Kämpfende Löwin

 

In beiden Landesteilen wollte keine Ruhe einkehren. Seit den Tagen der Revolution hatte man derartiges nicht mehr erlebt. Die Wut der Bevölkerung kannte keine Grenzen und entlud sich in Exzessen.

 

Nur unter großen Anstrengungen gelang es Cornelius, in Melancholanien Herr der Lage zu werden.

Neidhardt hielt sich weitestgehend zurück, wollte durch sein öffentliches Erscheinen die Situation nicht noch weiter anheizen und überließ dem greisen Staatsoberhaupt die Entscheidungen.

Schleimer nicht auf zu finden, offensichtlich untergetaucht. Niemand würde jetzt noch einen Finger für den entmachteten und im Volke besonders verhassten Innenminister krümmen.

Erst einige Zeit später sickerte durch, dass er sich außer Landes in Sicherheit gebracht hatte.

Eingenäht in einen Müllsack verließ er auf einem klapprigen Leichttransporter die Hauptstadt und wurde mit samt dem übrigen Müll auf einer Kippe am Rand der Stadt „entsorgt“.

Von da aus schlug er sich zu Fuß weiter durch, bis er die Grenze in Richtung Monetanien passieren konnte.

Elena und ihren Freunden konnte er von nun an keinen Schaden mehr zufügen.

Als irgendwann die Nachricht vom Verschwinden Schleimers ans Licht kam, feierten die Menschen diesen Umstand in einem rauschenden Volksfest.

 

Madleen interessierte das herzlich wenig, denn für sie gab es nur eine Frage: Wo war Elena? Von ihr fehlte weiterhin jede Spur.

Obgleich die Bevölkerung sich bereitwillig an den Suchaktionen beteiligte, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden, wo genau man sie gefangenhielt.

Elenas Gefährtin fürchtete dem Wahnsinn zu verfallen, so sehr nagte die Angst an ihrer Seele.

Vergeblich versuchten die anderen beruhigend auf sie einzuwirken.

„Was erwartet ihr von mir? Das ich  mich gemütlich zurück lehne und in aller Ruhe darauf warte bis Elena von allein zurückkommt?“ Warf Madleen in die Runde, während sie, von Verzweiflung gequält, mit verschränkten Arme vor dem Fenster stand und auf den Klosterpark blickte.

„Da eindeutig feststeht dass Neidhardt, die Partei und die Regierung nicht für Elenas Entführung verantwortlich sind, könnten wir doch deren Hilfe in Anspruch nehmen. Die sind ohnehin damit beschäftigt nach ihr zu suchen, wie wir in Erfahrung bringen konnten.“

 Schlug Valeria vor.

„Das denke ich auch! Womöglich ist Elena längst auf dem Weg hierher und steht schon morgen früh vor der Tür.“ Pflichtete ihr Robert bei.

„Wie? Ich höre wohl nicht recht. Dieser Regierung vertrauen? Nie und nimmer! Mag sein dass der Innenminister sein eigenes Süppchen kochte und im Alleingang handelte. Das überzeugt mich aber noch lange nicht davon dass Neidhardt tatsächlich keinerlei Kenntnis davon hatte.

Der hasst Elena wie die Pest, habt ihr das vergessen?“

Widersprach Madleen mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch. Dass Neidhardts Gefühle für Elena in Wirklichkeit ganz anderer Natur wahren, konnte zu jenem Zeitpunkt niemand ahnen.

 Wo ist Colette überhaupt? Ich brauche sie! Warum lässt sie mich allein?"

„Quäl dich doch nicht so,“ schaltete sich Alexandra ein. „ Du hast das Menschenmögliche getan. Zugegeben auch ich bin misstrauisch, wenn es um Neidhardt geht. Andererseits haben die sich uns gegenüber sehr korrekt verhalten, zogen Colette und Gabriela zu ihren Beratungen hinzu, sind energisch gegen die Entführer vorgegangen.

Das sollten wir würdigen. Die werden mit Sicherheit schon einen Plan für Elenas Befreiung entworfen haben.“

 

„Solange kann und will ich nicht warten!“ Lehnte Madleen weiter ab. „Ich muss handeln! Ich kann nicht untätig herumsitzen ,während sich Elena in großer Gefahr befindet. Nein, ich sage es noch einmal, ich vertraue denen nicht. Es liegt an uns die Initiative zu ergreifen. Selbst wenn Neidhardt nichts mit ihrer Entführung zu tun hat, käme ihm Elenas Verschwinden sehr gelegen. Der tut in aller Öffentlichkeit so als wolle er uns helfen, um sein Gesicht zu wahren. Eine Suchaktion ohne Erfolg wäre die Folge. Elena würde von seinen Leuten bewusst nicht gefunden. Die Entführer besorgen die Drecksarbeit und er kann sich die Hände in Unschuld waschen. Nachdem Elena beseitigt wurde, lässt er ihre Mörder liquidieren und kann sich womöglich noch als großer Held präsentieren. “

„Ich werde dir helfen! Wenn ich mit den Wachmannschaften rede, werden sie mir sicher Hinweise geben können. Noch ist mein Name bei großen Teilen der Streitkräfte geachtet. Unter ihnen gibt es nicht wenige die während der Rebellion unter meinem Kommando dienten. Ich glaube das könnte helfen.“ Bot sich Ronald spontan an. Alexandra blickte mit erschrockenem Gesicht zu ihm.

„Ich werde mich dir anschließen!“ Stimmte Ansgar zu. „ Dort wo du nicht weiterkommst, werde ich ansetzen. Auch ich bin noch nicht ganz vergessen. Mir werden sie Auskünfte nicht verweigern, zumal wenn es sich um Elena handelt.“

„Das kommt überhaupt nicht in Frage!“ Lehnte Madleen entschieden ab, während sie sich die Tränen aus dem Gesicht wischte.

„Ich weiß euer Angebot zu schätzen. Elena würde das auch. Aber ebenso wie sie lasse ich nicht zu ,dass ihr euch unnötig in Gefahr begebt. Ihr seid als Geächtete nach wie vor gefährdet und dürft Anarchonopolis nicht verlassen. Nein, ich brauche euch hier. Ihr dürft euer Leben nicht  auf`s Spiel setzen. Kein Grund zur Sorge Alexandra, ich werde deinen Mann nicht noch einmal einer akuten Gefahr aussetzen. Ich will überhaupt nicht dass jemand sein Leben riskiert. Es ist meine Aufgabe Elena zu suchen, zu finden und zu befreien. Wo steckt Colette? Wir wollten uns gemeinsam auf die Suche begeben, sie hat es mir versprochen.“

„Aber mir wirst du aber doch gestatten dir zu helfen. Ich bin dein Bruder. Es versteht sich von selbst das ich dich unterstütze.“ Erwiderte ihr Robert entschieden.

„Ich werde dir ebenso helfen.“ Stimmte Valeria mit ein und stellte sich demonstrativ an die Seite ihres Mannes.

„Es ist lieb von Euch. Natürlich werde ich Hilfe benötigen.“

Madleen umarmte beide.

„Wenn ich doch nur wüsste wo ich mit der Suche beginnen soll. Ich kann doch nicht ganz Melancholanien

auf den Kopf stellen. Es ist einfach zum Verzweifeln.“

Noch bevor sie weiter sprechen konnte, öffnete sich die Tür, Gabriela und Klaus erschienen außer Atem. Noch bevor sie etwas sagen konnten, verriet ihr hektisches Auftreten, dass sie eine wichtige Nachricht mitzuteilen hatten.

„ Stellt euch vor, es hat sich jemand bei uns gemeldet, der etwas über Elena zu wissen scheint. Er will seine Angaben nur dir übermitteln. Wir haben versucht mit ihm zu sprechen, werden aber nicht recht schlau aus seinem Gerede.“ Teilte ihr Gabriela hastig mit.

„Wo ist er? Führt ihn zu mir! Natürlich will ich wissen, was er zu sagen hat, auch der kleinste Hinweis kann von Nutzen sein.“ Madleens Worte klangen fast wie ein Befehlston.

„In Ordnung ich werde ihn holen.“ Antwortete Klaus und verschwand im gleichen Augenblick wieder durch die Tür.

„Siehst du, ich habe es dir doch gesagt. Die Menschen lassen Elena nicht im Stich.

Bestimmt klärt sich alles auf. Jetzt wird alles gut.“ Versuchte Valeria erneut beruhigend auf ihre Schwägerin einzuwirken.

„Ich wollte du hättest recht! Aber ich werde erst dann beruhigt sein, wenn ich Elena wieder in den Armen halte.“

Madleen traute dem ganzen nicht. Schon die Tage zuvor hatten sich immer wieder Leute gemeldet, die vorgaben, im Besitz von Hinweisen über Elenas Aufenthaltsort zu sein.

Doch die erwiesen sich allesamt als wenig stichhaltig. Es gab eben auch jede Menge Wichtigtuer, die als Trittbrettfahrer Aufmerksamkeit erhaschen wollten.   

Es dauerte nicht lange und Klaus erschien wieder, in seiner Begleitung ein etwas untersetzter

Mann mittleren Alters, gekleidet in oliv-grüne Outdoor-Klamotten wie sie von Wanderern oder Jagdleute getragen wurde.

Er hatte ein derbes Gesicht und starke Muskeln. Seine große schiefe Nase schien wie weicher Ton von einer Faust verformt zu sein.

Sein Mienenspiel verriet, dass er zwischen Beklemmung und Zufriedenheit schwankte.

„Nun, was hast du mir zu berichten! Sprich! Ich hoffe das es wirklich von Bedeutung ist und habe keine große Lust ein weiteres Mal in die Irre geführt zu werden.“ Befahl Madleen forsch und staunte selbst über die sichere Art ihres Auftretens.

Erstaunt über diese Art der Begrüßung begann der Mann, dabei unsicher von einem Bein auf das andere tänzelnd, seine Nachricht zu überbringen.

„Ähm, ja. Ähm, ich habe eine Botschaft für dich. Es ist… ähn eine Art Angebot meines Kommandanten. Ich kenne den Aufenthaltsort von Elena. Mein Kommandant ist bereit sie frei zu geben, unter ganz besonderen Bedingungen natürlich.“

„Bedingungen? Welche Bedingungen könnte dein Kommandant wohl stellen?  Es ist allgemein bekannt dass eure Einheit aufgelöst wurde. Euer oberster Chef hat sich verdünnisiert. Du bist ein Geächteter wie alle anderen auch, die jener Truppe an gehörten. Ein großes Risiko hier so zu erscheinen und auch noch Forderungen zu stellen, findest du nicht auch?“ Wies ihn Ansgar

Sogleich in die Schranken.

„Ich bin mir durchaus der Risiken bewusst, die ich hier eingehe. Gewiss, ich bin ein Geächteter, so wie du, oder noch andere hier im Zimmer.“ sein Blick viel zunächst auf Ansgar, schweifte dann hinüber zu Ronald.

„Wir sitzen, wenn es mir gestattet ist, dies zu sagen, im gleichen Boot. Mein Kommandant ist ähnlicher Meinung. Deshalb schickt er mich.  Wir könnten uns doch auf eine gewisse Art arrangieren. Wir haben etwas, was ihr gerne wieder haben möchtet.

