zurück und lies sich mit der Stadtbahn bis zum Cafe Franck fahren, dort wo die Party steigen sollte.
Es war viertel nach Zehn als sie das Lokal betrat und sie staunte nicht schlecht als sie feststellen konnte dass hier schon reger Betrieb herrschte und mit Sicherheit auch eine tolle Stimmung
Sie kämpfte sich zur Theke durch und bestellte erst einmal ein Kölsch, dabei gespannt um sich blickend, so als erwarte sie jemanden.
Der Partykeller würde in Kürze öffnen, da wo getanzt werden konnte. Chantal wartet oben eine Weile, dann steig sie die Treppe hinab. Außer einer kecken Punkerin, die sich als DJ betätigte und ihr freundlich zuzwinkerte war noch keine zu sehen. Eine gute Gelegenheit das Ambiente näher in Augenschein zu nehmen. Chantal war begeistert und fühlte sich augenblicklich heimisch. Rustikal die Einrichtung. In früheren Zeiten befand sich hier eine Bäckerei. Die alte Backstube war zum Partykeller umfunktioniert worden, dabei hatte man nur recht wenig verändert. Die beigefarbenen Fliesen an der Wand. Selbst der Backofen war noch vorhanden mit den Steigeisen in der Mauer. Statt dampfender Brote zierten diesen nun farbige Lichterschläuche. Originelle Idee, dachte sich Chantal, darauf musste man erst mal kommen.
Nach einer Weile stieg sie die Treppe noch einmal hinauf, noch nix los, wird wohl noch ne Weile dauern bis hier die Post abgeht. Chantal genehmigte sich an der Bar noch einen Cocktail. Immer mehr Leute drängten in die nun schon fast überfüllte Gaststube. Chantal schätzte dass es etwa um die 80% Frauen waren, vor allem Lesben, wie sie an den sich nun schon zahlreich anbahnenden heißen Flirts sehen konnte. Hier war sie richtig! Auch Männer waren da, wurden freundlich begrüßt, doch hielten die meisten sich vor allem an ihren Bierflaschen fest. Wo soll sich Mann auf einer Lesbenparty auch sonst festhalten?
Chantal beschloss wieder nach unten zu gehen. Dort hatten sich die ersten auf der Tanzfläche eingefunden. Sie wurde mit überaus freundlichen Blicken empfangen, mit Augenzwinkern und allem was dazu gehörte. Bei ihrem Aussehen kein Wunder. Es müsste ihr ein Leichtes sein, schon bald zu finden dessen sie begehrte.
Die Rhythmen bewirkten dass ihre Beine bald von allein tanzten und sie setzte gekonnt ein, ihre Mittänzerinnen luden sie schon bald eine nach der anderen ein sich gemeinsam der Musik hin zugeben. So verging eine ganze Weile, zwischendurch lies sich Chantal immer mal wieder zu einer Ruhepause auf den Klappsitzen nieder, die rund um die Tanzfläche angebracht waren, dabei durstig an ihrem Glas nippend.
Lange konnte sie aber nie verweilen, denn kaum dass sie sich niedergelassen hatte stand schon die nächste parat und lud sie zum Tanze ein. Ihre Ausstrahlung schien enorm.
Sie gab sich ausgelassen dem Treiben hin, so bemerkte sie auch erst recht spät das sie schon eine ganze Weile beobachtet wurde. Und als sie ihre Betrachterin gewahr wurde erschrak sie erst einmal, so das sie verwundernd die Augen zusammen kniff.
Nein, es war nicht Kyra die dort in der vom roten Scheinwerferlicht spärlich ausgeleuchteten Ecke strand und ihr mit einer Flasche Frühkölsch zuprostete. Aber die Ähnlichkeit war so frappierend dass Chantal zunächst glaubte einer Sinnestäuschung zu erliegen. Da war es schon wieder, dieses bohrende Heimweh. Kyra, die Punkerqueen die mit ihren Punkrockkonzerten die Säle und Plätze zum kochen brachte, Kyra die wortgewaltige Stimme der Revolution. Sie hatte die Abtei etwa zur gleichen Zeit verlassen wie Chantal und befand sich derzeit noch irgendwo im Ausland.
Und diese kesse Göre dort, mit ihrem bezaubernden Lächeln erinnerte sie an ihre einstige Gefährtin aus der Zeit in der Kommune. Schon die Kleidung sprach Bände. Die olive-grüne Khaki Hose, die Schürlederstiefel und das schwarze Muskelshirt dass einen sportlich-durchtrainierten Körper zum Vorschein brachte. Ihr tiefschwarz glänzendes Haar hatte sie bis etwa einen cm oberhalb der Ohren frei geschnitten. In der Mitte des Kopfes aber fiel eine Tolle so dass ihr linkes Auge darunter verschwand. Mit dem rechte zwinkerte sie Chantal zu. Auch dieses verschmitzte Lächeln erinnerte nur all zu gut an Kyra. Chantal lächelte verführerisch zurück und signalisierte ihr Interesse. Schon bald bewegten sie sich auf einander zu. Ließen zunächst schweigend gemeinsam ihre Hüften schwingen. Eine Unterhaltung erwies sich aufgrund des Lärmpegels ohne hin als sehr schwierig. Aber die Begierde benötigt bekanntlich der Worte nicht. Die Berührung tat ihr übriges.
Nach einer Weile griff die Fremde nach Chantals Hand und zog sie mit sich in Richtung Treppe, Chantal folgte willig und harrte dem was nun geschehen würde.
Sie wühlten sich durch das prall von Menschen gefüllte Obergeschoss und kämpften sich dem Ausgang entgegen.
„Puah geschafft! Frische Luft! Ganz schön stickig inzwischen da unten, nicht wahr?“ Meinte die Unbekannte.
„Ja, aber ne tolle Stimmung, trotzdem!“ Antwortete Chantal.
„Darf ich raten? Bist neu hier in der Stadt? Zum ersten Mal hier?“
„Top! Sehr richtig!“
„Hatte dich gleich im Visier! Wow, bist ja echt der Hammer. Siehst umwerfend aus.“
„Danke, du bist aber auch nicht ohne!“
„Naja, man tut was man kann! Rauchst du eine mit?“ Sie kramte in ihrer Hosentasche und holte Tabak und Stiks hervor, begann sich eine zu drehen.
„Nein danke, ich rauche nicht!“
„Hm, auch gut! Ist sogar besser! Ich wollt es mir auch schon lange abgewöhnen aber klappt irgendwie nicht!“
„Tja soll vor kommen!“
„Und hat die Traumfrau auch einen Namen?“
„Chantal, ich heiße Chantal!“
„Ej, ist aber ein toller Name! Passt irgendwie zu dir! Ich bin Eva, kannst aber auch gerne Eve zu mir sagen, wenn dir das besser gefällt!“ Sie streckte Chantal die Hand entgegen die schlug sofort ein.
„Eva, Eve, mir gefallen alle beide. Ich glaube ich nenne dich Eve!“ überlegte Chantal.
„Danke! Du hast echt den rechten Riecher!“
Sie schnippte lässig ihren Zigarettenstummel beiseite. Alles, aber alles erinnerte an Kyra, die ganze Art wie sie sich gab, wie sie redete und immer wider dieses Lächeln. Chantal war fasziniert. Am Ball bleiben, unbedingt. Die würde Chantal bestimmt nicht zurückweisen.
„Woll`n wie wieder rein?“ Wollte Eve wissen.
„Mit dem größten Vergnügen!“ Diesmal streckte Chantal ihre Hand nach ihr aus. Freude strahlend griff Eve nach ihr und die Beiden kämpften sich wieder dem Keller entgegen.
Die übrigen Besucher der Tanzparty verschwanden sowohl bei Chantal als auch bei Eve langsam aus dem Bewusstsein. Sie sahen nur noch ihr gegenüber, hier hatten sich zwei gefunden. Sie tanzen zunächst wild und ausgelassen, wie auf Bestellung wurde die Musik langsamer was einen engeren Körperkontakt zuließ.
„Don`t forget to dance“ die schöne Liebesschnulze der Band „The Kinks“ schwappte aus der Musicbox und hüllte sie wie in einen warmen Mantel, lies die erste innige Umarmung zu.
Schließlich bewegten sie ihre Körper im Takt, vergaßen dabei die Welt um sich. In einer der zahlreichen Ecken, dann der erste leidenschaftliche Kuss. Niemand schien imstande sie zu trennen.
„Hey Traumfrau, das ging aber schnell. Viel schneller als ich zunächst erhoffte.“ Meinte Eve danach.
„War… war ich dir zu stürmisch, zu aufdringlich?“ erschrak Chantal.
„Nein, nein, ganz im Gegenteil. Spürst du es auch wie es am ganzen Körper grabbelt?“
„Ja und es bringt mich zur Raserei! Ich möchte mehr, immer mehr!“
„Und was kommt jetzt?“ Verführerisch klang diese Frage aus Eve`s Mund.
„Nun ich denke die obligatorische Frage? Gehen wir zu mir oder zu dir? Glaubte Chantal zu wissen.
„Du bist perfekt! Zu mir? Wäre dir das recht?“
„Absolut! Mir ist im Moment alles recht!“
Eve griff nach Chantals Hand und bedeutet ihr zu gehen. Gemeinsam schritten sie zur Tat.
Es brauchte wiederum eine Weile bis sie den Ausgang erreichten, beider zogen sich ihre Jacken erst vor der Türe über.
„Ganz schön abgekühlt. Die Nächte sind noch immer empfindlich kalt, findest du nicht auch?“ Meinte Eve.
„Ein Grund mehr sich die Wärme selbst zu schaffen!“
„Hast du schön gesprochen! Bist ne Philosophin oder so was ähnliches?“ Erkundigte sich Eve.
„Philosophin? Nein, Reporterin bin ich!“
„Reporterin? Wau, ist ja ganz was besonders. Du gefällst mir von Minute zu Minute mehr:“
„Sag mal wo wohnst du eigentlich? Ist es weit?“ Wollte Chantal wissen.
„In Nippes! Hab da ein Zimmer in ner WG!“
Chantal beschloss jetzt aufzuhören an Zufälle zu glauben, denn das konnte wohl keiner sein.
Eve lebte also in einer WG. Was ging hier vor? Waren dass Zeichen, die ihr jemand Aus Der Ferne sendete?
„Hm, bist sicher was Besseres gewohnt! Lass dich nicht schocken wenn wir das Haus betreten. Ist nicht so ganz aufgeräumt, verstehst du?“ Versuchte Eve sie vorzubereiten.
„Ich verstehe! Ich lasse mich einfach überraschen!“
Nach einer kurzen Wartezeit an der Straßenbahnhaltestelle ging es endlich weiter. Chantal begann ein wenig zu frösteln.
„Ist dir kalt? Soll ich dir meine Jacke überlegen!“ Bot Eve sofort an.
„Nein, geht schon ist nur das lange warten! Deine Jacke, aber dann hast du ja nichts mehr drüber, kommt nicht in Frage.“
„Keine Sorge. Ich friere nicht so leicht. Hab ne Menge Hitze, verstehste?“
„Jeh, ich kann kaum erwarten sie zu spüren:“
Kyra, das war Kyra! Eine unbekannte Zwillingsschwester? Kyra schien auch die größte Kälte nicht anzuhaben. Sie mussten einmal umsteigen, die letzten paar hundert Meter legten sie zu Fuß zurück.
Vor einem Altbau kamen sie zum stehen. Eve kramte in ihrem Rucksack bis sie fündig wurde.
„Na das wäre was! Ich hatte schon die Befürchtung der Schlüssel sei weg. Aber hier ist er.“
Sie begann die Tür aufzuschließen, die sich unter lauten quietschen öffnete. Nach dem betätigen des Lichtschalters stach es Chantal auch sogleich ins Auge. Das Treppenhaus harrte wohl schon lange einer gründlichen Renovierung.
„Wie gesagt, blick dich nicht zu genau um!“ Beschwor sie Eve nochmals.
Es ging eine Treppe weit nach oben, dann in einen kleinen unbeleuchteten Flur. Eve öffnete leise die Tür zu ihrem Zimmer.
„Na aber gemütlich hast du es hier! Und schön warm ist es auch noch!“ Entfuhr es Chantal.
„Mach es dir bequem!“ Schlug ihr Eve vor.
Chantal lies sich auf einem etwas antiquiert aussehenden Korbsessel nieder.
„Hast du Durst, ich hab aber nur Mineralwasser und Apfelschorle vorrätig!“
„Im Moment nicht, hab in der Bar ohnehin ein wenig zuviel genippt wie mir scheint!“
„Aber dir geht es doch gut, oder?“ Eve nahm auf einem anderen Korbsessel direkt Platz und legte sanft ihre Handfläche auf Chantals Oberschenkel.
„Alles in Ordnung! Mach dir keine Sorgen! Müde bin ich sonst nichts!“ Gab Chantal zu verstehen.
„Na dann hau dich hin, ist ja genug Platz für uns beide! Ich dachte wir… naja dann eben nicht!“
Chantal griff nach ihren Händen.
„Na dafür bin ich keineswegs zu müde!“
Eves Mund formte sich zu einem freudigen Lächeln. Sie erhob sich griff nun ihrerseits nach Chantals Händen und zog sie nach oben.
Sanft glitten ihre Handflächen über Chantals Brüste, sie fuhr unter deren T-shirt und begann es Chantal über den Kopf zu ziehen. Dann öffnete sie deren BH.
