Heimkehr ins Exil

Elena saß auf der Bank und blickte noch immer auf das Gebäude der Akademie, das sich wie eine Trutzburg vor ihr erhob. Wenn sie sich umdrehte, hatte sie einen schönen Panoramablick auf die Silhouette der Stadt Köln mit den beiden Spitzen des Domes die am Horizont gen Himmel ragten, alles gleichsam wie in einem Spielzeugland.

Bisher hatte noch keine der Schwestern in Erfahrung bringen können, dass sich ihre einstige charismatische Anführerin, nach deren Rückkehr sich alle so sehnten, in unmittelbarer Nähe befand.

 

Dies war nicht weiter verwunderlich, fand doch üblicherweise zu dieser Zeit, die morgendliche Besprechung des inneren Zirkels der Freiheitstöchter statt, nicht jeden Tag, aber mehrmals die Woche, so war es auch an diesem Vormittag.

Diese Besprechungen zogen sich meist bis in die Mittagszeit.

Der innere Zirkel war nicht wie in frühren Zeiten eine statische Zusammenkunft immer der gleichen Personen, sondern hatte sich in den zurückliegenden Monaten weiterentwickelt. Jede konnte daran teilnehmen, sogar Männern war es gestattet, die allerdings wenig Gebrauch von diesem Angebot machten.

So kam es häufig zu einer Fluktuation.

Erneut raffte sich Elena auf, um auf das Eingangsportal zu zugehen. Zweimal schon hatte sie es versucht, aber es schien, als ob sie von einer großen unsichtbaren Hand am Aufstehen gehindert wurde.

Nun schien es zu funktionieren. Sie erhob sich, griff nach ihrer Reisetasche und schritt langsam und bedächtig auf den Eingang zu. Ein Blick zum Himmel. Erleichterung. Ein Bussard drehte dort seine Kreise. Geradezu meditativ ließ er seine Schwingen durch die Luft gleiten.

Anarchaphilia, du bist da. Du lässt mich auch diesmal nicht im Stich, wenn ich diesen wichtigen Weg beschreite. Fuhr es Elena durch den Kopf

Sie schritt die Treppe hinauf und befand sich gleich darauf im großen Foyer. Zwei junge Frauen schritten eilenden Schrittes an ihr vorbei, erkannten sie dem Anschein nicht. Nicht weiter verwunderlich, waren doch im letzten Jahr, seit die Schwestern in ihrem Exil angekommen waren, einige Neue hinzugekommen, die Elena noch nie von Angesicht zu Angesicht gesehen hatten.

Die Ex-Kanzlerin schritt den Gang entlang und machte vor einer Türe halt, die, halb offen stehend ,einen Blick ins Innere gestattete. Sie lugte durch den Spalt und sah einige der bekannten und vertrauten Gesichter. Ein unglaublich positives Gefühl durchdrang sie in diesem Augenblick. Wärme, Geborgenheit, totale Zufriedenheit und Ausgleich. Ich bin daheim.

Die Besprechung war dem Anschein gerade zu Ende. Elena hatte sich also den rechten Zeitpunkt ausgesucht.

 

Colette stand in der Mitte von etwa einem dutzend Schwestern, mit dem Rücken zur Tür und gestikulierte, so wie es ihre Art war, mit weiten Arm kreisenden Bewegungen in der Luft.

Inga war die erste die die sehnsüchtig Erwartete an der Tür erblickte, die Augen weit aufriss und sich vor Schreck die Hand vor dem Mund hielt.

Elena legte blitzschnell den Zeigefinger der rechten Hand auf ihre Lippen und signalisierte damit zu schweigen, auch einige andere, darunter Alexandra, Gabriela , Kyra Chantal, die nun zur Tür blickten begriffen. Eine Überraschung. Eine Überraschung für Colette, die Königin, die solange die Stellung hatte halten müssen und nun in wenigen Sekunden, dem Menschen wiederbegegnen sollte, der ihr so sehr am Herzen lag.

 

Elena setzte vorsichtig die Reisetasche zu Boden und schlich sich in den Raum. Die Schwestern konnten kaum noch innehalten so übergroß war die Freude über die Heimgekehrte.

„Hmm, wie ich sehe könnt ihr euch kaum noch konzentrieren. Naja, wir haben für heute genug besprochen. Na gut. Was liegt an Betül? Welche Termine muss ich heute über mich ergehen lassen?“

„Äh..was? Termine? Stotterte Betül

„Na, was heute erledigt werden muss! Was ist denn? Warum bist du denn so aufgeregt? Ist irgendetwas besonders? Was ist denn mit euch allen los?“

Elena hatte in der Zwischen Zeit direkt neben Colette Aufstellung genommen.

Colette wendete kurz ihren Blick zur Seite.

„Ach guten Morgen Elena! Na gut, dann werde ich eben selbst nachsehen müssen. Komische Atmosphäre, ihr tut ja so als ob ihr einen Geist gesehen hättet. Einen Geist…. Ei…eii…

E…E….Elena?“

Nochmals blickte Colette zur Seite.

„Elena!!!! Du…du….du….du…bist …da…du…du bist es wirklich! ELENA!!!!!!!!

Aber das gibt`s doch gar nicht. Wie…wie …wie …wie ..bist du denn hier….rein..gekommen?“

„Na ich würde sagen durch die Tür. Guten Morgen Colette, guten Morgen meine Königin!“

Elena breitete die Arme aus.

Colette tat es ihr gleich und im nächsten Augenblick fielen sie sich um den Hals.

 

„Elena! Meine kleine Schwester, bist du es wirklich?“ Colette griff nach Elenas Kopf, nahm ihn in die Handflächen und, strich durch deren langes Haar.

„Oh dieses Haar, diese wundervollen Haare. Ich habe dich so vermisst. Die Zeit des Wartens war für mich eine entsetzliche Qual. Nun bist du wieder da. Bitte, bitte zwick mich in die Nase, damit ich erkenne, dass ich nicht träume.“

Elena befolgte den Wunsch.

„Aua! Ja, du bist hier, es ist keine Sinnestäuschung. Oh, meine wunderbare Elena.“

„Auch ich habe dich vermisst, meine große Schwester, meine Königin, meine Colette. Elena griff in Colettes silbergraues Haar.

Und wieder fielen sie sich um den Hals und ließen den Tränen freien Lauf.“

„Huhuhuhuhuhuhuhuhuhu…..“ schluchzte Colette. Elena tat es ihr gleich und als bald vermischten sich ihre Tränen.

So standen sie einfach eine Zeit lang schweigend, eng umschlungen.

„Aber bedenkt hier sind noch andere die die verlorene Schwester begrüßen möchten.“ Mahnte Gabriela.

Darauf setzten sich die Umarmungen fort. Eine nach der andern schloss Elena in die Arme, die Freude schien grenzenlos. Nachdem auch Kyra Elena gebührend begrüßt hatte stürmte sie los, rannte durch das ganze Haus, klopfte an die Türen und schrie immerfort:

„Elena ist da! Hört ihr? Elena ist zurück! Alle mitkommen! Alle nach unten! Hört ihr nicht was sich sagte? Elena ist da!!!“

 

Die Türen öffneten sich und die Schwestern traten verwundert in die Flure. Hatte sich Kyra einen Scherz erlaubt? Nein! Dafür war die Angelegenheit viel zu ernst.

Nun strömten auch alle anderen Anwesenden in die Aufzüge oder auf die Treppen und begaben sich eilends nach unten in Parterre.

Eine Geschäftigkeit wie in einem Bienenkorb.

Untern angekommen konnten sie sich davon überzeugen, dass Kyras Aussage der Wahrheit entsprach. Elena war umringt von den begeisterten Schwestern. Wohl noch nie in ihrem Leben hatte sie innerhalb kurzer Zeit so viele Umarmungen absolviert und so viele Küsse empfangen und ausgeteilt.

„Oh Elena wie haben wir dich alle vermisst. Es war einfach traumatisch. Wir mussten davon ausgehen, dass du gar nicht mehr am Leben bist. Erst vor einigen Tagen teilte uns Colette die Frohe Botschaft mit, dass du lebst, das es dir gut geht und du zu uns zurückkehren wirst.“ Sprach Alexandra das aus, das wohl alle in diesem Moment im Herzen bewegte.

„Wie ist es dir ergangen? Wo hast du gelebt? Was hast du getan? Wir brennen darauf deine Geschichte in Erfahrung zu bringen.“ Wollte Chantal wissen.

„Ja, wir alle sind ergriffen. Wir haben lange Zeit in dem Bewusstsein gelebt, dass du nie wieder zu uns zurückkehren wirst.“ Fügten Sonja hinzu.

 

„Langsam langsam, lasst Elena doch erst mal ankommen. Bestimmt hat sie eine lange Reise hinter sich, möchte erst mal ausruhen, sich zurückziehen.“ Gab Androgyna zu bedenken.

„Ja, lasst unsere Elena erst einmal in Ruhe zu sich finden.“ Schaltete sich nun auch Colette wieder ein, die, auf einem Sessel am Rande sitzend alles erst einmal verarbeiten musste.

 

„Ich danke euch allen. Ihr könnt euch vorstellen, wie froh ich bin wieder unter euch zu sein. Ich hatte heute keine weite Reise. Ich brauchte nur ein paar Schritte, um von Bensberg hierauf zu gelangen. Ich will es euch alles erklären, aber Androgyna und Colette haben Recht. Ich muss erst ankommen, es …es…ist so überwältigend. Auch ich glaubte lange Zeit, dass wir uns nie mehr wieder sehen in diesem Leben. Nun stehe ich in eurer Mitte.“ Eine Träne stahl sich aus Elenas Auge.

„Du bist also schon eine Weile hier in der Gegend? Hakte Alexandra nach.

 

„Ja, ich werde es euch allen erklären. Es ist eine sehr lange Geschichte. Eine tragische Geschichte, aber auch eine, erfüllt von tiefer Hoffnung auf einen Neubeginn. Erfüllt von Leid aber auch von Liebe.“

Betül klatschte in die Hände, ihre Art für Aufmerksamkeit zu sorgen.

„Ihr habt gehört was unsere Königin empfohlen hat. Ich schlage vor wir kommen alle wieder runter. Es wird noch genug Gelegenheit geben in Erfahrung zu bringen was Elena erlebt hat.

Wir ziehen uns jetzt zurück, lassen Elena in Ruhe ankommen. Wir werden sie auf ihr Zimmer führen. Dort kann sie Ruhe finden und Besinnung. Später, wenn sie sich entsprechend fühlt, können wir uns dann wieder sehen und uns austauschen.“

„Ich danke dir Betül. Ja, damit bin ich einverstanden. Ich brauche einfach ein wenig Einkehr zu mir selbst.“ Bedankte sich Elena.

 

„Komm Elena, ich werde dir dein Zimmer zeigen. Es wartet dort auf dich seit unserer Ankunft hier. Wir haben es stets für dich freigehalten, weil wir die Hoffung auf ein Weidersehen immer am Leben hielten.“ Bot Colette an, erhob sich, griff nach Elenas Arm und hakte sich dort unter.

Elenas Tränen kullerten nun unaufhörlich.

Die beiden bahnten sich einen Weg durch die Schwestern, viele von ihnen ließen es sich nicht nehmen Elena erneut zu berühren, zu küssen ,zu streicheln.

Colette und Elena begaben sich die Treppe hinauf in den zweiten Stock und schritten den Gang entlang.

 

„Hmm, kaum ist sie angekommen, da ist sie schon wieder weg. Versteht ihr das?“ Meinte Alexandra mit einem Anflug von Enttäuschung in der Stimme.

„Lasst ihr Zeit! Sie muss erst ankommen, so etwas geht nicht von einem zum anderen Augenblick.“ Mahnte Gabriela.

 

„Wir müssen uns in ihre Lage versetzen. Ich kann das gut. Auch ich war längere Zeit außerhalb der Gemeinschaft, damals nach Neidhardts Machtergreifung.

Als ich zurück kam fand ich vieles verändert vor. Elena hat mich damals in die Arme genommen und alles war geklärt. Das werde ich ihr nie vergessen.“ Stimmte Chantal zu .

„Keine Sorge, sie wird uns schon alles berichten, dann wenn es Zeit dafür ist.“ Glaubte Kyra zu wissen.

