Alle Macht den Räten

 

In der alten Abtei herrschte reges Treiben, Elena hatte diese in der Zwischenzeit zu einem Hauptstützpunkt der Streikbewegung hergerichteten lassen ,als Zentrum des  Widerstandsnetzwerkes. Alle Initiativen die den Streik unterstützen ,kamen dort zusammen um sich zu beraten. Das altehrwürdige Gemäuer glich in jenen Tagen einem Umsteigebahnhof.

Natürlich hatte auch Neidhardt seine Leute dort postiert, er selbst mied die Abtei so gut er konnte. Auf diese Weise kehrten auch Ronald und Ansgar für eine Weile zurück, wenn auch mehr als Gäste, denn Bewohner.

Jeden Abend füllte sich die Apsis der alten romanischen Basilika um die Generalversammlung durch zu führen. Berichte  wurden erstattet über die Vorkommnisse des Tages, jeder und jede konnte  das Wort ergreifen. Es wurden Beschlüsse gefasst über die nächsten Schritte. Die Versorgung der Bevölkerung mit dem lebenswichtigen musste auf jeden Fall gewährleistet werden, denn die sollte nicht das Ziel der Streikaktionen werden, einzig die unrechtmäßige Regierung wollte man treffen und zum Aufgeben nötigen.

Aus diesem Grund wurden Notdienste installiert um den Fortbestand der wichtigsten Aufgaben zu sichern.

Ein deutlicher Hauch von Revolution lag in der Luft.

Die Streikkomitees waren allesamt paritätisch besetzt. Alle Initiativen und Gruppen die den Streik unterstützten waren gleichberechtigt in allen Gremien vertreten. Neidhardt blieb nichts anderes übrig als sich zähneknirschend dieser Tatsache zu beugen. Allein vermochte er es in jenen Tagen nicht dem Treiben des Blauen Orden Einhalt zu gebieten. Neben der Neuen Liga und der Steinernen Front waren auch zahlreiche Kleinparteien beteiligt die unter anderen Umständen kaum eine Chance fanden, sich Gehör zu verschaffen. Nun bekamen sie die Möglichkeit auch ihre Ideen und Vorstellungen ein zu bringen und viele unter ihnen präsentierten  ausgesprochen interessante Vorstellungen. Neidhardts Alleinvertretungsanspruch auf die revolutionäre Idee verblasste von Tag zu Tag.

Eine Frage wurde von Anfang an äußerst kontrovers diskutiert und zwar jene nach der Bewaffnung. Neidhardts in Windeseile zusammengestellte Milizen standen Gewehr bei Fuß, warteten nur auf den entsprechenden Befehl zum ein greifen. Doch zu dessen großen Ärger fasst das Plenum den Beschluss, diese den Streikkomitees zu unterstellen. Neidhardt sollte damit keine uneingeschränkte Vollmacht mehr besitzen. Ein Umstand der ihm außerordentlich sauer aufstieß.

Doch angesichts der Tatsache, dass Neidhardts enormer Machthunger bekannt war, schien dieser Beschluss unausweichlich.

 

Nach fünf Tagen war der Spuk zu Ende, der Generalstreik zeigte Wirkung. Der Blaue Orden gab seinen Rückzug bekannt und die Freikorps zogen sich aus der Hauptstadt zurück.

Beendet war die Gefahr jedoch noch lange nicht, denn in den übrigen Gebieten Melancholaniens trieben die Freikorpsverbände weiter ihr Unwesen, brachten gut zwei Drittel des Landes unter ihre Kontrolle und terrorisierten weite Teile der Bevölkerung. Besonders die Pariasiedlungen hatten unter ihren Strafaktionen zu leiden.

Hier und da kam es  auch zu kleineren Gefechten mit den revolutionären Milizen.

Die Demarkationslinie verlief direkt an der Hauptstadt entlang, darüber thronte bedrohlich die wuchtige Festungsanlage der Ordensburg, die ihre Geschütze in Stellung gebracht hatten  jederzeit bereit die Hauptstadt unter Beschuss zu nehmen.

 

Um wenigstens halbwegs eine Ordnung herzustellen, wurde die Bildung einer Übergangsregierung beschlossen. Um Neidhardt und den übrigen Kleingruppen entgegen zu kommen einigte man sich darauf diese auf der Grundlage des Rätesystems zu bilden. Dementsprechend wurde de facto eine Räterepublik gegründet.

Überall im ganzen Lande bildeten sich Räte, diese entsandten nun ihre gewählten Delegierten in den Obersten Rat. Diese besaßen ein imperatives Mandat, das heißt, sie waren ihren Wählern Rechenschaft schuldig und konnten, sofern sie gegen deren Interessen handelten, jederzeit zurückbeordert und durch andere Vertreter ersetzt werden.

Diese Räte waren, soweit es sich einrichten lies, paritätisch besetzt. Das bedeutete dass alle Gruppierungen gleichberechtigt darin vertreten waren. Die Gefahr einer Diktatur sollte somit von Anfang an ausgeschlossen werden. Dies war natürlich vor allem gegen Neidhardts Alleinvertretungsanspruch gerichtet.

Die neue Räteregierung wurde in der Basilika der Alten Abtei ausgerufen. Zu diesem Zweck versammelten sich die wichtigsten Vertreter, auch Neidhardt kam. Es war das erste und für sehr lange Zeit auch das letzte Mal das er den Boden der Abtei betrat.

Ansonsten vermied er das wohlweislich und sandte stets seine Vertreter.

An diesem denkwürdigen Tag aber war seine Anwesenheit unbedingt erforderlich.

 

Schon seit den frühen Morgenstunden füllte sich der Platz vor der Abtei mit den Abgesandten der verschieden Gruppierungen die sich an der Bildung der neuen Regierung beteiligen wollten und auf Einlass wartenden.

Drinnen im Inneren der Basilika fegten die Kommuneleute noch umher um alles vorzubereiten.

Elena fühlte sich nicht gut. Übel war ihr, wie schon die letzten Tage am Morgen.