„Puah, was für ein Anblick. Wie kann eine Frau solche sinnlichen Brüste habe? Eben echt Traumfrau!“ Meinte Eve mit sanfter Stimme während sie mit dem Zeigefinger Chantals Brustwarzen liebkoste. Danach zog sie ihr eigenes T-Shirt aus.
Auf ihrem rechten Oberarm entdeckte Chantal eine kunstvolle Tätowierung, ein keltischer Knoten, gleich darunter eine etwa 10 cm lange Doppelaxt.
Sanft fuhr sie darüber so als könne sie die Bilder ertasten.
„Bist du Sportlerin?“
„Wieso willst du das wissen?“
„Na diese geilen Muskeln kommen doch nicht von nichts tun!“
„Ein wenig Krafttraining hier ein wenig Rad fahren dort, wie es eben so kommt. Willst du gymnastische Übungen mit mir machen?“
„Ja, und was für welche!“
Eve drängte Chantal auf das alte Holzgestellbett das mit einer dicken Federkernmatratze belegt war und begann diese nun vollständig zu entkleiden. Schuhe Lederhose, schließlich kam der Slip an die Reihe.
„Komm zieh mir den Rest aus!“
Chantal übernahm diesen Part mit großer Begeisterung, fast hektisch. Dann begann eine wilde Knustschrei und beide Leiber verschlangen sich derart in einander dass ein eventueller heimlicher Betrachter alle Mühe aufwenden müsste um festzustellen, welcher Körperteil nun zu wem gehörte.
Chantal lies sich hingebungsvoll verführen, sie nahm mit Freude den passiven Part ein, lies sich küssen , streicheln ,dass Haar zerzausen. Eves durchtrainierter Körper war eine Augenweide. Doch Chantal konnte auch anders. Wie auf Bestellung wechselten sie die Stellung und nun spielte sie die Verführerin. Es schien nicht der geringste Zweifel zu bestehen. Hier hatte sich wohl zwei gesucht und gefunden. So etwas gab es also nicht nur in Melancholanien sonder auch in Köln.
Nun streben sie dem Höhepunkt entgegen. Wolke 7 schien die beiden in Empfang zu nehmen.
Chantal konnte sich zum ersten Mal seit langen voll auf ihr Gegenüber einstellen. Sie sah Eve und sonst keine. Ganz gleich mit wem sie sich auch einließ die letzen zwei Jahre, wer auch immer ihr Bett mit ihr teilte, tat das nur in einer Stellvertreterfunktion, sie sah immer nur Elenas Antlitz, statt deren eigene Züge.
Eve war im Begriff diesen Fluch zu brechen. War sie ihre Erlöserin, auf die zu warten ihr soviel Kummer bereitet hatte?
Erschöpf lagen sie sich in den Armen bis sie in das Reich der Träume schritten, gemeinsam, Hand in Hand, um dort fort zusetzten was sie in der Realität begannen.
Die Sonne warf ihre Strahlen direkt durch das große Fenster auf Eves Gesicht, kitzelte ihre Augen und die Nase, so dass sie niesen musste. Danach richtete sie sich auf und warf einen ersten Blick auf das erotische Meisterwerk neben ihr. Sie konnte sich gar nicht satt sehen, denn erst jetzt, im Tageslicht wurde sie sich der grandiosen Beute gewahr, die ihr gestern Nacht ins Netzt gegangen war. Chantals Körper war von einer betörenden Sinnlichkeit, diese phantastischen Rundungen, die fein geschwungene Hüften und dieser wohlgeformte Po. Die eleganten Beine und Füße und dieses Engelshaar, das sie des Nachts ordentlich zerzaust hatte.
Sanft führ sie mit der Handfläche über Chantals Rücken, diese geschmeidige Haut.
Dann gab sie Chantal einen kleinen Klapps auf den Po.
Ein wollüstiges Knurren war die Reaktion.
Sie beugte sich über Chantals Kopf, strich ihr vorsichtig die Haare aus dem Gesicht und platzierte ihre Lippen auf Chantals Mund. Schmatz schmatz!
„Guten Morgen Traumfrau! Gut geschlafen?“ Flüsterte sie leise in deren Ohr.
„Wie in einem Engelsschoß, nur noch viel schöner!“ Bekam sie zur Antwort.
„Magst du noch weiterschlafen oder bist du schon fähig aufzustehen?“
„Wie viel Uhr ist es?“ erkundigte sich Chantal noch immer Schlaftrunken.
„Gleich halb neun!“
„Hm da muss ich wohl oder übel!“
Chantal streckte sich lang aus und lies ein wohliges stöhnen entfahren.
Mit einem Satz saß sie aufrecht.
„Guten Morgen!“
Eve schmiegte sich eng an in Chantals Arme.
„Und wollen wir da weitermachen, wo wir gestern Nacht aufhörten?“
„Das würde ich mit dem allergrößten Vergnügen tun. Aber ich muss auf! Der Tag wartet schon auf mich!“ Lehnte Chantal mit großem Bedauern ab.
„Hast wohl Dienst heute?“
„Nee, das nicht aber ne Menge zu erledigen. Aber sehr eilig hab ich`s nicht gerade wir können schon gemächlich ans Tagewerk gehen!“
„Ach was ich fragen wollte. Von hier aus der Gegend kommst du aber nicht. Dein Dialekt ist mir überhaupt nicht geläufig. Merke ich jetzt erst. Komisch!“ erkundigte sich Eve.
„Das glaub ich! Ich komme aus Melancholanien!“
„Wie? Aus Melancholanien sagst du? Aus dem Ausland! Das ist ja ein Ding! Journalistin bist du, beim TV wie ich noch in Erinnerung habe. Dann arbeitest du wohl für das melancholanische Fernsehen?“
„Nein für das monatanische!“
„Jetzt versteh ich gar nichts mehr!“
„Ist ein wenig kompliziert, zugegeben. Wo fang ich an es dir zu erklären?“ Überlegte Chantal scharf während sie ihren Fuß auf Eves Unterschenkel setze und langsam mit den Zehen auf und ab fuhr.
„Geboren bin ich in Melancholanien. Da ist meine Heimat. Da lebte ich bis vor etwa 2 Jahren. Kurz nach Neidhardts Machtergreifung ging ich nach Monetanien, weil ich dort einen ganz guten Job bekommen konnte. Bis vor, lass mich rechnen, ja bis vor zweieinhalb Wochen war ich dort. Nun wiederum hat mich das monetanische Fernsehen hierher beordert, als Auslandskorrespondentin.“
„Pfffuuhh! So was cooles hast du zum Beruf? Ist ja echt der Hammer! Mit so was kann ich nicht aufwarten. Hab gar keinen Job zur Zeit, ja eigentlich hatte ich noch nie einen richtigen.
Mal ne Ausbildung als Krankenschwester angefangen, hingeschmissen. Dann mal hier mal da, Aushilfen und so was. Lebe nun schon ewig von Hartz IV.“
„Hartz was? Was ist dass denn für ein eigentümlicher Name?“ Stellte Chantal mit Verwunderung fest.
„Oh weh, wie soll ich dir das erklären?“
„Wir haben viel, viel Zeit!“ Chantal begann nun langsam mit der Handfläche die Innenseiten von Eve`s Oberschenkel zu streicheln, was der außerordentlich recht zu
sein schien.
„Also gut Süße, ich wills versuchen!“
Eve legte ihren Kopf an Chantals Schulter.
„Es war einmal vor langer Zeit, da lebte ein Topmanager in unserem Land, der verdiente viel viel Geld. Doch er war chronisch unzufrieden mit den Zuständen in unserem Land und der Meinung die armen Leute hätten noch viel zu viel zum Leben Der bot unserem damaligen Bundeskanzler, das war einer seiner Busenfreunde, an zu überlegen wie man es wohl anstellt, das die Armen noch weniger zum Leben haben, damit es allen anderen besser ergeht besser ginge. Also schuf er ein Werk, das von der Regierung hoch geschätzt wurde, sosehr das die es doch postwendend zum Gesetzt erhoben. Seit her bekommen die armen Leute ganz ganz wenig.“
„Oooo. Hört sich total Scheiße an. Nicht anders ging es uns in Melancholanien vor der Revolution. Wir hatten für unsere Unterschicht sogar einen eigenen Namen, Paria nannten wir die, oder die Nichtexistenten Auch unsere Politiker waren Ekelpakete. Ich sag dir echte Kotzbrocken. Ich hatte oft mit denen zu tun, berufsmäßig. Dann kam die Revolution, aber besser ist es leider auch nicht geworden, jetzt haben wir unseren Neidhardt .“
„Neidhardt? Ja, hab davon gehört? Der, der mal Revolutionär war und alles besser machen wollte?“
„Richtig, genau der!“ bestätigte Chantal.
„Ist doch blöd, oder. Da sitze ich neben meiner Traumfrau und unterhalte mich mit der über Politik!“
„Warum? Ist doch in Ordnung!“ Chantal fuhr mit der Nase über Eves Ohrläppchen.
„Aus Melancholanien sagst du! Das ist schon interessant, weißt du in der Szene ist das immer wieder Thema. Melancholanien ist geradezu Kult bei den Lesben. Schade nur dass so wenig Infos rüberkommen. Und jetzt habe ich ne Frau aus Melancholanien!"“
„Thema in der Szene? Inwiefern?“ Wollte Chantal wissen und begann Eves Nacken zu graulen.
„Da soll es doch diese Kommune geben, die vollkommen unabhängig vom Staat eine Art anarchistische Lebensweise praktizieren und in der vor allem Frauen das sagen haben, ganz tolle Frauen heißt es und ihre Anführerin, Helena, das soll ne echte Powerfrau sein.“
„Elena heißt sie!“ verbesserte Chantal.
„Ja richtig! Nun sag nur du kennst sie?“
„Hm, kennen ist gut! Ich war Teil ihrer Gemeinschaft!“
„Nein!“
„Doch!“
„Du willst mich auf den Arm nehmen.“
„Keineswegs! Jedenfalls nicht in dieser Angelegenheit!“
„Eh, du erotischer Leckerbissen, du brauchst mir gegenüber nicht aufzuschneiden. Ich mag dich auch so, ganz gleich was du auch bist oder warst!“ meinte Eve und zwickte Chantal in die Nase.
„Ich schneide nicht auf Eve, es ist die Wahrheit! Warum sollte ich dir so etwas erzählen wenn es nicht der Wahrheit entspricht. Du kannst mir glauben ich gehörte zu Elenas Gemeinschaft, war eine ihrer Vertrauten. Frag einfach was du wissen möchtest, ich kann dir viel berichten. Gut, die letzten 2 Jahre war ich nicht mehr dort, da kann sich einiges verändern. Aber der Kontakt ist nie abgebrochen.“
„Ich weiß nicht was ich davon halten soll!“
Chantal sprang auf und eilte zu ihrem Rucksack den sie im Zimmer abgelegt hatte und begann darin herum zu kramen.
„Was suchst du denn?“
„Beweise, Eve, Beweise!“
Dann kam sie zurück und lies sich wieder neben Eve nieder.
„Sieh diese Bilder. Die trage ich immer bei mir! Die sind echt, nicht retouchiert. Erkennst du sie? Da ist Elena! Und wer ist das direkt neben ihr? Na?“
„Sieht aus wie du?"
„Ich bin es! Das Bild wurde etwa vor zweieinhalb Jahren gemacht! Da kannst du auch Leander, Elenas bald darauf verstorbenen Mann erkennen.“
Eves Zweifel bekamen erste Risse.
„Hier mein Handy! Pass auf!“
Chantal drückte ein paar Tasten.
„Was glaubst du was geschieht wenn ich diese Nummer wähle? Na? Wer wird sich am anderen Ende melden? Möchtest du ihre Stimme hören? Möchtest du mit ihr sprechen?“
„Puuh nicht nötig! Ich beginne dir zu glauben! Das ist ja ein Ding! Ich weiß gar nicht was ich dazu sagen soll! Gestern früh zu dieser Zeit war die Welt noch die alte. Dann geh ich nichts ahnend auf diese Tanzparty, treffe dort eine supergeile Traumfrau, das hübscheste was ich je erblickt habe, lande auch gleich mit ihr im Bett. Doch damit nicht genug. Nun stellt sich heraus dass sie eine von Elenas kämpfenden Amazonen ist. Man, das muss ich erst mal verdauen. Am besten erst mal nen Joint drauf reinziehen.“
Eve fummelte in ihrem Tabakbeutel herum, begann den Joint zu drehen,ließ aber wieder davon ab.
„Jey, ich bekomme auch ohne Joint Flügel! Ich hatte ne echte Amazone im Bett. Das macht mir keine so schnell nach. Die anderen werden platzen vor Neid.“
„Amazone? Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen mich so zu bezeichnen. Elena auch nicht. Wie kommst du denn darauf? Wie kommen überhaupt die Medien in eurem Land darauf so etwas zu behaupten?“
„Weil es so ist, Liebste! Wir bewundern euch und das was ihr da so alles tut. Du musst mir unbedingt mehr darüber erzählen, ich brenne darauf alle Einzelheiten in Erfahrung zu bringen.
Schade ,ich hab nen Termin heute. Aber morgen, wie wärs mit morgen? Hast du Zeit für mich, wollen wir uns wieder treffen?“ Sprach Eve mit leuchtenden Augen.
„Aber mit dem größten Vergnügen! Ja, ich treffe mich gern wieder mit dir. Nach dieser Nacht mag ich nicht mehr von dir lassen.“
„Hey, du bist umwerfend. Wahnsinn!“
Die beiden schmusten noch eine Weile und genossen ihr junges Glück, bis sich Chantal verabschieden musste.