„Natürlich wird sie das! Es ist nur so, wir haben so lange auf ihre Rückkehr gewartet und gedacht, o wenn sie wieder durch die Türe kommt, dann fallen wir alle aus den Wolken oder so:“ Setzte Alexandra hinzu.

„Aber das haben wir doch getan. Es kommt eben nie so wie wir es uns vorstellen.“ Fügte Betül noch hinzu.

Nach einer Weile zerstreuten sich die Schwestern erfüllt und durchdrungen von tiefer Freude.

 

Oben angekommen konnte auch Colette nicht mehr an sich halten und ließ den Tränen freien Lauf.

Sie erreichten das Zimmer und traten ein.

„Dein Zimmer, kleine Schwester, es hat die ganze Zeit darauf gewartet, dass du davon Besitz ergreifst. Wie du sehen kannst, ist es ein Doppelzimmer, so wie die meisten hier.“ Colette wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen.

„Ich wünsche dir, dass du es bald mit Madleen teilen kannst.“

Elena drückte Colette noch einmal an sich. Die lehnte ihren Kopf an Elenas Schulter.

„Ich danke dir Colette, meine Königin. Mir ist ein wenig schwindelig. Die Aufregung, du verstehst. Ich…ich…muss das alles erst verarbeiten. Ich kann das Gefühl kaum beschreiben, dass sich meiner gerade bemächtigt. Dich in den Arm zu halten ist das größte von allen.

 

„Ich lasse dich jetzt allein, Elena. Geh in dich, meditiere, schlafe oder was auch immer. Melde dich bei mir, wenn du so weit bist, dann können wir reden. Wir haben beide eine Menge zu berichten.“

Noch ein Kuss und schon war Colette verschwunden.

 

Elena blickte sich um, die neue Umgebung musste erst seine Wirkung entfalten. Sie blickte aus dem Fenster, das die Sicht zum Innenhof freigab, mit der futuristisch anmutenden  Kapelle in der Mitte.

Stille, Ruhe, Einkehr, Neubeginn mit den alt vertrauten Gesichtern. Sie setzte sich auf den Schreibtischstuhl und atmete tief durch.

Gestern zu dieser Stunde war sie noch mit Neidhardt unterwegs. Was würde der tun? Jetzt in diesem Augenblick? Elena vermisste ihn sehr. Sie griff nach ihrem Handy, gab dessen Nummer ein, doch gleich darauf drückte sie die wieder weg. Nein, nicht jetzt, später. Auch Neidhardt musste mit einer völlig neuen Situation fertig werden. Allein.

Erinnerungen kamen auf, Erinnerung an das letzte tieftraurige Zusammentreffen mit den Schwestern, in der Abtei, in Anarchonoplis. Colette war damals nicht anwesend. Abschied, den eigenen Tod vor Augen. Abschluss, Ende.

 

Und nun war sie hier. Heimkehr, auch wenn es nicht Anarchonopolis war. Sie blickte auf das breite Doppelbett. Madleen! Wann kommst du meine Geliebte, meine Gefährtin, meine Frau.

Erst wenn du wieder bei mir bist, wird das Glück vollkommen sein.

Die Tränen kamen wieder, Tränen sowohl der Freude, als auch des Schmerzes. Elena warf sich auf das Bett und ließ sie ungehindert fließen.

 

Am späten Nachmittag machte Elena einen ersten Rundgang durch das Haus um sich mit allem vertraut zu machen, kam dabei mit vielen in kurze Gespräche, dann machte sie auch einen Gang ins Freie, um das nähere Umfeld auszukundschaften, verweilte lange an der Marienstatue, am Rande des kleinen Wäldchens, dass die Akademie umgab.

Ein großes Haus dessen Geheimnisse sie erst nach und nach ergründen würde.

Am späteren Nachmittag ging sie zu Colette. Die beiden nahmen auf der großen Couch Platz und kuschelten sich aneinander hielten sich in den Armen. Zwei Schwestern, wieder vereint.

Elena berichtete von ihren Erlebnissen, Colette klärte die kleine Schwester über alles auf, was sich in der Zwischenzeit hier im Exil ereignet hatte.

 

„Und du hast tatsächlich die ganze Zeit über mit Neidhardt im Bunker gelebt? Brrrr…da fröstelt es mir schon ein wenig bei dem Gedanken.“ Meinte Colette.

„War nicht so schlimm, wie es sich anhört. Der Bunker war ausgezeichnet eingerichtet, alles was dazugehört, sogar eine eigene Apotheke, Fitnessraum, Bibliothek. etc. Ja und natürlich die Natur die ihn umgab Eine einzigartige wilde Schönheit. Ich konnte erstmals in meinem Leben richtig zu mir kommen. Diese Abgeschiedenheit hat sich sehr positiv auf meine Seele ausgewirkt. Du wirst verstehen, dass ich nicht gleich wieder voll bei euch einsteigen kann und  noch warten muss um meine Aufgaben im vollen Umfang wieder wahrzunehmen.“

 

„Natürlich Elena, komme langsam an, lass dir Zeit, sie sei dir gewährt. Wir alle konnten die Zeit hier nutzen, um aus unseren Fehlern zu lernen.“ Bestätigte Colette.

„Ihr habt es sehr lange ohne mich geschafft, da wird es auf ein paar Tage mehr auch nicht ankommen. Wie ich in Erfahrung bringen konnte, hast du die Gemeinschaft wieder einmal meisterhaft  zusammengehalten. Ja, zum zweiten Mal konntest du dich als der Turm in der Brandung bewähren. Ja, du bist unsere Königin. Ich bin stolz auf dich.“

Elena küsste Colettes Hände.

 

„Elena, ich habe immer deine Nähe gespürt, das Band zwischen uns war zu keiner Zeit durchtrennt. Jenes Band das uns seit so langer Zeit verbindet, eine Zeit jenseits aller Vorstellungskraft. Aber trotzdem hat es unendlich wehgetan. Ich werde mir nie verzeihen, dass ich im entscheidenden Moment nicht für dich da war, damals als es dir so schlecht ging. Das ich deinen großen Kummer nicht mit dir geteilt haben, dich einfach dir selbst überlassen habe.“ Bedauerte Colette.

„Es ist vorbei Colette. Dich trifft keine Schuld, dich am allerwenigsten. Ja, ich war sehr verzweifelt, aber das entschuldigt nicht, dass ich euch im Stich gelassen habe, dass ich wesendlich dazu beitrug, dass sich Cassian die Macht erschleichen konnte.“

Bereute Elena ihr damaliges Verhalten.

Colette strich ihr sanft durch das Haar.

„Alle haben Schuld auf sich geladen. Alle. Madleen oder Dagmar und ihr Gefolge sind nicht minder daran schuld. Alle haben Anteil daran. Alle sind aber danach durch ihre jeweils eigene Hölle gegangen und konnten hinzulernen. So negativ es uns erscheinen mag, wir können gestärkt aus allem hervorgehen. Selbstverständlich trägt Cassian die mit weitem Abstand größte Schuld an unserem Unglück. Aber dieser Lump wird seiner gerechten Strafe nicht entgehen.“ Meinte Colette, den Blick dabei in die Zukunft gerichtet.

 

„Ich bin bereit die Lehren daraus zu ziehen. Ich konnte die Zeit in der heilsamen Abgeschiedenheit gründlich nutzen, um Schlüsse aus allem zu ziehen und ihr habt bewiesen, dass es auch ohne die allgegenwärtige Elena geht. Wir müsse bereit sein neue Wege zu beschreiten und wenn alle an einem Strang ziehen könnten wir es schaffen.“ Bekannte Elena.

 

„Und Neidhardt, will er tatsächlich bei uns leben?“ Lenkte Colette das Gespräch auf ein anderes Thema.

„Kann ich mir gar nicht so recht vorstellen. Und dass er eine Tochter haben soll, noch viel weniger. Aber immerhin, dadurch wird er mir schon deutlich sympathischer.“

„Er hat sich verändert. Die Zeit, die Abgeschiedenheit und nicht zuletzt der Kontakt zu mir haben einen anderen Menschen aus ihm gemacht.“ Kläre Elena auf.

„Und du liebst ihn wirklich?“

„Ja, wir sind eng zusammengewachsen.“

„Auch wenn Madleen wieder hier auftaucht?“ Colettes Frage sprach das Reizthema an.

„Ja auch dann, wenn es mir auch sicherlich schwer fallen wird alles unter einen Hut zu bringen. Aber er hat jetzt seine Tochter, mit der er sich nach anfänglichen Schwierigkeiten gut versteht. Ich werde natürlich Madleen und Tessa die nächste Zeit bevorzugen. Ja, Tessa. Neidhardt konnte ich mit seiner Tochter versöhnen und meine eigene? Ich bete darum das Tessa mir in der Zeit nicht völlig entfremdet wurde. An ihr habe ich wohl das meiste wieder gut zu machen.“

Erneut bildeten sich Tränen in Elenas Augen.

 

„Du schaffst es Elena. Die Wunder von Anarchonopolis, sie werden noch so manche Überraschung im Gepäck haben.“

„Ach Anarchonopolis, wenn wir nur schon wieder daheim wären.“  Sehnsucht sprach aus Elenas Worten.

„Es ist nur noch eine Frage der Zeit. Ich hatte die Hoffnung auch schon aufgegeben und mich mit dem Gedanken vertraut gemacht, für immer im Exil zu leben, doch irgendwann wendete sich das Blatt. Nun überschlagen sich die Ereignisse. Nicht zuletzt durch Dagmar und ihr Martyrium.“ Warf Colette ein.

„Dagmar! Ja! Ich habe auch davon gehört. Meine ärgste Rivalin. Wie sehr sie mich einst doch hasste. Sie wollte immer so sein wie ich, mich sogar übertreffen. Nun hat sie es tatsächlich geschafft. Wir sind im Schmerz vereint. Ich habe ähnliches durchleben müssen, wenn auch unter anderen Umständen. Beide wurden wir gefoltert. Damit steht sie mit mir auf einer Stufe. Beide durften wir für unsere Idee, für Akratasien leiden.“

Wenn es auch schwerfallen wird, ich muss einen Weg finden mich mit ihr zu verständigen.“

 

„Die Nachrichten aus Akratasien sind undurchsichtig. Seit einigen Tagen konnten wir nichts mehr über Dagmars und ihrer Gefährtinnen Schicksal in Erfahrung bringen. Die Medien erwähnen sie gar nicht mehr. Ich weiß nicht, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen ist.“

Meinte Colette.

„Ich fürchte wir werden sie niemals wieder sehen. Dann ist die Chance einer Aussöhnung vertan.“ Mit Trauer im Geicht senkte Elena ihren Blick zu Boden.

 

Colette zog Elena an sich.

„Gib dir nicht die Schuld. Es ist so geschehen. Wir müssen damit leben. Müssen uns auf das konzentrieren was vor uns liegt.“

„Ja, vielleicht hast du Recht. Deine feurige Rede vor kurzer Zeit war übrigens phantastisch. Ich wäre gern dabei gewesen. Ja, du kannst die Massen begeistern. Du hast es einmal mehr bewiesen.“

„Oh, aber glaub nur ja nicht, dass mir das leicht gefallen wäre. Wir verdanken ausschließlich Betüls mutigem Eingreifen, das ich überhaupt gesprochen habe. Mir ging es schlecht, die Nacht zuvor, am Tag und schließlich verließ mich am Ende fast der Mut. Aber Betül, ja meine Betül, meine gute Fee hat mir die Kraft gegeben. Wärst du zugegen gewesen, dann hätte ich womöglich überhaupt nicht gesprochen, sondern alles dir überlassen.“ Bekannte die Königin.

 

„Hmmm, das kann ich mir denken. Nein, es war dein Auftritt, dein Tag, deine Prüfung und du hast sie meisterhaft bestanden.“

 

 

Das Gespräch zog sich in die Länge und beanspruchte viel Zeit, sie kamen vom hundertsten ins tausendste.

Elena verabschiedete sich, um noch mal einen kurzen Spaziergang zu machen. Zum Abend essen würde sie sich wieder einfinden, danach war eine größere Runde mit allen Schwestern geplant.