Sie verstand sich aber darauf ihr Unwohlsein zu verbergen, packte stattdessen tatkräftig mit zu.

In zwischen waren die Radikal-Revolutionäre eingetroffen. Ungeduldig wie immer ging Neidhardt in Gedanken versunken, auf und ab. Niemand wagte ihn anzusprechen, dass konnte sich als außerordentlich gefährlich erweisen.

Ronald fühlte sich noch immer wie zu Hause, entfernte sich von seiner Truppe und schritt die Stufen zur Basilika hinauf, dort am Eingang nahm ihn Colette in Empfang und lies es sich nicht nehmen, ihn ob seines merkwürdigen Aufzuges gründlich auf die Schippe zu nehmen.

„Wau? Bist du es wirklich oder nur eine Erscheinung, Ronald? Ich hätte dich um ein Haar nicht wieder erkannt. Wer hat dich denn so fein gemacht? Du siehst in deiner Paradeuniform aus wie ein Kickelhahn.“

„He, redest du mit mir?“

„ Mit wem denn sonst? Also so einen merkwürdigen Aufzug hab ich noch nie gesehen. „Habt ihr die Uniformen aus dem Theater geborgt, eigens für diesen Anlass?“ Colette lies nicht locker.

„Was soll der Scheiß Colette? Hast du ein Problem oder was?“

„Ich nicht! Aber du wie ich sehe!“

„Sag mal, was willst du eigentlich von mir?“ Ronald ging das Gequatsche langsam auf dem Wecker.

„Eigentlich gar nichts! Aber diese Uniform die stört mich gewaltig. Ich sehe dich noch vor mir. Im von Öl beschmierten Schlosseranzug, da hast du mir irgendwie besser gefallen:“

„Ach und ich sollte deiner Meinung nach heute zu diesem historischen Anlass im verdreckten Arbeitsanzug erscheinen?“

„Das nicht! Aber wenigsten so, dass man dich wieder erkennt!“

Ronald blickte an sich herunter. Langsam wurde ihm die ganze Angelegenheit peinlich, denn Colette sprach so laut das es auch noch der letzte auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes hören konnte.

Schlimm war, dass es ihn selbst nicht ganz wohl in jener Kostümierung war. Die nagelneuen Uniformen waren erst Tags zuvor fertig gestellt und geliefert wurden.

In einer solchen beklemmenden Zeit voller Gefahren und Unsicherheiten hatte Neidhardt tatsächlich die Zeit gefunden eine neue Parteigarderobe zu kreieren.

Die Mausgraue, bis zum Hals geschlossene Uniform wurde nun für die höheren Ränge mit Schulterstücken und Kragenspiegeln verziert. Silberne Knöpf stachen deutlich hervor.

An der Brust glänzen Orden und Ehrenzeichen, die er noch kurz zuvor für seine Leistung hatte verliehen bekommen.

„Schöne Klunkerchen. Sind die echt? Darf ich die mal anfassen?“ Höhnte Colette weiter.

„Na tue dir keinen Zwang an!“ Gestattete Ronald.

„Weist du an was du mich erinnerst, Ronald?“

„Nein, aber du wirst es mir sicher gleich sagen!“

„An einen Weihnachtsbaum! So wie ich ihn noch aus meinen  Kindertagen kenne. Ist schon ne Weile her. Damals wurde in Melancholanien noch richtig Weihnachten gefeiert!“

„So! Es reicht Colette! Du hast deinen Spaß gehabt. Jetzt lass mich in Ruhe. Ich bin nicht zum quatschen aufgelegt. Um mich fortwährend von dir verhöhnen zu lassen schon gar nicht.“

„Es ist keineswegs meine Absicht dich zu verhöhnen. Das brauche ich gar nicht, denn das tust du von ganz alleine.“

„Genug! Wenn dir mein Anzug nicht gefällt dann sieh gefälligst wo anders hin. Ich hör mir diesen Blödsinn nicht mehr länger an:“ Nun wurde Ronald lauter. Er versuchte sie beiseite zu schieben, doch Colette dachte nicht daran sich das gefallen zu lassen.

„Was willst du von mir?“ Schrie Ronald jetzt auf.

„Ein kleines Andenken, erst dann lasse ich dich durch.“

„Ach und das wäre?“

„Ich hätte gern so ein toll aussehendes Schulterstück. Findest du nicht auch das es ungerecht ist, wenn du zwei besitzt und ich keines.“

„Kannst du mir sagen was sich dir getan habe, oder warum beleidigst du mich fort während, verflucht noch mal?“

„Ich will es dir sagen. Du machst eine Witzfigur aus dir. Das ist es was mich stört.“ Nun wurde Colette energisch. „ Nichts von alledem was wir da drinnen, oder vormals unten am See besprochen haben hat dich erreicht. Sieht so die neue Welt aus, dir wir schaffen wollten?

Ämter, Pöstchen und Titel. Alles wie früher. Wozu brauchen wir überhaupt noch eine Revolution, wenn danach eh wieder alles so ist wie ehedem. Wir hatten einen Traum, Ronald.

Erinnerst du dich? Ihr seit doch keinen Deut besser als die Spießer vom Blauen Orden. Ihr könntet Zwillinge sein.“

Ronald ballte die Fäuste und sein Gesicht nahm die Farbe einer reifen Tomate an.

„Halt den Mund! Oder ich vergesse mich!“

„Ja schlag zu! Schlag die Transe, schlag die Kundra! Da seit ihr Kerle doch alle drin geübt!“

Ronald packte Colette an dein Schultern und schüttelte sie.

„Was hab ich dir denn getan? Du bist doch nicht meine Feindin. Im Gegenteil, ich habe dich  sogar sehr gemocht während unserer Zeit in der Kommune. Warum willst du das durch dein Gequatsche aufs Spiel setzen? Ich verstehe es nicht!“

Colette griff ebenfalls nach seinen Schultern.