Als Chantal Eves WG verließ fühlte sie sich rundum wohl und zufrieden. Die Glückshormone tanzen Tango und die Schmetterlinge die in ihrem Bauch abhoben konnte sie gar nicht alle zählen. Eve war ein Volltreffer, hatte bei ihr wie eine Bombe eingeschlagen. Chantal bedurfte jetzt dringend der Ruhe und da auch der heutige Samstag mit für diese Jahreszeit überdurchschnittlichen Temperaturen und Sonnenschein aufwartete fuhr sie mit der Stadtbahn direkt zum Rhein. Sie musste eine Weile für sich allein sein um das Geschehen innerlich zu verarbeiten. Kein Zweifel, hier bestand die Möglichkeit eine Beziehung aufzubauen, denn Chantal lag vollkommen richtig mit ihrer Vermutung dass es Eve ebenso erging, die hatte sich verknallt, so wie sie selbst.
Beste Voraussetzungen also. Eve, dieses kleine sportliche burschikose Energiebündel hatte es ihr angetan, genau die Form von Beziehung derer sie jetzt bedurfte. Mal was Verrücktes anstellen, über die Stränge schlagen, Abenteuer erleben, Neuland betreten, ungewohntes handhaben, Eve war dafür genau die Richtige. Von Typ her waren sie total verschieden. Chantal würde ein erstklassiges Mannequin abgeben. Elegant, ja mondän, trotz ihres saloppen Auftretens noch immer eine feine Dame. 29 war sie inzwischen, Eve einige Jahre jünger, 22 hatte sie in Erinnerung. Eve die Kämpferin, eine die im Leben nicht auf die Butterseite gefallen war, szeneerfahren, ein jungenhaftes Auftreten, aber mit einem hübschen femininen Gesicht.
Als Chantal auf der Bank unterhalb der Mülheimer Brücke Platz genommen hatte, sich ihr Gesicht von der Sonne streicheln lies, war ihr Kopf voller Gedanken.
Das Problem: Heute Abend gab es noch ein Date. Sie hatte Hans-Georg versprochen mit ihm auszugehen und sie würde ihr Versprechen halten, auch wenn sie im Moment nicht die geringste Lust darauf verspürte.
Als sie ihm den gemeinsamen Abend versprach ahnte sie noch nichts von Eve, war ihr deren Existenz noch völlig unbekannt. Wie konnte sie denn gestern Nachmittag ahnen, dass sie die Nacht mit so einer heißen Braut verbringen durfte.
Mit ihr wollte sie zusammen sein. Doch zu ihrem Glück hatte Eve heute selber einen wichtigen Termin der keinen Aufschub duldete. Es lag also nicht nur an ihr das es heute kein Rendezvous gab. Aber den Sonntag würde sie mit ihr verbringen, selbst wenn die Welt an diesem Tage unterging.
Wohin würde Hans-Georg sie überhaupt führen? In einen langweiligen bürgerlichen Schuppen, mit langweiliger Musik und ebenso langweiligen Leuten womöglich. Hans-Georg war was seine Ausstrahlung betraf recht bieder und konservativ, so zumindest schien es ihr. Aber sie wollte nicht vorschnell ein Urteil fällen, womöglich tat sie ihm ja Unrecht. Aber es war eben ihr Eindruck und davon konnte sie sich derzeit nicht befreien.
Nach einer ganzen Weile brach sie auf. Müdigkeit machte sich bemerkbar, die intensive Nacht mit Eve hatte ganzen Einsatz gefordert. Sich hinlegen, den verlorenen Nachtschlaf nachholen, so gut es eben ging und dann auf ein Neues.
„Nun, dann lass ich mich mal überraschen, wohin du mich ausführen willst.“ Meinte Chantal zu Hanns-Georg als dieser ihr seine Aufwartung machte. Noch immer verspürte sie keine Lust mit ihm auszugehen, doch sie lies sich nichts anmerken.
„Ich denke es wird dir gefallen. Du sagtest doch, dass du auf queere Partys stehst. Nun, ich habe eine ganz besondere ausgesucht.“
„So?“
„Ja, wir fahren zum Homoriental!“
„Zum Homo was?“
„Homoriental!“ Eine queere Tanzparty mit orientalischer Musik und dem entsprechenden Flair. Du wirst sehen, es wird die bestimmt gefallen.“ Meinte Hans-Georg als sie sich zu dessen Auto auf der anderen Straßenseite bewegten.
„Nun steig schon ein! Ist kein langweiliger Schuppen, kannste glauben!“
Chantal tat wie ihr geheißen und es ging durch das nächtliche Köln der City entgegen.
Es benötigte eine gewisse Zeit, um das Auto zu parken. Dann aber fanden sie sich schließlich vor dem Tanzlokal wieder.
Chantals Befürchtungen erwiesen sich schnell als unbegründet. Hier ging in der Tat die Post ab. Schnell hatte sie den Rhythmus im Blut.
„Und? Hab ich dir zu viel versprochen?“
„Ganz und gar nicht! Echt guter Einfall!“
Orientalisch ging es hier zu mit Türkish Pop, Oriental House, Jewish, Armenien& Balkan Sound, tolle Musik und ebenso tolle Stimmung. Schon bald begann sich Chantal auf der Tanzfläche auszutoben und zog die Blick auf sich. Obgleich sie nicht die einzige exotische Schönheit war. Wunderschöne orientalische Frauen und ebensolche hübsche Jungs.
Ein junger Türke tanze fast professionell auf einer erhöhten Plattform in der Mitte, er hatte androgyne, fast feminine Gesichtszüge. Er war ausgesprochen hübsch wie er dort seine Verrenkungen vollzog. Schnell hatte er Chantal auf die Plattform gehoben und sie rockten gemeinsam weiter. Später war sie von einer Traube junger Frauen um geben, die Blondine kontrastierte perfekt zu den schwarzhaarigen Orientalinnen.
So ging es in die Nacht. Hans-Georg befand sich zumeist an der Bar und prostete ihr gelegentlich zu.
Schließlich ruderte Chantal durch die Menge und gesellt sich ihm zu.
„Na was ist? Warum tanzt du denn nicht mal mit?“
„Ach mach du nur, ich sehe dir viele lieber von hier oben zu, ist mir ein wenig zu voll da unten!“
„Hm, dann eben nicht!“
Chantal stürzte sich wieder ins Getümmel.
Sie fühlte sich gut und es machte Spaß, alles schien zu stimmen, einer nur schien Fehl am Platz und das war Hans-Georg. So sehr sich Chantal auch bemühte, sie fand keinen Draht zu ihm.
Dort wo er sich befand, da sollte jetzt Eve stehen. Nein, natürlich würden die nicht da unten stehen, statt dessen würden beide wie wild über die Tanzfläche fegen.
Der Abend ging in die Nacht über und diese schließlich in den Morgen. Was kam nun auf sie zu? Hans-Georg bestand natürlich darauf das sie ihn in seine Wohnung begleitete.
Chantal folgte widerwillig, aber sie tat es, wollte ihn nicht verletzten, deshalb würde sie mit ihm schlafen, wenn er es denn wünschte. Verletzt keinen und laßt euch niemals verletzen, so lautete Elenas Leitspruch, sie gedachte sich daran zu halten.
In Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit beließen sie es auch nicht lange bei der Vorrede und so fanden sie sich schnell im Bett wieder. Nun hieß es für Chantal die Zähne zusammen beißen und so gut es ging einen Orgasmus vorzutäuschen. Was wollte sie sehen? Sie hatte jetzt die Auswahl entweder an Eve oder an Elena zu denken. Sie Konzentrierte sich und es gelang ihr schließlich.
Chantal war todmüde, aber sie hinderte sich daran einzuschlafen. Ständig fiel ihr Blick auf den Radiowecker. Wann konnte sie es wagen zu gehen? Oder bestand Hans-Georg noch auf einem gemeinsamen Frühstück?
Sie ruhte noch eine ganze Weile, war hin und her gerissen. Guter Rat war teuer.
Schließlich erhob sie sich, schlich sich ins Badezimmer um sich ein wenig frisch zu machen, schlüpfte in ihre Kleider und verlies unbemerkt das Haus.
Erst mal orientieren wo sie sich befand.
Friesenplatz, ein Glück, von hier kam sie mit der Stadtbahn überall hin.
Sonntag war es, noch recht früh, todmüde sank Chantal in ihr Bett, nur schnell noch den Wecker stellen, nicht auszudenken wenn sie verschlief, denn gegen 13 Uhr hatte sie sich mit Eve verabredet.
Sehr genau hatte sich Chantal die Adresse eingeprägt, so fand sie das Haus mit der WG sofort wieder und als sie eintraf wurde sie an der Haustür bereits freudig erwartet.
„Wau, pünktlich auf die Minute. Also auf dich kann man sich schon mal verlassen!“ Begrüßte Eve ihre Flamme.
„Es würde mir nicht im Traum einfallen unser Date zu versieben. Komm her mein Schatz lass dich erst mal knuddeln.“
„Schmack! Schmack! Schmack!
„Und hast du ne Idee was wir machen wollen?“ Wollte Chantal wissen.
„Nö, schlag du doch was vor! Was du gerne machen willst!“ Bot Eve ihr an.
„Bei dem schönen Wetter? Nach draußen, ein wenig laufen, frische Luft Natur. ich hab die Rheinpromenade für mich entdeckt. War schon ein paar Mal dort, an der Mülheimer Brücke. Woll`n wir da hin?“
„Gerne, wenn du magst! Das trifft sich gut, denn ich hab ne Unmenge an Fragen an dich!“
„Au weiha! Ob ich die alle beantworten kann?“
„Las und erst mal gehen!“ Hand in Hand bewegten sie sich zur U-Bahn Stadion. Es war nicht sehr weit bis zum Rhein und schnell hatte sie ihr Ziel erreicht.
Das Wetter legte noch mal kräftig nach, die Temperaturen steigerten sich auf 19°C, es war schon fast zu warm für den März. Die Knospen über ihren Köpfen befanden sich in Wartestellung.
Die beiden ließen sich nach einem kurzen zügigen Fußmarsch in Mitten der Bäume am Ufer nieder.
„Also denn meine Schöne, ich bin ganz Ohr!“ löcherte Eve Chantal.
„Ja, was möchtest du denn hören?“
„Alles! Und nichts auslassen!“
Prrrr! Das ist mir aber ein wenig wuchtig, wo soll ich an fangen?“
„Na am besten ganz vorn! Etwa so: Wie wurde Chantal zur Amazone?“
„Eh, bin keine Amazone!“
„Bist du doch!“
„Bin ich nicht! Also wenn hier eine von uns einer Amazone ähnelt dann wohl du. Steht dir übrigens ausgezeichnet, deine Kämpferinnenmontur
„Aber du bist trotzdem eine Amazone!“
„Na meinetwegen! Also gut dann bin ich eben eine!“
„Dankesehr!“
„Bittesehr!“
„Wer ist Elena, was ist sie? Wir bekommen nur so spärliche Nachrichten aus eurem Land. Alles so in Nebel gehüllt. Andeutungen! Was ist dran an all den Geschichten und Legenden?“
Eves Wissbegier schien grenzenlos.
„Nun das liegt an unserem Neidhardt, der versucht schon seit geraumer Zeit alle Infos aus den Kommunen zu unterbinden, so dass nur seine eigenen verfälschen ans Licht der Öffentlichkeit gelangen.“ Deutete Chantal die Sachlage richtig.
„Wie lange bist du schon bei Elena? Von Anfang an?“
„Nicht ganz! Aber ich stieß lange vor der Revolution hinzu! Zumindest bin ich lang genug dabei gewesen um mir ein Urteil zu erlauben.“
„ Du bist noch immer verknallt in sie, stimmts!“
„Stimmt! Ich bekenne mich schuldig! An ihr geht kein Weg vorbei. Wer einmal ihre Sanftheit
spüren durfte vergisst das niemals wieder. Auch ich bin ihr verfallen wie so viele andere auch.“
„Na, da weiß ich was mich erwartet. Da habe ich wohl nicht die Spur einer Chance mitzuhalten:“
Chantal erschrak. Wie konnte sie das in Eves Gegenwart aussprechen.
„Nein, Eve, so war das nicht gemeint. Mit dir, das ist etwas ganz anderes. Ach, lass mich von vorn an fangen. Also meine erste Begegnung mit Elena war alles andere als erbaulich. Ich war ganz neu in der TV-Branche, wollte nach oben, Karriere machen. Mir war so gut wie alles recht um auf der Leiter nach oben zu klettern. Ich ließ mich biegen, brechen, von Männern dominieren, verkaufte mich sogar. Die stülpten mir dieses Püppchenimage über. Du verstehst, Marke dämliche Blondine mit Stroh im Kopf. Hübsches Gesicht, aber im Hirn ein Vakuum
Ich lies es geschehen, hatte natürlich mein Gutes. Am Ende sah ich aus wie ein Clown, mit Dirndlkleid und Zöpfen, so musste ich manchmal moderieren. Oder zurechtgemacht wie eine Hure. Es kam vor dass sie verlangten meine Stimme zu verstellen und die Naive zu mimen damit das dumme Blondchen recht zur Geltung kam. Eines Tages ergab es sich dass ich eine Sendung zu moderieren hatte, in der auch Elena auftrat. Es wurde für mich zum totalen Fiasko. Die hat mich total ausmanövriert, mich der Lächerlichkeit preisgegeben. Am Ende übernahm sie sogar die Moderation, weil ich ihrer Meinung nach nicht mehr dazu imstande sei. Dir ist ja bekannt dass Elena aus der gleichen Branche kommt. Die Blamage war unbeschreiblich.