Ihr hingegen habt etwas, was uns sehr von Nutzen wäre, in diesen unsicheren Zeiten.“

„Es passt zwar alles gut zusammen, zugegeben. Aber woher sollen wir wissen, dass ihr Elena tatsächlich in eurer Gewalt habt. Das musst du mir schon beweisen.“ Forderte Madleen.

„Selbstverständlich! Das ist der Grund, warum ich nur mit dir sprechen wollte.“

Entgegnete der Bote und kramte dabei in seiner Hosentasche herum. Er zog ein Tuch hervor, wickelte ein hölzernes Amulett heraus und hielt es Madleen direkt vor die Augen.

Beim Anblick der doppelten Mondsichel stach es ihr in allen Gliedern. Beklemmende Angst schnürte ihr die Kehle zu. Es bestand nicht der geringste Zweifel, sie hatten Elena in ihrer Gewalt. Madleen erkannte wie keine andere das Amulett, schließlich hatte sie es vor einiger Zeit selbst für Elena angefertigt.

„Wie ich sehe, kennst du das Amulett. Ich denke, nun wirst du mir sicherlich mehr Glauben schenken.“ Fuhr der Bote selbstsicher fort.

„Ich kenne es. Es stimmt, dieser Anhänger gehört Elena. Du sprichst die Wahrheit. Es besteht kein Anlass mehr an deinen Worten zu zweifeln.“ Erwiderte Madleen mit gedrückter Stimme.

„Bist du dir auch ganz sicher? Möglicherweise haben die sich das auch nur einfallen lassen. Es ist ja allgemein bekannt, dass Elena gerne Holzschmuck trägt.“ Zweifelte Alexandra.

„Nein, nein! Zweifel sind ausgeschlossen. Ich muss es wissen. Ich selbst habe diesen Schmuck angefertigt. Es war ein besonders Geschenk, aus Anlass des ersten Jahrestages unserer Liebe.“ Antwortete Madleen und es bereitete ihr die größte Mühe nicht in Tränen auszubrechen. Aber sie durfte diesem Menschen gegenüber keine Schwäche demonstrieren.

„Hm, ich kann dazu sagen, dieser Anhänger war von allen Kleidungsstücken das Teil, von dem sie sich am schwersten trennte.“ Gab der Bote sarkastisch von sich.

„Du Rohling, ich bringe dich gleich zum Schweigen. Was habt ihr mit ihr gemacht?“ Robert war vorgestürmt und drohte sich auf den Boten zu stürzen.

Doch Madleen hielt ihn zurück.

„Nein Robert, hör auf! Wenn es auch schwer fällt. Wir sind auf ihn angewiesen.

Also sprich. Was willst du? Ich werde alles tun, um Elenas Leben nicht zu gefährden und alle anderen werden sich ebenso verhalten.“

„Eine vernünftige Entscheidung . Wie gesagt, wir sitzen zur Zeit im gleichen Boot, da wäre es ausgesprochen unklug nicht zu kooperieren.“ Stimmte der Bote zu und genoss seinen augenblicklichen Triumph in vollen Zügen.

„Ihr wollt etwas von uns, wir wollen etwas von Euch. Ich denke wir können zur Sache kommen.

Hier in Anarchonopolis gibt es, wie ich schon erwähnte eine ganze Menge Geächteter. Durch die Protektion des Vorsitzenden Cornelius sind diese Leute sicher, solange sie den Bereich der Akratasischen Föderation  nicht verlassen.

Unsere Einheit ist ebenfalls geächtet. Wir müssen mit Strafaktionen von Seiten der Partei und der Geheimpolizei rechnen. Wir sind bereit Elena frei zu geben als Ausgleich fordern wir dass ihr uns einen Unterschlupf in einer eurer Kommunen gewährt, zumindest solange, wie mit Verfolgungen zu rechnen ist.“

„Dabei kann es sich nur um einen schlechten Scherz handeln. So eine Unverfrorenheit ist mir noch nie zu Ohren gekommen.“ Entrüstete sich Ronald.

Beklemmendes Schweigen erfüllte für eine kurze Weile den Raum, damit hatte wohl niemand gerechnet. Die meisten waren von einer Lösegeldforderung oder ähnlichem ausgegangen.

„Das ist in der Tat eine ungewöhnliche Forderung. Ich weiß nicht was ich dazu sagen soll. Aber ich kann nur wiederholen das ich alles tun werde, um das Leben Elenas nicht zu gefährden.“

Durchbrach Madleen das Schweigen.

„Aber du willst doch nicht etwa auf diese Forderung eingehen?“ Empörte sich Alexandra. „Es besteht doch schon ein großer Unterschied zwischen Ronald, Ansgar und all den anderen die hier Zuflucht gefunden haben und diesem Abschaum dort.“ Mit dem Finger wies sie auf den Boten ihr gegenüber. „Du kannst das den Menschen hier unmöglich zumuten. Ich könnte mir niemals vorstellen mit solchen Leuten auf unserem Territorium zusammen zu leben.“

„Ich kann eure Empörung ohne weiteres nachvollziehen. Glaubt ihr, mir geht das anders?

Aber wir haben keine Wahl, wir müssen darauf eingehen, zumindest werden wir verhandeln. Denkt daran, Elena selbst würde in einer solchen Situation nicht anders verfahren. Die Kommunen der Föderation bieten allen Schutz vor Verfolgung, auch jenen die uns auf den ersten Blick gar nicht ins Konzept passen. Wir erfüllen ihren Willen, wenn wir darauf eingehen.

Andererseits müssen wir natürlich ein Plenum ein berufen, um möglichst alle Bewohner in den Entscheidungsprozess einzubinden.“

„Madleen hat Recht. Wir dürfen Elenas Leben nicht gefährden. Das ist im Moment entscheidend. Laßt uns zunächst verhandeln. Ich bin dafür es so schnell wie möglich zu organisieren. Jeder Tag der unnötiger weise verstreicht, ist eine Bedrohung .“ Stimmte Gabriela zu.

Doch bei den andern herrschte weiter tiefe Betroffenheit.

„ Sage deinem Anführer, dass wir zu Verhandlungen bereit sind. Es bleibt im Moment nicht viel Zeit zu tief schürfenden Diskussionen. Aber ich möchte Elena sehen, mit ihr reden, mich vergewissern, dass ihr kein Leid zugefügt wurde. Gnade euch wenn ihr etwas angetan wurde. Ob wir auf eure Forderungen eingehen entscheiden wir später. Du bleibst hier in sicherem Gewahrsam. Morgen früh werden wir aufbrechen.

Du wirst uns zum Versteck führen.“ Sprach Madleen dem Boten zugewandt.

Dieser hatte offensichtlich mit einer solchen Entscheidung gerechnet, denn er fügte sich widerspruchslos in sein Schicksal.

„Geh jetzt, verlasse uns. Es fällt mir schwer in deiner Gegenwart einen klaren Kopf zu bewahren.“

Der Bote verließ augenblicklich den Raum, Klaus begleitete ihn.

Kaum hatten die beiden die Tür hinter sich geschlossen, brach unter den zurück gebliebenen eine lebhafte Diskussion aus.

„Aber wie kannst du nur auf solche Forderungen eingehen? Ich verstehe dich nicht?“ Alexandra schien die Entrüstung ins Gesicht geschrieben.

„ Ich kann deine Wut nachempfinden. Aber bedenkt doch. Es ist noch nichts entschieden  

Ich habe lediglich versucht Zeit zu gewinnen. Las uns zunächst einmal das Versteck ausfindig machen. Erst muss Elena befreit sein, dann können wir weitersehen. Ich habe dem Boten kein Versprechen gegeben, brauche somit keinen Wortbruch zu begehen, denn ich habe keinesfalls vor auf ihre Forderungen einzugehen."

„Diese Leute sind gefährlich. Du kannst ihnen schwerlich etwas vormachen. Das ist eine Elitetruppe, mit allen Wassern gewaschen, zumal sie in der Tat nichts mehr zu verlieren haben. Das macht sie nur noch unberechenbarer. Sie werden dich und alle deine Begleiter ohne mit der Wimper zu zucken überwältigen, wenn es ihnen dämmert, dass du versuchst sie aufs Kreuz zu legen. Ich bitte dich noch einmal, lass uns diesen Auftrag ausführen, wir verstehen noch immer unser Handwerk.“ Warnte Ansgar eindringlich.

„Und ich kann noch einmal wiederholen, dass ich euer Angebot schätze, aber nie und nimmer akzeptieren werde. Ihr seid außerhalb des Abteigeländes nicht sicher. Ferner ist es Aufgabe der Schwesternschaft ihre Anführerin zu befreien; Frauensache um es einmal salopp auszudrücken. Ich bin Elenas Gefährtin und ich werde die Befreiungsaktion leiten. Colette hat vollkommen recht, wenn sie mir dieses Privileg zugesteht. Wo bleibt sie denn nur?“

Widersprach Madleen.

„Ich danke dir, dass du Ronald aus allem heraushältst.  Wir Schwestern sind nicht geächtet. Das war ein kluger Vorschlag. Ich werde dich auf jeden Fall begleiten. Soviel hat Elena für mich, für uns alle getan. Gib mir die Möglichkeit mich dafür zu revanchieren.“ Bot sich Alexandra an.

Ronald wollte etwas einwenden, doch sie hinderte ihn daran.

„Ich bin mir dessen bewusst, dass es dir ganz und gar nicht gefällt Ronald. Aber ich muss es tun. Zwischen uns stand nie einen trennende Wand. Ich war immer selbständig und habe getan, was mir mein Gewissen befahl. Du hast mich stets akzeptiert wie ich bin, so wie ich es für dich ebenso getan habe. Unsere Liebe brauchte nie patriarchale Ketten die uns aneinander banden."

„Dann tue was du für richtig hältst. Aber du tust es für dich, nicht für mich. Ich bedarf eines solchen Liebesbeweises nicht.“ Sprach Ronald ruhig und ernst.

Schweigen schwebte über dem Raum, kaum jemand vermochte jetzt eine Bemerkung zu machen. Es bedurfte keiner Worte.

Nur Kristin, die dem Verlauf der Unterredung bisher stumm beigewohnt hatte, meldete sich

Zu Wort.

„Ich bin ebenfalls dabei. Auch ich möchte etwas für Elena tun. Außerdem finde ich es spannend. Es gibt mir die Gelegenheit mal wieder raus zu kommen, was zu erleben. Sicher, es wird gefährlich, aber gefahrvolle Situationen habe ich im Leben schon so manche durchleben müssen .“

„Ich höre wohl nicht recht! Das kommt überhaupt nicht in Frage!“ Ereiferte sich Gabriela voller Wut. „Was glaubst du was dich dort erwartet, ein Spaziergang mit ein wenig Action, oder so was ähnliches? In Melancholanien herrscht auf eine Art Krieg, verstehst du das? Das ist was anders als in einem Bordell die Beine breit zu machen!“

Kaum hatte Gabriela die Worte ausgesprochen bereute sie diese schon wieder.

„Vielen Dank, das du mich daran erinnerst. Ist mal nach `ner Weile Gras über eine Sache gewachsen, kommt irgendwann so ein Kamel dahergelaufen, dass alles wieder runter frisst!“ Konterte Kristin ihrer Geliebten entrüstet.

„Verzeih mir! Bitte verzeih mir!“ entschuldigte sich Gabriela sogleich und schlang Kristin in ihre Arme.