„Ich habe dich auch gemocht! Aber diese Zeiten sind dem Anschein nach vorbei. Wir beginnen uns auseinander zu leben. Ich bleibe dabei. Mich hat Kovacs überzeugt.“

Colette war in der Tat Kovacs gelehrigste Schülerin, eine Anarchistin nach Maß.

So wie sie da stand in ihrem schwarzen Faltenrock, dem grauen etwas zu weitem Sweatshirt, der Jeansweste und den ausgelatschten Tennisschuhen, dazu die zerzausten schwarzgrau melierten Haaren. Es konnte in jenem Moment wohl keinen größeren Gegensatz geben.

Die beiden waren ein Paradebeispiel für die unterschiedlichen Ansichten, die in der Kommune immerfort bestanden hatten.

„Du hast mir überhaupt nie signalisiert dass du mich gemocht hast!“ Beschwerte sich Colette.

„Und wie hätte ich das tun sollen?“ Wollte Ronald verwirrt wissen.

„Richtig! Du hattest ja mit Alexandra mehr als genug zu tun. Da blieb für andere  kaum noch Platz!“ Erinnerte sich Colette.

„Ja und? Hat dich das gestört? Hast du angenommen, ich würde zu dir kommen? Ist es das was du mir sagen willst?“

„Und? Wärst du gekommen, wenn ich dich darum gebeten hätte?“

„Das ist aber jetzt nicht dein Ernst?“

„Doch das ist es! Aber lass es! Ich hege natürlich volles Verständnis für deine Handlungsweise. Alexandra ist eine Traumfrau, zweifelsohne. Wen interessiert da schon eine alternde Kundra?“

Erschrocken lies Ronald sie los.

„Ich.. ich wusste ja nicht… das. Ich meine…Wie sollte ich denn…“

„Komm, streng dich nicht so an. Hinein in die gute Stube. Da sind jede Menge alter Bekannter drin alle begierig darauf deine Hand zu schütteln.“

Colette gab die Tür frei und Ronald trat wie von Sinnen in das Innere der Basilika wo er viele seiner Exkommunarden wieder fand.

Alexandra hatte sich noch nicht entschieden, ob sie  bleiben oder  mit Ronald gehen sollte.

Stark nagte der Zweifel an ihr. Sie wollte mit Ronald zusammen sein, doch andererseits auch die Schwesternschaft nicht verlieren. Was also konnte sie tun? Hier bleiben, weggehen? Elena überließ ihr die letztgültige Entscheidung. Sie würde fester Bestandteil der Töchter der Freiheit bleiben, auch wenn sie nicht direkt mit ihnen zusammen lebte.

Alexandra wollte beides, auch wenn ihr immer deutlicher ins Bewusstsein drängte  dass das nicht zu machen war. Ronald hatte seine Entscheidung für Neidhardt und seine Truppe gefällt und er erwartete von ihr das gleiche.

„Hallo Alexandra! Wie geht es dir, mein Liebling? Hast ja alle Hände voll zu tun, wie ich sehe!“ Begrüßte Ronald seine Liebste.

„Hallo, naja, den Umständen entsprechend. Besser viel zu tun ,als zu wenig. Dann sinniere ich wenigstens nicht so viel rum!“ gab sie ihm zu verstehen.

„Sinnieren, über was denn?“

„Na, du bist mir  einer! Über was schon? Über uns zum Beispiel und wie es weiter gehen soll. Ich vermisse dich. Ist das so ungewöhnlich?“

„Nein, überhaupt nicht! Du fehlst mir auch. Ist ganz schön eintönig, da unten im Hauptquartier. Bin ich gar nicht mehr gewohnt. Ich habe das bunte Treiben schon so verinnerlicht, das ich gar nicht mehr ohne leben kann.“ Bekannte Ronald und staunte selbst über seine Offenheit.

„Hättest ja nicht gehen brauchen!“ antwortete Alexandra kurz und knapp, während sie dabei hektisch Papiere auf den hergerichtete Tischen verteilte.

„Ach Alex, bitte! Lass uns nicht wieder darüber reden. Das endet doch wieder nur im Zank und den will auf jeden Fall vermeiden. Du weißt doch was der Job für mich bedeutet, den ich jetzt tue. Neidhardt hat mir einen guten Posten in Aussicht gestellt. Ich musste mich schnell entscheiden. Ich konnte nicht absagen. Ob euch, ich meine uns das gefällt oder nicht, ihm gehört die Zukunft.“

„Na da kann ich dir ja nur gratulieren!“

„Was heißt mir gratulieren? Uns! Du gehörst zu mir Alex, ich möchte das du mich begleitest.“

„Daraus wird wohl nichts! Das kann ich mir unmöglich vorstellen!“ Alexandra wusste in diesem Moment dass sie gelogen hatte, denn sie konnte es sich sogar sehr gut vorstellen.

Ronald würde womöglich Minister oder etwas von ähnlichem Format. Die alte Sehnsucht nach einem Leben in einer wie auch immer gearteten behüteten Oberschicht, war in Alexandra noch sehr wach. Sie brauchte nur zu zustimmen und sie gehörte sie wieder dazu, brauchte nicht den Tag mit profanen Arbeiten zu verbringen, die ihr manchmal ganz schön auf die Nerven gingen.

„Ich bin  Teil der Schwesternschaft, ich gehöre hierher, Elena braucht mich und auch die anderen. Diese Freundinnen sind mir lieb und teuer. Du bist ein Mann und kannst das nicht nachempfinden.“

Versuchte Alexandra das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. Das stimmte natürlich auch. Von der neuen Schwesternschaft ging eine ungeheure Kraft aus und Alexandra fühlte sich in deren Reihen in nie gekanntem Ausmaß geborgen.

„Ich bitte dich Liebste, überlege es dir noch einmal. Mit der Schwesternschaft hat das doch überhaupt nichts zu tun. Du bist ein Teil von ihnen und du kannst deine neuen Freundinnen besuchen wann immer es dir beliebt. Ich kann das voll und ganz respektieren.“

Alexandra fegte durch die Halle, Ronald folgte ihr wie ein Hund.