Ich hatte eine ungeheure Wut im Bauch, ging zu ihr, wollte sie zur Rede stellen, sie mir vorknöpfen und ihr meine Verachtung ins Gesicht schleudern.
Als ich aber bei ihr eintrat und sie sitzen sah, wie sie sinnlich zu mir rüberlächelte, da überkam mich ein unglaubliches Gefühl. Nix mehr mit Wut und Vorhaltungen. Nein, etwa ne Viertelstunde Später lag ich in ihren Armen.“
„Nein!“
„Doch Eve! Was soll ich sagen! Es war himmlisch. 26 war ich damals und hatte vorher noch nie mit einer Frau geschlafen. Soviel Zärtlichkeit, soviel Sinnlichkeit Es schien als würde ich auf eine Wolke getragen. Nie hatte ich vorher etwas Schöneres erlebt. Sanft redete sie auf mich ein. Das ich es nicht nötig hätte mich derart unter Wert zu verkaufen. Ich solle zum mir kommen, einfach nur authentisch leben, ich selber sein. Sie war der Ansicht das ich zu etwas Besserem, Höherem, Edlerem berufen sei. Viele Ratschläge gab sie mir auf dem Weg und schließlich das Angebot zu ihr zu kommen und mit ihr zu arbeiten.
Als ich mich am Folgemorgen erhob war ich ein vollkommen veränderter Mensch. Ich begann alles um mich herum mit anderen Augen zu betrachten. Ich heftete mich an ihre Fersen, wollte von da an nur noch in ihrer Nähe sein. Schließlich kam jener denkwürdige Tag als sie unseren Bund ins Leben rief, die „Töchter der Freiheit“. Seither gehöre ich dazu.!"
„Man hört sich das geil an. Was würde ich dafür geben sowas mal erleben zu dürfen. Aber Elena, man sagt doch sie sei nicht immer so gewesen. Stimmt das denn tatsächlich?“
„Ja und wie! Sie war eine verwöhnte, arrogante Zicke, herablassend, beleidigend, zynisch und launenhaft. Eine die sich von Millionären aushalten lies. Ihre Stellung als Moderatorin missbrauchte sie um andere zu demütigen. Vor allem Menschen denen es nicht so gut erging.
Arme. Ausgestoßene, Alte, Kranke, Behinderte, Randexistenzen jedweder Couleur.
Auch jene aus ihrer nächsten Untergebenen sollen unter ihrer Launenhaftigkeit und Herrschsucht gelitten haben. Niemand schien ihr etwas recht zu machen. Sie lebte einen geradezu verschwenderischen Luxus. Nur vom Besten, nur vom Wertvollsten musste es sein. Dagegen war ich eine ganz kleine Nummer. Elena brauchte sich nicht zu verbiegen, denn sie ist mit einer gigantischen Intelligenz ausgestattet. Die scheint einfach alles zu wissen. Ich könnte dir Bände über ihr Leben berichten, die Zeit würde dafür kaum ausreichen.“
Eves Augen glänzten vor Begeisterung. Sie verschlang jedes Wort das über Chantals Lippen huschte.
„Wollen wir ein Stück gehen?“ schlug Chantal vor:
„Ja gern, ist mit der Zeit ein bisschen hart am Hintern!“
Die beiden bewegten sich nun direkt am Ufer entlang, sahen den Rheinschiffen nach und den über dem Wasser flatternden Möwen.“
„Du hast auch ne ganz sportliche Figur!“ Stellte Eve auf einmal fest.
„Ich versuche es auch mit dem Training. Zuhause hat Elena regelmäßig mit uns geübt. Richtig professionell Karate, sie ist darin Meisterin:“
„Klar doch! Echte Amazonen sind geübte Kämpferinnen, das gehört dazu. Siehst du, du bist eben doch eine.“ Erwiderte Eve. „Zeig doch mal was du drauf hast, mit dem Fuß am besten.“
Chantal blieb stehen.
„Paß auf!“
Sie konzentrierte sich kurz, dann holte sie aus mit dem gestreckten Bein und setzte einen Tritt in die Luft.
„Perfekt! So hab ich es mir vorgestellt!“
„Und jetzt bist du an der Reihe!“
Eve versuchte es ihr gleich zu tun. Auch platzierte ihren Tritt gut, wenn auch nicht gar so graziös wie Chantal.
„Hey, hey toll! Ein bisschen Übung und du würdest eine Kämpferin!“
Chantal lief ein Stück voraus dem Wäldchen auf der Anhöhe entgegen. Tänzelte dann rückwärts um mit Eve besser zu kommunizieren, blieb an einer Baumwurzel hängen und stürzte der Länge nach zu Boden.
Schnell eilte Eve zu ihr.
„Hast du dir weh getan mein Engel!“
„Nein, nein! Alles ok!“ Wenn du bei mir bist kann nichts geschehen.“
Dann folgten eine innige Umarmung und ein dicker Kuss.
Als sie wieder auf den Beinen waren konnte Eve ihre Wissbegierde noch immer nicht im Zaune halten.
„Sag mal dieser Neidhardt, euer Diktator, was ist das überhaupt für einer. Ich meine welcher Ideologie folgt er und so was?“
„Hmm, Neidhardt war bzw. ist der Chef der Radikal-Revolutionären Partei. Lebte lange im Exil, im Untergrund, oder war auch mal im Knast zu Zeiten des alten Regimes. Seine Partei verfügte aber stets über recht wenig Einfluss. Als dann die Bürgerbewegung im Lande immer stärkeren Auftrieb erhielt kam es zu einem Bündnis. Elena und die anderen haben dem, wenn auch unter Vorbehalt, zugestimmt. So ergab es sich das die beiden eine Zeit lang Verbündete waren und zusammenarbeiteten. Dann gab es den Wahlsieg, als Elena bei den Parlamentswahlen kandidierte. Wie es danach weitergeht ist dir sicher bekannt. Zugegeben, für Außenstehenden recht kompliziert. Die neue Regierung deren Elena vor stehen sollte war noch nicht im Amt da putschte der rechtsextreme Blaue Orden und eroberte die Macht.
Lange aber konnte der seinen Sieg nicht auskosten und es kam zum Kampf. Eine Räterepublik wurde ausgerufen, eine Gegenregierung zu den Putschisten gebildet deren auch Elena und Neidhardt an gehörten. Aber diese Regierung war sehr schwach und vor allem total zerstritten. Der Blaue Orden wurde stärker und stärker und drohte letztendlich Oberwasser zu bekommen. Da setzte Neidhardt einfach die Gegenregierung ab und führte die Geschäfte allein weiter nur mit seinen Gefolgsleuten."
"Ach, so wie Napoleon 1799!" Stellte Eve fest.
"Richtig! Hey, kennst dich gut in Geschichte aus. Neidhardt erhielt damals den Spitznamen Neidhardt Bonaparte.
Es gelang ihm tatsächlich die Schergen des Blauen Orden vernichtend zu schlagen. Aber statt die alte Volksregierung wieder einzusetzen blieb die Radikal-Revolutionäre Partei einfach als Alleinherrscherin an der Macht. Elena und ihre Gefährtinnen und Gefährten versuchen nun dagegen anzukämpfen. Auf dem Gelände der Alten Abtei, also unserer Zentrale sollte dann eine Freie Republik ausgerufen werden. Doch es kam nicht mehr dazu. Aber ich denke darüber bist du im Bilde oder?“
„Was man eben so in den Nachrichten erfährt. Puuh, das ist wirklich echt kompliziert eure Geschichte. Also Neidhardt rettete Melancholanien vor der Diktatur des Blauen Ordens indem er seine eigene Diktatur installierte? Kann man das so bezeichnen?“
„Korrekt! Du hast es genau erfasst!“ bestätigte Chantal.
„Muss ich mich unbedingt eingehender damit beschäftigen. Aber nicht mehr heute.
Muss das gehörte erst mal verdauen. Erzähl mir beim nächsten Male mehr.“
„Magst du denn ein nächstes Mal?“
„Welche Frage, Chantal? Hunderte, Tausende von nächsten Malen! Sag mal wann übernachtest du wieder bei mir?“ Heute Nacht? Hmmm? Hast du Lust?“
„Also, bevor ich mich schlagen lasse! Aber selbstverständlich Blume meines Herzens!“
Chantal zog Eve an sich und sie genossen die Zweisamkeit während ein sanfter Wind vom Rhein her über ihre Köpfe wehte.
Ab jenem Zeitpunkt sahen sie sich fast täglich. Das hing natürlich von Chantals Arbeitszeitplan ab. Sie unternahmen eine Menge, erkunden was es eben so zu erkunden gab in einer Großstadt. Beide schienen geradezu in ihrem Glück zu baden.
Eine Beziehung von der Eve noch vor wenigen Tagen nicht einmal zu träumen gewagt hatte.
Doch dunkle Schatten schwebte bedrohlich über ihrem jungen Glück. Im unterbewussten ahnte sie von Chantals Zwiespalt. Auch wenn diese es vermied darüber ein Wort zu verlieren war es offensichtlich dass ihr das Heimweh arg zu schaffen machte. Und es leuchtet ihr ein warum.
Chantal hatte in ihr die Neugierde geweckt. Den Wunsch sich selbst einmal vor Ort ein Bild zu machen, diese geheimnisumwitterte Powerfrau Elena kennen zu lernen.
Samstagnachmittag war es als sie sich im Königsforst umsahen, dem beginnenden Frühling dabei zu beobachten, wie er sich mit all seiner Kraft die Natur zurück eroberte.
„Schön ist es hier! Das erinnert mich schon wieder an Zuhause. Weißt du, die alte Abtei in der wir dort leben, befindet sich auch inmitten der Natur. Fast vollständig von Wald um geben und dahinter beginnt es richtig bergig zu werden, steile Aufgänge die zum kraxeln einladen. Elena hat uns auch in den Techniken einer fachgerechten Besteigung steilen Felswände unterwiesen.“ Begann Chantal ungefragt mit ihrem Bericht über ihr Heimatland fortzufahren.
„Cool! Sag mal gibt es eigentlich eine Rubrik in der Elena nicht perfekt ist?“ Wollte Eve wissen.
„Schwer zusagen, mir fällt im Moment keine ein. Auch mit Meditationspraktiken hat sie uns vertraut gemacht. Direkt oberhalb der Abtei, auf einem Plateau gelegen, gibt es ein mystisch anmutendes Sandsteinmassiv. Uralte Felsen aus der Vorzeit. Sie meint von da gingen ganz besondere Energien aus. Wir haben dort immer wieder viel an Zeit verbracht.“
„Du machst mich von Augenblick zu Augenblick neugieriger.“
Beide ließen sich auf einem abgesägten Baumstamm nieder, der hier direkt am Wegrand lagerte.
Sanft legte Chantal ihren Arm um ihre Geliebte.
„Mir kommt da eine ganz grandiose Idee Eve.“
„Ja und die wäre.“ Eve schlang nun ihrerseits ihren Arm um Chantals Taille.
„Warum kommst du nicht einfach mit mir? Ich habe dein Interesse geweckt und das ist gut. Ich bin mir ganz sicher dass es dir bei uns gefallen wird. Du passt zu uns und unsere Gemeinschaft passt zu dir. Du würdest mir den Abschied damit erheblich erleichtern.“
„Also liege ich mit meinen Vermutungen richtig. Du willst gehen. Ich fürchtet das schon. Es heißt also Abschied nehmen.“ Resignation sprach aus Eves Stimme.
„Nein Eve, eben nicht. Wenn wir gemeinsam gehen braucht es doch keinen Abschied zu geben. Ich meinte damit den Abschied von Köln, nicht von dir.“
„Ich aber will mein Köln nicht verlassen. Dich plagt hier das Heimweh, mich wird es mit größter Wahrscheinlichkeit dort ereilen.“
„Das verstehe ich natürlich. Aber ich muss zurück, ich kann nicht weiter vor der Verantwortung davon laufen. Weißt du, ich komme mir schlecht und gemein vor, weil ich damals zu einem Zeitpunkt ging, der ungünstiger nicht hätte sein können.“
„Warum? Was meinst du damit?“ Hakte Eve nach.
„Ich hielte es einfach nicht mehr aus, damals. Die Revolution, die ständigen Kämpfe, die Ungewissheit, wie es sich entwickeln würde. Und immer diese Dramatik. Ganz zum Schluss, es war einfach furchtbar. Als sich Neidhardts Sieg abzeichnete, versank das Land in Chaos.
Auch wir lebten total gefährlich. Eines Tages drangen versprengte Einheiten des schon besiegten Blauen Ordens auf das Gelände der Abtei vor. Sie töteten Elenas Mann Leander, vor ihren Augen, kannst du dir das vorstellen. Elena bekam einen ganz schweren Schock, die ist richtig durchgedreht. Unmittelbar darauf bin ich geflüchtet, ich hatte dieses tolle Angebot aus Monetanien, ein sicheres Auskommen in einem Land in dem Frieden herrschte. Ich wollte einfach weg, war mit den Nerven am Ende. Aber es war Unrecht. Ich hätte bleiben sollen um Elena in dieser schweren Zeit beizustehen. Die lebte Monatelang geistig umnachtet, mit dem Verstand eines kleinen Kindes. Es war für mich einfach eine Zumutung sie in diesem Zustand sehen zu müssen. Wäre Colette nicht gewesen, die kleine zusammengeschrumpfte Gemeinschaft wäre damals zerbrochen.“
„Colette? Wer ist Colette?“ Unterbrach Eve den Redefluss.