„Du bist mein Mädchen! Verstehst du denn nicht! Ich habe Angst um dich. Du hast so etwas doch noch nie getan. Wie stellst du dir das vor. Ich will dich nicht verlieren.“

„Siehst du, dass ist es! Ich habe so etwas in der Tat noch nie getan. Dann ist es an der Zeit das ich damit beginne. In unserer Föderation herrscht Emanzipation. Du bist es doch, die mir das stets und ständig unter die Nase reibt. Also dann werde ich gehen. Das ist mein letztes Wort.“

„Gut, in Ordnung! Aber dann komme ich auch mit. Immerhin kenne ich Elena von euch allen hier die längste Zeit. Wenn mich das nicht qualifiziert, na dann weiß ich nicht.“ Entschied nun auch noch Gabriela.

„Ich werde dich ganz bestimmt nicht daran hindern.“ Meinte Kristin.

„Aber ich werde es tun! Tut mir leid Gabriela!“ Schaltete sich Madleen wieder ein.

„Zwei wichtige Gründe sprechen dagegen. Du warst sehr krank. Das ist erst wenige Monate her. Ich kann dich diesen Strapazen nicht aussetzen. Zum Zweiten, und das ist vielleicht noch entscheidender. Sollte uns etwas zustoßen. Sollten weder Elena noch ich zurückkehren, dann bist du eine der wenigen, die die erforderliche Autorität besitzt die Föderation weiter zu leiten. Gemeinsam mit Colette. Du sollst in diesem Fall die neue Kanzlerin werden. Nur du bringst das nötige Charisma mit. Zuviel hängt davon ab. So viele Menschen haben hier Zuflucht gefunden, die dürfen wir nicht aufs Spiel setzen. Ich betraue dich hiermit mit der Leitung während meiner Abwesenheit. Ihr anderen seid Zeugen und werdet sie unterstützen, ganz besonders du Valeria, auch du wirst mich nicht mit kommen. Alexandra und Kristin, ihr seid meine Begleiterinnen, ich danke euch sehr.“

Das Machtwort saß. Gabriela schwieg, erkannt die Richtigkeit der Worte. Madleens Organisationstalent war kaum zu schlagen, sie wusste stets, wer sich für welche Aufgabe am besten eignete. Keiner zweifelte an ihren Fähigkeiten.

„Laßt mich jetzt allein. Ich brauche dringend etwas Ruhe. Wir werden morgen in aller Frühe aufbrechen. Wer sich mir weiterhin an schließen möchte, kann sich jederzeit bei mir melden.“

Mit diesen Worten entließ sie ihre Gesprächspartner .Erschöpft fiel sie in einen Sessel und vergrub ihr Gesicht in den Handflächen.

Was bedeutete das? Hatte sie richtig entschieden? Brachte sie sich und all jene, die sich bereit fanden mit ihr zu gehen in Gefahr? Sie wusste es nicht. War der Bote überhaupt vertrauenswürdig? Immerhin, er hatte ihr das Amulett gezeigt, doch was bedeutete das? Es war einfach zuviel. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.

Erschrocken fühlte sie eine sanfte Handfläche in ihrem Nacken. Sie blickte sich um und sah in Gabrielas Augen.

„Verzeih, ich konnte dich in diesem Moment nicht alleine lassen. Aber wenn ich gehen soll, tue ich es selbstverständlich.“ Erbot sich Gabriela.

„Nein, bleib! Ist schon in Ordnung, ich bin ganz froh, dass du da bist. Schon lange wünsche ich mir dir etwas näher zu kommen.“ Schluchzte Madleen.

„Was meinst du? Habe ich recht gehandelt? Ich weiß es nicht. Ich weiß im Moment gar nichts, das ist alles zu viel für mich. Ich glaube das stehe ich nicht durch. Aber ich darf jetzt keine Schwäche zeigen. Das macht die Sache nur noch komplizierter. Aber das Schlimmste daran. Ich habe solche Angst zu spät zu kommen. Ich könnte es nicht lange überleben, wenn Elena etwas zustoßen sollte.“

Gabriela ließ sich neben ihr auf dem Sessel nieder, der reichlich Platz bot für zwei Personen

und schloss die Schwestern in ihre Arme.

„Du liebst sie sehr nicht wahr?“

„Das kann man wohl sagen!“

„Ich habe Elena auch mal geliebt! Schon lange her. Da steckten wir noch tief in einem anderen Leben. Diese Liebe aber war kaum so intensiv wie die deine. Ich habe mich so darüber gefreut, als du damals in Elenas Leben tratst. Du bist ihre große Liebe, das spürt man sofort. Ihr gebt einander tiefen Halt und Kraft. So etwas erlebt man nur ganz selten.“

Madleen erwiderte nichts. Sie ließ sich einfach nur in Gabrielas Armen wiegen. Die Nähe eines Menschen der ihr vertraut war.

„Sag mal, wie bist du eigentlich auf die Idee gekommen, das ich euch vertreten und, möge es die Göttin verhindert, im Ernstfall ersetzen soll? Es gibt doch noch so viele andere, die ebenfalls imstande dazu wären.“ Erkundigte sich Gabriela.

„Du bist einfach die Beste. Ich wüsste so spontan niemand der oder die in der Lage wären. Du bist mit der Gemeinschaft gewachsen, kennst Elena schon viel länger als ich. Wer würde sich besser eignen?“

„Wer hätte gedacht, dass die Gemeinschaft einmal solche Dimensionen annimmt?  Selbst Elena nicht. Aber eine Nachfolge für Elena? Nie habe ich mir darüber Gedanken gemacht. Das ist so unwahrscheinlich. Sie ist unersetzbar! Wir können im günstigsten Falle versuchen zu bewahren, ein auseinander brechen aber droht immer. Ich glaube, dass ist eine offene Frage, die wir uns  bisher nicht stellten. Warum auch? Die starke Elena, ständig darum bemüht für andere da zu sein. Keiner hat an sie gedacht, dich sicher ausgenommen, aber wir? Das sie einmal unserer Hilfe bedarf, damit rechnete keiner.“

„Das ist es wohl! Wir haben uns immer auf ihr Charisma verlassen und eigene Entscheidungen zurückgestellt, Elena wird’s schon richten. Dabei war sie es die uns immer wieder auf diesen Fehler aufmerksam machte. Nie hatte sie vor, so etwas wie eine Anführerin zu werden, geschweige dem eine Königin. Ein kluger Schachzug Colette dieses Amt zu überlassen. Genau das wollen aber die meisten in ihr sehen. Werden die Menschen je imstande sein sich selbst zu regieren, Gabriela?“

„Schwere Frage! Ich denke im Moment auf keinen Fall. Da bedarf es wohl noch eine Menge an Überzeugungskraft. Da werde Jahre ins Land gehen.“

„Das fürchte ich auch. Ich wollte doch nichts anderes als ein normales Familienleben. Elena und ich und die kleine Tessa. Haben wir ein Recht darauf? Ein kleines Stück vom ganz privaten Glück. Wir hatten so wenig voneinander, die letzten Monate. Ständig war sie unterwegs, ich hatte hier vor Ort alle Hände voll zu tun. Manchmal sahen wir uns tagelang überhaupt nicht. Und jetzt? Einfach alles aus und vorbei?“

Gabriela drückte Madleen fest an sich so dass sie fast in ihren Armen versank.

„Ich bin überzeugt dass ihr Elena findet und sie sicher und wohlbehalten nach Hause bringt. Quäle dich nicht mit solch negativen Gedanken. Aber du hast Recht, ein privates Glück scheint für jemand wie Elena nur sporadisch möglich. Menschen wie sie leben immer öffentlich. Sie gehören allen, deshalb ist es so schwierig seine eigene kleine Welt zu bauen, ein Nest dass Geborgenheit und Rückzug ermöglicht. Wie gut habe ich es doch. Ich habe einen Mann und ich habe Kristin. Wir haben uns wunderbar arrangiert. Kristin ist mein Sonnenschein. Ich könnte mich ohrfeigen, dass ich sie vorhin so bloßstellte. Da muss ich heute Nacht besonders nett zu ihr sein um das wieder zu kitten.“

 

„Mein Bett bleibt kalt in dieser Nacht. Ich werde die Einsamkeit und die Unsicherheit kaum ertragen können. Aber irgendwie muss ich da durch.“

„Bleib nicht allein in dieser Nacht! Komm doch mit zu uns. Oder noch besser geh zu Colette, deren Nähe wird dir im Moment am besten tun.

 

Madleen ging weder zu Gabriela noch zu Colette. Sie verbrachte die Nacht allein. Sie durfte sich jetzt nicht gehenlassen, versuchte sich zu sammeln und ihre Konzentration ganz auf den vor ihr liegenden Tag zu richten.

 

Es war noch sehr früh, kaum dass ein fahles Licht am Horizont die Ankunft des neuen Tages verriet, als sich jene, die sich an der Suchaktion beteiligen wollten am vereinbarten Ort eingefunden hatten.

Madleen fühlte sich müde und abgespannt, während sie sich durch die Dämmerung bewegte. Ihr fröstelte. Sie hatte kaum geschlafen die Nacht. Und wenn sie mal für einige Augenblicke in einen leichten Schlummer sank, wurde sie noch von Alpträumen heimgesucht. Nun legte sich ein beklemmendes Gefühl der Angst eiskalt auf ihre Brust. Niemand konnte mit Sicherheit sagen was geschehen würde an diesem Tag.

Die kleine Gruppe war, wie vereinbart, am großen Tor versammelt. Auch der Bote war zugegen, der nun vollends seine Selbstsicherheit wieder gefunden schien. Kalte Überheblichkeit blitze in seinen Augen. Madleen misstraute ihm zutiefst, der führte irgend etwas im Schilde, aber sie waren auf ihn angewiesen.

Außer Alexandra und Kristin hatten sich noch Chantal und Inga eingefunden, Chantal sollte den alten LKW bedienen. Alles musste so unauffällig wie möglich von statten gehen, nur ja keine Aufmerksamkeit auf sich lenken. Auch in der Abtei waren nur wenige in ihr Vorhaben eingeweiht.

Plötzlich stand Colette vor ihnen. Ihre markante Erscheinung hatte sie in eng an liegende Lederkleidung gehüllt.

„Colette, du hast dich wohl verlaufen? " Begrüßte sie Madleen.

„Entschuldige, dass ich bei eurer Unterredung gestern nicht anwesend sein konnte, es ging mir mal wieder nicht gut. Heute ist es deutlich besser. Ich werde mit euch kommen.“

„Ich fühle mich sehr geehrt dass die Königin von Akratasien mich begleiten will. Doch aus eben diesem Grund muss ich ablehnen. Es wird gefährlich Colette und mit deiner Gesundheit steht es nicht zum Besten. Vor allem bist du hier unabkömmlich. Sollten Elena und ich nicht zurückkommen braucht dich Anarchonopolis und ganz Akratasien um so mehr, dann bist du die Anführerin und Gabriela wird dich dabei als Kanzlerin unterstützen.“

„Ich bin mir meiner Aufgaben bewusst. Aber wie ich dir schon sagte, ich spüre Elena, so wie du selbst. Im Verein sind wir stärker und können um so mehr bewirken.“ Beharrte Colette weiter auf ihrem Vorhaben.

„Wir haben einen Boten der uns zu Elena führen wird. Ich traue dem Typen nicht. Es kann gut sein, das er uns in eine Falle lockt. Die hätten somit alle Trümpfe in der Hand. Neben Elena auch noch dich und mich, ferner Chantal, Kristin und Alexandra. Ein fetter Brocken. Dann wäre die Akratasische Föderation ihrer leitenden Persönlichkeiten auf einen Schlag beraubt."