„Alex bitte, bleib doch mal stehen!“

Er hielt sie am Arm fest und drückte sie an sich, sie ließ sich in seine kräftigen Arme fallen.

„Und was wir hier so alles in Erfahrung bringen konnten? Ich meine, was uns Kovacs gelehrt hat, über Akratie und über den Abbau von Hierarchien, das hast du vergessen? Lässt dich das inzwischen kalt?“

„Bitte, nun bist du schon die zweite die mir das binnen kurzer Zeit vorhält. Was ist mit dir, du hast mir immer offenbart, dass auch du mit diesen Ansichten deine Probleme hast und dem keinen so rechten Glauben schenken kannst?“

Hier konnte er punkten, denn das traf zu.

„Ja, natürlich! Als ich hierher kam verstand ich nur Bahnhof und ein Restzweifel ist noch immer vorhanden. Langsam aber sicher lüftet sich der Schleier und ich kann erkennen, dass Kovacs Ideen die richtigen sind. Sieh dich doch um, Gewalt ,Gewalt und nochmals Gewalt. Wer ist imstande ihr etwas entgegen zu setzen?“

„Wenn wir mit dem Blauen Orden abgerechnet haben, dann wird Frieden sein, davon bin ich überzeugt. Dann können wir damit beginnen die neue Welt gemeinsam aufzubauen. Noch aber ist Krieg, leider. Er wurde uns aufgezwungen, das darfst du, bei aller berechtigter Kritik, nicht außer Acht lassen.“

Alexandra entwand sich seiner Umarmung und gab sich wieder ihrer Beschäftigung hin.

Ronald blickt ihr nach.

„Ich entscheide mich wenn die Zeit dafür gekommen!“ Rief sie ihm zu.

„Wann ist das? Sag mir wann?“

In diesem Moment betraten die anderen Vertreter der Radikal-Revolutionäre die Halle und Ronald musste seinen Platz bei ihnen einnehmen.

Neidhardt blieb kurz vor Elena stehen.

„Ich grüße dich Elena! Ich hoffe es wird für uns alle ein guter Tag!“

„Das hoffe ich auch! Dein Platz ist hier oben auf der Linken!“ Erwiderte Elena den Gruss und wies mit dem Finger in Richtung Apsis.

„Gut, gut! Auf der Linken seinen Platz zu finden ist immer von enormen Vorteil!“

Er setzte sich noch nicht, wartet die Ankunft der andern ab, die dann einer nach dem andern eintrudelten.

 

Im ehemaligen Altarraum hatte man ein Podium hergerichtet. Elena, Cornelius, Neidhardt, Kovacs, Colette, Liborius, Leander und noch weitere Vertreter nahmen daran Platz und unterzeichneten die Gründungsurkunde des Neuen Melancholanien, in dem Wissen, dass sie nur einen kleinen Teil des Landes kontrollierten und in den von den Freikorps besetzten Gebieten keinen Einfluss hatten. Ihre vordringlichste Aufgabe bestand darin eben jene Gebiete aus der Hand des Blauen Orden zurück zu erobern.

Kovacs Traum schien in greifbare Nähe, diese neue Form des Regierens kam seinen Vorstellungen am deutlichsten entgegen. Doch in die Freude mischte sich Skepsis angesichts der Tatsache, dass der Blaue Orden der ganzen Entwicklung im Wege stand.

Als es darum ging wer sich im Anschluss mit einer Erklärung an das Volk wenden sollte, einigte man sich schnell auf den großen Dichter. Selbst Neidhardt stimmte dem ohne Vorbehalte zu.

„Volk von Melancholanien! Ich bin gebeten worden ein paar Worte an euch zu richten und ich will dieser Bitte gerne nachkommen. Lange habe ich auf einen solchen Moment warten müssen und ich bin stolz diesen noch erleben zu dürfen .

Heute, an diesem Tag konnten wir Geschichte schreiben, denn die soeben gebildete Regierung wird ein neues Kapitel in Melancholanien auf schlagen, etwas noch nie da Gewesenes. Etwas das seinesgleichen sucht. Eine historische Stunde, eine Stunde Null, wenn man so will. Noch nach vielen Generationen wird man sich dieses Ereignisses erinnern. Eine Regierung, die allein dem Anliegen des Volkes verpflichtet ist, wo sonst auf der Welt lässt sich vergleichbares finden?

Regierungen, ganz gleich ob demokratisch legitimiert oder diktatorisch, sind in der Regel den Interessen einzelner Bevölkerungsgruppen verpflichtet, während die Mehrheit des Volkes außen vor bleibt Die Aufgabe solcher Regierungen ist es die Menschen gegeneinander auszuspielen. Teile und herrsche, so lautet deren Devise.

Nun aber können wir gespannt auf etwas Neues sein.

Einen bitteren Wermutstropfen stellt die Tatsache dar, dass sich im Moment nur etwa ein Drittel dieser neuen Situation erfreuen kann. Weite Teile des Landes befinden sich noch im Würgegriff des Blauen Ordens. Ich rufe all jenen zu die unter diesem blutrünstigen Regime zu leiden haben, gebt nicht auf, verzagt nicht, laßt den Kopf nicht hängen. Der Tag wird kommen, oder sagen wir lieber die Stunde, da auch ihr Teil haben werdet an dem Neuen, dass sich jetzt vor uns auftut. Tyrannen kommen, Tyrannen gehen. Es ist die Menschlichkeit die bleibt.

Thoralf mag sich zwar für ein gottgleiches Wesen halten, aber er ist nur ein Mensch, so wie wir alle, er ist sterblich und seine Herrschaft wird nur von kurzer Dauer sein. Ich sage euch, er wird das Ende dieses Jahres nicht mehr erleben. Diesem Scheusal weine ich keine Träne nach, aber es werden viele mit ihm diese Welt verlassen, Menschen die es verdient hätten weiter zu leben, um für das Gute zu wirken.