„Colette ist ein Kundra?“
„Eine was?“
„So nennt man bei uns Transgenderpersonen. Colette ist ein körperlicher Mann der bzw. die als Frau lebt, verstehst du?“
„Na sicher! Ich kenne viele Transfrauen. In einige könnt ich mich glatt verlieben, so toll sehn die aus.“
„Wie es dann weiterging weiß ich auch nur noch vom hören sagen. Colette hat die Gemeinschaft durch die schwere Krisenzeit gebracht. Sich um alles gekümmert, damit die Ökonomie so recht und schlecht funktionierte. Und sie hat sich ganz liebevoll um Elena gesorgt. Als die dann wieder gesundete und das Steuer selbst in die Hand nehmen konnte, soll es meines Wissens zu einer Auseinandersetzung gekommen sein, Colette fühlte sich an den Rand gedrängt und hat die Gemeinschaft verlassen.“ Fuhr Chantal fort. Eve drückte sie ganz fest an sich.
„Ich beginne zu verstehen was dich bedrückt. Au Backe, da lastet aber ein schöner Brocken auf deiner Seele, mein armes Herz.“
„Genau! Ich halt es einfach nicht mehr aus. Ich muss dorthin zurück. Muss die andern um Verzeihung für meine feige Handlungsweise bitten.“
„Ja, vielleicht musst du das. Das könnte sein, das könnte sein!“
„Aber ich liebe dich! Ich möchte dich nicht verlassen. Ich hab schon lange keinen Menschen mehr so gern gehabt. Wir haben uns gefunden, wir sind ein Paar! Was soll ich nur tun? Könntest du dich entschließen mit mir zu kommen, alles wäre einfacher.“ Lud Chantal nochmals ein.
„Ja, sicher! Aber ich kann nicht. Ich bin hier zu hause, es ist meine Heimat, ich weiß nicht ob ich mich bei euch zurechtfinde. Ich habe hier meine Freunde, meine Clique. Schwierig, sehr schwierig. Ich kann so was nicht von heute auf morgen entscheiden.“
„Das stimmt natürlich alles! Es ist sicher ein Zumutung was sich da von dir verlange. Ach hätten wir doch Flügel und könnten uns wie die Vögel in die Luft erheben und uns überall niederlassen wo es uns beliebt!“
„Komm lass uns noch ein wenig laufen, damit wir nicht in der Trübsal versinken. Lass uns später über alles sprechen.“ Eve zog Chantal von ihrem Sitz und hielt ihre Hand während sie weiter wanderten.
Verschieben, die Entscheidung verschieben, dass war wohl im Moment die einzige Lösung.
„Sicher, ich bin total neugierig auf euer Leben dort. Das hört sich alles phantastisch an. Man stelle sich das vor. Eine Gruppe wahnsinnig toll aussehender Frauen, eine schöner als die andere, die einander bei stehen, einander lieben und in bedingungslosem Vertrauen verbunden sind. Dazu noch für eine gerechte Sache kämpfen. Schon als Kind träumte ich davon einmal wie eine Amazone zu leben. Bisher hielt ich das für Legenden. Und sollte es sie je gegeben haben dann in längst vergangenen Tagen. Nun wird mir offenbar, es gibt sie noch heute, ganz real und eine davon darf ich sogar lieben. Wahnsinn!“ Begann sich Eve wieder zu begeistern.
„Ja wenn du es so siehst! Aber ich kann immer wieder sagen. Elena will keinen Amazonenstaat errichten. Es leben auch viele Männer bei uns.“
„Männer? Ja, so was soll es auch geben!“
„Eve! Wir wollen das Patriarchat nicht auf den Kopf stellen und nun unsererseits die Männer unterdrücken. Zugegeben einige hätten es verdient. Aber ich kenne viele tolle Männer, die sich voll in unsere Gemeinschaft eingebracht haben. Es soll kein Mensch mehr unterdrückt oder ausgegrenzt werden, das streben wir an. Sicher, so wie ich in Erfahrung bringen konnte haben derzeit die Frauen Oberwasser und dominieren die Szene. Aber dass muss nicht so bleiben. Das ist eine Sache der Entwicklung. Auch Männer sind auf dem Gelände der Abtei jederzeit willkommen. Natürlich können sie nicht in unser Schwesternbündnis eintreten“
„Entweder alle leben in Freiheit oder keiner.“
„Das hast du schön gesagt.“
„Las mir Zeit, ich muss in Ruhe alles durchdenken. Dränge mich nicht zu einer Entscheidung.
Wir wollen einfach das hier und jetzt genießen.“
Sie blieben bis sich Dunkelheit über das Land senkte.
Chantal war inzwischen mit der kleinen WG die Eve ihr zuhause nannte, vertraut und bekannt.
Ihr zu Ehren wurde an diesem Abend sogar eine kleine Feier veranstaltet, mit einem tollen Essen. Auch hier in kleiner Runde erwartete man begierig ihren Bericht und so ergab es sich das sie noch einmal alles offenbarte.
„Aber wie kommt es denn dass Neidhardt einfach zusieht, wie sich in den Kommunen so ein unabhängiges Leben entwickelt? Vor allem wenn sich immer mehr Menschen den Gemeinschaften an schließen und sogar ganze Landstriche. Der brauchte doch nur ein zu schreiten und ein Ende machen.“ Wollte Susanne wissen, einer der Hausbewohnerinnen, die das Essen zubereitet hatte.
„Neidhardt ist hat eigentlich gar kein politisches Amt im engeren Sinne, er ist nur Generalsekretär der Radikal-Revolutionären Partei. Staatsoberhaupt ist der alte Cornelius und der ist Elena sehr freundlich gesonnen. Man sagt, sie stehe zu ihm wie eine Tochter. Die haben gut zusammengearbeitet. Cornelius war früher ein berühmter Wissenschaftler, der in der Bevölkerung noch immer großes Ansehen genießt. Neidhardt kann ihn nicht einfach beiseite schieben. Solange Cornelius seine schützenden Hände über die Kommunen hält kann nicht viel passieren. Das Problem ist nur, er ist alt und krank, wollte sich eigentlich schon lange zurückziehen. Nur Elena zuliebe hält er sich noch auf seinem Posten.“ Klärte Chantal auf.
„Das heißt, sollte er sterben und Neidhardt Alleinherrscher werden könnte es trübe für eure Kommune werden.“ glaubte Klaus erkannt zu haben.
„Genau so ist es! Deshalb haben alle Angst. Ich inbegriffen. Und aus diesem Grund muss ich einfach wieder zurück um mich zu vergewissern was dort inzwischen vorgeht.“ Fuhr Chantal fort. Eve ergriff unter dem Tisch deren Hand und drückte sie. Chantal erwiderte den Druck.
Es bedurfte keiner Worte um herauszufinden was Eve damit zum Ausdruck bringen wollte. Sie hatte einfach nur Angst ihre gerade gewonnene große Liebe wieder zu verlieren.
„Hat dir das Essen denn geschmeckt?“ Erkundigte sich Susanne.
„Das war köstlich! Ich glaub ich hab ein wenig zu viel genommen, bin total ausgefüllt.“ Chantal strich sich über den Bauch.
„Dann musst du einen Fettlöser drauf trinken. Am besten einen Chabau.“ Bot Klaus an.
„Einen was?“
„Einen selbst gebrannten rumänischen Schnaps. Der wirkt!“
„Na gut! Ich probier mal!“ Stimmte Chantal zu.
„Aber sei vorsichtig, der hat es in sich!“ Warnte Eve. Zu spät.
Chantal leerte das Gläschen in einem Zug.
„Puuuahhh!“ Sie schüttelte sich kräftig und verzog das Gesicht zu einer Grimasse.
„Au weiha, der hat`s in der Tat in sich. Da merkt man wie er sich Zentimeter um Zentimeter nach unten durcharbeitet. Oh, jetzt wird`s total warm in der Magengegend ich glaube der arbeitet sich bis in den kleinen Zeh vor.!“
Chantal hielt sich den Bauch.
„Donnerwetter der heizt ein! Aber tut der Verdauung gut!
„Unsere Eve ist übrigens kaum wieder zu erkennen, seit sie dich kennt. Du scheinst ja einen enorm positiven Einfluss auf sie zu haben!“ Stellte Susanne weiter fest.
„Na das hört sich doch gut an. Aber umgekehrt ist es nicht anders!“
Chantal legte ihren Arm um Eves Schulter.
„Ich würde sie so gerne mitnehmen. Aber klar, du musst das erst mal richtig durchdenken. Das seh ich ja auch ein.“
„Ich komme! Versprochen! Großes Ehrenwort! Schon deshalb, weil ich es ohne dich kaum längere Zeit aushalten werde!“ Meinte Eve mit Wehmut in der Stimme.
„Aber sag mal Chantal, warum bekommen wir denn so wenig Nachrichten über die Kommunen in Melancholanien, vor allen in der letzten Zeit gibt es kaum noch Berichte!“ Wollte Klaus wissen.
„Ich glaube das hängt mit der Informationssperre zusammen die unsere Regierung über die Kommunen verhängte. Die arbeiten mit allen Tricks. Störsendern und allem was dazu gehört. Selbst das Internet wird zensiert. Elenas Gesicht darf im melancholanischen Fernsehen nicht gezeigt werden und niemand darf ihre Stimme hören. Die ausländischen Sender dürfen zwar ihr Gesicht präsentieren, aber nicht ihre Stimme. Das dient alles nur dem Zweck, sie daran zu hindern ihre Ideen zu verbreiten. Bisher nutzte es Neidhardt kaum etwas. Die Menschen finden Mittel und Wege sich zu informieren.“
„Und wie ist es mit eigenen Medien, Publikationen und so?“ Hakte Klaus nach.
„Da bin ich im Moment überfragt. Wie ich schon erwähnte war ich lange draußen, kann mich nur auf dass stützen was in an Infos erhalte. Selbst die Kommunikation ist nicht einfach. Es kommt vor dass ich wochenlang nicht mal Handyverbindung bekomme. Weiß der Teufel wie die das zustande bringen.“
Chantals Worte vergrößerten Eves Ängste nur noch umso mehr. Nicht mal ne richtige Telefonverbindung? Sie ahnte Schlimmes.
„Ich will hoffen dass sich da endlich eine Entspannung ergibt."
„Darauf trinken wir noch einen Chabau!“ Klaus hob die Flasche an.
„Mmm, aber nicht so viel. Nur halbvoll das Glas. Ich will nicht dass mich Eves ins Bett tragen muss.“ Wehrte Chantal ab.
„Ich trag dich soweit es geht und wohin du auch willst, mein Kätzchen!“
Meinte Eve und stubbste mit ihrem Zeigefinger Chantals Wange.
Diesmal zögerte Chantal zunächst, leerte aber dann doch noch ihr Glas.
„Puuuaaaahhh!“
Ein schöner Abend, eine ganze Weile noch saßen sie beisammen und lauschten den interessanten Berichten aus dem fernen Melancholanien.
Endlich konnten sich Chantal und Eve wieder der Zweisamkeit widmen.
Chantal schien zu schwanken als sie Eves Zimmer betraten.
„Na, der letzte Chabau war wohl doch einer zu viel, oder?“
„Ach wo! Geht schon wieder. Komm, lass uns in unserer Liebe ertrinken!“
„Jey ich kann`s kaum erwarten! Moment noch, wie wär`s mit ein paar schönen Schmuseklängen?“ bot Eve an.
„Ja, dass wäre toll!“
Eve hob eine CD in die Höhe bevor sie diese in den Player platzierte.
„Aus den 80gern, ich mag diese alten Songs und ich glaub ich hab den besten gleich zu Beginn. Vergiss niemals unseren ersten Tanz, versprichst du mir das?“
„ Wie könnte ich das! Ich verspreche dir alles was du willst!“
„Don`t forget to dance“ bestätigten The Kinks.
Chantals Augen feuchteten sich. Im Klange der zauberhaften Musik begannen sie sich gegen- seitig zu entkleiden. Dann umschlangen sich ihre nackten Körper und tauchten ab
in ein Meer der Zärtlichkeit.
Eve bettete ihre Angebetete auf die Matratze, dann vielen sie in ihre Liebe wie in ein weiches Daunenkissen.
I`want to now know what love is, wie auf Bestellung umwand dieses Liebeslied der Gruppe Foreigner die beiden.
Später dann, Chantal lehnte einfach mit dem Rücken an der Wand, die sie vorher mit allerhand Kissen gut abgepolstert hatte. Umschlang Eve die in ihren Armen ruhte, mit Armen und Beinen. Eves Kopf lagerte an Chantals Schulter mit Mund und Nase glitt sie über deren Wangen.
„Sag mal, ich hab so viel von mir preisgegeben. Von dir weiß ich so gut wie überhaupt nichts. Du hast auch nichts erzählt!“
„Hm, da gibt es auch nicht viel zu berichten. Ein Durchschnittsleben, nicht annähernd so aufregend wie deines!“ Wiegelte die Angesprochene ab.
„Aber es interessiert mich! Ich möchte dich kennen lernen. Wenn wir einmal Lebensgefährtinnen werden ist das wichtig.“ Bohrte Chantal weiter.
„Schwer den Einstieg zu bekommen. Ist viel zu negativ besetzt. Ich wuchs in einem strengen Elternhaus auf. Meine Eltern absolute Looser, Proleten. Abgehängt. Langzeitarbeitslos. Die bekamen einfach kein Bein mehr auf den Boden. Irgendwann kam mein Vater mit der Bibel daher. Bald schlossen sich meine Eltern so einer stockkonservativen Sekte an, weil sie glaubten auf diese Weise besser durchs Leben zu kommen. Natürlich erwies sich das als folgenschwerer Irrtum. Aber du kannst dir sicher vorstellen was uns Kinder erwartete?