Noch einmal hatte Elena die Gelegenheit ihre Abenteuer zu bereichten. Das viel ihr alles andere als leicht, denn es waren viele emotionale Gefühle dabei, die sich nicht so leicht aussprechen ließen.

 

 

Die folgenden zwei Tage vergingen ohne besondere Vorkommnisse. Langsam, aber sicher begann sich Elena einzuleben, zog sich aber nach wie vor weitgehend zurück. Es gab zahlreiche Begegnungen mit den Schwestern. Und viele persönliche Gespräche.

Elenas Gedanken strebten in viele Richtungen. Einmal zu Neidhardt und Lucy, was würden die wohl machen? Ein Telefonat mit Neidhardt klang ausgesprochen beruhigend. Die beiden fanden von Tag zu Tag mehr zueinander. Also kein Grund zur Sorge.

Natürlich dachte Elena an Madleen und Tessa. Wann konnte sie die beiden endlich wieder in die Arme schließen? Sie fieberte der Begegnung entgegen, hatte aber gleichzeitig Angst davor.

Um sich abzulenken, machte Elena Spaziergänge in die Umgebung und verbrachte viel Zeit in dem kleinen Wäldchen neben der Akademie.

Eines Nachmittags suchte sie auch die Kirche der Stadt Bensberg auf, verweilte dort, den Blick auf das Fenster im Altarraum gerichtet, die Abbildung des Heiligen Gral dort hatte sie in den Bann geschlagen.

Auf irgendeine mysteriöse Art hatte das auch etwas mit ihr zu tun, sie konnte aber nicht deuten, um was genau es sich dabei handelte.

Es folgte ein weiterer Abend im Kreis der Schwestern. Sie hielt dem Drängen stand, sich doch so schnell wie möglich wieder ihren Aufgaben zuzuwenden.

 

Den Vormittag des Folgetages hatte sie fast vollständig in der Bibliothek der Akademie verbracht. Sie beschloss mit ihren Texten fortzufahren, die sie in der Abgeschiedenheit des Bunkers begonnen hatte. Visionen, Entwürfe für ein zukünftiges  Gemeinwesen, wie immer es auch erscheinen mochte. Die Zeit mit Neidhardt und Lucy hatten eine willkommene Pause gebracht, doch nun war es wieder an der Zeit damit fortzufahren, die Ärmel hoch zu krempeln und sich an die Arbeit zu machen.

Nach dem Mittagessen und einem ausgiebigen Gespräch mit Colette, Betül und Gabriela im Foyer trat Elena noch einmal vor die Tür, um ein wenig Luft zu schnappen, schritt die Treppe des Haupteinganges herab und ging zur Ummauerung, atmete ein paar Mal tief durch und blickte zum wolkenverhangenen Horizont. Dann auf das Haus mit dem Eingangstor.

 

Eher beiläufig fiel ihr Blick auf die Person, die sich da langsamen Schrittes den Berg hinaufbewegte. Sie schleppte sich förmlich, das Gehen schien ihr dem Anschein nach sehr schwer zu fallen. Immer wieder machte sie Halt, hielt sich den Bauch, tastete sich an der Natursteinmauer weiter voran. Eine junge Frau.

Elena starrte wie gebannt auf die Person. Immer mehr verdichtete sich der Verdacht in ihr.

„Aber das ist doch! Nein, das kann nicht sein! Um Himmelswillen! Dagmar!!!!! Dagamaaaaaar!“

Wie eine Hochleistungssprinterin stürmte Elena los. Den Fußweg der in einem weiten Bogen nach unten zum Torhaus führte. Auf der kleinen hölzernen Brücke, die über die Straßenauffahrt führte und die aufgrund des gestrigen Regens sehr glitschig war wäre sie bald gestürzt.

Etwa zwei Meter vor der Frau kam sie zum Halten. Kein Zweifel, es war Dagmar. Sie befand ein einem besorgniserregenden Zustand und war kaum wieder zu erkennen. Sie schien große Schmerzen zu haben und die totale Erschöpfung war ihr ins Gesicht geschrieben.

„Dagmar?! Ja, du bist es! Ich erkenne dich kaum wieder. Wie…wie bist du hier hergekommen? Was ist geschehen?“

 

„E…Elena? Du? Habe ich es geschafft? Bin ich bei der Akademie in Bensberg?“

Stammelte Dagmar mit zitteriger Stimme.

„Ja! Ja“ Du bist hier. Du hast es geschafft…“

Dagmar bewegte sich auf Elena zu, kam ins Taumeln. Gerade noch rechtzeitig konnte Elena hinzuspringen, so dass Dagmar in ihren Armen bewusstlos zusammenbrach.

 

Rauschen, immer dieses Rauschen, Donnerschläge. Es hämmerte unaufhörlich in Dagmars Kopf. Wer bringt endlich den Schmied zum Schweigen, der so erbarmungslos auf den Ambos schlägt.

Schmerzen, immer diese Schmerzen. Gibt es noch eine Stelle an meinem Körper die frei von Schmerzen ist?

Schweben, hinabfallen. Empor gerissen werden.“ Komm zu dir Dagmar, jetzt nicht schlafen, die Tortur ist noch lange nicht zu Ende.“ Hörte sie die Stimme in ihrem Inneren, die so furchterregend klang.

„Hast du es bequem auf dem Bock, meinen Zarte?“ Nein, nicht mehr, bitte, bitte, nicht mehr auf den Bock Ich tue alles, aber nicht mehr….

Plötzlich Stille, wohltuende, heilende Stille. „Dagmar? Dagmar? Komm, komm zu dir! Rief da eine vertraute Stimme es aus der Ferne.

„Wer ist das? Diese Stimme kenne ich! Sie ist so vertraut, klingt so liebevoll und zärtlich.

 

Dagmar wagte die Augen zu öffnete, oder hatte sie die schon lange offen? Sie konnte es nicht mit Gewissheit sagen.

Nebelschleier, Wolken, Undurchdringliches Die Konturen einer Person wurden sichtbar, doch konnte sie noch kein Gesicht dahinter erkennen.

Zärtlich strich ihr jemand über den Kopf, eine wundersame Berührung.

„Dagmar! Kannst du mich hören?“ Raunte ihr jemand voller Sanftheit in ihr Ohr. Eine Stimme so melodisch, so beruhigend, so voller Sanftheit und Heilkraft.

„Schließ die Augen! Und so einen Moment bleiben. Ganz ruhig atmen! Schön langsam, versuche dich zu entspannen.“

Dagmar tat wie ihr geheißen. Tatsächlich trat eine gewisse Entspannung ein.

„Soooo, und nun die Augen langsam wieder öffnen!“

 

Dagmar blinzelte, langsam, ganz langsam begann das verschwommene Gesicht Konturen zu entwickeln.

Elena beugte sich über Dagmar, so dass sich ihre Gesichter fast berühren konnten.Sanft hielt sie Dagmars Kopf in den Handflächen, dann strich sie voller Zärtlichkeit mit der Handfläche über Dagmars Wangen.

 

„E…Elena! Du? Wie…? Was…ist mit mir? Wie …komme ich hierher? Was….ist…geschehen?“

„Ganz ruhig Dagmar! Nicht anstrengen! Alles in Ordnung! Du bist zuhause. Du hast es geschafft! Du bist bei den Freiheitstöchtern angekommen!“ Begann Elena aufzuklären.

„Ich kann…mich…an…nichts mehr erinnern! Es …es ist alles ….wie weggewischt….ich..

„Pssst!“

 Sanft legte Elena den Zeigefinger ihrer rechten Hand auf Dagmars Lippen.

„Kein Grund zur Sorge, das ist ganz normal, nach allem was du durchgemacht hast. Die Erinnerung wird sich wieder einstellen.“

 

„Wo bin ich?“

„Du bist bei mir, ich habe dich zu mir auf mein Zimmer genommen. Zum Glück gibt es hier ein Doppelbett. Praktisch, da wirst du erst einmal bleiben, bis es dir wieder besser geht. Ich kann mich hier gut um dich kümmern und dich pflegen.“

 

Dagmar atmete schwer, der Schweiß stand ihr auf der Stirn. Elena nahm ein Leinentuch und tupfte ganz vorsichtig Dagmars Gesicht trocken.

 

„Ich … ich war auf dem Weg…jetzt…ja…jetzt kommt es wieder…ich…ich stand dir gegenüber…ging auf dich zu…dann weiß ich nichts mehr.“ Tropften die Erinnerungen stahlen sich langsam zurück in Dagmars Bewusstsein.

„Wann…wann war das?“

„Gestern um die Mittagszeit!“

„Wie viel…Uhr ist es?“

Elena blickte auf den Radiowecker.

„Genau 17.21 Uhr! Des Folgetages. Du hast geschlafen wie ein Murmeltier. Das ist gut! Sehr gut! Was du jetzt vor allem brauchst ist Ruhe, viel ,viel Ruhe.“

Redete Elena mit sanfter Stimme weiter.

 

„Wie hast du …mich…hier rauf gebracht, etwa getragen? Ich…“

Das Sprechen fiel Dagmar sichtlich schwer.

Elena hob ihren Kopf und setzte sich gerade auf der Bettkante, griff nach Dagmars Händen und drückte sie leicht. Umgehend erwiderte Dagmar den Druck

 

„Nicht so viel reden Dagmar, wenn es dir schwerfällt. Ich will dir alles sagen. Ja, du bist ohnmächtig zusammengebrochen, ich konnte dich im letzten Moment auffangen, so das du nicht auf den Boden gestürzt bist. Da stand ich nun. Aber wie durch einen Wink des Schicksals brauste Lukas gerade mit dem Kleintransporter durch das Eingangstor, sah uns beide und machte eine Vollbremsung. Wir haben dich in das Auto verfrachtet und hier hochgefahren. Da lief mit Betül über den Weg und Annett. Gemeinsam haben wir dich aufs Zimmer gebracht, ausgezogen, eine ganze Weile deinen Körper begutachtet und nach Verletzungen untersucht. Du warst extrem unterkühlt, wir haben dich gebadet, trocken gerubbelt, das Nachthemdchen übergezogen und gebettet. Du hast nichts davon mitbekommen. Ja und nun liegst du hier.“

 

„Das habt ihr für mich getan. Für mich?“ Dagmar konnte vor Rührung kaum die richtigen Worte finden.

Wieder strich Elena sanft über Dagmars Gesicht.

„Ja für dich, weil du es uns wert bist.“

„Elena, wir müssen reden. Über alles. Ich habe dir so viel zu sagen. Ich habe so viele Fehler begangen!“ Dagmar versuchte sich aufzurichten, doch der Versuch scheiterte kärglich.

„Au! Aua!“

Sanft drückte Elena Dagmar zurück auf ihr Ruhekissen.

„Schön liegen bleiben. Du bist krank Dagmar, sehr, sehr krank. Du warst völlig erschöpft und am Boden zerstört. Absolut fertig. Aber du hast es geschafft, du bist zu uns gelangt. Wie? Das vermag ich nicht zu sagen. Mit deinen derzeitigen Beschwerden? Es grenzt an ein Wunder das du es soweit geschafft hast.  Eine andere Bezeichnung finde ich dafür nicht.“

„Ja, du hast Recht. Ich bin völlig erledigt. Ich habe mich gezwungen weiterzulaufen, immer weiter, immer weiter, niemals stehen bleiben. Ich habe meine letzten Kraftreserven angezapft. Manchmal war ich am Aufgeben, total verzweifelt, konnte nicht mehr. Die Schmerzen, Elena, die Schmerzen, überall im ganzen Körper. Ich habe entsetzlich gefroren. Aber ich durfte doch nicht aufgeben und unterwegs schlapp machen. Da war eine Kraft, die mich unentwegt weitertrieb“

„Das kann ich gut verstehen. Da bist du so wie ich. Meine starke Dagmar, niemals in die Defensive gehen. Ja, du hast es vermocht, das Unmögliche möglich werden lassen. Erst als du ganz sicher warst hast du deinem Körper gestattet zu kollabieren.“  

Dagmar kämpfte weiter mit den Tränen.