Seit auf der Hut, verhindert dass die Tyrannen Oberwasser bekommen. Und derer gibt es viele, jene die heute die Macht in den Händen halten und jene die in den Startlöchern sitzen und nur auf ihre Stunde warten:“

Ein deutlicher Seitenhieb auf Neidhardt, der schmollend zu Kovacs Linken saß.

„Die Tyrannei hat viele Gesichter, sie trat in der Geschichte in den unterschiedlichsten Facetten auf. Manchmal fiel sie brutal mit der Tür ins Haus, ein andermal schlich sie sich auf leisen Sohle, fast unbemerkt über den Seiteneingang in die Gesellschaft ein.

Die Freiheit ist und bleibt unser höchstes Gut, laßt sie euch nicht nehmen, von niemanden.

Haltet meine Worte fest, bewahrt sie in euren Herzen. Eine Weile noch werde ich unter euch sein, doch bald schon werdet ihr ohne mich auskommen müssen. Ich will euch aber nicht verwaist zurücklassen. Meine Botschaft sei immer bei euch, sie begleite euch auf euren Wegen in guten wie in schlechten Tagen.“

Tosender Beifall brandete dem Podium entgegen, aber es flossen auch Tränen.

„Kovacs, bleibe bei uns!“ „Wir brauchen dich!“ „Du darfst uns nicht verlassen!“ Solche und ähnliche Bitten wurden reihenweise nach vorn geschleudert.

Die Ansprache traf ins Schwarze. Jedoch waren sich die wenigsten der vollen Tragweite bewusst. Erst viel später sollte ihnen ein Licht auf gehen.

Melancholanien stand am Scheideweg. Die Tür zur Zukunft, sie wurde soeben aufgestoßen, doch die Tür zur echten Freiheit würde noch für eine ganze Weile verschlossen bleiben.

 

Elena wurde derweil immer bleicher und nach dem Kovacs seine Rede beendet hatte, erhob sie sich spontan und schritt eilends in Richtung Kreuzgang. Sie musste einfach an die frische Luft um durch zu atmen. Dort verweilte sie einen Moment und blickte durch die Säulenbögen in den Lichthof.

Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie hatten in der Zwischenzeit sehr gut gelernt zwischen den Zeilen zu lesen, wenn der Freund etwas zu sagen hatte. Auf irgend eine Art schien Kovacs mit dem Leben abgeschlossen. Er verstand dies geschickt vor den anderen zu verbergen, ihr aber konnte er nichts vormachen. Kovacs war offensichtlich lebensmüde. Er sehnte sich nur noch nach ewiger Ruhe und Ausgeglichenheit und er glaubte so etwas in diesem Leben nicht mehr finden zu können. Alle wagen Andeutungen die er ihr gegenüber machte gingen in diese Richtung. Er war wohl einfach zu gut für diese Welt.

Auch der Neuanfang hier und heute konnte seine depressive Stimmung nicht mehr heben.

Suchte er den Tod? Warum vertraute er sich ihr nicht an? Er war ihr Freund, mehr noch, sie blickte zu ihm wie zu einem großen Bruder. Seid der Sache mit ihrer Kandidatur bei den Wahlen und dem damit verbundenen Rummel um ihre Person bestand eine Barriere zwischen ihnen, schaffte sie es nicht mehr zu ihm vorzudringen. Kovacs verachtete bekanntlich jedwede Form von Personenkult. Leider war um ihre Person ein regelrecht messianischer Kult entstanden. Was aber konnte sie dagegen unternehmen?

Es ging kein Weg daran vorbei, die neue Elena war Kovacs Kreation, ohne sein Zutun hätte es ihre wundersame Wandlung nie gegeben. Und in Folge dessen auch die enormen Veränderungen nicht, die in Melancholanien eingeleitet wurden. Keine Kommune, keine Kandidatur ihrerseits zu den Wahlen, kein Wahlsieg der Neuen Liga, keine neue Chance , aber auch keinen Staatsstreich des Blauen Orden, keine Räterepublik. All dies war auf Kovacs Mist gewachsen. Er war ihr Lehrer, hatte ihren guten Kern freigelegt und diesen als Samen gepflanzt, aus dem schließlich Elena die strahlende Blume der Gerechtigkeit erwachsen konnte. Ohne ihn würde sie wahrscheinlich noch immer als arrogante Zicke in ihrem Studio sitzen, sich von feinen Herren hofieren lassen und ihre Untergebenen schikanieren. Ohne ihn hätte sie auch Leander nicht kennen lernen dürfen, jene große Liebe ihres Lebens.

Das er sich immer deutlicher von ihr entfernte traf sie bis ins Mark, sie fühlte sich schuldig und verantwortlich für seinen Zustand.

Sie fand, dass das Schicksal zu hart mit ihr ins Gericht ging. Was sollte sie noch verarbeiten müssen?

Langsam verließ sie, noch immer kreidebleich, die Toilette und begab sich wieder in Richtung

Podium. Ihre Abwesenheit hatte Neidhardt ausgenutzt und nun doch, entgegen allen Absprachen das Wort ergriffen.

„Kovacs, deine Worte haben uns tief bewegt. Du bist ein wahrer Dichter, der Dichter der Revolution. Deine Poesie wird mit uns sein, wenn wir uns in den Kampf stürzen. Sie wird uns begleiten und sicher durch den Glutofen führen der sich vor uns auftut und uns zu verschlingen droht. Du wirst in der neuen Welt deinen Platz einnehmen. Einen Ehrenplatz ganz weit vorne.“

Neidhardts Süßholzgeraspel ging Elena mächtig auf die Nerven, wusste sie doch nur zu gut dass die beiden sich nicht ausstehen konnten und nach Möglichkeit aus dem Weg gingen. Einen Ehrenplatz hatte Neidhardt ihm erkoren, das mochte er sogar ehrlich meinen. Zu sagen würde Kovacs in Neidhardts neuer Welt jedoch nichts haben.

„Die Revolution ist nicht mehr auf zu halten. Niemand kann sich ihr in den Weg stellen. Revolutionen waren es immer und sie werden es immer sein, die Lokomotiven der Geschichte.“ Das war noch immer sein Lieblingsspruch und er lies keine Gelegenheit aus um diesen zum Besten zu geben.