Chantal nickte bejahend, während sie Eves Schultern mit einer Flut von Küssen eindeckte.
Meine Schwestern und ich durften so gut wie gar nichts. Beim kleinsten Vergehen gabs Schläge. Gottes Wille soll das gewesen sein, behaupteten sie zumindest. Sexualität und was damit zusammenhing, ein Tabuthema. Mit 10 bin ich das erste mal von zuhause abgehauen, wurde aufgegriffen, kam ins Heim. Von dort bin ich wenig später auch getürmt, wieder eingefangen. Dann gings zum Psychologen.
"Ihre Tochter ist ein schwieriger Charakter! Schwer erziehbar!Stempel drauf und fertig. Danach lebte ich wieder zuhause.
Mit 14 verliebte ich mich in eine Mitschülerin, es war traumhaft schön mit ihr. Dann haben sie uns erwischt, da brach um mich die Hölle los. Kein Essen mehr, Schlafentzug, Schläge und nochmals Schläge. Diese Beziehung sei von Teufel und mit solchen Methoden müssten sie mich auf den rechten Weg zurückbringen, meinten sie. Da bin ich wieder abgehauen.
Dann folgte meine Karriere auf der Straße. Schließlich von der Polizei aufgegriffen, wieder ab ins Heim. Da hielt ich`s auch nicht lange aus, bin wieder ausgerückt. Wieder aufgegriffen, zurück, nach kurzer Zeit wieder getürmt. Irgendwann fing ich zu kiffen an, irgendwann fing ich zu trinken an, irgendwann fing ich zu dealen an um zu überleben. Landete auch mal im Jugendknast. Bekam einen Ausbildungsplatz. Ausbildung abgebrochen zurück auf die Straße. Lebte lange Zeit auf einem Bauwagenplatz. Schließlich kam ich hierher.
Und willst du mich noch immer ?“
„Mit Haut und Haaren, kleine Maus. Jetzt erst recht!“ Chantal kämpfte unaufhörlich mit den Tränen.
„Weißt du, damals zuhause, im Heim, im Bauwagen oder wo auch immer, überall wo es so trist und traurig war, da wünschte ich mir vor allem in den Nächten dass sie kommt und mich holt, mich einfach mit sich nimmt.“
„Wer denn mein Schatz?“ Hauchte ihr Chantal zärtlich ins Ohr.
„Na meine Amazone! Ich hoffte so darauf dass sie eines Tages erschien um mich zu befreien. Ich träumte dass sie sich an der Hauswand abseilt, mit wehendem Haar und gekleidet in enges Leder. Sie schwang die Doppelaxt und boxte mich einfach raus aus all dem Müll der mich umgab. Ich brauchte ihr nur zu folgen und würde somit für immer von allen Lasten entbunden. Aber es blieb immer nur ein Traum!“
„Vielleicht hast du sie gefunden? Ich bin bereit. Lass mich deine Amazone sein. Lass mich für dich die Doppelaxt schwingen und dir ein zuhause schenken. Komm mit nach Melancholanien, wenn nicht jetzt dann eben später. Komm nach. In der Zwischenzeit habe ich für uns ein Nest gebaut und wenn du da bist brauchst du dich nur noch darauf auszustrecken.“
„Du bringst mich noch zum heulen, wenn du so weiterredest.“
Eve wandte sich ab, griff nach einem Papiertaschentuch und trocknete sich die Augen.
„Lange schon hab ich nicht mehr geheult! Hab scheinbar keine Tränen mehr. Aber ich weiß, deinetwegen werd ich mir die Augen ausheulen, dann wenn du nicht mehr da bist.
Chantal umschlang Eve ganz fest und drückte sie an sich. Sanft fuhr ihre Handfläche über deren Wangen.
„Nicht traurig sein! Wir sind nur für eine Weile getrennt. Wir werden uns wieder sehen und dann bleiben wir ein Leben lang zusammen.“
„Schön wär`s! Nein! Du bist ein Traum! Sicher einen den man anfassen kann. Frauen von deinem Schlag die interessieren sich doch ansonsten einen Dreck für eine wie mich. Du tauchst einfach auf, brichst in mein Leben ein. ich falle aus allen Wolken, du bist so gut zu mir, so zärtlich und liebenvoll.
Du trittst in mein Leben, weckst kurzzeitig Hoffnung in mir. Die Hoffnung auf die große Wende. Und dann verabschiedest du dich wieder. Geht’s in deine Welt zurück, die mit der meinen nichts zu tun hat und lässt mich hier zurück. Ein Traum Chantal du bist ein wunderschöner liebenswerter Traum.“
„Eve, was soll das? Was meinst du damit? Eine wie du!“
„Du weißt was ich damit sagen will. Was bin ich denn? Hab nicht mal ne richtige Schulausbildung. Und du? Hätte ich mir denken können dass ich das mit uns recht schnell vergessen kann. Sieh in den Spiegel, du bist wunderschön, dazu intelligent, hast es zu etwas gebracht, eine Powerfrau. Ich kann von Glück sagen das ich hier untergekommen bin. Hätten die mir nicht vor einem halben Jahr geholfen ich wäre schon lange unter die Räder gekommen.
Auf mich wartet keine Karriere!“
„Aber auf mich doch auch nicht. Dorthin wo ich jetzt nach einer langen Zeit der Abwesenheit zurückkehre, spielt Karrieredenken keine Rolle mehr, wir haben die Barrieren überwunden die Menschen von einander trennen.
Bei uns leben Menschen unterschiedlichster Herkunft, die sich gefunden haben, voneinander lernen, gemeinsam etwas aufbauen. Glaub mir es wird dir dort gefallen. Du kannst alles tun was du möchtest, zum Beispiel auch etwas richtiges lernen. Hör mich an Eve, Leander, Elenas verstorbener Mann, war ein einfacher Fabrikarbeiter, bevor er zu der Gemeinschaft stieß.“
„Echt? So was kann doch unmöglich funktionieren. Ein einfacher Arbeiter an der Seite dieser Superfrau?“
„Zugegeben, es war sehr schwer für ihn. Er hat Zeit seines Lebens darunter gelitten, der Mann an ihrer Seite zu sein. So haben sie ihn immer betitelt. Elena war ihm in fast allen Belangen haushoch überlegen und trotzdem haben die sich geliebt, abgöttisch geliebt. Was glaubst warum hätte Elena sonst den Verstand verloren nach seinem plötzlichen Tod? Ich war nicht dabei, aber es soll Monate gedauert haben bis sie aus ihrer geistigen Umnachtung erwachte.
Und das ist nur ein Beispiel, ich könnte dir eine lange Liste erstellen von Beziehung zwischen Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Es ist geradezu ein Kennzeichen unserer Kommune.“
"Hört sich alles gut an, gerne möchte ich dir glauben. Aber es klingt einfach zu phantastisch um war zu sein.“
„Es ist so. Möglicherweise liegt es auch daran, dass eben Frauen das Heft in der Hand haben. Elena möchte ein Matriarchat verwirklichen. Unsere sensationsgeilen Medien haben daraus den angeblichen Amazonenstaat gemacht der dort im Entstehen begriffen sei. Einverstanden, möglicherweise haben einige der dort ansässigen Frauen durchaus etwas Amazonenhaftes.“
„Wofür du das beste Beispiel abgibst!“
„Hey!“ Chantal zwickte Eve in die Nase.
„Es ist einfach eine Gruppe von Frauen die sich in den Kopf gesetzt hat die Welt ein Stückchen besser zu machen und möglicherweise gelingt es den Männern die in unserer Kommune leben sich diesen Idealen ebenfalls anzuschließen.“
Eve war unsicher, der Zweifel nagte noch immer an ihr. Sie wollte nicht weiter hinterfragen, sondern einfach die Zärtlichkeiten genießen, die ihr Chantal schenkte, wer weiß für wie lange sie bald darauf verzichten musste.
Den beiden waren noch einige gemeinsame Tage und Nächte vergönnt. Sie badeten in ihrer Liebe und kosteten alles bis zu Neige aus. So verdrängten sie den dunklen Schatten der sich bedrohlich hinter ihnen aufzubauen begann. Trennung lag in Luft. Chantal musste eine Entscheidung treffen, ihre Seele befand sich in einem endlos erscheinenden Dilemma.
Das Heimweh wuchs beständig. Kein Zweifel die Zeit ihres frei gewählten Exils war vorüber, und dem Sog der sie zu ihren Schwestern nach Melancholanien zog konnte sie sich nicht länger entziehen.
Dort war ihr Platz, es war ihr zuhause.
Dafür musste sie ihre junge Liebe opfern, und das tat ihr unendlich weh.
Sie konnte Eves Zweifel durchaus nachvollziehen, auch die hing an ihrer Heimat. Einfach alles aufgeben, in ein fremdes Land gehen? Alles andere als einfach. Zumal sich Melancholanien nicht gerade im besten Zustande befand. Dort bäumten sich Konflikte auf von denen die Menschen hier offensichtlich nicht die geringste Ahnung hatten.
Als Chantal nach einer letzten heißen Nacht mit ihrer Liebsten deren Zimmer verließ, fiel ihr Blick wehmütig zurück auf die friedlich in ihrem Bett schlafende und Tränen traten in ihre Augen.
„Leb wohl!“ Hauchte sie leise und schloss die Tür hinter sich.
Noch ein letzter Blick auf das Haus. Würde sie es jemals wieder sehen?
Heute gab es viel zu tun, hatte sie Eve vorgelogen, in Wirklichkeit benötigte sie die Zeit für Reisevorbereitungen. Morgen, in aller Frühe würde sie in Richtung Melancholanien aufbrechen.
Vor allem war sie mit einer Menge Papierkram beschäftig. Ein ganzes Packen für Eve.
Genaue Anweisungen wie sie sich in Melancholanien verhalten sollte, Wegbeschreibung wie sie zum Gelände der Abtei gelangte, alles bis ins Detail aufgeschlüsselt, damit ihre Liebste irgendwann den Weg zu ihr finden konnte, in einem kleineren Couvert verstaute sie auch Geld für eine Fahrkarte.
Dazu noch einen Brief.
„Ich kann nicht anders, ich muss in meine Heimat zurück, denn ich glaube dass man meiner dort dringend bedarf. Das Heimweh ist einfach zu groß.
Komm sobald du kannst! Denk daran, das Geld nicht für Joints ausgeben, sondern für eine Fahrkarte, denn die wird dich zu mir bringen.
Wenn du kommst habe ich unser Nest gebaut. Auch du gehörst in unsere Gemeinschaft. Du bist eine echte Amazone.
Ich weiß nicht wie ich es ohne dich aushalten soll in der Zeit die nun kommt, aber ich muss einfach durch.
Es war wunderschön mit dir. Ich kämpfe für unsere Liebe und ich weiß dass du es ebenso halten wirst.
Nichts und niemand kann uns trennen.
Ich werde ihn nie vergessen unseren ersten Tanz. Und eines Tages werden wir ihn wieder tanzen.
Ich liebe dich!
Ich brauche dich!
Ich warte auf dich!
Denke immer daran. Don`t forget to smile!
Deine endlos traurige Amazone Chantal!
Mit zitterigen Händen verschloss Chantal das Couvert und die Tränen bahnten sich ihren Weg über ihre Wangen. Schnell noch zur Post, damit der Brief auch sicher seine Empfängerin erreichte.
Mehr konnte sie nicht mehr tun.
Es versteht sich von selbst dass Eve aus allen Wolken viel als sie den Brief in ihren Händen hielt. Auch wenn sie damit gerechnet hatte. Der Schmerz war unerträglich. Die Traumfrau hatte sich erst einmal verabschiedet und sie in der traurigen tristen Realität zurückgelassen. Konnte es ein Wiedersehen geben. Wann? Wo? Auf welche Weise?
Resigniert zog sich Eve zurück, überließ sich ihrem Schmerz bis sie wieder einmal keine Tränen mehr hatte. Sie verließ ihr Zimmer drei Tage überhaupt nicht. Die Hausbewohner befürchteten dass sie wieder in ihre alten Gewohnheiten zurückfallen drohte. Alkohol und Drogen. Doch am 4.Tag erschien sie wieder, schweigsam aber gefasst. Sie wollte tapfer sein und sich nicht gehen lassen, deshalb würde sie ihren Frust diesmal nicht in der Flasche ertränken. Wer eine echte Amazone werden will, muss in der Lage sein, sich einem solchen Schmerz zu stellen.
„Ich will es euch gleich sagen, damit ihr euch vorbereiten könnt. Ich werde zu ihr fahren, sobald ich dazu imstande bin. Ganz gleich welche Brocken ich auch zu bezwingen habe.“
Ihre Mitbewohner signalisierten Verständnis und Bewunderung!
Als Eve die traurigen Zeilen in den Händen hielt befand sich Chantal bereits auf großer Fahrt.
Solange sich die Straßen und Autobahnen in gutem Zustand befanden, ging es zügig voran.
Allein sein, das erlebte noch einmal Revue passieren lassen. Auch Chantals Herz blutete unaufhörlich. Immer wieder feuchteten sich ihre Augen und in regelmäßigen Abständen brach es auch heftiger aus ihr heraus.
Die Musik aus dem Autoradio tröstete ein wenig, manchmal aber versetzte sie ihre Gefühle erst recht in Aufruhr.