„Ich bin dir unendlich dankbar Elena. Bist du mir denn gar nicht böse? Ich… ich habe so viel Schlimmes getan und gesagt. Ich habe dich angegriffen, dich beleidigt und was sonst noch alles. Und jetzt? Jetzt liege ich hier und du pflegst mich, du streichelst mich du….“

Nun begannen die Tränen zu fließen. Dagmar konnte nicht mehr an sich halten, versuchte jedoch das Weinen zu unterdrücken.

Elena bückte sich wieder und nahm Dagmar in die Arme, streichelte sie wieder und wog sie wie ein kleines Kind.

 

„Lass es raus Dagmar! Nicht unterdrücken! Wenn dir nach weinen ist, dann weine, wenn dir nach schreien ist schrei. Bei mir bist du gut aufgehoben. Mach dir keine Gedanken. Alles ist richtig. Ja, wir werden reden, gründlich über alles, wenn es an der Zeit ist. Jetzt ist es wichtig, dass du wieder ganz gesund wirst, nach all dem was du durchmachen musstest. Ich wage es mir gar nicht vorzustellen. Wir werden viel Kraft benötigen dich wieder herzustellen, aber wir werden es schaffen.“

Nach einer Weile bettete Elena Dagmar zurück.

„Ich habe dich gar nicht gefragt ob du hungrig bis. Möchtest du eine Kleinigkeit essen oder trinken?“

„Trinken Elena, ich habe fürchterlichen Durst!“

Elena goss ein Glas Mineralwasser ein, trat zu ihr, richte Dagmar auf und half ihr das Glas an den Mund zu setzen.

Nachdem Dagmar ihren Durst gestillt hatte, ließ sie sich erschöpft auf das Kissen fallen.

Es war schlimm, selbst die kleinste Betätigung bedeutete für sie eine große Anstrengung und war von Schmerzen begleitet.

 

„Ich habe mir deinen Körper genau angesehen. Du hast leichte bis mittelschwere Brandwunden an Hüften und am Unterbauch. Die Innenseiten der Oberschenkel und die Pobacken sind sehr wund. Das kommt von der Folter, nicht wahr?“

„Ja!“ Schluchzte Dagmar.

„Du hast zudem starke Schmerzen in den Gelenken. Außerdem hattest du hohes Fieber. Du hast wirklich dein Äußerstes gegeben.“

„Wie hast du das Fieber gemessen?“ Wollte Dagmar wissen

„Na mit einem Thermometer natürlich. Im Ohr.“

„Im Ohr, nicht im After?“

„Wie kommst du denn darauf? So was tut man doch heute nicht mehr. Früher ja, dann aber vor allem bei ganz kleinen Kindern.Wie…“

Elena brach ab, glaubte plötzlich zu ahnen was Dagmar ihr damit sagen wollte.

 

„Dagmar, ich weiß das es sehr, sehr schlimm für dich sein muss über alles zu reden. Du hast ein schweres Trauma. Ich muss wissen was sie mit dir gemacht haben. Nur so kann ich dir wirklich helfen. Deine körperlichen Beschwerden können wir relativ gut behandeln. Aber deine Psyche, deine Seele hat schweren Schaden genommen. Wir konnten nur das in Erfahrung bringen, was die Medien berichtet haben. Das du schwer gefoltert wurdest.

Ich kann es dir nicht ersparen, du musst mir Details berichten. Hab Vertrauen zu mir, wir sind Leidensgenossinnen. Wie dir sicher bekannt ist wurde auch ich gefoltert. Ich kann mich daher einigermaßen in deine Lage hineinversetzen.“

 

„Ich will es versuchen, Elena. Aber im Moment, da kann ich nicht. Ich muss erst…

„Natürlich nicht jetzt. Dann, wenn du dich einigermaßen in der Lage siehst. Warte aber nicht zu lange damit, es ist wichtig das wir mit der Therapie so rasch wie möglich beginnen.

 

Elena lenkte das Gespräch bewusst in eine andere Richtung.

„Deine Kleidung war auch stark zerschlissen. Die konnten wir nur entsorgen. Einige der Schwestern werden dir was borgen, bis wir neue Sachen für sich kaufen können. Vor allem Inga und Kristin, unsere Sportlerinnen haben eine ähnliche Statur wie du, muskulös und athletisch. Ich kann dir wenig borgen, einmal weil ich im Moment auch nicht viel habe, zudem bin ich um einiges größer als du.

Ja, auch ich bin erst vor wenigen Tagen hier angekommen. Auch bin noch in der Eingewöhnungsphase. Ich habe also demzufolge viel Zeit mich deiner anzunehmen. Die Schwestern sind so lange ohne mich ausgekommen, dann werden sie auch noch eine Zeitlang weiter dazu imstande sein.“

 

Elena nahm wieder an der Bettkante Platz, griff nach Dagmars linker Hand und drückte sie voller Zärtlichkeit.

„Ich weiß nicht wie ich dir danken soll Elena.“

Elena beantwortete die Frage mit einem sanften Lächeln.

 

Leise wurde die Tür geöffnet und Colette lugte durch den Türspalt.

Elena wandte sich ihr zu und bedeutete ihr näher zu treten.

„Guck mal Dagmar wer da kommt!“

Colette schlich in den Raum, gekleidet wieder in ihre Haustracht, langes schwarzes, eng anliegendes bis zu den Knöcheln reichendes Kleid, mit weitem Schulterkragen und Kapuze, einer Mönchskutte nicht unähnlich.

„Die Schwestern wollen dich alle begrüßen und dich besuchen, das muss natürlich behutsam von statten gehen, um dich nicht zu überanstrengen. Aber unsere Königin wirst du empfangen können.“

„Colette! Colette!“ Wieder versuchte sich Dagmar unter Schmerzen aufzurichten. Sanft schob Colette sie auf das Lager zurück.

Die Königin setzte sich auf das andere Doppelbett und rückte ganz in Dagmars Nähe.

„Dagmar, meine Gute. Ich bin überglücklich dich zu sehen. Was machst du denn für Sachen,

hmmm.“

Colette beugte sich tief herab und verabreichte Dagmar den fünffachen Schwesternkuss, wobei sie sich beim Letzten auf den Mund viel Zeit ließ.

Wieder kamen Dagmar die Tränen.

„Na, so was! Tränen. Die habe ich früher nie bei dir gesehen. Ich glaubte du hättest gar keine.“ Meinte Colette mit einem Lächeln.

„Colette, liebste Colette, meine Königin! Ja das bist du! Du warst es immer! Ich…ich schäme mich so. Ich war so gemein zu dir. Ich habe dich angeschrieen, ich habe mich dir gegenüber schäbig benommen. Bitte, bitte, verzeih mir.“

Dagmar griff nach Colettes Hand und küsste diese.

„Hmm, kann ich mich gar nicht mehr dran erinnern. Wann soll das gewesen sein? Entgegnete Colette.

„Ich küsse deine Hände und wenn du es befiehlst auch deine Füße, Königin und auch die deinen Elena. Ich tue alles was ihr von mir verlangt. Jede Buße ist mir willkommen, wenn ich nur wieder zu euch gehören darf. Bitte vergebt mir! Ich will alles wieder gut machen, lasst mich wieder dazu gehören. Ich möchte wieder in die Schwesternschaft eintreten.“

Flehte Dagmar voller Inbrunst.

„Ich fürchte das wird nicht möglich sein Dagmar.“ Verneinte Elena.

„Nicht möglich?“ Bittere Enttäuschung sprach aus Dagmars Worten.

 

„Elena will damit sagen, es ist nicht möglich, weil nicht nötig. Du warst nie draußen Dagmar. Du hast stets dazugehört. Die Verbindung war nie ganz unterbrochen. Wir haben dich niemals ausgeschlossen, also brauchen wir dich auch nicht erneut aufzunehmen. Du bist da und kannst deinen Platz unter uns wieder einnehmen. Aufgaben warten genug auf dich, die du übernehmen kannst. Vorausgesetzt natürlich das du wieder vollkommen gesund bist und dich in der Lage siehst. Das ist im Moment das allerwichtigste.“ Klärte Colette auf.

„Wirklich? Ich darf wieder dazu gehören?“

„Du hast gehört was unsere Königin gesagt hat. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.“ Stimmte Elena zu.

„Das betrifft natürlich auch alle deine Gefährtinnen, die damals mit dir gegangen sind. Auch sie sind weiter unsere Schwestern.“ Fügte die Königin noch hinzu.

 

Dagmar hielt sich die Handfläche vor das Gesicht und schluchzte.

„Soweit noch welche davon übrig sind. Die meisten haben nicht überlebt. Haben sich denn  welche bei euch gemeldet?“

„Bisher nur zwei. Sie kamen zwei Tage vor mir hier an, gemeinsam mit Annett. Annett ist die Mutter von Madleen, die müsstest du noch kennen. Sie hat sich auch mit um dich gekümmert, aber das hast du ja verschlafen. Eine der beiden ist uns noch bekannt, Laura, die andere kannten wir noch nicht, Cathy, sie will sich der Gemeinschaft anschließen.“

Berichtete Elena.

 

„Was? Laura und Cathy? Sie sind hier? Wirklich?”

Erneut versuchte Dagmar sich zu erheben und erneut scheiterte der Versuch und sie ließ sich mit schmerzverzerrtem Gesicht zurückfallen.

 

„Ja! Wie Elena sagte, seit ein paar Tagen. Sie möchten dich natürlich besuchen!“ Erwiderte Colette.

„Oh ja bitte! Ich möchte sie sehen. Wenigstens ein paar die mit dem Leben davongekommen sind. Ich habe großes Unglück über meine Gefolgschaft gebracht. Die meisten haben nicht überlebt. Das ist das schlimmste Trauma. Viel schlimmer als die Folter. Ich kann mir das nie verzeihen. Damit werde ich nicht fertig! Da komme ich niemals drüber weg!“ Erneut brach es mit voller Wucht aus Dagmar hervor Der zuletzt ausgesprochene Satz hallte unaufhörlich in ihr wieder. Er würde sie noch lange Zeit verfolgen und ihr Leben bestimmen.

„Julia. Julia ist mit mir geflohen.  Ich habe sie einmal sehr geliebt. Keine Nachricht von ihr?

Beide schüttelten den Kopf.

 

Elena griff nach Dagmars linker Hand, Colette nach der rechten. So verharrten sie schweigend eine ganze Weile.

Inzwischen war es früher Abend.

„Schön, dass ihr zwei ein Zimmer teilt. Ja, so kann eine echte Versöhnung funktionieren.“
“Meinte Colette schließlich.

„Ja, solange Madleen noch nicht eingetroffen ist. Dann müssen wir weitersehen. Aber keine Sorge Dagmar, wir bekommen das hin.

Versuchte Elena zu beschwichtigen.

„Madleen! Liebe gute Madleen! Ich … verdanke ihr mein Leben!“ Sprach Dagmar diese Tatsache an.

„Du verdankst Madleen dein Leben? Wie kann ich das verstehen? Ihr wart wie Hund und Katze.“ Erinnerte sich Elena.

„Ich will es euch erklären. Madleen hat mich im Kerker besucht, hat so gut es ging versucht mich zu trösten. Sie war so lieb zu mir. Das hat mir unendlich viel Kraft gegeben, vor allem dann als ich nahe daran war zusammenzubrechen. Dann hat sie mir und den anderen zur Flucht verholfen, dabei ihr eigenes Leben aufs Spiel gesetzt. Bitte,ihr dürft ihr nicht böse sein. Sie hat mich gebeten euch auszurichten, dass sie kommen wird, vorher möchte sie auf ihre Weise mit Cassian abrechnen. Sie möchte wieder dazu gehören, so wie ich. Ohne Madleen wäre ich nicht mehr am Leben.“

 

„Das hat Madleen für dich getan? Wenn das stimmt, dann wäre es in der Tat das Wunder von dem wir immer geträumt haben.“

Erwiderte Colette.

„Ich könnte Madleen niemals böse sein, Dagmar. Ich habe ihr lange schon vergeben. Auch mich hat Madleen einmal aus der Gefangenschaft befreit und ihr Leben dabei riskiert. Damals als ich verschleppt wurde. Auch ich verdanke ihr mein Leben. Auf ewig stehe ich in ihrer Schuld und bin gar nicht in der Lage ihr etwas nachzutragen. Also noch eine Tatsache die uns vereint, Dagmar. Unsere beiden Leben lagen in Madleens Händen und uns beiden konnte sie auf wundersame Weise ein neues Leben schenken.“

 

„Ich freue mich auf den Augenblick, wenn ihr beide wieder vereint seid.“ Bekannte Dagmar.