„ Wir werden Melancholanien zu einem Musterland der sozialen Gerechtigkeit, des Friedens und der Toleranz ausbauen.

Wir sind angetreten die Spaltung zu überwinden. Der Blaue Orden wird für seine Schandtaten bezahlen, das gelobe ich euch hier und heute. Wir müssen all unsere Kräfte bündeln und auf diesen machterprobten Gegner richten. Wie lange der Kampf dauert vermag ich nicht zu sagen, aber ich verspreche euch alles daran zu setzen, dass wir so bald als möglich unser Ziel erreichen.

Ein friedlicher Weg war uns nicht vergönnt, leider. Die Gewalt ist uns aufgezwungen worden, deshalb haben wir den Fehdehandschuh aufgehoben. Nun wird die Neue Ordnung aus den Ruinen der alten auferstehen.“

Elena hatte in der Zwischenzeit wieder Platz zu seiner Rechten  genommen.

Neidhardt setzte sich, so als habe er einen gewissen Respekt vor Elena, die hier immerhin die Gastgeberin war. Verhalltender Beifall wurde ihm gezollt.

Es folgten noch kleinere Statements. Auch Leander traute sich ein paar Worte zu sprechen, ferner Cornelius und Colette.

Chantal wurde Pressesprecherin der Räteregierung und damit beauftragt sämtliche Verlautbarungen der Öffentlichkeit kund zu tun.

Doch aufgrund der angespannten Lage im Land war niemanden nach Feierlaune. So verwundert es kaum dass die Veranstaltung schon nach kurzer Zeit beendet wurde. Es musste ständig mit einem Angriff der Freikorps gerechnet werden und man wollte diesem keine Zielscheibe bieten. Alle waren bestrebt so bald als möglich ihre jeweiligen Posten einzunehmen.

Im Grunde war die Räterepublik nichts weiter als ein morsches Gerüst das jeden Augenblick in sich zusammenbrechen drohte.

Die Radikal-Revolutionäre bestiegen ihren Kleinbus und verließen den Ort der sich soeben seinen Platz in den Geschichtsbüchern gesichert hatte.

Ein wenig schwermütig blickte Ronald noch lange zum Heckfenster hinaus. Schließlich verschwand die Abtei hinter der grünen Hügellandschaft.

Fuhr er jetzt nach Hause, oder war er gerade im Begriff sein Zuhause zu verlassen. Starke Zweifel überkamen ihn. Vor allem der erneute Abschied von Alexandra machte ihm schwer zu schaffen. Sollte er sich auf ein Leben ohne seine Liebste einstellen? Würde sie zu ihm kommen? Fragen über Fragen.

Aus diesem Grund lies ihn das Gespräch im vorderen Teil des Wagens  ziemlich kalt.

„Neidhardt, ich kann es einfach nicht verstehen. Die Revolution liegt in der Luft, ihr Duft steigt uns allerorts in die Nasen. Wir brauchen nur zu zugreifen und die Macht ist unser.

Stattdessen haben wir uns soeben drauf geeinigt, diese mit andern zu teilen. Es will mir nicht in den Kopf. Was ist mit unseren Prinzipien? Gelten die noch, oder wurden die in der Zwischenzeit durch andere ersetzt?“ Wollte Dagobert wissen. Als Chefideologe der Partei oblag es ihm den Prinzipienreiter bei jeder passenden Gelegenheit herauszukehren.

„Du willst mir vorwerfen, dass ich gegen meine eigene Prinzipien verstoße?“ Antwortete Neidhardt barsch.

„Aber nein, nein so war das doch nicht gemeint. Ich wollte nur meine Bedenken offenbaren, gegen einige Sachverhalte die sich gerade in der Abtei abspielten. Ich bin mir nicht sicher, ob wir gerade einen großen Fehler begangen haben.“ ruderte Dagobert etwas zurück.

„Es war kein Fehler! Mit Sicherheit nicht! Strategie, reine Strategie! Habe ich das nicht schon hundert mal betont? Eine Revolution ist ein dynamischer Prozess. Wir können viele schöne Theorien darüber aufstellen, letztendlich entscheidet die Praxis darüber ob und auf welche Weise sie verwirklicht wird. Unser ursprünglicher Plan ging nicht auf, das ist ein Fakt den wir an erkennen müssen. Also benötigen wir einen erneuten Strategiewechsel, den  wir soeben vollzogen haben!“

„Wie darf ich das verstehen Neidhardt? Schon vor längerer Zeit schlossen wir ein Bündnis mit Cornelius und Elena. Ich dachte immer das gilt weiter als Grundlage?“ Schaltete sich nun Lars ein.

„Natürlich tut es das. Das war  von Anfang an unser Plan. Auch damals ging es um Strategie. Es geht immer um Strategie. Denkt doch nach. Der Blau Orden hat uns mit seinem albernen Staatsstreich einen großen Gefallen getan. Die Situation vor der wir heute stehen, ist fiel günstiger als unmittelbar nach den Wahlen. Wir errangen ein Achtungsergebnis, 13% sind nicht fiel. Die Mehrheit wollte Elena und stimmte damit indirekt gegen eine Revolution.“ Versuchte Neidhardt weiter aufzuklären.

„Aber wollen Cornelius, Elena und Kovacs nicht auch eine Revolution, so habe ich es zumindest verstanden.“ Glaubte Lars sich zu erinnern.

„Da hast du etwas gründlich falsch verstanden mein Lieber. Ihre Art von Revolution hat mit der unsrigen nur sehr wenig zu tun. Die strebten eher Reformen an oder sagen wir besser Reförmchen. Alles schön langsam, damit es ja niemanden wehtut, schon gar nicht den Leuten aus den Privosiedlungen. Wir hingegen streben Veränderungen an Haupt und Gliedern an. Es muss wehtun, denn nur was wehtut greift auch tief.“

„Aber wie willst du diese Veränderungen einleiten? Jetzt da wir mit andern regieren und Kompromisse schließen müssen? Hast du nicht selber immer wieder betont, das für dich jeder Kompromiss ein fauler ist.“ Wunderte sich Dagobert.