Rock&Roll I gave you the best years of my live, vernahm sie die melodische Stimme von Kevin Johnson.
Dass brachte sie wieder in eine trübsinnige Stimmung.
Wieder mal zur falschen Zeit das Falsche getan? Es hatte ganz den Anschein! Denn je mehr sie sich von Köln entfernte desto tiefer wurde die Erkenntnis wie sehr Eve ihr fehlte. Einfach zurückfahren? Noch war es dafür nicht zu spät. Nein, es ging heim nach Melancholanien, dort war ihre Heimat, dort brauchte man sie. Das gab ihr die entscheidende Motivation, ihre Fahrt fortzusetzen.
Sie liebte Eve und sie liebte Elena, noch immer, so als habe sie sich nie von ihr getrennt. Zwei Frauen, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Hatten die Boulevardmedien Recht wenn sie Elena zur Amazonenkönigin hochstilisierten? So wie Eve zu Chantal aufsah, sah Chantal selbst zu Elena auf, sie war ihre Königin.
Das Herz pochte und der Atem raste, je näher sie sich dem melancholanischen Staatsgebiet näherte und als sich aus dem Radio plötzlich die alten Sender verabschiedeten und der melancholanische Rundfunk auftauchte, wusste sie, sie war daheim. „Glory, Glory, Melancholania ertönte auf einmal die wuchtige Nationalhymne ihres Heimatlandes. Viel empfand sie nicht dabei, es war Neidhardts Hymne, das Lied eines Tyrannen, die Kommune gehörte zu Melancholanien, war aber andererseits exterritorial, ein Kuriosum der Geschichte, einem Außenstehen kaum verständlich zu machen. Ein Status der auf gedeih und Verderb vom Wohlwollen des greisen Cornelius abhing, Melancholaniens schwerkranker Präsident konnte jederzeit von der Bühne abtreten, dann sah sich Neidhardt nicht mehr an Vereinbarungen gebunden, die er einst zähneknirschend akzeptieren musste, dann war es aus mit der Freiheit. Neidhardt würde nicht lange fackeln, um der Kommune den Todesstoß zu versetzen.
Und in diese angespannte Situation kehrte Chantal nun zurück.
„Ich muss verrückt sein!“ sprach sie zu sich selbst. „Ich habe den Verstand verloren!“
In Köln hatte sie ein Leben in Sicherheit und Ordnung hinter sich gelassen. Eine gute Stellung mit einem Verdienst, der ihr ein angenehmes Leben garantierte. Sie hatte in Eve eine Geliebte und Gefährtin zurückgelassen, die ihr in der kurzen Zeit derart ans Herz gewachsen war, dass jeder Tag der Trennung als Qual erscheinen musste. Dazu die quirlige Großstadt mit all den vielen Möglichkeiten. Und was das Nest betraf, das sie für Eve zu bauen gedachte, hätte sie ebenso in Köln errichten können.
Es rumpelte gewaltig in ihrem Herzen und auf der Straße die sich vor ihr erstreckte. Schlagloch reihte sich an Schlagloch, jetzt war sie tatsächlich zuhause. Melancholaniens Verkehrswege waren allzeit eine Herausforderung. Mit der Zeit wurde ihr übel und sie bekam Kopfweh.
Langsam wurde es hügeliger und in der Ferne konnte sie das Grauhaargebirge entdecken. Diese Silhouette hatte sich all die Jahre fest in ihrem Bewusstsein verankert. Die Alte Abtei befand sich am Rande der Berge. Eine wunderschöne wildromantische Landschaft, die zum Wandern einlud. Stille, Abgeschiedenheit, Ruhe. In sich gehen und mit sich ins Reine kommen.
Vorher jedoch musste sie Manrovia, Melancholaniens Hauptstadt durchqueren.
Das erste was sie davon zu Gesicht bekam war die ausgebrannte Ruine der Ordensburg, dem einstigen Hauptquartier, des rechtsextremen Blauen Orden, jener furchterregenden Gesellschaft, die das Land eine kurze Zeit in Angst und Schrecken versetzte. Die Revolution hatte den Orden vernichtet und das war gut so, Neidhardts beste Tat.
Sie brachte den Jeep zum Stehen und entstieg dem Fahrzeug. Die Vegetation begann sich ihr Terrain zurück zu erobern, Büsche, Sträucher und kleine Bäume überzogen die verkohlten Natursteine, in einigen Jahren würde sie wohl kaum noch erkennen sein.
Eine unheimliche Aura senkte sich herab und ein paar schwarze Raben jagten krächzend am Himmel.
Chantal glaubte die negative Energie zu spüren, die noch immer von diesem Ort auszugehen schien. Im Grunde fehlte nur noch dass sich Thoralf, der letzte Großmeister des Ordens als Gespenst an einem der Fensterlöcher zeigte und ihr mit hämischem Grinsen aus seinem finsteren Reich winkte.
Ihr fröstelte auf einmal obgleich das Wetter mit Sonne und angenehmer Wäre aufwartete.
Schnell ins Auto, weg von diesem Ort mit seiner negativen Vergangenheit.
Manrovia, die einst so lebendige Metropole gab es nicht mehr, dass was sie hier vorfand hatte nur noch wenig mit der Hauptstadt von einst zu tun. Notdürftig wieder errichtet, nicht schön aber zweckmäßig. Mausgrau und trist. Tiefe Enttäuschung grub sich in Chantals Herz und dafür hatte sie Köln aufgegeben.
Plötzlich fand sie sich vor dem „Grauen Wunder“ wieder, so pflegte der Volksmund den Sitz des Zentralkomitees der Radikal-Revolutionären Partei zu bezeichnen. Ein schmuckloser, wuchtiger hellgrauer Würfel, wie mit dem Lineal gezogen. An der Stelle errichtet wo sich früher Manrovias eleganter Markt befand.
An der Vorderfassade ein überdimensionales Plakat mit Neidhardts Konterfei. Überhaupt war Melacholaniens Starker Mann allseits präsent. Die Stadt wimmelt nur so von Porträts, des Mannes mit den stahlgrauen Bürstenhaarschnitt und der schwarzen großen Hornbrille.
Chantal machte die Feststellung dass der Personenkult um den Diktator geradezu groteske Züge an zunehmen schien. Ein Bild präsentierte ihn als eine Art Gladiator in der Arena, ein anders als Melancholaniens aufgehende Sonne. Schließlich eines dass sein Gesicht in Mitten einer Engelschar darstellte.
War den Machern dieser Werke eigentlich bewusst, dass sie ihren Anführer durch solch albernen Kitsch unweigerlich zur Karikatur machten?
Egal! Was kümmerte sie Neidhardt, sie hatte genügend eigene Probleme. Andererseits lenkte so etwas auch von ihrem Schmerz ab, den sie im Herzen trug.
Schnell hatte sie die Hauptstadt durchquert und es kam ihr so vor als habe sie gerade ein größeres Dorf hinter sich gelassen. Nur noch wenige Kilometer und schon konnte sie die Spitzen der Basilika am Horizont erblicken, wohlige Wärme umhüllte ihr Herz. Daheim sein, endlich wieder nach so langer Zeit. In Kürze würde sie Elena gegenüber stehen. Das Herz pochte und der Puls raste. Die Handflächen schweißgebadet. Wie würde sie ihre Angebetete empfangen? Ihr Vorwürfe machen, das sie damals einfach Hals über Kopf das Weite gesuchte hatte?
Das konnte sein. Damit musste sie rechnen. Sie wollte alles wieder gut machen, arbeiten um sich des Vertrauens der anderen würdig zu erweisen. Jede Buße würde sie tragen wenn sie nur in ihrer Elenas Nähe sein durfte. Und Eve? Die fehlte ihr nach wie vor und die Trennung schmerze ohne Gleichen. Aber in Elenas Armen konnte sie Linderung finden, so hoffte sie.
Ganz langsam näherte sie sich nun die letzten Meter.
Neidhardts Propaganda hatte mächtig aufgerüstet. Ein Heer von Fahnen flatterte im Wind, Melancholaniens neues Staatswappen. Die leuchtend rote Fahne mit dem gelben Zahnrad in der Mitte und darüber die gekreuzten Sicheln. Parolen auf Transparenten. Warntafeln. Chantal entstieg dem Jeep um die Devotionalien aus der Nähe zu erkunden.
„Warnung! Betreten des Abteigeländes auf eigene Gefahr. Es wird von finsteren staatsfeindlichen Elementen übelster Unart bevölkert. Terroristen deren Bestreben darin liegt unsere friedliche Ordnung zu untergraben. Von diesem Ort werden Sabotageakte jedweder Art vorbereitet und durchgeführt. Wir warnen dringend vor jeglichen Kontakt mit den Bewohnern. Es sind Barbaren, finsterer Abschaum!“
„Was für eine gequirlte Scheiße!“ schimpfte Chantal, dann bespuckte sie das Plakat.
So schlimm hatte sie es sich nicht vorgestellt. Kein Zweifel, hier spitzte sich die Situation bedrohlich zu. Es entsprach also der Wahrheit, Neidhardt und Elena, einst Verbündete im Kampf gegen den Terror des Blauen Ordens, waren zu erbitterten Gegner mutiert, die sich gegenseitig des Verrates an den revolutionären Idealen beschuldigten. Chantal hatte viel versäumt, würde sich erst langsam mit allem vertraut machen müssen.
Wunderbares Wetter. Es ging nun stramm auf das Osterfest zu. Strahlender Sonneschein, wie bestellt. Und warm. Chantal stellte fest dass sie viel zu viel auf dem Leibe trug. Sie konnte sich nicht erinnern, je einen so warmen April erlebt zu haben, dass hatte schon etwas frühsommerliches.
Dann schritt sie durch die Pforte. Ihr Blick fiel auf das Banner der Kommune das auf der Klostermauer einsam der gewaltigen Propaganda von draußen trotzte. Ihr gefiel die Fahne. Horizontal geteilt in zwei Hälften, die unterer ein leuchtendes grün, die obere pink, sie schienen in einander überzufließen in der Mitte der schwarz-rote Stern, diagonal geteilt.
Die Bedeutung des Sternes hatte sie sofort erfasst. Elenas Gemeinschaft fühlte sich den Grund sätzen des Anarchismus verpflichtet. Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit, die ausnahmslos allen Menschen zugute kommen sollten und nicht nur denen mit den dicken Geldbörsen oder akademischen Titel, so wie vor der Revolution. Die Bedeutung der anderen Farben würde sie bald auskundschaften.
Welcher Gegensatz. Farbenfrohe Fassaden, gepflegte Parks und Gärten. Sie lies sich nicht treiben, sah sich erst mal in Ruhe um.
Es war früher Nachmittag, offensichtlich hielten viele der Bewohner Mittagsruhe. Sie begegnete nur wenigen Menschen als sie so umherschlenderte. Ihr war bange vor der Begegnung mit Elena. Dann aber entschloss sie sich zur Tat.
Sie schritt die Treppe zum Eingang empor. Der lange, wuchtig wirkende Korridor erstreckte sich vor ihr, genauso wie sie diesen dereinst in Windeseile verlassen. Der Kreuzgang mit seinen zahlreichen Aufgängen. Der Lichthof, wunderschön geschmackvoll ausgestaltet mit exotischen Pflanzen, die hier nach dem Winterschlaf wieder residierten und in der Mitte plätscherte bereits der Springbrunnen.
Schließlich war sie zu dem Bereich vorgedrungen, der die Büroräume beherbergte.
Elenas Arbeitszimmer. War sie anwesend? Ihr Atem hastig, das Herz klopfte und kalter Schweiß auf den Handflächen. Sie klopfte nicht an sondern trat einfach ein.
Da saß sie, ihre Meisterin, ihre Königin, ihre Göttin, strahlend schön wie eh und je. Auch wenn sie wie immer salopp gekleidet war, schwarze siebenachtel Hose, dazu eine gleichfarbige Weste bis zur Brust geschlossen, wirkte ihre ganze Erscheinung majestätisch.
Die leicht gebräunte Haut, die muskulösen, aber trotzdem sinnlich-eleganten Arme.
Die kupferrote Lockenmähne fiel ihr in dichten Strähnen über die Schultern und den Rücken.
Chantal blickte unter den Schreibtisch. Natürlich barfuß, wie fast immer. Kaum das die Sonne mit ihren ersten wärmenden Strahlen die Erde benetzte zog Elena die Schuhe aus und präsentierte ihr eleganten Füße.
Auf der Nasenspitze eine silbern glänzende halbrunde Lesebrille. Benötigte sie diese tatsächlich oder wollte sie damit noch interllektueller wirken als sie ohnehin schon war?
Vertieft in die Lektüre eines dicken Aktenordners hatte sie den linken Arm auf die Tischplatte gestützt und blätterte die Seiten mit der rechten Hand durch.
Chantal räusperte sich. Nun trafen sich ihre Blicke. Kurzes Schweigen, das Chantal wie eine Ewigkeit erschien.
„Chantal? Bist du es wirklich oder träume ich?“
„Ich bin es! Ich bin wieder da! Habs einfach nicht mehr ausgehalten in der Fremde!“ begann Chantal ihren Vortrag den sie in den zurückliegenden Tagen x-mal einstudiert hatte.
„Ich möchte wieder zu euch gehören! Das heißt, natürlich nur wenn ihr mich noch wollt. Mir ist bewusst, ich habe feige gehandelt damals, als ich von hier floh. Dutzende Male, hunderte Male habe ich diesen Schritt bereut …“
Elena erhob sich, umschritt den schweren Eichenholzschreibtisch und bewegte sich mit ausgebreiteten Armen auf Chantal zu.