„Was deine Unterbringung betrifft, so finden wir schon das Richtige, auch Betül und ich würden dich gerne betreuen, Dagmar. Und die anderen selbstverständlich auch. Bot Colette spontan an.

„Noch ist Madleen nicht hier! Natürlich möchte ich mit ihr zusammen sein, nach so langer Zeit der Trennung. Aber deine Gesundheit geht im Moment vor Dagmar.“ Antwortete Elena.

„Es ist schon spät. Ich bringe dir gleich etwas zu essen, dann ist erst mal Ruhe angesagt. Viel Schlaf und Erholung. Morgen untersuche ich dich zunächst noch mal genauer, bevor wir mit den Behandlungen beginnen können. Ich werde dann die anderen wieder mit hinzuziehen. Könntest du Betül entbehren, wenn ich sie brauche, Colette?“

 

„Selbstverständlich! Betül möchte helfen, sie wird es gerne tun. Sie ist eine erfahrene Sufi-Heilerin Dagmar. Androgyna wird an meiner Seite sein und die anderen Mädchen.“ Stimmte Colette gleich zu.

 

„Ja und Annett natürlich, die hat sich sofort angeboten, Madleens Mutter ist gelernte Krankenschwester und zudem Physiotherapeutin Dagmar, wie du siehst bist du bei uns bestens aufgehoben. Ich habe, bevor ich zunächst zum Glamourgirl mutierte, danach zur Revolutionärin und schließlich zur Kanzlerin wurde, auch einmal den durchaus ehrbaren Beruf einer Ärztin gelernt. Wir haben in der Schwesternschaft alles was wir brauchen. Da wäre noch Sonja die eine Ausbildung als Krankenschwester hat und Lukas hat lange als Krankenpfleger gearbeitet.“

„Ich werde mich jetzt verabschieden. Ich komme morgen wieder vorbei Dagmar und die anderen werden dir ab Morgen früh ebenfalls ihre Aufwartung machen wollen.“

Die Königin küsste Dagmar noch einmal, dann verschwand sie durch die Tür.

 

Nachdem Dagmar etwas gegessen hatte, begaben sich beide zur Ruhe. Elena war von ihrer Aufgabe durchdrungen. Noch nie war sie ihrer einstigen Rivalin so nahe und so vertraut. Hier bahnte sich etwas sehr Positives an. Dagmars tiefes Leid begann in einen Neuanfang zu münden.

„So, nun machen wir es uns gemütlich!“ Sprach Elena und bette Dagmar zur Nacht. Danach schwang sie sich selbst auf den anderen Teil des Doppelbettes, direkt an Dagmars Seite. Beide kuschelten sich aneinander.

„Elena!“

„Ja!“

„Warum bist du so lieb zu mir?“

„Hmm, dafür gibt es viele Gründe, Dagmar. Einmal weil ich dich gern habe. Das habe ich immer getan. Ich habe nie zugelassen, dass der Hass uns wirklich entzweit. Dann weil du in Not bist und Hilfe brauchst, das versteht sich von selbst. Und schließlich hast du durch dein Martyrium großes bewirken können. Für uns alle, du bist die Tapferste unter uns.“

„Elena! Du hast gesagt, ich müsse dir alles berichten, alles sie mit mir auf der Folter gemacht haben. Ich…ich wäre jetzt bereit. Ich sehe ein, dass es wichtig ist dich über alles aufzuklären. Bist du imstande dir das noch anzuhören?“

„Ja! Ich denke es ist der rechte Zeitpunkt, noch nicht sehr spät. Wenn du bereit bist zu reden, bin auch ich imstande zu hören. Sprich, solange du die Kraft dafür aufbringen kannst. Wenn du nicht mehr kannst, hören wir auf und sprechen morgen weiter.“ Schlug Elena vor.

„Ich will es versuchen. Ich will es versuchen!“

Dagmar sammelte all ihr Kräfte und ließ die schlimmen Erinnerungen noch einmal lebendig werden. Dabei berichtete sie genau und versuchte so gut es ging kein Detail auszulassen, auch wenn ihr das sehr schwerfiel.

Elena hörte gespannt zu und bald wurde sie von tiefem Entsetzen ergriffen

Dagmar musste immer wieder unterbrechen, weil sie in Tränen ausbrach. Elena hielt sie in den Armen und versuchte streichelnd tröstend auf sie einzuwirken.

Schließlich brach Dagmar ab. Elena hatte genug gehört, um sich ein objektives Bild von der ganzen Situation machen zu können.

Nachdem Dagmar in den Schlaf gesunken war, schlüpfte Elena leise aus dem Bett, setzte sich zunächst auf die Bettkante, hielt sich die Handflächen vors Gesicht.

 

Der Bericht hatte sie tief erschüttert. Das war schlimmer als erwartet. Doch es war wichtig, um eine wirksame Methode entwickeln zu können, Dagmar aus ihrem Trauma zu befreien.

Sie würde es nicht allein schaffen, dazu benötigte sie Hilfe, Hilfe die zum Glück vorhanden war.

 

Am darauffolgenden Morgen half Elena Dagmar bei der Morgentoilette. Die war imstande sich einigermaßen zu bewegen. Mit dem Stehen klappte es so recht und schlecht. Helfende Hände noch immer willkommen.

„Hat es dich sehr geschockt Elena? Ich meine mein Bericht.“

„Ja, auf jeden Fall! So schlimm war es bei mir nicht. Ein Wunder das dein Körper nicht noch mehr abbekommen hat. Das keine Knochenbrüche zu verzeichnen sind. Aber ich werde dich noch mal gründlich untersuchen.“

„Cassian hat angeordnet, dass ich weitgehend erhalten bleibe, wie er sich auszudrücken pflegte. Er hatte vor meiner Hinrichtung noch einiges mit mir vor. Du kannst dir sicher denken was?“

„Natürlich!“

„Ich sollte vor allem gefügig werden, seelisch gebrochen. Das haben sie in der Tat geschafft. Sie mich an, Elena ich bin nur noch ein Schatten meiner selbst. Nichts mehr übrig von der stolzen, militanten Kämpferin von einst.

 

„Im Moment Dagmar! Du wirst dich erholen. Deine Seelische Verfassung ist besorgniserregend, das ist wahr aber keineswegs hoffnungslos. Ich kann dir natürlich zunächst einmal den therapeutischen Beischlaf anbieten, das ist das mindeste. Aber ich fürchte das wird nur eine leichte Linderung bringen, für eine vollständige Gesundung aber nicht ausreichen. Da müssen wir uns etwas Effektiveres ausdenken. Ein Heilungsritual z, B. mit besonderer Wirkkraft.“

 

„Ich vertraue dir Elena, dir und auch den anderen von den Schwestern, welche du hinzuziehen wirst.“

„Betül und Annett bringen alle Fähigkeiten dafür mit.. Aber wir müssen das gut vorbereiten.“

 

„Ich verstehe nicht, dass ich nur von Frauen gefoltert wurde. Natürlich habe ich die Männer  dabei nicht vermisst. Wäre es dadurch noch entsetzlicher geworden? Ich finde darauf keine Antwort. Aber die Demütigung war perfekt. Ich habe mich gehen lassen, jegliches Schamgefühl eingebüßt. Mich brechen lassen, kaum das die Tortur begann.

Wie konnte ich mich so verlieren?“

 

„Dagmar, du warst in einer Lage, die außer mir keiner und keine nachvollziehen kann. Niemand wird dir das zur Last legen. Alles was du mir erzählt hast unterliegt bei mir dem Siegel der Verschwiegenheit. Nur du allein entscheidest wem du noch davon berichten willst.

Ich wurde damals ausschließlich von Männern gefoltert. Eine ganz andere Situation.

Cassian wollte dich demütigen, brechen, wie du selbst erkannt hast. Du bist lesbisch, du wünschst dir Liebe, Zärtlichkeit, Geborgenheit und Erfüllung deiner sexuellen Wünsche in den Armen einer Frau zu finden. Dazu deine aufmüpfige und rebellische Art des Auftretens in der Öffentlichkeit. Du hast auf Cassian geschossen und ihn nur knapp verfehlt.

All das ist eine Erklärung für diese perfide Vorgehensweise. Zumindest sehe ich es, ich kann mich irren, auch das ist möglich.“

 

„Ich habe mich selbst bloßgestellt. Habe obszöne orgiastische Laute von mir gegeben. Geschrieen, gewimmert, wie ein kleines Kind, um Gnade gefleht. Jetzt erst wird mir das ganze Ausmaß im vollem Umfang bewusst.“

 

„ Quäle dich nicht mehr damit. Das alles sind völlig normale Reaktionen in einer extremen Ausnahmesituation.“ Versuchte Elena zu beruhigen.

 

Nach der Morgentoilette führte Elena Dagmar zum Bett zurück.

„So, ich werde dir gleich das Frühstück bringen. Heute denke ich musst du noch ruhen. Das Wetter ist ohnehin nicht erbaulich. Ein Sturm zieht auf, mit Regen im Gepäck. Morgen werden wir sehen. Wenn du dich fühlst, könnten wir einen ganz kleinen Spaziergang in die Umgebung wagen. Nicht weit, nur hier auf dem Gelände. Wie ich schon sagte, ich selbst bin auch erst vor wenigen Tagen hier angekommen und noch in der Erkundungsphase.“

„Oh ja, das wäre gut! Ich möchte gerne mal raus. Ich werde mich bemühen.“

 

Im Laufe des Vormittags hatte sich der erste Besuch angesagt. Laura und Cathy machten ihre Aufwartung. Eine sehr emotionale Begegnung. Die beiden Gefährtinnen aus der Zeit des aktiven Kampfes aus dem Untergrund. Beide auf ewig verbundene Schicksalskameradinnen.

Die Erinnerung an das letzte dramatische Zusammensein vor Dagmars Verhaftung.

Die beiden traten zur Tür ein und fanden Dagmar in einer aufgewühlten aber gefassten Stimmung vor.

„Laura, Cathy, kommt her. O, wie ich mich freue, euch zu sehen.“ Begrüßte Dagmar ihren Besuch.

„Dagmar, du kannst dir nicht vorstellen welche Erleichterung es für mich war, als ich erfuhr, dass du gekommen bist. Also sind Cathy und ich nicht die einzigen der alten militanten Gruppe, die es noch gibt.“ Laura ließ sich auf dem Bett nieder und verabreichte Dagmar den fünffachen Schwesternkuss.

Sie hielten sich in den Armen und beider Augen vergossen Tränen der Freude.

Cathy stand etwas abseits.

„Cathy, komm zu mir, lass dich begrüßen.“ Forderte Dagmar auf.

Die Angesprochene tat wie ihr geheißen und begrüßte Dagmar auf Schwesternart.

Die beiden Besucherinnen nahmen auf der Bettkante Platz.

 

„Oh Cathy, wie ich mich freue, dass du wohlauf bist. Ich möchte dich um Verzeihung bitten. Ich war so grob und gemein zu dir. Bitte vergib mir. Das wäre ganz wichtig für mich.“

Sprach Dagmar wieder mit weinerlicher Stimme.

„Ist schon in Ordnung Dagmar. Du…du hattest ja so recht, mit deiner Mahnung zur Vorsicht. Ich habe alles gefährdet durch meine unüberlegten Schritte. Ich war in der Tat nicht geeignet für solch eine Art von Kampf. Laura hat mich rausgebracht. Wir sind jetzt fest zusammen.“

Erwiderte Cathy.

„Das freut mich für euch. Ja, ihr zwei habt euch gesucht und gefunden. Wenigstens etwas wozu unser Club wirklich taugte. Ich freue mich das ihr es geschafft habt und wir wieder zusammen sind. Die meisten sind bei unserem Himmelfahrtskommando gestorben. Habt ihr irgendwelche Informationen was die andern beiden betrifft die mit mir geflohen sind, Julia und Iris.“

Laura schüttelte betrübt den Kopf.