„Ein Grund mehr das ich mit euch komme. Nicht als Königin oder sonst etwas, als Schwester, bereit sich für eine Schwester hinzugeben.“

Madleen hatte dem nichts entgegen zu setzen und stimmte Colettes Vorhaben zu.

Sie nahm in der Fahrerkabine neben Chantal Platz, des weiteren der Bote, der ihnen den Weg zu weisen hatte.

Draußen gab es weitere Trennungsszenen. Ronald verabschiedete sich von Alexandra, Gabriela von Kristin, Inga von Sonia, die vor Angst um ihre Geliebte wie Espenlaub zitterte und kaum imstande war sie loszulassen.

Nicht anders erging es Eve, die Chantal unter keinen Umständen alleine ziehen lassen wollte.

„Du kannst mich nicht begleiten, Liebling. Mir ist bedeutend wohler wenn ich dich hinter den Mauern der Abtei in Sicherheit weiß. Du bist Ausländerin und mit unserer Sprache noch nicht ganz vertraut*. Glaub mir es ist besser für uns alle.“ Versuchte Chantal ihre Lebensgefährtin zu überzeugen.

„Aber ich will dich nicht alleine lassen. Ich möchte bei dir sein und helfen, das bin ich euch beiden schuldig, dir und Elena.“ Lehnte Eve zunächst ab.

„Wenn wir zurück sind gibt es noch genug zum Helfen, da bist du jederzeit willkommen. Jetzt aber wirst du nicht mit mir gehen.“

„Aber ich lasse dich nicht allein!“

„Eve, du bleibst hier! Sonst werde ich ernsthaft böse. Ich kann mich nicht zwei Dingen gleichermaßen widmen, deiner Sicherheit und Elenas Befreiung, das musst du doch verstehen!“ Drohte Chantal mit erhobenem Zeigefinger.

Mit gesenktem Kopf gab sich Eve schließlich geschlagen.

„Hey Chantal was ist denn? Alles wartet nur noch auf dich!“ Rief ihr Madleen aus der Fahrerkabine zu.

„Schon gut! Ich komme ja!“ Chantal befreite sich aus Eves Umarmung und eilte zum LKW, schwang sich auf den Fahrersitz und startete.

 

Ohne weiteres Palaver setzten sie sich in Bewegung. Die Hauptstadt wurde in einem großen Bogen um fahren.

Madleen hüllte sich in die Decke, die sie mitgebracht hatte. Das andauernde Gerüttel ließ sie immer wieder in einen leichten Schlummer gleiten aus dem sie ebenso regelmäßig aufschreckte. Der Bote lotste Chantal sicher durch die Gegend. Diese war eine sichere Fahrerin und steuerte alles was einen Motor aufzuweisen hatte, selbst einen Schaufelbagger hatte sie schon bedient.

Am Horizont entfaltete schon bald die Sonne ihre ganze Kraft. Endlich wurde es etwas wärmer.

Es versprach ein schöner Tag zu werden. Madleen lugte durch dass Fenster nach draußen.

Der Morgennebel auf den Feldern würde sich bald auflösen.

Wie liebte Elena doch diese Tageszeit, frühmorgens, wenn der Tag schon hell, doch der Sonnenball noch nicht über dem Horizont stand, im Freien zu wandern. Ihre Gefährtin hatte hingegen immer große Schwierigkeiten so früh aus den Federn zu steigen.

 

Hinten auf der Ladefläche schaukelte es noch ein wenig heftiger.

„Ich will nur hoffen, dass wir bald am Ziel sind, es dauert nicht mehr lange und mir wird von dem Geschüttel ganz übel.“ Jammerte Kristin.

„Das ist noch das Geringste worüber ich mir den Kopf zerbreche. Ich denke irgendwie haben wir uns alle nicht recht überlegt, was uns erwartet, wenn wir unser Ziel erreichen ,oder habt ihr was in Erfahrung bringen können wo genau es hingeht.“ Erkundigte sich Inga.

„Kein blasser Schimmer! Von dem Boten war nichts zu erfahren, der hütet sein Geheimnis gut. Ich traue dem Frieden ganz und gar nicht. Ronald konnte dem Gelaber ebenfalls nichts abgewinnen. Sicher, die Truppen des Innenministeriums sind aufgelöst. Hier und da wird es noch  Verhaftungen geben, gegen die höheren Dienstgrade. Dann kommt ein neuer Minister und in paar Wochen wird eine neue Truppe unter anderer Bezeichnung zusammengestellt, wahrscheinlich zu 80% aus der alten Besetzung. Die Bevölkerung vergisst schnell.

Ich vermute da ist was anderes im Spiel. Es könnte durchaus sein, dass wir direkt in eine Falle stolzieren.“ Mutmaßte Alexandra.

„Wirklich? Aber das ist ja… warum hast du uns das nicht schon mitgeteilt bevor wir dieses fürchterliche Auto bestiegen haben.“ Entsetzte sich Kristin.

„Aber du bist doch freiwillig mitgekommen, wie wir alle. So oder so, es ist gefährlich. Oder hättest du es dir am Ende dann doch noch anders überlegt.“ Wollte Inga wissen.

„Nein, natürlich nicht. Es geht um Elena. Deshalb sind wir alle dabei. Es ist nur so, ich möchte schon wissen wofür ich meinen Kopf hinhalte. Und wenn es von Anfang an als aussichtslos erscheint…“

„Ich glaube nicht das es aussichtslos ist,“ unterbrach Colette Kristins Redefluss. „Ihr habt doch das Amulett gesehen. Die haben Elena in der Gewalt, daran besteht kein Zweifel. Die wollen etwas aushandeln mit uns. Gut, das mit dem Unterschlupf in der Abtei will mir auch nicht so recht in den Kopf. Möglicherweise verlangen die Lösegeld und wollen sich ins Ausland absetzen. Ich denke das ist eher anzunehmen“

„Hm, das klingt schon realistischer. Aber warum hat  der Bote diese Forderung nicht schon gestern Abend vorgetragen? Dann hätten wir die Zeit nutzen können und das nötige beschafft. Stattdessen dieses Katz-und Mausspiel. Nein, da muss etwas ganz anders dahinter stecken, etwas, das wir gar nicht vermuten.“ Erwiderte Alexandra.

„Hast du irgendeinen konkreten Verdacht?“ Wollte Colette wissen.

„Nein, das nicht. Ich denke aber nur, das wir, wenn wir am Zielort eintreffen eine unerwartete Überraschung erleben, ich meine…“

Weiter kam Alexandra nicht. Denn mit einer Vollbremsung  brachte Chantal den LKW zum Stehen. Alle purzelten auf der Ladefläche ordentlich durcheinander.

„Ich glaube du hast Recht Alexandra. Das fängt ja gut an.“ Beschwerte sich Kristin und rieb sich den Hintern.

„Hat einer ne Ahnung wo wir sind? Da will ich doch gleich mal die Lage peilen.“ Meinte Colette und warf einen ersten Blick durch die Abdeckplane.

„Nichts und niemand zu sehen. Totale Wildnis. Da drüben das muss eine alte verlassenen Agrarkooperative sein.“

„Klar, die haben Elena natürlich so weit als möglich außerhalb der Stadt untergebracht.“ Entgegnete Inga.

In diesen Moment schlug Madleen von draußen die Plane zurück.

„Seit ihr noch alle in Ordnung? Wir sind da. Kommt alle runter, aber haltet euch so gut es geht hinter dem Fahrzeug auf. Ich traue dem Frieden nicht. Der Bote geht jetzt rein, um sich neue Anweisungen zu holen. Wir können nur abwarten.“

Nachdem alle abgesessen hatten, erschien auch Chantal am Ende des LKW.

„He, Chantal, du hast wohl Spatzen unter der Mütze? Was sollte denn diese Vollbremsung?“

Beschwerte sich Kristin.

„Na ich wollte nur sicher gehen, dass ihr auch alle hellwach seid, wenn wir unser Ziel erreicht haben.“ Gab diese zur Antwort.

„Haha, sehr witzig!“

„Lasst den Unsinn! Hier könnte es gleich ungemütlich werden. Seht zu das ihr keine Zielscheiben abgebt.“ Mahnte Colette.

„Also, Chantal, du bleibst hier beim Wagen. Achte darauf, dass du immer sofort startbereit bist. Es könnte sein, dass wir fluchtartig das Weite suchen müssen. Ihr anderen kommt alle mit. Immer beisammen bleiben. Ich habe keine Lust noch einen zu verlieren.“ Ordnete Madleen an.

Nach einer Weile erschien der Bote im Eingangstor und bedeutete ihnen mit einer Geste heran zukommen. Als alle vor ihm standen wehrte er ab.

„Madleen, du kannst mit kommen. Ihr anderen habt hier zu warten.“

„Das könnte dir so passen. Nein, wir lassen unsere Schwester nicht allein. Entweder wir gehen alle oder keiner.“ Lehnte Alexandra empört ab.

„Beruhige dich Alexandra. Wir werden tun was er sagt. Wir haben keine andere Wahl.

Ich gehe allein. Ihr wartet meine Anweisungen ab. Ich lehne es ab, euch unnötig in Gefahr zu bringen. Deshalb werdet ihr, wenn ich in einer Stunde nicht wieder draußen bin, in Richtung Heimat aufbrechen.“

„Das kann unmöglich dein Ernst sein. Weshalb hast du uns dann mitgenommen?

Um dich sinnlos zu opfern, bedarf es unserer Hilfe nicht.“ Antwortete Inga voller Wut.

Sanft legte Colette ihre Hand auf deren Schulter.

„Seid ohne Sorge. Ich spüre Elenas Kraft, sie ist uns ganz nahe. Die Angst die mich bisher gefangen hielt, ist verschwunden. Vertraut auch ihr unserer Kraft. Wäre Elena tot würde ich nichts mehr spüren, dann wäre der Faden zerschnitten. Nein sie lebt und sie wird mit uns weiter leben.“

"Colette hat Recht! Auch ich spüre ihre Anwesenheit!“ Bestätigte Madleen und folgte dem Boten nach drinnen.

Die anderen blieben etwas verloren zurück.

Erst jetzt konnte Elenas Gefährtin das Gebäude etwas genauer in Augenschein nehmen. Es handelte sich offenbar um eine ehemalige Agrarkooperative, die von den Leuten es Innenministeriums in ein Gefängnis umgebaut wurde, solche gab es verstreut an abgelegenen Orten im ganzen Land. Nie hätte sich Madleen träumen lassen einmal so ein abscheuliches Refugium betreten zu müssen. Doch wie durch ein Wunder war ihre Angst verflogen, sie hatte die anderen nicht belogen, sie spürte eine Kraft die langsam von ihrer Seele Besitz ergriff.

Zügig bewegten sie sich durch einen langen, weißgetünchten Gang, dann eine alte steile Holztreppe hinauf, die Stufen knarrten unter ihren Schritten, dann wieder einem Gang folgen.

An einer der Türen hielt der Bote an, klopfte vorsichtig, worauf aus dem Inneren ein forsche

„Herein!“ folgte.

Nachdem die Tür unter lautem quietschen geöffnet wurde, fanden sich beide in dem Zimmer wieder.