Die 1,89cm große Elena überragte Chantal fast um einen ganzen Kopf.
Sie ergriff deren Hände und zog sie an sich.
„Chantal, was redest du da! Ob wir dich noch wollen? Du gehörst zu uns, bist eine von uns. Du hast nie aufgehört ein Teil von unserer Gemeinschaft zu sein. Du nicht und die anderen auch nicht, die noch in der Ferne weilen. Der Kreis war offen, aber niemals gebrochen.“
Dann umarmte sie Chantal und fuhr mit der Handfläche sanft durch deren blondes Haar.
„Ich kann es noch gar nicht glauben, dass ich dich endlich wiederhabe.“
Chantal preßte ihren Kopf gegen Elenas Schulter und begann zu schluchzen.
„Ich hatte solche Angst davor, dass ihr mir böse seid. Ich habe mich einfach dumm und feige benommen, als ich von hier fort ging. Die Sehnsucht war manchmal kaum noch auszuhalten und ich sagte mir, wenn ich leide dann geschieht es mir recht. Du warst krank, sehr krank und hättest dringend meines Beistandes bedurft und ich habe dich im Stich gelassen.“
„Chantal! Chantal hör mir zu! Niemand wird dir einen Vorwurf machen. Es ist vorbei. Vergessen! Vergeben! Ich bin so froh dass du wieder da bist!“
Sanft nahm Elena Chantals Gesicht in beide Hände und küßte deren Stirn, dann berührten sich ihre Lippen. Chantal wurde von einem Strom wohliger Wärme erfasst und durchdrungen.
Ihr Körper brannte und ihre Seele stieg gen Himmel auf. Alle Last, aller Frust, auch alle Ängste, in diesen Moment fielen sie von ihr und sie fühlte sich auf unbeschreibliche Art erlöst.
„Meine Erlöserin! Ich wusste im Inneren du würdest mir vergeben! Dein Haar dein wunderschönes Haar, wie lange durfte ich es nicht mehr berühren.“
Chantals griff voller Leidenschaft in die Haarpracht, die eine ganze Welt verzauberte.
„Vergeben Chantal? Es gibt nichts mehr zu vergeben! Es waren turbulente Zeiten damals.
Wir wollen in die Zukunft blicken. Ob du bleiben kannst? Welche Frage. Du warst doch nicht die einzige die damals ging. Alexandra und Kyra sind auch noch draußen, auch sie können jederzeit zurückkehren. Komm erst mal in Ruhe an, ruh dich aus, sieh dich um. Dann können wir überlegen wie es weitergeht. Was du machen möchtest. Deine Arbeit von damals kannst du fortsetzen Allerdings steht es im Moment sehr schlecht um die kleine Zeitung für die du damals verantwortlich warst. Die Informationssperre trifft uns hart. Wir dürfen keine Publikationen mehr nach draußen bringen. Totschlagen können sie uns nicht, aber totschweigen. Nichts darf nach draußen dringen. Aber darüber unterhalten wir uns später. Erst einmal bin ich so glücklich das du wieder bei uns bist.“
„Ich auch, Elena. Mir ist alles egal. Und wenn Neidhardt uns mit seiner gesamten Streitkräften belagert, wenn ich nur in deiner Nähe sein darf, nehme ich alles hin.“
„Deine Ankunft verheißt so viel Gutes. Nun werde auch die andern kommen. Gut, bei Colette muss ich aktiv werden. Sie ist auch gegangen durch unsere Schuld, wir haben ihr unendlich weh getan und es liegt an mir es wieder gut zu machen. Ich werde sie suchen und nach Hause bringen und wenn ich jeden Stein in Melancholanien umdrehen muss.“ Klagte Elena.
„Ich habe davon gehört, wie sehr sie sich damals eingesetzt hat, damit die Kommune Bestand haben konnte.“ Meinte Chantal.
„Ohne ihr mutiges Eingreifen hätte die Kommune nicht überlebt. Ich war durch meine Krankheit nicht in der Lage aktiv zu werden.“
„Ich hätte niemals gehen dürfen, hätte gemeinsam mit Colette die Stellung halten müssen.“klagte sich Chantal erneut an.
„Chantal es ist vorbei! Wichtig ist das du wieder gekommen bist. Ein gutes Omen. Ich bin voller Zuversicht das alles gut wird.“
„Könnt ihr euch,…äh, können wir uns denn frei bewegen im Land?“ Wollte Chantal wissen.
„Ja, dass ist in der Klausel festgelegt. Wir können die Abtei und die anderen Gebiete die sich in der Zwischenzeit der Kommune angeschlossen haben, jederzeit verlassen und wieder betreten. Es ist uns lediglich untersagt aktiv Propaganda zu verbreiten. Jedwede Art von Werbung für die Kommune wird streng bestraft. Aber trotzdem ist unsere Popularität in der Bevölkerung ungebrochen Es geht voran, immer mehr schließen sich uns an. Ich glaube unser Traum von damals ist wieder in greifbare Nähe gerückt.“
“Ach, es tut so gut das zu hören. Ich war in Zweifel, ob ich das richtige tue aber nun bin ich froh mich auf den Weg gemacht zu haben, deine Nähe macht mich reich, stark und glücklich.“
„Aber was rede ich soviel. Hattest du eine gute Reise. Es ist doch recht weit von Deutschland hierher. Du wirst müde sein. Möchtest du dich erst mal ausruhen?“
„Ja ein wenig Schlaf wäre sicher angebracht. Bin ganz schön gerädert.“
„Komm, ich bring dich auf dein Zimmer.“ Elena griff nach Chantals Hand und gemeinsam schritten sie die langen Flure entlang, die große Haupttreppe bis in die oberen Etagen des Konventsgebäudes.
„Wie du siehst haben wir umfangreiche Baumaßnahmen eingeleitet. Der Wohnbereich soll weitgehend um gestaltet werden. Aber dein Zimmer wirst du so vor finden, als hättest du es gestern erst verlassen.“ Berichtete Elena auf dem Weg.
Dann öffnete sie die Tür und Chantal kam es so vor als sei sie niemals wirklich weg gewesen.
Chantal blickte um sich, tatsächlich alles wie ehe dem.
Erschöpft lies sie sich auf der Liege nieder, es fröstelte ihr. Es war bedeutend kühler als draußen, die dicke Klostermauer lies nur eine zögerliche Erwärmung zu.
Elena zog Chantals Schuhe von ihren Füßen und erlöste sie von ihrer Kleidung. Dann betet sie diese in die Decke, massierte noch eine ganze Weile Chantals von der langen Autofahrt verspannten Rücken.
„Schlaf schön, mein blonder Engel. Wenn du dich wieder fit fühlst kommst du einfach runter zu mir.“
Und noch ein Kuss.
Als Elena die Zimmertür hinter sich schloss schien Chantal der glücklichste Mensch auf der Welt. Sie war angekommen. Elena hatte sie aufgenommen. Sicher, sie vermisste Eve. Das war der Wermutstropfen. Sie hoffte darauf sie eines Tages hier empfangen zu können. Doch bis es soweit war, konnte sie sich ganz auf Elena konzentrieren. Geliebte, Gefährtin, große Schwester, Lehrerin, das alles und noch viel mehr war sie ihr.
Chantal wollte sich einfach in ihre Liebe fallen lassen.
Ein paar Stunden Schlaf brachten die Lebensgeister zurück und sie fühlte sich rundum wohl. Als sie sich erhob, kündigte sich bereits der Abend an.
Herzlich auch die Begrüßung durch die anderen. Schnell würde sie sich wieder einleben.
Nach dem Abendessen begaben sie sich allesamt in den geräumigen Kapitelsaal, der als
Versammlungsraum diente.
Chantal wurde wieder willkommengeheißen. In Anschluss tanzen sie ihren traditionellen Begrüßungstanz, den berühmten Kanon des barocken Komponisten Johann Pachelbel.
Während des Tanzes öffnete sich die Tür, eine junge Frau von atemberaubender Schönheit trat in den Kreis und reihte sich ein direkt zwischen Elena und Chantal. der Liebreiz in Person. Ebenfalls einen ganzen Kopf kleiner als Elena und auch viel zierlicher. Langes rabenschwarzes Lockenhaar das ihr bis zur Taille reichte, klare tiefblaue Augen wie ein Bergsee. Fein geformte Gesichtszüge und eine gesunde sonnengebräunte Haut. Zudem eine Figur als habe Venus persönlich dafür Modell gestanden.
Nachdem die Musik verklungen. Zog Elena Chantal zu sich.
„Ihr kennt euch noch nicht? Chantal darf ich dir Madleen vorstellen? Meine Lebensgefährtin, seit einigen Monaten schon sind wir ein Paar. An ihrer Seite habe ich nach einer Zeit des Leidens und der tiefen Trauer endlich wieder ins Leben gefunden. Madleen das ist Chantal von der ich dir schon einiges erzählt habe. Sie gehört zu den Gründungsmitgliedern unserer Schwesternschaft und hat mir einst sehr nahe gestanden.“
„Hallo Chantal, ich freue mich dich endlich kennen zu lernen. Elena hat so oft von dir geschwärmt. Ich finde es ganz toll dass du nun wieder bei uns bist. Ich bin schon ganz gespannt wenn du uns über die weite Welt berichten kannst die du erkunden durftest.“
Begrüßte Madleen Chantal und schloss sie in die Arme.
„Ja ich…äh.. ich freue mich auch!“ Stotterte Chantal.
In diesem Moment brach für Chantal eine Welt zusammen. Ihr war schon vor einiger Zeit zu Ohren gekommen das es Madleen gab aber im Überschwang der Gefühle hatte sie die Tatsache dass Elena eine neue Gefährtin hatte ,völlig beiseite gedrängt. Wie ein Dolch mit besonders scharfen Klingen schob sich diese Erkenntnis in ihr Herz. All die Hoffnung von einem auf den andern Moment wie eine Seifenblase zerplatzt.
Sie hielt es nicht mehr aus, schlich sich heimlich auf ihr Zimmer. Noch schien sie gefasst, doch dann bemächtigte sich ein Weinkrampf ihrer. Sie ließ sich auf ihr Bett falle überlies sich einfach ihrem Schmerz. und weinte wie ein kleines Mädchen.
Wie konnte sie nur so grenzenlos naiv sein. Und wieder die Selbstanklage. Selber Schuld!
Schließlich hatte sie vor gut zwei Jahren das Weite gesucht und Elena in deren tiefen Leid im Stich gelassen. Davon auszugehen das Elena auf ihre Rückkehr warten würde war mehr als abenteuerlich.
Das hatte sie davon. Warum war sie nicht in Köln geblieben. Dort hatte sie einen Menschen zurückgelassen der es zwar niemals mit Elenas Charisma aufnehmen konnte, ihr aber in aufrichtiger Liebe zugetan war.
„Ach Eve, meine kleine Eve, warum bist du jetzt nicht bei mir? Dann wäre alles nur halb so schlimm.“ Jammerte Chantal und lief dabei hastig wie ein Tiger im Käfig auf und ab.
„Ich blöde Kuh, warum nur muss ich immer alles falsch machen.“ Begann sie sich selbst auszuschimpfen.
„Selber Schuld! Selber Schuld!“ Entfuhr es ihr immer wieder.
Selbst Neidhardts schlimmster Kerker konnte nicht so furchteregend sein, wie das brennende Gefühl der Eifersucht, dass ihr immer bedrohlicher die Kehle zuschnürte.
Sie war heimgekehrt, war wie selbstverständlich in den Kreis der Schwestern aufgenommen wurden, lebte in Elenas unmittelbarer Umgebung, aber in der Nacht würde eine andere an deren Seite liegen. Wie sollte sie damit leben?
Doch ganz plötzlich löste sich der Schmerz und eine befreiende Erkenntnis senkte sich auf sie herab.
Nein sie würde sich nicht dem Leid und der Verzweiflung ausliefern. Sie würde Madleen nicht hassen. Es schien als habe jemand im letzten Moment eine Art Notbremse gezogen.
Sie schluckte den Kloß im Hals hinunter schritt auf das Fenster zu öffnete, es atmete tief durch und ballte die Hände zu Fäusten.
„Stärke zeigen Chantal! Meine Heimkehr darf nicht zu einer Niederlage werden.“ sprach sie und der Schmerz schien weiter von ihr abzulassen.
Sicher, sie würde lange Zeit benötigen, um mit allem fertig zu werden. Aber sie hatte sich zwei Ziele gesteckt und an denen wollte sie arbeiten, wenn es sein musste wie eine Besessene.
Zum einem wollte sie eine Art Piratensender installieren eine Idee die ihr auf der Fahrt unaufhörlich durch den Kopf ging. Ein eigener Sender, um wieder Informationen nach draußen zu tragen, dazu imstande Neidhardts Nachrichtenblockade zu umgehen.
Zum anderen war sie fest entschlossen ihr Versprechen einzulösen, dass sie Eve gegeben hatte, ihr ein Nest zu bauen. Sie würde alles daran setzte ihre Geliebte zu sich zu holen um ihr, einem Menschen der im Leben bisher nicht auf Rosen gebettet war, ein wirkliches Heim zu schaffen.
Sich nicht unterkriegen lassen. Das war im Moment das wichtigste. Es gab keine Schuldigen.
Weder Elena noch Madleen waren verantwortlich für ihr derzeitiges Desaster.
Die negativen Energien aus ihrem Herz verbannen.
Sie erinnerte sich der Abschiedsworte aus dem Brief an Eve. Denk immer daran.
Don`t forget to smile, Chantal!