„Nein, leider nicht die Geringsten. Aber das muss nichts bedeuten. Auch von deiner Flucht hatten wir bis zu deiner Ankunft keine Ahnung. Wir können nur hoffen.“

„Ja, die werden bestimmt noch kommen. Davon bin ich überzeugt. Sind doch erfahrene Kämpferinnen, die finden einen Weg sich durchzuschlagen.“ Fügte Cathy hinzu.

 

„Ich wünsche es mir so sehr. Julia, es war einmal meine große Liebe, wie ihr wisst. Wir haben uns zwar privat getrennt und sind nur noch gute Freundinnen. Aber ich hänge noch immer an ihr.

Und die anderen! Ja, die anderen! Durch meine Schuld fanden sie den Tod. Ich…ich komme da niemals drüber weg.“ Klagte sich Dagmar wieder an.

„Wir haben uns für den Kampf entschieden Dagmar. Sind dir voller Begeisterung gefolgt. Keine von uns wurde gezwungen. Alle wussten wir auch um die Gefahren, die auf uns lauerten. Ja, es ist schwer den Tod unserer Schwestern zu akzeptieren. Aber es ist geschehen. Wir können es nicht rückgängig machen.“     

Gab Laura zu verstehen.

„Du hattest Recht Laura! Mit allem was du damals vorbrachtest an Mahnungen hattest du Recht. Ich habe es ignoriert, aus welchen Gründen auch immer. Es gibt keine Entschuldigung. Ich komme da niemals drüber weg.“ Dagmar hielt sich die Hand vor die Augen.

Cathy rückte zu ihr heran.

„Du kommst drüber weg Dagmar. Eines Tages wirst du es schaffen. Nicht mehr dran denken. Denke einfach nach vorn in die Zukunft. Wir haben noch Zukunft. Wir können sie leben. Auch du!“

Cathy, meinte es gut, doch half dass Dagmar im Moment nicht weiter.

Laura zwinkerte ihrer Geliebten zu.

 

„Ich will es wieder gut machen. Ich will das Leben, dass mir neu geschenkt wurde besser nutzen als bisher. Elena wird mir dabei helfen. Ich …ich habe mich mit ihr versöhnt. So wie ich  es auch mit Madleen getan habe, die mich gerettet hat.“ Hoffnung stieg aus Dagmars Worten

„Was du auch tust, wir stehen weiter zu dir. Ich bin ebenso schuldig wie du, wenn es überhaupt eine Schuldfrage zu stellen gibt. Du kannst dich auf uns verlassen. Wir stehen an deiner Seite. Sag wenn du etwas brauchst, wir werden alles für dich tun was in unserer Macht steht.“

Erneuerte Laura ihren vor Zeiten geschlossenen Bund.

„Auch ich trage die gleiche Schuld wie ihr. Auch ich war Teil der militanten Gruppe.“

Erinnerte Cathy.

„Bei dir ist es etwas anderes Cathy. Du warst nicht lange genug bei uns. Da müssen wir schon mit anderen Maßstäben messen.“ Glaubte Laura zu wissen, was ihre Gefährtin nicht sehr erfreute.

„Ihr wollt mich nur wieder ausschließen!“

 

„Nein, niemand wird dich ausschließen. Du bist mutig Cathy. Auf eine ganz spezielle Art mutig. Das habe ich immer gefühlt. Leider fand ich nicht die Kraft es dir zu sagen.“ Gestand Dagmar.

„Aber ich freue mich sehr, dass ihr beide hier seid und weiter zu mir steht. Wie ich hörte, seid ihr mit Madleens Mutter gekommen?“

„Ja, auf unserer Flucht sind wir durch Zufall auf ihren Hof geraten. Cathy war leicht verletzt. Wir konnten sie dort gesund pflegen und für eine Weile unterkommen. Gemeinsam mit ihr, ihrem Sohn, ihrer Schwiegertochter und ihrer Enkelin kamen wir dann vor ein paar Tagen hier an.“ Beantwortet Laura die Frage.

„Ja, alles strebt in diese Richtung! Jetzt fehlt nur noch Madleen, dann sind wir wieder vollzählig. Ihr verdanke ich mein Leben. Ohne ihr mutiges Eingreifen hätte ich niemals überleben können.“

„War…war die Folter sehr schlimm?“ Brach es aus Cathy heraus.

Laura schüttelte andeutungsweise mit dem Kopf.

 

„Ja, sehr schlimm! Ich wünsche das keinem Menschen nicht einmal dem ärgsten Feind .Sie hat mich verändert, wie ihr seht. Aber wer weiß für was es gut war.

Ich denke ich habe meine Lektionen gelernt.“

„Oh ,wenn ich denke, ich hätte das erleben müssen. Nein, ich will gar nicht daran denken. Ich bin nicht halb so hart im Nehmen wie du Dagmar und nicht annähernd so tapfer.“ Sprach Cathy.

„Cathy, bitte!“ Mahnte Laura.

„Lass sie nur, noch kann ich nicht darüber sprechen. Ich habe es Elena anvertraut, sie kann es nachempfinden. Der Tag wird kommen, an dem ich diese schlimmen Geheimnisse auch mit anderen teilen kann erwiderte Dagmar, dann griff sie nach Cathys Hand und küsste diese.

Im Anschluss fiel ihr Cathy um den Hals.

 

„Ich denke wir gehen dann mal. Erhol dich weiter gut Dagmar. Wir sehen uns. Und wie gesagt, wenn du uns brauchst, wir sind für dich da.“

Schlug Laura vor.

„Ja, kommt wann immer ihr wollt. Ihr seid jederzeit willkommen.“ Dagmar ließ sich wieder auf das Kissen fallen. Sie brauchte noch immer Ruhe und Gespräche solcher Art strengten sie im Besonderen an.

 

Der Tag verging, noch ein paar weitere der Schwestern suchten Dagmar im Laufe des Tages auf . Kristin und Inga brachten wie versprochen Kleidung und unterhielten sich kurz mit Dagmar. Auch Alexandra und Kyra kamen, brachten Geschenke mit. Später auch Chantal und Eve.

Am späteren Nachmittag schließlich hatte sich Annett angekündigt. Von Elena erkoren als Betreuerin. Die kannte Dagmar flüchtig aus der früheren Zeit in Anarchonopolis. Am Tag von Dagmars Ankunft, hatte Annett sie nur im Zustand der Bewusstlosigkeit erlebt.

 

Elena traf sich mit Annett zunächst im Flur, wo es auch Gelegenheit zum Sitzen gab.

„Ich freue mich sehr, dass du bereit bist der Dagmar beizustehen, Annett. Sie ist in einem schlimmen Zustand. Sie hat mir alles erzählt was sie mit ihr gemacht haben. Einfach nur entsetzlich. Sie wird es dir selbst sagen müssen, sollte sie die Kraft dazu aufbringen.“

„Selbstverständlich! Ich werde sie keinesfalls mit Fragen belästigen. Da braucht es Fingerspitzengefühl von besonderer Art.“ Bestätigte Annett.

„Das hast du, davon bin ich überzeugt. Deshalb habe ich dich ausgewählt. Ich erinnere mich noch gut daran, wie du mich gepflegt hast als es mir so erging nach meiner Gefangenschaft. Die Zärtlichkeit und Wärme, die du mir damals entgegenbrachtest, tat mir unendlich gut und hat mich schnell gesunden lassen.“**

„Ja, Elena auch ich erinnere mich daran. Auch wenn es ein schlimmer Anlass war, er hat uns damals eng zusammengeschweißt, seitdem liebe ich dich wie eine Tochter.“ Bekannte Annett.

„Vielleicht auch mehr wie eine Tochter.“ Dachte Elena.

„Ja und nun wirst du dieses Einfühlungsvermögen bei Dagmar zum Einsatz bringen. Sie hat bedeutend mehr gelitten als ich damals, nur so viel vorweg.“ 

„Ich habe nur das in Erfahrung bringen können, was durch die Medien geisterte. Da lief es mir schon eiskalt den Rücken runter. Elena, ich tue alles was in meiner Macht steht, um dem armen Mädchen zu helfen. Sag einfach was ich machen soll und ich werde es tun.“

„Zunächst einfach da sein. Wenn ich mal nicht anwesend sein sollte, kann ja mal vorkommen, dann rufe ich dich. Dann Kleinigkeiten. Sie ist in ihren Bewegungsabläufen noch eingeschränkt, hilf ihr, wenn sie sich nicht allein anziehen kann, oder beim Waschen und so was eben. Naja und bei den Behandlungen natürlich. Wenn wir mit der Physiotherapie  beginnen.“

„Klar da kenne ich mich aus. Auch wenn ich schon lange Zeit nicht mehr in diesem Beruf gearbeitet habe. Bei meiner Familie hat es immer Einsatz gefunden. Ich werde auf sie Acht geben. Ich habe Zeit, ich kann kommen, wann immer es erforderlich ist.“ Stimmte Annett zu.

 

„Und bei unserem Heilungsritual natürlich, da bin ich noch am Überlegen, was wir da genau zur Anwendung bringen. Es muss schon etwas ganz Spezielles sein, mit großer Heilkraft. Wir wären da zu dritt, du, ich und Betül.“

„Auch da kannst du auf mich zählen.“ Erwiderte Annett. „Mein Gott, das arme Mädchen, das arme Mädchen! Sie tut mir so leid. Dieser Cassian, dieses Ekel, ich könnte ihn eigenhändig umbringen. Und diesen Kerl wollte Madleen heiraten. Meine Tochter hat sich diesem Mann an den Hals geworfen. Ich kann es noch immer nicht fassen.“

„Stattdessen hat sie Dagmar und die anderen befreit. Dagmar zumindest hat sie uns auf diese Weise wieder gegeben. Das dürfen wir nicht außer Acht lassen.“ Rief Elena in Erinnerung.

„Natürlich nicht! Wenn sich das so zugetragen hat, hat sich Madleen dadurch selbst rehabilitiert.“

„Also, dann gehen wir mal zu Dagmar, ok!“

OK!“

 

 Die beiden schritten den Flur hinab. Leise öffnete Elena die Tür.

„Dagmar, bist du wach?“

„Ja, ich bin wach!“

Sie betraten das Zimmer.

„Sieh mal wen ich mitgebracht hab. Das ist Annett, Madleens Mutter. Du müsstest sie noch kennen. Sie hat mal für ne Weile mit in Anarchonopolis gelebt. Annett möchte sich ein wenig um dich kümmern, mich quasi vertreten, sollte ich mal nicht zur Verfügung stehen.“ Klärte Elena auf.

Annett trat auf das Bett zu. Dann streckte sie Dagmar die rechte Hand entgegen.

„Hallo Dagmar!“

„Hallo Annett!“

„Na begrüßt euch erst mal richtig nach Schwesternart!“ Forderte Elena.

Annett beugte sich zu Dagmar und verabreichte ihr den fünffachen Schwesternkuss. Die intime Berührung löste bei beiden ein eigenartiges Gefühl aus. Eigenartig positiv, beide waren noch nicht imstande es zu deuten.

„Madleens Mutter bist du? Ja, ich erinnere mich an dich. Sehr viel hatten wir nicht mit- einander zu tun damals.“ Meinte Dagmar.

„Ich erinnere mich auch an dich. An deine forsche und selbstsichere Art, wenn ich auch viele Standpunkte nicht nachvollziehen konnte, die du vertratst, aber du hast mir imponiert. Ich mochte dich. Ich bin froh dir das sagen zu können.“ Antwortete Annett.

„Danke! Aber setz dich doch zu mir!“ Lud Dagmar ein. Annett nahm auf der Bettkante Platz.

„So, nun tauscht euch erst mal in Ruhe aus, ihr zwei. Lasst euch Zeit dabei. Ich werde euch für ne Weile verlassen und mich mal in die Bibliothek zurückziehen. Wenn ihr fertig seid, gib mir einfach Bescheid Annett!“ Sprach Elena, dann verlies sie das Zimmer.

„Ja und nun sind wir allein.“ Stellte Annett fest.