Das graue Licht des Morgens fiel durch die schmutzigen Fenster. Über dem ganzen Raum breitete sich eine düster-beklemmende Atmosphäre aus.

„Kommandant, ich bringe wie vereinbart die gewünschte Person.“ Berichtete der Bote.

„In Ordnung! Du kannst abtreten. Ich brauche dich nicht mehr. Alles Weitere werde ich allein bewältigen.“

Beim Klang der Stimme wurde Madleen von ohnmächtiger Wut ergriffen, denn die war ihr nur allzusehr vertraut. Rolf baute sich bedrohlich vor ihr auf. Sie musste sich beherrschen um ihr Entsetzen zu verbergen. Mit allem hatte sie gerechnet, nur nicht damit, plötzlich ihrem Ex-Mann gegenüber zu stehen. Kein Zweifel, es war eine Falle und sie war wie ein naives Kind hineingetappt.

„Ja, da staunst du, mit mir hattest du bestimmt nicht gerechnet. Ich habe dir damals  versprochen dass wir uns wieder begegnen. Mich wirst du so leicht nicht los. Und nun hat mir das Schicksal einen gewaltigen Trumpf in die Hände gespielt.“

„Du bist es wirklich, ganz real. Es ist kein Alptraum, aus dem man erwachen könnte, wenn es gefährlich wird. Welcher böse Geist hat dich hierher geführt?“ Antwortete Madleen voller Verachtung.

„Der Geist warst du. Durch dein Verhalten damals, du erinnerst dich? Als du mit Elena auf dem Hof deiner Eltern zu Besuch warst und sich die feindlichen Truppen gegenüberstanden.

Ich muss dir danken, denn durch eure Schuld wurde ich in Gewahrsam genommen. Das öffnete mir die Augen, ich begriff, dass ich auf der falschen Seite stand. Entfernte mich noch rechtzeitig von der Truppe. Unmittelbar danach traf alle die sich nicht rechtzeitig verdrückt hatten der Bannstrahl. Ich meldete mich beim Innenministerium und konnte wertvolle Hinweise erteilen, als Belohnung bekam ich diesem einträglichen Posten.“

Sein aufgesetztes Grinsen war erfüllt von Herablassung.

„Das passt genau zu dir, stets bereit die Seiten zu wechseln wenn es brenzlig wird, ein falsch oder richtig gibt es für dich nicht. Doch im Moment stehst du, wie ich höre,auf der falschen Seite, diesmal hast du den rechten Zeitpunkt für einen Absprung offenbar versäumt. Pech für dich, würde ich sagen. Eure Truppe ist aufgelöst. Bei wem oder was willst du dich jetzt anbiedern?“

„Das kommt ganz darauf an!“ Erwiderte Rolf hochmütig und ließ sich in einen Sessel fallen.

Sein arrogantes Machogetue widerte Madleen an, es würgte in ihrer Kehle, sie glaubte sich bald übergeben zu müssen. Doch sie durfte keine Schwäche zeigen, nicht diesem Mann gegenüber.

„Unsere Truppe hat beschlossen eine Zeit lang eure Gastfreundschaft zu genießen. Wir wollen einfach für ne Weile untertauchen in einer eurer Kommunen und abwarten. Kommt Zeit kommt Rat. Ich denke, es werden ein paar Wochen vergehen, möglicherweise auch Monate bis sich die Wogen einigermaßen geglättet haben. Während dieser Zeit werdet ihr uns mit allem nötigen versorgen und uns durchfüttern. Elena könnt ihr wieder haben, an ihrer Stelle wirst du als Geisel bei uns bleiben. Das ist mein gutes Recht, immerhin bist du noch immer meine Frau, oder hast du das vergessen? Wir genießen eure Gastfreundschaft solange bis Neidhardt eine Amnestie ausspricht und das wird er mit Sicherheit tun, dann werden wir uns ihm wieder zur Verfügung stellen.“

Madleen wurde von einem Geistesblitz erfasst. Das war es also! Rolf wollte sie! Und dazu war ihm jedes Mittel recht. Offensichtlich hatte er das von allem Anfang an vor. Elena diente als Lockvogel für seine ureigensten Ziele. Deshalb hatte er sich dem korrupten Innenminister angeschlossen. Dessen politische Ambitionen waren Rolf einerlei. Er wollte Madleen, er hatte es noch immer auf sie abgesehen.

„Das könnte dir so passen! Schlag dir das schnell wieder aus dem Kopf. Für wie blöd hältst du uns eigentlich?

Ach und was geschieht, sollte Neidhardt keine Amnestie veranlassen?“ Wollte sie wissen.

„Keine Sorge er wird. So eine kampferprobte Truppe kann man nicht ohne weiteres ersetzen.

Sollte er es wider Erwarten doch nicht tun, können wir uns immer noch ins Ausland absetzten, ausgestattet mit einem hübschen Sümmchen von eurer Föderation zusammengetragen. Und du wirst mich begleiten wohin auch immer ich gehe.“

„Ach und du glaubst, dass ich, das wir auf diese Unverschämtheit eingehen? Warum sollten wir? Das hast du dir fein ausgedacht. Aber ich muss dich leider enttäuschen, daraus wird nichts mein Lieber. Verschwinde wohin du willst, diene wem du willst, von mir aus auch dem Teufel persönlich, aber lass uns in Ruhe. Wir werden dich auf keinen Fall unterstützen.“

Madleens Augen sprühten Gift und stachen Rolf wie Skorpione. Nur mit Mühe und Not konnte sie es vermeiden ihm an die Gurgel zu springen.

„Oh, ihr werdet mir helfen, dessen bin ich mir sicher. Wir haben Elena und wenn ihr sie lebend wieder haben wollt, werdet ihr genau das tun was wir von euch verlangen.“

„Sobald wir Elena befreit haben, gehen uns eure Probleme nichts mehr an, dann kannst du mir auf dem Buckel steigen“

„Das könnte bald geschehen. Wenn ihr nicht gehorcht, wirst du schon jetzt bleiben. Glaubst du, ich wäre so töricht, Elena herauszugeben, ohne den Beweis, dass ihr Wort haltet? Sie bleibt im Gewahrsam. Ihr Leben gegen unseres.“

„Moment, Moment! Bevor ich etwas zusichere möchte ich Elena sehen. Jetzt, sofort!  Mit eigenen Augen und mich überzeugen das es ihr gut geht. Sollte das nicht der Fall sein dann mach dich auf etwas gefasst!“

„Du willst sie sehen? Von mir aus!“ Rolf erhob sich schwunghaft aus dem Sessel stieß seine Ex-Frau beiseite und öffnete die Tür.

„Folge mir!“

Madleen folgte wortlos. Angst und Hass wetteiferten in ihrem Inneren um die Vormacht.

 

Unterdessen hatten die Begleiter beschlossen die Lage zu peilen. Es schien keine Wachposten im Außenbereich zu geben.

Sie konnten die Schwester nicht ihrem Schicksal überlassen.

Auf irgendeine Art und Weise musste es ihnen gelingen in den Gebäudekomplex einzudringen.

Inga und Colette erkundeten den Hof und die direkt angrenzende Umgebung, nichts zu sehen.

Alexandra hatte schließlich ein halb geöffnetes Fenster im oberen Stockwerk entdeckt.

„Unmöglich da rein zu kommen.“ Wiegelte Kristin ab. „ Das kannst du vergessen, oder hast du die Absicht wie eine Spinne an der Wand zu kleben?“

„ Nicht an der Wand, aber sieh mal genauer hin, direkt daneben.“ Alexandra wies auf den Blitzableiter der etwa einen Meter entfernt vom Fenster an der Wand nach unten führte.

„Das sehen wir uns mal genauer an.“ Sie zog kräftig an der Metallstange, sie schien fest verankert. Die Halterungen boten genügend Platz für einen schmalen Fuß.

„Wir haben beide recht schmale Füße, wollen wir es versuchen?“

„Aber das ist doch nicht dein Ernst? Du willst da hoch steigen?“ Kristin blickte erschrocken die steile Wand entlang.

„Ich nicht? Wir werden es tun!“

„Du meinst ich soll… Nein, kommt  nicht in Frage. Ich denke gar nicht daran. Ich habe überhaupt keine Übung. Da liege ich schneller unten als ich denken kann. Und überhaupt, warum müssen wir eigentlich da rein. Was ist wenn uns dort oben einer der Wachmänner in Empfang nimmt, schon auf uns wartet?“

Kristin wollte sich zum Gehen wenden, Alexandra hielt sie am Arm fest.

„Wir haben noch gar keinen Wachposten gesehen. Na gut! Wenn du nicht willst, dann eben nicht, ich kann dich nicht zwingen. Aber denke daran, was Elena und Madleen für uns getan haben. Ich jedenfalls werde sie nicht allein lassen.“

Mit einem Satz hatte Alexandra sich an der Stange nach oben gezogen und die erste Verankerung erreicht. Unsicher blickte sie nach oben, der nächste Halt schien in einem größeren Abstand angebracht. Nach einigen Versuchen erreichte sie ihn doch, befand sich etwa in der Mitte zwischen Boden und dem zu erreichenden Fenster.

Kristin starrte unaufhörlich nach oben, mit einer Mischung aus Ärger und Ehrfurcht. Sorgenfalten legten sich ihr auf die Stirn.

„Verdammt! Wie kann man nur so töricht sein.“

Sie schwang sich ebenfalls an den Draht und stellte zu ihrer Überraschung fest, dass es ihr gar nicht schwer viel sich nach oben zu ziehen.

Schließlich hatte sie Alexandra erreicht.

„Geht es noch, oder soll ich dir runter helfen.“

„Auf keinen Fall, wir müssen nach oben. Jetzt habe ich es so weit gebracht. Aber es ist in der Tat schwieriger als ich es mir vorstellte.“ Gab Alexandra zu.

Colette hatte von weiten zugeschaut und kaum damit gerechnet, das die beiden soweit kommen würden. Leise vor sich hin schimpfend kam sie auf die Stelle zu gerannt.

„Seid ihr beiden verrückt geworden? Wollt ihr euch in den Tod stürzen? Los kommt runter da! Was wollt ihr erreichen? Das schafft ihr nie und nimmer!“

„Was wir begonnen haben, bringen wir zu Ende. Noch ein kleines Stück und wir haben es geschafft.“ Rief Alexandra angestrengt nach unten.

„Wartet! Ich komme auch mit! Wenn schon denn schon. Ich werde euch helfen.“

Colette machte Anstalten sich nach oben zu schwingen, doch es wollte nicht so recht gelingen.

„Auf keinen Fall Colette. Bleib unten! Du bist viel zu schwer. Wenn du auch noch an der Stange zerrst, reißt du sie aus der Verankerung.“ Wiegelte Kristin ab.

„Ach macht doch was ihr wollt!“

„Colette, suche Inga und begebt euch zum Eingang, wartet dort auf uns! Wir werden euch dann von innen öffnen.“

Befahl Alexandra. Unterdessen erreichten sie den Fenstersims. Das Fenster ließ sich leicht öffnen. Sie kroch hindurch und half im Anschluss Kristin in das Zimmer.

Niemand zu sehen! Keiner rechnete damit dass sich jemand auf diese Art Zugang verschaffte

Colette hastete zurück zum  Eingang. konnte aber Inga nicht ausfindig machen.

Kristin hatte beim Betreten des Zimmers aus Versehen einen Blumenständer mit Vase zu Boden gerissen, so dass es polterte.