„Das habe ich in der Tat. Dieser Kompromiss ist nicht faul, er ist Strategie. Wir haben im Moment keine Alternative, wir müssen mit den andern zusammen arbeiten. Solange bis die Gefahr gebannt, bis der Blaue Orden von der Bildfläche verschwunden ist. Danach gewähren wir noch eine kurze Übergangsfrist für den Neuaufbau. Sobald die gröbsten Schäden beseitigt, greifen wir nach der Macht. So einfach ist das!“

„So einfach? Aber was, wenn die andern damit nicht einverstanden sind? Denn immerhin hätten die ja auch ihren Anteil am Sieg über den Blauen Orden.“ Meinte Ansgar nun sichtlich in Zweifel.

„Die werden nicht gefragt. Unsere Position werden dann bereits soweit gefestigt sein, dass sie gar nicht mehr in der Lage sind zu intervenieren.“ Lies Neidhardt erkennen.

„Was sagst du denn da dazu Ronald? Ist dir nicht auch ein wenig unwohl bei dem Gedanken die andern so einfach abzuservieren?“ Rief Ansgar nach hinten.

„He was ist los? Ich …ich hab wohl für einen Moment nicht zugehört!“ Stammelte Ronald sichtlich verlegen.

„Ach vergiss es! Bist im Gedanken noch immer bei Alexandra wie ich sehe!“ Verstand Ansgar.

„Ihr habt Gewissensbisse? Das braucht ihr nicht! Auch wenn es eure Freunde sind. Die Revolution geht immer vor privaten Interessen. Eure Freunde in der alten Abtei haben die Möglichkeit sich uns anzuschließen und unsere Sache zu unterstützen. Es liegt an ihnen ob sie das tun oder ob sie unser Angebot zurückweisen.“

„Du hast aber doch nicht etwa vor, nach einem Sieg über die Blauen, gegen Elena und ihren Anhang vor zu gehen?“ Sorgte sich nun auch Lars.

„Ich werde mich hüten! Ich lasse sie gewähren, natürlich nur in ihrem Bereich, der Abtei und was sonst noch alles dazugehört. Aber außerhalb hat sie sich wie jeder andere auch zu fügen, so will es unser Gesetz.“

 

Niedergeschlagen von der Enttäuschung über Ronald hatte sich Alexandra auf einer der noch vorhandenen Kirchenbänke niedergelassen. Ihr Blick schweifte über hohe die Wölbung des Chorraumes mit all seinen Verziehrungen , Spitzbögen, den Licht durchfluteten Fenstern.

So etwas konnte beruhigend auf die Seele wirken, wenn man denn im Stande war die Mystik zu begreifen, die davon kündete.  

Wieder hatte sie keine Entscheidung getroffen,  war statt dessen geblieben und erneut rückte ihr ins Bewusstsein, das aufgeschoben nicht aufgehoben bedeutete.

 Gedankenversunken, spürte sie plötzlich eine Hand auf ihrer Schultern die begann sanft ihr langes brünettes Haar beiseite zu schieben und ihren Nackenansatz streichelte.

Lustvoll stöhnte Alexandra auf.

„Wessen Hand es auch immer ist, die mich auf so sanfte Weise betastet, weiter so. Du kommst gerade zur rechten Zeit.“

„Ich gehe doch sicher Recht in der Annahmen, dass du im Moment  ne kleine Tröstung nötig hast.“ Sprach Kyra während sie neben Alexandra auf der Bank ihren Platz einnahm.

„Kyra du? Hmmm… ja ja, weiter so. Wau tut das gut, kann ich im Moment wirklich gut gebrauchen Schön das du es bemerkt hast.“

„Dann ist also deiner auch wieder weg?“

„So ist es! Auf und davon!“

„Mir geht es ebenso! Aber du weißt wenigstens wo sich Ronald aufhält und kannst wenn du magst jederzeit zu ihm fahren und er wird auch immer wieder kommen, denke ich!“

„Immer noch keine Nachricht von Folko?“ Alexandra wandte sich besorgt zu ihrer Freundin

„Nein, noch immer nicht. Auf und davon! Einfach so! Naja, dann muss ich halt sehen wie ich zurecht komme.  So sind sie eben die Kerle!“

„Machtgeil sind sie ! Da kannst du nichts ändern. Wollen alle Karriere machen, liegt, denke ich einfach in der Natur des Mannes.“ Glaubte Alexandra zu wissen.

„Sind wir Frauen denn nicht ebenso, oder zumindest ähnlich!“ gab Kyra zu bedenken.

„Keineswegs! Wir sind auf irgend eine Art anders! Sieh dir unsere Schwesternschaft an. Wir halten zusammen, geben uns einander Geborgenheit und Anerkennung. Woher wir auch kommen, es ist ohne Belang, wir sind eine Familie. Kannst du dir das bei Männern vorstellen?“

„Schwer zu sagen. Hab noch nichts dergleichen kennen gelernt. Weißt du Alex, wozu brauchen wir denn überhaupt Männer? Es sollte nur uns Frauen geben! Wäre die Welt dann womöglich besser, vor allem friedlicher und gerechter?“

„Komisch, jetzt da du das sagst, fällt mir ein dass ich mich auch immer wieder damit beschäftigt habe. Ja, könnte ich mir vorstellen. Das heißt, dann müssten wir Schwestern aber etwas mehr als nur schwesterliche Gefühle einander entgegenbringen.“

„Hmm, ja du meinst etwas solcher Art!“

Kyra fuhr an Alexandras Rücken hinab und öffnete von hinten deren BH, taste sich sanft nach vorne und umfasste zart ihre linke Brust.

„Hmmm,  dafür bin ich stets zu haben. Ich find dich übrigens total nett Kyra. Wollt ich dir schon immer mal sagen.“ Alexandras Stimme wirkte betörend.