„Ja! Annett, ich möchte dir nur sagen, dass Madleen eine große Hilfe für mich war. Ohne sie hätte ich den Kerker und die Folter nie überlebt. Sie hat mir das Leben gerettet. Auf ewig stehe ich in ihrer Schuld. Und nun möchte mir auch noch ihre Mutter helfen. Eure ganze Familie ist so gut zu mir. Ich weiß nicht, wie ich das jemals vergelten kann.“

„Zunächst einmal indem du wieder richtig gesund wirst. Und wenn  das geschafft ist, dass du wieder so ein forsches und draufgängerisches Mädchen wirst, wie ich es kannte und mochte.“ Antwortete Annett.

Dagmar beantwortete diese Aussage mit einem sanften und sinnlichen Lächeln.

 

„Du hast mich wirklich gemocht damals? Hmm, dann warst du eine der wenigen. Die meisten lehnten mich ab, verstanden nicht was ich ihnen sagen wollte. Naja, womöglich lagen sie gar nicht so falsch mit ihren Überzeugungen. Du siehst was aus mir geworden ist. Ich habe für meine Aufmüpfigkeit und Rebellion teuer bezahlen müssen.“ Erinnerte sich Dagmar.

„Ja, ich habe dich wirklich gemocht. Dich bewundert, wie du für deine Überzeugung eingestanden bist. Mir fehlte die Kraft dir das zu sagen. Als ich erfuhr, dass du ins Netz der Spinne geraten bist und im Kerker die Folter auf dich wartet, erfüllte es mich mit tiefer Traurigkeit. Ich kann nicht sagen warum, ich musste immerfort an dich denken.“

Bekannte Annett und drückte dabei Dagmars Hand.

 

„Ich fühlte mich zwar schrecklich allein, da untern, so hilflos allem ausgeliefert. Doch andererseits spürte ich eine Kraft, die mich am Leben erhielt. Ich hatte mit allem abgeschlossen und mich in mein Schicksal gefügt. Mich devot allem untergeordnet. Aber insgeheim glaubte ich an einen Neuanfang. Dann kam Madleen und nun sitzt du an meinem Bett. Ich fühle mich wunderbar geborgen.“

Dagmar versuchte sich aufzurichten, schnell rutsche Annett nach vorn und half ihr dabei.

Legte ihren rechten Arm um Dagmars Schulter und so saßen sie eine ganze Weile einfach und ließen den Zauber des Augenblickes auf sich wirken.

„Ich… ich muss mal pinkeln Annett. Ich versuche aufzustehen, hoffe dass es heute funktioniert. Ich muss wieder auf die Beine, aber ich fühle mich sicherer, wenn jemand in der Nähe ist.“

Sanft griff Annett unter Dagmars Beine und hob sie vorsichtig aus dem Bett. Dagmar versuchte sich aufzurichten. Als es nicht gleich gelang half ihr auch diesmal Annett dabei, führte sie zur Toilette.

„Ruf mich einfach, wenn du Hilfe brauchst!“ Sprach Annett durch den Türschlitz, dann schloss sie die Tür.

 Sie verbrachten den Rest des Vormittages miteinander.

Der Kontakt war hergestellt. Elenas Helferin würde sich schon bald als heilsame Hüterin erweisen.

 

 

Zwei Tag später fühlte sich Dagmar so weit imstande, gemeinsam mit Elena einen kleinen Spaziergang auf dem Gelände zu unternehmen.

Das Wetter hatte sich deutlich gebessert und die milden Temperaturen luden nach draußen ein.

Langsamen Schrittes verließen beide das Zimmer und bewegten sich den langen Flur entlang.

Dagmar hatte sich an Elenas Arm untergehakt und schritt bedächtig neben ihr. Sie benutzten den Aufzug nach unten und befanden sich im Foyer.

„Also, wenn es über deine Kräfte geht, dann machen wir Schluss. Du darfst dich nicht gleich überanstrengen. Wir machen ausreichend Rast. Aber die leichte Bewegung und die frische Luft wird dir andererseits guttun.“ Mahnte Elena.

„Ich versuche es. Ich muss ja wieder auf die Beine. Ich sage schon, wenn es nicht mehr geht.“

Antwortete Dagmar.

Dann durchschritten sie die Eingangspforte und fanden sich auf der Treppe.

„So, nun ganz vorsichtig. Diese Treppe ist eine Herausforderung. Zum Glück ist sie nicht mehr klitschig, da kann man sehr leicht ins Rutschen kommen. “Warnte Elena.

Schritt für Schritt ging es langsam nach unten. Elena hielt Dagmar sicher am Arm.

Geschafft! Nun ging es geradeaus weiter in Richtung auf das kleine Wäldchen.

 

„Und alles noch in Ordnung?“

„Ja es funktioniert gut! Ich habe zwar Schmerzen in den Gelenken. Aber sie sind auszuhalten. Auf keinen Fall behindern sich mich am Gehen.“ Erwiderte Dagmar.

„Die wirst du noch eine zeitlang spüren. Ich glaube morgen beginnen wir mit der Gymnastik, natürlich auch alles im kleinen Umfang. Annett ist eine gute Therapeutin. Du verstehst dich gut mit ihr?“

„O ja sehr sogar! Die ist echt lieb. Ich fühle mich wohl in ihrer Nähe. Schön, dass du sie mir gebracht hast. Wir haben uns wunderbar unterhalten Komisch, früher ist sie mir gar nicht aufgefallen.“

„Nun früher gab es anderes was uns bewegte. Für das wichtige zwischenmenschliche blieb wenig Zeit.“ Glaubte Elena zu wissen und sprach damit den wunden Punkt an.

„Ja, darüber müssen wir unbedingt reden Elena. Da liegt eine schwere Last auf meinem Herzen.“ Seufzte Dagmar.

In der Zwischenzeit hatten sie das Wäldchen erreicht und bewegten sich einen kleinen Anhang nach oben. Dagmar fiel das Laufen nach wie vor schwer.

 

„Dort oben gibt es eine Bank, dort werden wir eine Weile bleiben und uns ausruhen.“ Schlug Elena vor.

Direkt neben der Bank befand sich die kleine künstlich aufgeschichtete Grotte mit der etwa 30 cm hohen Marienstatue, die Elena schon gefunden und für sich als Lieblingsplatz erkoren hatte. Sie hoffte, dass auch Dagmar hier ein wenig Einkehr finden könnte.

 

„Es ist schön hier! Wirklich ein guter Ort!“ Stellte Dagmar fest.

„Nicht wahr? Auch ich habe diesen Platz erst vor wenigen Tagen gefunden. Auf Anhieb fühlte ich mich wohl. Da geht eine gewisse Ausstrahlung davon aus?“

Beide ließen sich auf der Bank nieder.

Eine kurze Weile verbrachten sie im Schweigen, genossen einfach den Frieden, der von dieser Stelle auszugehen schien.

„Elena, ich bin noch immer erstaunt, wie du, nach all dem was zwischen uns vorgefallen ist, so liebevoll mit mir umgehst. Alles hätte ich erwartet, nur das nicht. Wir lagen zum Schluss politisch so weit auseinander, dass es einfach nicht mehr ging. Ich glaubte fest daran, dass ihr,  du, Colette und viele andere unsere Ideale verraten habt. Ich wollte die Akratie, ohne wenn und aber. Ihr wähltet einen anderen Weg. Den ich nicht verstand. Ich weiß, durch mein Verhalten habe ich die Schwesternschaft, Anarchonoplois, ja ganz Akratasien gefährdet, aber ich wollte doch nur die Ideale hochhalten, für die wir einst gekämpft haben. Dabei habe ich nur zerstört aber nichts bewahren können.“

 

„Auch ich bin nicht schuldlos Dagmar. Dein Bekenntnis ehrt dich und zeigt, wie ernst es dir mit allem ist. Ich fühle mich mitschuldig für deinen Weg. Ich habe deine Fähigkeiten nicht beachtet und nicht gefördert. Ich hätte dich nur einladen müssen ,in den inneren Kreis zu kommen. Mit dir zusammenarbeiten, deine Einwände und Kritiken hören und beachten, dann hätten wir womöglich….“

Elena brach ab. Sie erhob sich und ging einmal um die kleine künstliche Natursteingrotte herum, atmete tief ein und aus und setzte sich wieder.

„Es ist sinnlos die Vergangenheit zu beschwören, wir können sie nicht mehr ändern. Aber die Zukunft, die vor uns liegt, für die können wir bauen. Ich habe schon mit Colette darüber gesprochen. Sollten wir eine zweite Chance bekommen, müssen wir viele Veränderungen wagen.

In drei Tagen trifft sich der alte innere Kreis zu einer ersten Zusammenkunft, natürlich ist der noch nicht vollzählig, weil Madleen noch nicht zurück ist. Aber du bist es. Wenn du Lust hast, kann du gerne mit dazu kommen.“

Elenas Einladung ließ Dagmar aus allen Wolken fallen.

 

„Der innere Kreis? Ich darf dazugehören? Wirklich?“

„Ja, dort wo du schon lange hingehörst!“

„Ich…ich weiß nicht was ich sagen soll. Es kommt so überraschend. Ich hätte nie mehr damit gerechnet. Und nun? Ich weiß nicht, ob es mir zusteht nach all dem was vorgefallen ist. Aber ich danke dir. Ich werde kommen, wenn es auch nicht leicht für mich wird.“ Ging Dagmar auf den Vorschlag ein.

„Natürlich nur wenn du dich entsprechend fühlst. Deine Gesundheit geht vor. Wir können dir auch eine Liege in den Beratungsraum stellen, wenn dir das Sitze schwerfallen sollte.“ Bot Elena an.

„Und die anderen? Was werde die dazu sagen? Ich denke, nicht alle werden das mit Begeisterung aufnehmen.“ Gab Dagmar zu bedenken.

„Sicherlich! Aber sie werden sich daran gewöhnen. Du musst bedenken, dass sich die Situation deutlich verändert hat. Durch dein Martyrium hast du dir eine neue Stellung in der Gemeinschaft erobert. Dadurch hast du womöglich Cassians Sturz erheblich beschleunigt. Das wird am Ende allen zugutekommen. Colette sagte mir, dass sich die Schwestern einstimmig dafür ausgesprochen haben, dir die ungeteilte Solidarität zu versichern.“

 

„Ja, ich weiß! Madleen hat mir das mitgeteilt, als ich…als  ich gerade auf dem Bock saß, nackt, schweißgebadet und von Schmerzen durchdrungen. Es hat mir die Würde wiedergegeben, die sie mir genommen hatten.“ Erinnerte sich Dagmar an die schwerste Zeit ihres Lebens.

Elena rückte näher und legte ihren Arm um Dagmars Schulter.

 

„Wenn es auch schwerfällt, so etwas auszusprechen. Aber ich glaube, es hat alles so kommen müssen. Auch ich habe eine schwere Zeit hinter mir, wenn sie auch schon weiter zurückliegt. Ich wollte sterben. Ich sah keinen Sinn mehr im Leben. Akratasien zerstört, Cassian an der Macht, die Freiheitstöchter gespalten. Madleen weg. Tessa weg. Wofür sollte ich noch leben?

Doch mein Versuch scheiterte. Neidhardt hat mich gerettet und mir neuen Lebensmut geschenkt.  Du siehst, wir alle haben einen Läuterungsprozess durchlaufen. Auch Madleen hat

nach ihrem Absturz neu begonnen und wird wieder zu uns finden. Na und Colette, die hat die Gemeinschaft ein zweites Mal vor dem Zusammenbruch bewahrt, sie ist eine wahre Königin.“

„Oh ja! Ich akzeptiere sie jetzt ohne wenn und aber. Ich habe erkannte wie wichtig ihre Funktion ist. Eine tatsächliche Herrschaft geht von ihr nicht aus. Die anarchistische Monarchie ist eine Notwendigkeit, wenn wir überleben wollen. Die ideale Mischung. Auch das ist mir erst in der Hölle zum Bewusstsein gekommen.“ Bekannte Dagmar   

„Beim Anblick dieser Statue fällt mir ein Spruch ein, den mir Pater Liborius kürzlich sagte, ein Spruch, den die Christen häufig verwenden, wenn sie in Not sind. _manchmal begegnet uns Gott erst in der Hölle.-

 

„Ja, das mag sein, ein guter Spruch. Ob wir es nun Gott nennen oder Göttin, oder wie auch immer. Ich habe in der Hölle Dinge an mir wahrgenommen, die ich nie für möglich gehalten hätte. Tief verborgen im Unterbewusstsein, sozusagen. Geheime Wünsche, Neigungen, Sehnsüchte, wie immer du es betrachten willst. Ein völlig anders Ego, ein mir bisher verborgenes Ich.“ Bekannte Dagmar

„Womöglich dein wahres, dein eigentliches Ich!