„Pst! Ruhig! Wir dürfen doch keinen Lärm machen!“ Wies sie Alexandra zurecht.

„Entschuldige, hab ich doch nicht mit Absicht getan.“

„Komm jetzt, wir müssen zum Eingang, den anderen öffnen. Erst mal auskundschaften wo wir überhaupt sind.“

Alexandra öffnete übervorsichtig die Tür und betrat den Korridor. Alles ruhig, von der Decke spendete eine einzige total verstaubte Leuchtstoffröhre ein dumpfes Licht.

Aber das kam ihnen gerade recht.

„Die Luft ist rein. Jetzt so schnell wie möglich den Weg nach unten suchen.“

 

In der Zwischenzeit wurde Madleen von Rolf in den Keller geführt. Dunkelheit hüllte sie ein, so dass kaum etwas zu erkennen war. Es roch muffig, wehe dem, der hier längere Zeit zu verbringen hatte. Rolf schaltete ein Licht ein. Die verdreckten Kacheln an der Wand, vor undenklicher langer Zeit hatten sie einmal eine weiße Farbe, verrieten dass sie sich in einem ehemaligen Schlachthaus befanden. Das schien auch gut zu der bedrückenden Situation zu passen, in der sie sich befanden.

Rolf öffnete die Tür. Der Raum den sie jetzt betraten, war in ein durchsichtiges grau-grün schimmerndes Licht getaucht, wie Seewasser in der Sonne.

Elena lag, nur mit einem dünnen Unterhemd bekleidet, auf einer Pritsche, die Hände nach hinten gefesselt. Sie schien zu schlafen, oder war es eine Ohnmacht? Madleen konnte es nicht deuten. In dem Moment, wo sie ihrer ansichtig wurde, erfasste sie eine maßlose Wut.

Eine Welle von Ärger formte sich in ihrem Körper, glitt die Wirbelsäule entlang und entlud sich in ihren Worten.

„Du Dreckskerl, was habt ihr mit ihr gemacht? Das wirst du mir büßen. Du bist kein Mensch mehr und du hast es nicht verdient als Mensch behandelt zu werden.“

Sie rannte zu Elena und betastete ihren Körper, sie atmete. Der Göttin sei Dank, sie ist am Leben. Aber in welchem Zustand?

„Gib mir sofort den Schlüssel um die Handschellen zu öffnen!“

Rolf zögerte einen Moment, doch dann warf er ihr ein Bündel zu. Nur mit Mühe verfehlte es ihren Kopf.

„Von mir aus! Nützen wird es euch aber gar nichts, denn hier kommt ihr nicht mehr raus!“

Voller Verzweiflung betrachtete Madleen die vielen Schlüssel. „Welcher ist es?  Sag schon,verdammt noch mal!"

„Ich denke nicht dran, das musst du schon allein herausfinden.“ Ein schallendes Gelächter folgte.

In größter Panik versuchte sie nun einen Schlüssel nach dem anderen, ihre Augen füllten sich mit Tränen und die feuchten Hände begannen zu zittern.

Rolf labte sich an diesem Ausdruck abgrundtiefer Verzweiflung.

Endlich hatte Madleen den richtigen Schlüssel und löste die Fessel. Dann drehte sie Elena auf den Rücken. Erst jetzt entdeckte sie die vielen blauen Flecke und Prellungen. Außerdem war sie offenbar mit einer Droge betäubt wurden.

„Wie du siehst mussten wir ein wenig Gewalt anwenden. Aber nach einer Weile hat sie es uns dann ausgesprochen leichtgemacht. War gefügig wie ein Lamm.“

Nun drohte Madleen jedwede Beherrschung zu verlieren. Ihr Magen krampfte sich zusammen.

In Sekundenbruchteilen erinnerte sie sich all der Techniken der Selbstverteidigung, die Elena ihr gelehrt hatte.

Es gelang ihr sich zu sammeln, Rolfs widerliches Gelächter schwappte an ihr vorüber wie ein Wasserfall. Langsam, ganz langsam erhob sie sich und atmete tief durch. Es funktionierte, ein Energiefluss durchflutete ihren Körper vom Kopf bis zu den Füßen. Jeden Moment konnte sie zur Furie werden. 

Sie richtet ihren hasserfüllten Blick auf Rolf, ihre Augen drohten ihn zu durchbohren, sein höhnisches Gelächter verstummte abrupt. Noch ehe er etwas sagen oder auch nur denken konnte, erhob Madleen in Windeseile ihr linkes Bein, holte schwungvoll aus und traf Rolf mit voller Wucht in der Magengrube. Dieser klappte wie ein Taschenmesser zusammen und landete auf dem Boden.

Rolf krümmte sich wie ein Wurm am Boden, röchelte und keuchte so als wolle er jeden Moment seinen Geist aufgeben.

Madleen wand sich schnell wieder Elena zu und nahm sie in die Arme.

„Elena mein Liebling, was ist mit dir. Ich bin es Madleen. Ich hole dich hier raus. Sei ohne Sorge, gleich haben wir es geschafft.“

Elena stöhnte nur ganz leise, kaum wahrnehmbar vor sich hin. Endlich öffnete sie ihre Augen.

Sie wollte etwas sagen, doch ihren Lippen gelang es nicht, die Worte zu formulieren.

„Du brauchst jetzt nichts zu sagen. Alles wird gut, glaub mir alles wird gut! Ich bin bei dir!“

Madleen war so mit Elena beschäftigt, dass sie die goldene Regel vergaß. Dem Gegner niemals den Rücken kehren!

Nachdem Rolf sich wieder gefasst hatte, schlich er sich von hinten an, nahm sie in den Würgegriff und zog sie mit einem Ruck zum Ausgang hin.

Madleen wurde schwarz vor Augen. Todesangst bemächtigte sich ihrer.

Rolf zog sie vor die Tür. Hilflos ruderte sie mit den Armen, bis sie sich endlich wieder besann.

Das alles geschah in Sekunden, doch ihr kam es vor wie eine Ewigkeit. Kraftvoll holte sie aus  und rammte Rolf den Ellenbogen in die Magengrube, laut aufschreiend ließ er los und

krümmte sich erneut vor Schmerz, doch viel Zeit blieb ihm nicht um die Wunden zu lecken, denn schon traf ihn die volle Wucht von Madleens Stiefel im Gesicht. Und noch einmal und noch einmal. Sie drehte sich wie ein Kreisel auf der Stelle und traf ihn abwechselnd einmal mit dem linken, einmal mit dem rechten Fuß. Er bekam jetzt die Abreibung seines Lebens. Mit barer Münze zahlte sie ihm heim, was sie vor Zeiten von ihm hatte ein stecken müssen.

Elena hatte kurzzeitig das Bewusstsein wieder erlangt und betrachtet das Geschehen voller Entsetzen, sie wollte ihrer Geliebten zu Hilfe eilen, doch ihr Körper versagte den Dienst.

Unter großen Schmerzen gelang es ihr sich aufzurichten, doch stürzte sie von der Pritsche, kroch am Boden entlang.

„Bleib wo du bist Elena!“ Rief Madleen, doch im gleichen Moment traf Rolfs Handrücken ihr Gesicht. Der Schmerz fuhr ihr durch den ganzen Körper, Blut floss aus ihrer Nase. Instinktiv lief sie eine Treppe hinauf, sie wollte Rolf auf jeden Fall von Elena entfernen, sollte er sie ruhig verfolgen, draußen hoffte sie auf  die Hilfe der anderen.      

Die schwere Stahltür ließ sich problemlos öffnen. Madleen wähnte sich schon in Sicherheit.

Doch welch ein Schreck. Sie stellte zu ihrem entsetzen fest, dass sie sich auf einer Rampe befand.

Vor ihr ging es mindestens 6 m in die Tiefe. Sollte sie springen? Möglich das sie das sogar ohne Blessuren überstand. Aber Elena wäre wieder in der Gewalt dieses Sadisten.

Nein, sie musste weiter kämpfen, es gab keinen Ausweg.

 

„So jetzt hab ich dich du Hexenweib, du Flittchen! Jetzt mache ich dich fertig. Erst dich und danach deine Freundin. Wenn ich dich nicht haben kann, dann sollst du sterben.“

In der Hand hielt er einen langen Dolch.  Jetzt schien Madleen verloren. Ihr Blick fiel auf die Wand gegenüber.

Dort lehnte eine lange etwa 2 m lange Metallstange, jene von der Art mit der man Würste im oberen Bereich einer Räucherkammer aufhängen kann, der Widerhaken schien abgebrochen, doch das tat nichts zur Sache. Für ihr Vorhaben benötigte sie keinen. Jetzt erwachte die Tänzerin in ihr, die ihren elastischen geschmeidigen Körper problemlos in den Lüften herumwirbeln konnte. Um ihn besser beherrschen zu können, trainierte sie eine Zeitlang intensiv Stabhochsprung. Sie hatte nur einen Versuch, misslang dieser, war sie verloren, Elena und wahrscheinlich auch alle anderen die mit ihr gekommen waren.

Sie entdeckte einen Spalt in dem zerbröckelten Betonboden, rammte die Stange hinein und schnellte blitzschnell mit ihrem ganzen Körper nach oben. Beide Füße trafen Rolf, so dass dieser nach hinten an eine Wand geschleudert wurde.

Das Holz brach und Madleen landete auf dem Boden. Doch seinen Zweck hatte es erfüllt.

Der Dolch war verschwunden, offenbar die Rampe hinunter gefallen.

 Noch aber war Rolf nicht ganz außer Gefecht. Mühsam richtete er sich wieder auf. Sie benötigte auch eine Zeit um wieder auf die Beine zu kommen. ihr Widersacher nutzte das aus und griff nach einem alten, steinernen Blumenkübel der an der Wand lehnte, diesen gedachte er nun mit voller Wucht auf Madleen werfen. Doch er übersah dabei das er sich zu nahe am Abgrund befand. Die Last war zu groß,  er verlor den Halt und stürzte in die Tiefe.

Erschrocken kroch Madleen auf allen Vieren zur Kante und blickte nach unten. Rolf lag regungslos am Boden, er war tot. Offenbar hatte er sich beim Aufprall das Genick gebrochen.

Diese Gefahr war ausgelöscht, aber es gab noch andere und Elena befand sich noch im Inneren.

 

Die hatte sich mit Mühe und Not am Türrahmen nach oben gezogen. Nun stand sie wackelig auf zwei Beinen und es gelang ihr sogar ein paar Schritte den Korridor entlang zu laufen. Alles drehte sich und es dröhnte fürchterlich in ihrem Kopf. Madleen schoss um die Ecke des Korridors und eilte ihrer Geliebten entgegen. Elena kam ins Stolpern und sank in deren Arme.

 

 Alexandra und Kristin näherten sich der Eingangstür öffneten diese, so das Colette das Haus betreten konnte.

„Wo hast du  Inga gelassen?“ erkundigte sich Alexandra leise.

„Konnte sie nicht finden, die läuft irgendwo da draußen im Gelände rum. Ich wollte nicht nach ihr rufen, um keine Aufmerksamkeit  auf uns zu lenken.“ Antwortet Colette.

„Na prima!“

Zu dritt huschten sie nun durch den Flur. Aus einem Winkel vernahmen sie Stimmen.