„Was hältst du davon wenn wir uns, sagen wir mal ne Art gegenseitigen Trost spenden. Einfach für einander da sein. Uns all das das schenken , wozu unsere Männer im Augenblick nicht imstande sind?“

„Ein verlockendes Angebot. Ich bin dabei!“

„Wann, wo?“ Kam Kyra der Sache auf den Punkt.

„Komm mich doch besuchen, heute Nacht, wenn es schon dunkel ist, dann kuschelt es sich am besten, du weißt ja wo mein Zimmer ist, oder soll ich dich besuchen?“ Lautete das verlockende Angebot:

„Nein, nein, ich komme zu dir, geht schon in Ordnung!“

Sowohl Kyra als auch Alexandra lebten im Konventsgebäude. Kyra schon seit ihrer Ankunft, Folko hatte direkt neben ihr sein Domizil, ein richtiges Zusammenleben war das nicht, wenn sie auch die Nächte miteinander verbrachten und auch sonst viel gemeinsam unternahmen. Jeder respektierte aber die Autonomie des anderen.

Alexandra hatte  hingegen mit Ronald die "Alte Försterei"eines der zahlreichen Nebengelasse bezogen, wie die meisten die schon als Paare hierher gekommen waren.

Nach Ronalds Weggang  beschloss sie jedoch nicht allein im Haus zu bleiben und somit ebenfalls ihre Unterkunft im Konventsgebäude genommen. Ihr Zimmer befand sich am Ende des langen Korridors.

„Und was soll ich mit dir machen?“ Flüsterte Kyra in Alexandras Ohr während sie mit den Fingern durch deren langes Haar glitt.

„Ohhh, das denke ich wird sich sicher  finden:“

„Also angemacht! Bis heute Nacht, meine kleine Zuckerschnecke!“ Kyra gab Alexandra einen Kuss auf die Wange und verschwand dann im Labyrinth der alten Basilika.

 

Unruhig wälzte sich Alexandra von einer auf die andere Seite. Es versteht sich von selbst dass sie keinen Schlaf fand. Würde Kyra kommen? War das ernst oder wurde sie von der nur geneckt.

Kyra war bekannt für ihre neckischen Späße, die oft auch mal unter die Gürtellinie gingen.

War auch sie nur eines ihrer Opfer?

Der Blick auf die Uhr, schon 23 Uhr durch. Warum kam sie nicht? Die kommt nicht mehr, alles nur Gerede. Alexandra schmiss sich auf die Seite und versuchte krampfhaft einzuschlagen, was ihr natürlich nicht gelang.

Er leises Klopfen an der Tür, diese öffnete sich und Kyra steckte ihren Kopf hindurch.

„Alex, schläfst du schon?“

„Nein, wie könnte ich denn! Komm doch rein.“

Auf leisen Sohlen schlich sich Kyra in das Zimmer, so als sei außer Alexandra noch andere im Raum die es nicht zu stören galt.

Mit sinnlicher Geste schlug Alexandra die Bettdecke weg und entblößte ihren nackte Körper der im Schein eines sanften Nachtlichtes leicht rötlich schimmerte.

„Wau, bist du eine geile Nummer. So hab ich dich noch nie gesehen, da bleibt mir wirklich die Spucke weg.“

Mit einem Satz bette sich Kyra an Alexandras Seite und begann sogleich gierig nach deren Rundungen zu greifen.

„Ist schon ne Weile her, als ich das letzte Mal mit ner Frau zusammen war. Ich bin richtig ausgehungert  nach solchen geilen Pölsterchen.“

„Du bist auch nicht ohne, Kyra. Ein atemberaubenden Körper hast du, muskulös wie ein Junge aber ein trotzdem fraulich, deine kleinen Brüste find ich besonders süß.“

In der Tat, Kyra und Alexandra waren Gegensätze wie sie kaum größer sein konnten. Das Prinzesschen aus der behüteten Oberschicht und die Powerfrau aus den Slums. Unter andern Umständen wären sie einander nie begegnet. Hier fanden sie eine Plattform auf deren Oberfläche sie sich aufeinander zu bewegen konnten. Hier hatten sie sich gefunden. Alle Grenzen verschwanden in dieser Nacht. Das war kein lüsternes Sexspielchen zweier einsamer Frauen die sich mal eben zu trösten gedachten. Es war Liebe  ,Hingebung, Zärtlichkeit, tiefes Vertrauen in die jeweils andere. Beide sanken in ihre Liebe wie in ein weiches Daunenkissen.

Damit hatte sie wohl beide nicht gerechnet.

Das Feuer der Leidenschaft brannte und verzehrte alles ums sich. Gierig schlangen sich die beiden aneinander und badeten ihr Gegenüber in einer Flut von Küssen. Sie waren sich selbst genug, es bedurfte nicht mehr in diesem Augenblick.

Ein perfekter Gegensatz, Alexandras weicher, geschmeidiger Körper mit seinen verführerischen Rundungen bot einen hinreißenden Kontrast zu Kyras sportlich-muskulöser Figur.

 

Auch in den folgenden zwei Nächten ergingen sie sich in ihrer Leidenschaft. Ihre Männer schienen sie für eine Moment vergessen, sie hatten nur noch sich und das genügte im Augenblich. Was später kommen mochte schoben sie vor sich her. Liebe fragt nicht nach dem Zeitpunkt, sie ist einfach da und nimmt. Auf den Augenblick kam es an, diesen zu genießen war die Kunst. Eine Liebe zu zweit, zu dritt oder zu viert. Da bahnten sich komplizierte Konstellationen an. Doch die galt es zu lösen, wenn die Zeit dafür gekommen schien.

 

Doch schon in der vierten Nacht wartete Alexandra vergeblich auf ihre neue Liebste. Kyra kam nicht, war einfach nicht auf findbar. Als sie auch tags darauf nicht auftauchte, ahnte Alexandra Schlimmes. Ihre Befürchtungen sollten sich bestätigen.