Akzeptiere es Dagmar, nimm es an! Sieh es als Chance. Ein Weg, der dir gewiesen wird, der vor dir liegt und den du gehen kannst. Kannst, aber nicht musst, die Entscheidung liegt ausschließlich bei dir.“

Schlug Elena vor.

 

„Womöglich hast du Recht! Ich muss mich entscheiden! Ich werde lernen. Ich werde versuchen, mein Ich zu entdecken. Mit deiner Hilfe wird es gelingen.“

 

 

Nachdem sie eine Weile gesessen hatten, drängte Elena zum Aufbruch.

„So ich denke, wir gehen langsam wieder rein. War doch für den Anfang nicht schlecht. Aber  wir müssen langsam Schritt für Schritt vorgehen. Du darfst dich nicht zu sehr belasten. Auch wenn es dir im Moment etwas besser geht, über den Berg bist du noch lange nicht.“

 

„Mir hat der Gang gutgetan! Aber du hast sicher Recht. Gut, lass uns wieder reingehen!“

Dagmar erhob sich und hakte sich bei Elena wieder unter, dann schritten sie langsam den Weg hinab, bis sie sich wieder auf der großen Terrasse vor der Akademie fanden.

„So noch mal einen Blick in die Weite, zum Horizont. Dort kannst du die Silhouette der Stadt Köln erkennen.“ Elena wies mit dem Finger in die Richtung.

Da bemerkten sie plötzlich die Menschenmenge, die durch das Eingangstor drang und den Berg hinauf streben. Erst wenige, dann wurden es immer mehr. Transparente wurden sichtbar und Fahnen, akratasiesche Fahnen.

 

„Elena, was hat das zu bedeuten?“ Wunderte sich Dagmar.

„Ich weiß nicht! Eine…Demonstration, aber ich bin darüber nicht informiert. Warten wir erst mal. Kannst du noch?“

„Ja, keine Angst ich kann noch, notfalls werde ich mich auf eine der Bänke setzen.“

Der Zug kam immer näher und enthüllte sein Geheimnis. Eine spontane Demonstration, eine Solidaritätsaktion verschiedener Gruppen und Initiativen

Womöglich hatten sie Wind davon bekommen, dass Elena hier vor kurzem eingetroffen war. Nicht weiter verwunderlich, die Presse hatte in den zurückliegenden Tagen mehrmals Gerüchte gestreut, alles wies in Richtung Akademie. Von Dagmars Ankunft konnte hingegen noch niemand etwas wissen.

 

„Lang lebe Akratasien! Nieder mit Cassian! Hoch Elena, hoch Colette! Klang es bald im Chor. Dazu wurden Trommeln geschlagen und es ertönten Trillerpfeifen. Die Spitze des Zuges hatte in der Zwischenzeit die Akademie erreicht und hielt an. Deutlicher Sichtkontakt zu den beiden Frauen oberhalb, die nach unten blickten. Bei deren Anblick ertönte lauter Jubel.

Elena trat noch ein Stück nach vorn und erhob den rechten Arm zum Gruß, eine Geste, die nochmals von lauten Jubelschreien skandiert wurde.

Dann griff Elena nach Dagmars Hand und reckte deren Arm gemeinsam mit dem Ihren in die Höhe.

Der Jubel steigerte sich.

„Ich freue mich, dass ihr gekommen seid. Ich bin tief gerührt. Nein, wir sind es. Ja, ihr habt sie sicher schon erkannt. Dagmar steht an meiner Seite. Sie ist kurz nach mir hier eingetroffen. Sie hat sich zu uns durchgeschlagen, obwohl sie schwer misshandelt wurde. Es geht ihr aber inzwischen wieder besser. Ja, die Folter konnte ihren Mut und ihren Kampfgeist niemals brechen. Cassian hat verloren. Sein Abgang ist nur noch eine Frage der Zeit

Dagmar und ich haben uns versöhnt. Niemand wird uns von nun an trennen oder gegeneinander ausspielen. Gemeinsam werden wird den Kampf fortsetzen, bis wir unser Ziel erreicht haben.

Ihr alle seid dazu aufgerufen eure Solidarität weiter zu führen. Ihr hab vor wenigen Tagen vernommen was Colette zu euch sagte. Akratasien ist überall!“

 Elena legte deutlich und für alle sichtbar ihren linken Arm um Dagmars Schulter und zog sich an sich.

Nun kannte die Begeisterung kaum noch Grenzen. „Hoch Dagmar! Willkommen in der Freiheit! Akratasien ist überall!“ Ertönte es aus allen Richtungen.

Das Eingangsportal öffnete sich und Colette stürmte aus dem Haus direkt auf die beiden zu.

 

„Was ist denn das? Eine Demo, aber davon waren wir gar nicht informiert? Wo kommen die alle her?“ frage Colette mit Staunen im Blick.

„Nun spontan eben. Ich weiß auch nicht, wie die das machen. Aber es ist wunderbar, sie alle haben teil an unserem Schicksal und freuen sich für uns, wenn es wieder aufwärts geht.“ Entgegnete Elena.

Als Colette sichtbar wurde ertönten erneut die bekannten Hochrufe.

„Hoch Colette! Hoch Colette!“

Die Königin erhob den rechten Arm und grüßte in ihrer Art in die Menge.

„Hoch Elena! Hoch Dagmar! Unsere Solidarität hat dich begleitet! Tapfere furchtlose Kämpferin!“

Dagmar kämpfte wieder mit den Tränen und ließ ihnen schließlich freien Lauf. Eine Tatsache, die den Jubel noch einmal steigerte.

Erneut trat Elena zu ihr und legte ihren linken Arm um Dagmar. Colette erkannte die Geste, trat nun von der anderen Seite zu Dagmar und legte ihren rechten Arm um deren Schulter.

Der Jubel kannte kaum noch Grenzen.

 

Die Geste wurde verstanden. Die beiden führenden Repräsentanten Akratasiens nahmen Dagmar in ihre Mitte. Dagmar ist eine von uns. Wir stehen fest an ihrer Seite. Die gesamte Schwesternschaft steht hinter ihr. Ihr werdet ihr niemals wieder wehtun. Wir sind wieder verbunden, so wie einst. Wir gehören zusammen.

„Was meinst du Colette, sieht so das Führungstrio der Zukunft für Akratasien aus?“

Lautete Elenas Frage.

„Nun, ich denke, darüber können wir nachdenken. Sehr guter Vorschlag Elena werde ich mir merken.“ Erwiderte Colette.

„Aber zunächst lasst uns innehalten und diesen feierlichen Augenblick genießen und auf uns wirken.“

 

Unter den Demonstranten war auch eine kleine Gruppe aus dem Hambacher Forst.  Eichhörnchen hatte es sich nicht nehmen lassen bei dieser Solidaritätsaktion dabei zu sein.

Sie stürmte nach vorn.

„Hey Colette, hey  Colette!

„Eichhörnchen! Komm her!“ Die Königin winkte ihr zu.

„Hier sind Elena und Dagmar! Komm! Möchtest du sie kennen lernen.“

Eichhörnchen rannte auf die Treppe zu und schnell wieder Wind hatte sie die Stufen bezwungen.

„Hallo meine liebe! Komm zu uns! Elena, Dagmar, darf ich vorstellen, unser Eichhörnchen aus dem Hambacher Forst. Dort, wo schon seit einiger Zeit eine kleine Filiale von Akrataseien besteht.“

Hallo Elena, hallo Dagmar, ich freue mich sehr euch kennen zu lernen. Lange habe ich auf diesen Moment gewartet.“

„Hallo, ich freue mich auch deine Bekanntschaft zu machen.“ Begrüßte Elena die Aktivistin.

„Ganz meinerseits! Ich danke euch aus tiefsten Herzen für eure Solidarität, während meiner Gefangenschaft. Das hat mir viel Kraft gegeben.“

Entgegnete Dagmar und reichte Eichhörnchen die Hand.

 

„Ja, es kann sein, dass wir schon bald in unsere Heimat zurückkehren können. Das Exil wird zu Ende gehen.“ Meinte Colette.

„Das freut mich natürlich für euch. Es ist aber schade, dann werden wir uns lange nicht mehr sehen. Wir haben uns immer sehr gefreut, wenn du in den Forst gekommen bist und auch andere von eurer Gemeinschaft.“ Bedauerte Eichhörnchen.

„Nun, das ist richtig. Aber meine Einladung steht. Du kannst uns jeder Zeit besuchen und dir Anarchonoplis ansehen, du und auch die anderen. Wenn du kurz bei uns bleiben wirst, ist es gut, wenn länger besser, für immer am besten. Du bist jederzeit willkommen. Natürlich erst wenn es die Verhältnisse dort erlauben.“ Bot Colette an.

„Danke, dir! Ich werde kommen. Darauf kannst du dich verlassen. Ich brenne darauf eure Gemeinschaft kennen zu lernen. Aber meine Liebe müsste ich dann hier zurücklassen, das wird mir schwerfallen.“

 

„Auch deine Liebe ist uns willkommen, Eichhörnchen, wer immer sie auch sei.“

„Danke! Danke! Aber ich würde mich freuen, wenn Elena und Dagmar noch die Zeit aufbringen könntet, uns im Forst aufzusuchen. Au Mann, das wird ein Fest.“

 

„Das werde ich gerne tun. So viel Zeit haben wir mit Sicherheit. Ich möchte euren Wald sehen und die Art wie ihr dort lebt.“ Antwortete Elena.

„Ich auch! Ich werde dich begleiten Elena!“ Fugte Dagmar hinzu.

„Hey toll! Ich flitze runter und sage es gleich den anderen:“

Eichhörnchen verabschiedete sich und gesellte sich wieder den anderen zu.

Die drei Akratasier standen noch eine ganze Weile auf der Terrasse und nahmen die Sympathiebekundungen entgegen.

Nach einer Weile zerstreute sich der Demonstrationszug und trat den Rückweg an.

Colette, Elena und Dagmar gingen langsam zum Portal und durchschritten den Eingang.

 

Ein erhebendes Gefühl so bejubelt zu werden. Für einen kurzen Moment konnte sie Sorgen vergessen lassen, die auf allen Schultern lasteten.

Wir werden bald nach Hause gehen, das Exil beendet, hatte Colette zu Eichhörnchen gesagt. Woher nahm sie die Gewissheit? Cassians Macht war im Schwinden, trotzdem klammerte er sich daran und würde keinesfalls kampflos das Feld räumen. Es konnten noch Monate ins Land gehen, wenn sie Pech hatten.

Aber die Tatsache das Elena wieder bei ihnen lebte war schon einmal ein großer Gewinn und dass sie sich mit Dagmar ausgesöhnte hatten.

 

Elenas Gedanken waren unterdessen wieder bei Dagmar. Immer deutlicher lichteten sich die Nebel und sie sah den Kern des Problems. Wenn auch alle an einen Strang zogen und Dagmars Weg zurück ins Leben begleiteten, weder Elena noch Colette konnten ihr das geben was sie derzeit am dringendsten bedurfte. Liebe und Zuneigung. Da musste jemand anderes ran. Auf Dauer brauchte Dagmar eine Gefährtin. Eine gestandene Frau, weise, weitsichtig, Lebens erfahren und mit eine gehörigen Portion Feingefühl ausgestattet. Eine Frau, die zudem offen war für Veränderungen in ihrem eigenen Leben, die selbst noch abenteuerlustig und bereit war ihr Leben umzustellen. In deren Armen Dagmar Liebe, Zärtlichkeit und Wärme erhielt und vergessen konnte.

Elena brauchte nicht lange zu suchen. Die Kandidatin für diesen komplizierten, wie sinnlichen Job stand schon bereit und es schien als warte sie nur darauf gerufen zu werden.

 

 

 

 

 

** Elenas Kerkerhaft und Befreiung siehe Teil II Anarchonopolis-

Kapitel 25 Kämpfende Löwin und Kapitel 26 Mein kleines Mädchen