Zwei Männer saßen in einem kleinen Zimmer und spielten Karten. Der eine war der Bote von gestern, den anderen kannten sie nicht. Sie scheinen so vertieft in ihrem Spiel, dass sie die Eindringlinge bisher nicht bemerkt hatten. Wollte sie passieren, so mussten sie die beiden vorher unschädlich machen.

„Wir kommen nicht vorbei. Wir müssen sie überwältigen.“ Stellte Colette fest.

„Das weiß ich auch, fragt sich nur wie? Ich gehe davon aus das die geladene Waffen dabei haben.“ Sorgte sich Alexandra.

„Lasst mich nur machen.“ Meinte Kristin und bewegte sich geschwind auf die Tür zu.

„He Kristin was machst du? Hast du den Verstand verloren.“ Alexandra versuchte sie noch auf zuhalten, doch es war zu spät.

„Na ihr zwei, so allein am Morgen. Ihr habt doch bestimmt nichts dagegen das ich euch ein wenig Gesellschaft leiste!“ Sprach Kristin die beiden mit sinnlicher Mimik an.

„Wie… wie bist du hier herein gekommen, die Türen waren doch fest verschlossen?“

Erwiderte der Bote sichtlich erschrocken.

„Ich finde immer einen Eingang.“ Kristin ließ sich auf dem Schoß des anderen nieder.

„Das ist eine von Madleens Begleitung. Sprich, wo sind die anderen?“

„He, mach doch nicht so einen Hermann. Ist doch egal. Die Kleine hier ist richtig. Na, wie heißt du denn meine Zuckerpuppe?“

„Hast du nicht gehört was ich gesagt habe. Es waren noch andere dabei.“ Der Bote deutete die Gefahr richtig.

„Die andern sind draußen. Ich habe mich durch ein Fenster gezwängt. War ziemlich eng.

Seht euch mal meine Figur an. Ich kommen überall durch.“ Kristin begann ihre Jacke zu öffnen.

„Ja, das sieht man. Mach nur weiter. Ein wenig Abwechslung kommt uns in dieser Einöde gerade recht.“ Meinte der andere und begann an Kristin herumzufummeln..

 Kristin holte aus und ließ mit voller Wucht ihre Handflächen auf dessen Ohren fahren , ein lauter Aufschrei war die Folge

„Hab ich dir doch gesagt, dass man diesem Luder nicht trauen kann.“ Der Bote sprang vom Stuhl.

Im gleichen Moment stürmten Alexandra und Colette zur Tür herein und überwältigten ihn. Noch bevor der andere wieder zur Besinnung kam, hatte sie auch ihn außer Gefecht gesetzt.

„Das war spitzenmäßig Kristin! Ich dachte schon du musst dich bis auf die Haut ausziehen.“ Stänkerte Alexandra ein wenig.

„Um ein Haar hätte ich es tun müssen!“

„Kommt jetzt, wir haben keine Zeit zum Palaver.“ Forderte Colette auf.

Dann stürmten sie den Korridor entlang. Kristin hatte Problem Schritt zu halten, da sie sich während des Laufens  wieder anziehen musste.

Es hieß weiter auf der Hut sein, denn es musste damit gerechnet werden, dass noch weitere Wachposten auftauchten.

 

Unter große Schwierigkeiten bewegte Madleen ihre Geliebte den Korridor entlang. Es blieb ihr nichts übrig als deren besinnungslosen Körper hinter sich her zu schleifen. Der Kampf hatte ihr schon eine Menge  Kraft gekostet.

Aber sie musste Elena in Sicherheit bringen.

Da hörte sie Schritte auf dem stumpfen Parkettfußboden. Wer mochte das sein. Angst schlich sich ein. War am Ende doch noch alles vergebens. Während ihr die Gedanken durch den Kopf schossen lief sie ihrem Freunde direkt in die Arme.

„Ihr seid es! Mensch hab ich mich erschrocken. Ihr kommt gerade recht. Wir müssen Elena nach draußen bringen und dann nichts wie weg.“

„Um Himmelswillen was ist denn passiert.“ Wollte Alexandra wissen.

„Erklär ich euch später. Erst mal raus, nur raus!“

Alle packten mit an und trugen Elena den Korridor entlang, die Treppe runter bis zum Ausgang. Dort wartete Inga und konnte ebenfalls mit zufassen. Sie erreichten den LKW.

Chantal hielt ihn wie vereinbart startbereit.

Colette du gehst mit ins Führerhaus! Wir anderen kümmern uns um Elena!“ Wies Madleen an.

Sie hüllten Elena in die reichlich mitgebrachten Decken und hielten sie warm und weich. Madleen hielt sie fest in ihren Armen... Chantal setzte den LKW in Bewegung und brauste davon.

 

Die Fahrt verlief ohne weitere Komplikationen. Während der Fahrt hatte Madleen ausreichend Zeit Bericht über ihre Erlebnisse zu erstatten. Dabei stellte sie fest, das sowohl Inga von außen, als auch Alexandra und Kristin von einem Fenster aus ihren Kampf beobachtet hatten. Sie konnte sicher gehen, dass bald die gesamte Föderation davon Wind bekam, eigentlich gedachte sie darüber zu schweigen, zu sehr hatte ihre Seele darunter gelitten.

 

Es war schon später Abend als sie in Anarchonopolis eintrafen. Die Dämmerung ließ nur noch wenige kraftlose Strahlen durch die Bäume sickern.

Sie beförderten Elena in den zweiten Stock des Konventsgebäudes, dort wo sich deren WG befand.

Endlich war es geschafft.

Doch erst jetzt wurde sich Madleen der ganzen Tragweite bewusst. Gemeinsam mit Alexandra und Colette stand sie am Fußende des Bettes und blickten auf die vor sich hin dösende und leicht stöhnende Elena.

„Was können wir nur tun? Ist sie schwer verletzt? Hast du schon nach gesehen?“

Flüsterte Alexandra.

„Nein! Wann denn? Ich hatte ja noch keine Gelegenheit dazu!“ Gab Madleen ebenso leise zurück.

„Dann müssen wir es jetzt tun!“ Gemeinsam schlugen sie die Decke weg und befreiten Elena von ihrer spärlichen Bekleidung. Entsetzt betrachtete sie ihren nackten Körper, über und über mit blauen Flecken und Prellungen übersät.

„Oh, mein Gott!“ Madleen hielt sich die Hände vors Gesicht. „Was habe dir diese Schweine angetan?“

In diesem Moment betrat Kristin das Zimmer hielt bei Elenas Anblick ebenso entsetzt den Atem an.

„Kristin geh und hole Gabriela!“ Forderte sie Alexandra auf.

„Ich bin schon auf dem Weg!“

In Madleens Augen glänzten die Tränen der Verzweiflung. Sie setzt sich an die Bettkante, langsam berührte sie Elenas Körper, Colette tat es ihr gleich von der anderen Seite aus.

„Wenn… wenn ich nur wüsste, ob sie schwer verletzt ist, womöglich hat sie innere Verletzungen oder so etwas.“ Schluchzte Madleen.

Es war beklemmend, da lag sie, Elena, die große Ärztin für Leib und Seele, die so vielen hatte helfen können, hilflos wie ein kleines Kind und bedurfte nun selbst der helfenden Hände.

Behutsam bettete sie Elenas Kopf in ihrem Schoß und begann sanft auf sie einzureden.

„Elena bitte sag doch etwas, irgendein Lebenszeichen. Ich bin es,deine Liebste. Du bist zu Hause. Der Alptraum ist vorüber.“

„Es ist  zwecklos. Lass sie einfach schlafen. Mehr können wir im Moment nicht tun.“ Versuchte Colette zu beruhigen.

Die Tür öffnete sich und Gabriela trat ein, außer ihr noch Kristin und Valeria.

Auch Gabriela wirkte sichtlich erschrocken als ihr Blick auf den Geschundenen Körper fiel.

„Tja, die große Ärztin wüsste jetzt Rat, nun liegt sie selbst danieder, aber wir müssen einen Arzt kommen lassen. Sie muss untersucht werde, um festzustellen, ob sie schlimme innere Verletzung davon getragen hat. Wie wissen ja nicht was die alles mit ihr angestellt haben.“

Stellte Gabriela fest.

„An wen denkst du? “Wollte Alexandra wissen.

„Natürlich, der alte Kurt!“ Wir haben zwar noch einige andere hier auf dem Gelände, aber bei ihm weiß ich Elena in sicheren Händen.

Ansonsten will ich keine weiteren Männer hier an Elenas Bett sehen. “ Entschied Gabriela.

„Kristin, du weißt wo Kurt zu finden ist, geh und hole ihn.“

„Ich… ich werde gehen, lass mich das tun!“ Drängte sich Valeria vor und war verschwunden, noch bevor sich Kristin regen konnte.

Der ganze Trubel im Haus hatte dafür gesorgt, dass die kleine Tessa aus dem Schlaf gerissen wurde und sich zum Schlafzimmer ihrer Mutter bewegte. Zaghaft öffnete sie die Tür, sich dabei noch den Schlaf aus den Augen reibend.

„Mama… Mama!“ Machte sie sich mit leiser Stimme bemerkbar.

„Um Himmels willen, Tessa mein Spatz. Wir haben gar nicht mehr an sie gedacht. Sie darf Elena auf keinen Fall in diesem Zustand sehen.“ Erschrak Madleen.“ Kann sich eine von euch darum kümmern, schnell?“

„Ja, ich!“ Kristin hockte sich auf den Boden, schloss Tessa in die Arme.

„Komm her mein kleines. Was machst du denn hier. Kleine Mädchen sollte doch um diese Zeit schlafen.“

„Mama.. will zu Mama, will zu Mama! Stammelte Tessa weiter

Mit ihren drei Jahren bekam sie schon eine Menge mit. Dass ihre Mutter des Öfteren länger Zeit unterwegs war, störte sie nicht weiter, daran war sie gewöhnt, Madleen war ihr eine ausgezeichnete Ersatzmutter. Doch diesmal stimmte etwas nicht. Das sorgenvolle Getue der Erwachsenen verriet das Ihre kleine Welt in Gefahr war.

„Das geht nicht, Kleines. Die Mama ist krank und braucht viel Ruhe, damit sie bald wieder richtig gesund wird.“

Kristin erhob sich vom Boden, drückte Tessa fest an sich, damit diese nichts sehen konnte, dann verließ sie den Raum. Sie brachte Tessa wieder ins Kinderzimmer. Bettete sie in die Decke und nahm neben ihr Platz um weiter beruhigend auf sie einzuwirken.

„So und nun wird geschlafen. Morgen früh ist alles schon viel besser. Die Mama wird sich bald wieder um dich kümmern können.“

„Madleeeen, will zu Madleen!“

„Schau mal, die Madleen muss sich um die Mama kümmern. Die hat im Moment auch keine Zeit für dich. Tja, was machen wir denn dann?“

„Hier bleiben, hier bleiben, nicht fortgehen!“ Bettelte die Kleine.

„Selbstverständlich bleibe ich bei dir!  

Kristin entkleidete sich und schwang sich unter die Decke, schlang ihre Arme um Tessa.

Bald sanken beide zufrieden in den Schlummer.

 

Valeria konnte in der Zwischenzeit den alten Kurt ausfindig machen, der ihr bereitwillig folgte.

Akribisch genau ertastete er Stück für Stück Elenas Körper. Horchte sie ab, drehte und wendete sie.

„Kannst du etwas feststellen, Kurt? Hat sie schlimme Verletzungen?“

Sorgte sich Madleen.

„Nein, nichts gebrochen. Nur zahlreiche Prellungen und Blutergüsse. Viel können wir im Moment nicht tun. Ich lasse euch genügen Schmerzmittel da, sollte sie etwas benötigen, aber da kennt sie sich selbst am besten damit aus. Wir lassen sie schlafen, das ist jetzt das Beste. Denn vor allem braucht sie Ruhe. Ich mache mir vor allem Sorgen um ihren psychischen Zustand. Vermutlich hat sie einen schweren Schock davongetragen. Ferner ist sie mit Sicherheit unter Drogen gesetzt wurden. Du kannst mich jederzeit rufen lassen Madleen, solltest du meiner Hilfe bedürfen.

Ansonsten ist Elena bei dir ja in den besten Händen.“

„Aber diese Ohnmacht? Ich weiß nicht, ist das denn normal?“ Wollte Colette wissen.

„Das ist es was mir Sorgen macht.“ Bestätigte Kurt. „Sie scheint im Moment weit, weit weg. So als ob ihre Seele gar nicht in ihr steckt. Aber Elena ist stark, stärker als wir alle. Sie wird es schaffen, davon bin ich überzeugt.“

„Ich danke dir Kurt! Du hast uns sehr geholfen.“ Drückte Madleen ihre Dankbarkeit aus.

„War doch selbstverständlich. Wie gesagt, hol mich, sollte es irgendwelche Komplikationen geben. Ansonsten weiß du was du zu tun hast Madleen.“

Diese geleitete Kurt noch zur Tür.

„Ihr solltet euch jetzt auch schlafen legen. Im Moment können wir in der Tat nichts weiter tun. Ich bin bei ihr. Ich werde bei ihr wachen. Es bringt nichts, wenn ihr euch auch noch die Nacht um die Ohren schlagt.“

„Du hast Recht, immerhin war es  auch ein anstrengender Tag für uns alle, es dauert nicht mehr lang und der Tag bricht an.“ Stimmte ihr Alexandra zu.

„Apropos, wo ist eigentlich Tessa und hat einer von euch Kristin gesehen?“ wunderte sich Gabriela.

„Ich weiß nur dass sich Kristin um Tessa kümmern wollte“ Erinnerte sich Colette.

Leise schritten sie zum Kinderzimmer. Gabriela öffnete sanft die Tür. Ein friedliches Bild bot sich ihnen, nach all den Strapazen des Tages.

Tessa ruhte ruhig und glücklich an Kristins Brust.

„ Komm schnell, sie dir das an!“ Flüsterte Gabriela und bedeutete Madleen zu kommen.

„ Süß, nicht!“

„Ja, das ist es wahrhaftig. Lasst sie schlafen. Das ist mir schon mal eine große Hilfe. Kristin ist und bleibt das perfekte Kindermädchen.“

Dann schlossen sie die Tür und begaben sich zur Ruhe, alle, mit Ausnahme von Madleen.

Für sie setzte sich das bange Warten fort. Sanft bettete sie sich an deren Seite, umschlang diese, so als wolle sie damit zum Ausdruck bringen, Elena und sie waren eins. Dieses Ereignis hatte die beiden nur noch enger an einander geschmiedet.

 

Schlaf fand Madleen keinen, zu groß waren die Sorgen. Elenas Körper war zu Hause, in Sicherheit. Doch wo war ihr Geist, ihre Seele? Die befand sich irgendwo in einem Niemandsland. In einem Stadium zwischen Traum und Wirklichkeit.

 

Elena sah sich durch eine zerstörte Stadt laufen. Trümmer überall Trümmer, hier und da loderten Feuer auf, Rauchschwaden lagen über dem Ort und verbreiteten einen beißenden Gestank. Kein Mensch zu sehen, alles ausgestorben. Elena versuchte zu entkommen, doch eine mysteriöse Macht schien sie mit aller Kraft daran zu hindern. Elena war sich der Tatsache

 bewusst, dass sie sich nicht in der realen Welt befand, sie spürte ihren Körper nicht. Durch tiefe Meditationsübung hatte sie inzwischen die Gabe der Unterscheidung erlernt. Sie wusste dass sie träumte, aber diesmal hatte sie scheinbar keinen Einfluss auf den Verlauf des Traumes.

Ihr Zustand schwankte zwischen Gelassenheit und Neugier auf der einen, Angst auf der anderen Seite.

Sie ahnte dass ihr Körper in Sicherheit war. Doch würde ihre Seele wieder zu ihm finden?

Mit großer Anstrengung bewegte sie sich auf den Ausgang des Ortes zu, endlich schien die Kraft sie loszulassen. Sie erklomm einen Hügel und betrachtete den Ort von Ferne.

Wo bin ich? Ich habe das alles schon einmal erlebt, aber wo? Ewigkeiten müssen seither vergangen sein.

„Komm zu mir Elena, meine Tochter! Komm zu mir! Verweile nicht an diesem unwirtlichen Ort. Komm zurück in dein Mutterland. Komm zurück zu dem was dir entspricht.“

Süß und betörend klang die Stimme die da nach ihr rief. Elena zögerte keine Sekunde um ihr zu folgen, nur weg von diesem Ort.

„Wer bist du, was willst du von mir? Zeige dich mir! Ich möchte dich von Angesicht zu Angesicht schauen! Bist du es Anarchaphilia? Warum offenbarst du dich mir nicht, so wie sonst?“

Der Weg wurde von nun an besser. Der zerstörte Ort lag weit zurück, Elena begann diesen aus ihrer Erinnerung zu streichen.

Vor ihr breitet sich eine tiefgrüne Wiese aus, voll mit bunten duftenden Blumen.

Sie ließ sich auf der Wiese nieder, lehnte sich zurück und genoss die wärmenden Strahlen auf der Haut. Hatte sie sich im wirklichen Leben jemals so entspannen können? Wieder wurde ihr schmerzhaft bewusst,das hier nichts real war.

„Anarchaphilia, ich bitte dich, entlasse mich wieder in mein  Leben!“

„Wenn es das ist was du willst, bitte! Zunächst aber musst du deine Erlebnisse verarbeiten. Schlimmes ist dir widerfahren die letzten Tage, leider konnte ich dir diese Prüfung nicht ersparen, denn sie war ein entscheidendes Schlüsselerlebnis für dich und wird dich auf deinem Erkenntnisweg weiter nach vorne bringen. Dein Leib ist in Sicherheit bei Madleen und allen die dich lieben. Deine Seele bleibt noch eine Weile bei mir, solange bist du wieder bereit für die reale Welt bist. Bring dich jetzt in Sicherheit, denn auch hier im Schattenreich gibt es Unheilvolles, dem du dich entziehen musst.“

Plötzlich hörte Elena ein lautes Palaver. Dann sah sie Männer mit Speeren, die die kleine Anhöhe auf der sie sich befand ,hinaufstürzten. Es dauerte eine Weile bis Elena begriff: Sie war gemeint, sie selbst war die Jagdtrophäe. Gerade noch rechtzeitig gelang es ihr sich vom Boden zu erheben und zu flüchten.Nun hieß es laufe um dein Leben.

Es handelte sich hierbei offensichtlich um die Leute, die auch den hinter ihr liegenden Ort so zugerichtet hatten.

Einer hatte sich inzwischen so nahe an sie herangepirscht, das er ihr Kleid zu greifen bekam, er riss daran, nur mit Mühe konnte Elena sich seinem Griff entwinden, doch welch ein Schreck, nun war sie nackt. Splitternackt lief sie um ihr Leben. Welcher Alptraum. Sie sah nicht nach links oder rechts, sie sah nur den geraden Weg vor ihr. 

Ein Vogel kreiste über ihr, eine Art Bussard, doch dafür war er viel zu groß, eher ein Adler, mit einer atemberaubenden Flügelspanne. Kam er ihr zur Hilfe, oder beteiligte er sich auch noch an der Hatz. Elena konnte es nicht in Erfahrung bringen.

Gedankenfetzen schwirrten Elena durch das Hirn. Hatte nicht der Dichter Kovacs etwas ähnliches berichtet, damals als er davon berichtete wie er in das Reich Anarchaphilias eindrang. Doch klangen seine Schilderungen weitaus weniger dramatisch. Dort gab es keine Hetzjagd oder dergleichen.

Warum musste sie jetzt ausgerechnet an Kovacs denken? 

Nun ging es eine Anhöhe hinauf, der Weg wurde immer steiler. In der Ferne hörte sie das Rauschen eines Gewässers. Vor ihr tat sich ein Abgrund von Furcht erregendem Ausmaß auf. Es ging Hunderte von Metern in die Tiefe.

Eine Meeresbrandung, die schäumende Gischt brach gigantisch hohe Wellen an der Bucht.

Nun kam sie nicht mehr vorwärts. Die Männer stürmten in ihre Richtung, der Abstand verringerte sich von Augenblick zu Augenblick.

„Entscheide dich Elena!. So oder so, es bedeutet eine Art Tod! Doch verborgen im Tod liegt auch wieder der Keim für ein neues Leben!“ Hörte sie die vertraute Stimme.

Sie streckte die Arme weit nach oben und begann laut zu aufschreien, so als wolle sie die ganze Welt damit erwecken. Sie schrie sich die Seele aus dem Leib, alles schien in diesem Moment von ihr zu weichen. Nichts Menschliches blieb zurück.

„Elena, Elena, Liebling, was ist mit dir, warum weinst du, ich bin bei dir! Es gibt keine Gefahr, alles Täuschung, alles Illusion!“

Das war die vertraute Stimme der Gefährtin.

„Meine Geliebte wo bist du? Soweit entfernt! Ich kann dich nicht erreichen! Ich muss es tun, ich muss es einfach tun, es gibt keine Alternative!“

Elena stürzte sich in die Flut. Es wurde dunkle Nacht. Sie schien zu schweben. Alles  versank in einem Nirwana des Vergessens. Doch sie fühlte sich auf wundersame Weise geborgen. Von sanften Händen getragen. Die Hatz war vorüber. Hatte sie die richtige Entscheidung getroffen?

Madleens Bild erschien über ihr, doch es entfernte sich wieder, Elena streckte ihre Hand nach ihr. Dann versank sie in Bewusstlosigkeit.

Madleen hielt Elena in den Armen. Die hatte urplötzlich begonnen laut zu stöhnen, dabei wild gestikulierend, mit Armen und Beinen.

Es musste sich um einen Alptraum handeln. Endlich beruhigt sie sich wieder, doch Madleen stand der Angstschweiß auf der Stirn Sanft strich sie ihrer Geliebten die Wangen, bis diese wieder ruhig und ausgeglichen atmete.

Leise öffnete sich die Tür und Colette lugte durch den Schlitz.

„Brauchst du mich Kleine?“

„Ja komm! Wir beide brauchen dich! Du bist immer zur Stelle wenn die Not am größten ist, große Schwester.“ Lud die Angesprochene ein.

Auf leisen Sohlen schlich Colette zu den beiden. Das Doppelbett bot genügend Platz.

Madleen zur rechten, Colette zur linken, beider Energien verbanden sich, drangen gebündelt in Elenas Bewusstsein und entfalteten ihre heilende Wirkung.

 

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  • In Melancholanien/Akratasien wird eine dem deutschen ähnliche Sprache gesprochen. Ein Unterschied etwa vom hochdeutschen zum schweizerdeutsch.
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